Rz. 24
Sowohl in § 36 Abs. 4 als auch in § 43 Abs. 3 finden sich Härtefallregelungen, welche den Betroffenen neben den in der Leistungshöhe begrenzten Beträgen nach § 36 Abs. 3 und § 43 Abs. 2 bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen einen Anspruch auf Gewährung eines weiteren (ebenfalls in der Höhe limitierten) Betrages einräumt.
Nach § 36 Abs. 4 können die Pflegekassen in besonders gelagerten Einzelfällen zur Vermeidung von Härten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1.995,00 EUR monatlich gewähren, wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vorliegt, der das übliche Maße der Pflegestufe III weit übersteigt, z. B. wenn im Endstadium von Krebserkrankungen regelmäßig mehrfach auch in der Nacht Hilfe geleistet werden muss.
Rz. 25
Eine Definition des Begriffs "außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand" ist § 36 Abs. 4 nicht zu entnehmen, vielmehr wird als Beispiel genannt die Notwendigkeit eines regelmäßig nächtlichen Hilfebedarfs im Endstadium einer Krebserkrankung. Ungeachtet der Formulierung des § 36 Abs. 4 Satz 1, wonach die Pflegekassen weitere Pflegeeinsätze gewähren "können", steht den Pflegekassen kein Ermessensspielraum bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Härtefalls zu. Statt dessen erlässt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen unter Einbeziehung des MDK Richtlinien zur Anwendung der Härtefallregelungen nach § 36 Abs. 4 (Härtefall-Richtlinien – HRi). Dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen ist bei der Festlegung der Voraussetzungen eines Härtefalls nur ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum dahingehend eingeräumt, dass die HRi so zu formulieren sind, dass die in Abs. 4 Satz 2 genannte Beschränkung auf 3 % aller versicherten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III im häuslichen Bereich ausgeschöpft, aber nicht überschritten wird (BSG, Urteil v. 30.10.2001, B 3 P 2/01 R, zu den bis zum 31.8.2006 geltenden HRi).
Rz. 26
Nach Ziff. 4 der Härtefall-Richtlinien v. 10.7.1995 i. d. F. des Ergänzungsbeschlusses v. 28.10.2005 kann sich der Pflegeaufwand aufgrund der individuellen Situation des Pflegebedürftigen dann als außergewöhnlich hoch bzw. intensiv darstellen, wenn die täglich durchzuführenden Pflegemaßnahmen das übliche Maß der Grundversorgung i. S. v. Ziff. 4.1.3 (Pflegestufe III) der Pflegebedürftigkeitsrichtlinien (PflRi) quantitativ oder qualitativ übersteigen. Dies ist nach den HRi dann anzunehmen, wenn
- Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens 6 Stunden täglich, davon mindestens dreimal in der Nacht, erforderlich ist; bei Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen ist auch die auf Dauer bestehende medizinische Behandlungspflege zu berücksichtigen,
oder
- die Grundpflege für den Pflegebedürftigen auch des Nachts nur von mehreren Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht werden kann. Das zeitgleiche Erbringen der Grundpflege des Nachts durch mehrere Pflegekräfte erfordert, dass wenigstens bei einer Verrichtung tagsüber und des Nachts neben einer professionellen Pflegekraft mindestens eine weitere Pflegeperson, die nicht bei einem Pflegedienst beschäftigt sein muss (z. B. Angehörige), tätig werden muss.
Zusätzlich muss ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein.
Weiterhin ist nach den HRi beim Vorliegen insbesondere folgender Krankheitsbilder von einem solch außergewöhnlich hohen bzw. intensiven Pflegeaufwands dann auszugehen:
- Krebserkrankungen im Endstadium,
- AIDS-Erkrankungen im Endstadium,
- hohe Querschnittslähmung und Tetraplegie,
- Enzephalomyelitis disseminata im Endstadium,
- Wachkoma,
- schwere Ausprägung der Demenz,
- bei schweren Fehlbildungssyndromen und Fehlbildungen im Säuglings- und Kleinkindalter,
- schwerste neurologische Defektsyndrome nach Schädelhirnverletzungen,
- Endstadium der Mukoviszidose.
Rz. 27
Das Vorliegen eines Härtefalls ist demnach dann anzunehmen, wenn entweder die zeitlichen Voraussetzungen (mindestens 6 Stunden täglich, davon dreimal in der Nacht) oder das Erfordernis des zeitgleichen Erbringens der Grundpflege durch mehrere Pflegepersonen in der Nacht gegeben ist. Es handelt sich um eine abschließende Aufzählung der Voraussetzungen, nach denen sich ein Härtefall definiert.
Rz. 28
§ 36 Abs. 4 Satz 2 sieht vor, dass die Ausnahmeregelung des Satz 1 für nicht mehr als 3 vom Hundert aller versicherten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III, die im häuslichen Umfeld gepflegt werden, Anwendung findet. Damit soll zum einen sichergestellt werden, für besonders gelagerte Einzelfälle mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand im Bereich der Grundpflege eine Ausnahmeregelung vorzuhalten, welche der Einzelfallgerechtigkeit dient, ohne damit eine reguläre Pflegestufe IV zu schaffen, zum anderen wird so das Erfordernis der Beitragssatzstabilität (§ 70) berücksichtigt (BSG, Urteil v. 30.10.2001, B 3 P 2/01 R, zu den bis zum 31.8.2006 geltenden HRi). Nach § 36 Abs. 4 Satz 3 hat der Spitzenverband Bund der Pflegekassen die Einhaltung des genannten Höchstsatzes zu überwachen...