Rz. 8
In Abs. 1 Satz 2 und 3 hat der Gesetzgeber geregelt, ab wann die Leistungen der Pflegeversicherung erbracht werden.
Das Gesetz stellt auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab, verlangt jedoch zusätzlich die Erfüllung der (sonstigen) Anspruchsvoraussetzungen. Lag Pflegebedürftigkeit bereits mehr als einen Monat vor Antragstellung vor, so werden die Leistungen vom Beginn des Monats der Antragstellung an gewährt.
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Beispiel 1 |
Beispiel 2 |
Beispiel 3 |
Pflegebedürftigkeit ab |
11.5.2018 |
11.5.2018 |
11.5.2018 |
Antragseingang am |
27.4.2018 |
26.5.2018 |
15.6.2018 |
Leistungsanspruch ab |
11.5.2018 |
26.5.2018 |
1.6.2018 |
Rz. 9
Nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist die Frage, ob Abs. 1 Satz 2 und 3 auch für Anträge auf Zuerkennung eines höheren Pflegegrades gilt. Das Problem wird insbesondere dann aktuell, wenn der Medizinische Dienst, veranlasst durch die Pflegekasse, auf einen Höherstufungsantrag hin seine Prüfung durchführt und zu der Einschätzung gelangt, dass der höhere Pflegegrad bereits einige Monate vor Stellung des Höherstufungsantrages erreicht war. Die Pflegekasse wird in solch einem Fall ihren alten Bescheid, mit welchem sie den niedrigeren Pflegegrad bewilligt hatte, aufheben. Die Aufhebung erfolgt nach § 48 SGB X. Dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass die Aufhebung zugunsten des Versicherten nicht auch für Zeiträume ausgesprochen werden kann, die vor dem Zeitpunkt der Stellung des Höherstufungsantrages liegen. Indessen wird man gleichwohl auch in einem Fall, da eine Höherstufung begehrt wird, der betreffenden Antragstellung materiell-rechtliche Bedeutung beimessen müssen und folgerichtig auch Abs. 1 Satz 2 und 3 anwenden müssen. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass der früher einmal gestellte Antrag, der zum niedrigeren Pflegegrad führte, mit Eintritt der Bestandskraft jenes Bescheides verbraucht worden ist und keinerlei Gründe ersichtlich sind, den Antragsteller, der einen höheren Grad begehrt, besser zu stellen als den Erstantragsteller.
Rz. 10
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 14.12.2000, B 3 P 1/00 R, Breithaupt, 2001 S. 582) kann ungeachtet der Regelung des Abs. 1 Satz 2 ein Zuschuss zu den Kosten einer Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes i. S. d. § 40 Abs. 4 auch dann gewährt werden, wenn die Maßnahme bereits vor der Beantragung des Zuschusses durchgeführt worden ist. Das BSG hat mit dieser Entscheidung in einem Problembereich Klärung herbeigeführt, der zuvor gekennzeichnet war durch divergierende Entscheidungen von Landessozialgerichten (vgl. einerseits – wie das BSG – LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 13.12.1999, L 16 P 18/98, und andererseits LSG Thüringen, Urteil v. 30.8.2000, L 6 KN 712/99 P). Das BSG begründet seine Sichtweise damit, dass Abs. 1 Satz 2 die Befriedigung des aktuellen Pflegebedarfs im Auge habe, dieser Aspekt jedoch auf Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nicht zutreffe, denn solche Maßnahmen seien unabhängig von der Kenntnis des Leistungsträgers vom Versicherungsfall stets vom Versicherten selbst durchzuführen. Die Pflegekasse sei lediglich nach pflichtgemäßem Ermessen berechtigt, einen – begrenzten – Kostenzuschuss zu leisten.
Das BSG dehnt seine Sichtweise im Übrigen auf den Bereich der privaten Pflegeversicherung aus. Auch dort darf nach Auffassung des Gerichts der Zuschuss nicht auf Maßnahmen beschränkt werden, die erst nach der Beantragung des Zuschusses durchgeführt werden.
Rz. 11
Das Erleiden von Nachteilen wegen eines infolge einer Fehlberatung oder Falschauskunft der Pflegekasse verspätet gestellten Leistungsantrages ist nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches kompensierbar (vgl. hierzu die Rechtsprechung des BSG in anderen Leistungsbereichen, instruktiv etwa BSG, Urteil v. 14.2.2001, B 9 V 9/00 R, Breithaupt 2001 S. 544; sehr weit gehend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 23.9.2010, L 27 P 5/09).