Rz. 2
In Abs. 1 wird nochmals der in § 3 als Grundsatz normierte Vorrang häuslicher oder teilstationärer Pflege betont. Ist häusliche oder teilstationäre Pflege möglich und zumutbar und wird gleichwohl vollstationär gepflegt, so erlöschen Leistungsansprüche indes nicht vollständig. Die soziale Pflegeversicherung übernimmt allerdings in derartigen Fällen die Kosten nicht nach Maßgabe der Leistungssätze des Abs. 2, sondern sie leistet nach Maßgabe von Abs. 4 nur einen Zuschuss zu den pflegebedingten Aufwendungen i. H. d. in § 36 Abs. 3 für die jeweilige Pflegestufe vorgesehenen Gesamtwertes.
Rz. 3
Die Pflegekasse hat bei Beantragung vollstationärer Pflege nach Maßgabe von § 18 Abs. 1 Satz 1 im Einzelfall über den Medizinischen Dienst abzuklären, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welche Stufe der Pflegebedürftigkeit vorliegt. Insofern besteht kein Unterschied zu den sonstigen Leistungsarten. Der Medizinische Dienst hat indes nach § 18 Abs. 1 Satz 2 darüber hinaus u. a. Art und Umfang der Hilfebedürftigkeit sowie das Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz (§ 45a) zu ermitteln. Hiervon umfasst ist die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 erfüllt sind.
Rz. 4
Die häusliche Pflege kann etwa wegen baulicher/räumlicher oder pflegepersonenbedingter Verhältnisse unmöglich sein, so dass die teilstationäre Pflege (Tages- oder Nachtpflege) entsprechend ebenfalls keinen Sinn hat. Gleiches gilt, wenn zur Sicherstellung der Pflege die teilstationäre Pflege (§ 41) ausreichend wäre, jedoch in weitem Umkreis kein teilstationäres Angebot vorhanden ist. Weiter erscheint es denkbar, dass zwar nicht der Tatbestand der Unmöglichkeit vorliegt, aber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Versorgung mittels häuslicher und/oder teilstationärer Pflege unzumutbar ist. Ein solcher Grund kann vorliegen, wenn der Pflegebedürftige die Pflegeperson, die Pflegeeinrichtung o. Ä. aus plausiblen und nachvollziehbaren Gründen zu Recht ablehnt und eine anderweitige, zumutbare ambulante Alternative nicht zur Verfügung steht.
In den meisten Fällen wird vollstationäre Pflege geboten sein, weil schlichtweg ein derart schwerwiegender Krankheits- oder Behinderungstatbestand vorliegt, dass ein Tätig werden einer privaten Pflegeperson oder eines ambulanten Pflegedienstes den pflegerischen Bedürfnissen des Pflegebedürftigen nicht mehr gerecht werden kann, vielmehr eine engmaschige, intensive Betreuung notwendig ist.
Die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungsrichtlinien), herausgegeben vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V., verhalten sich in Abschnitt D 5.5 ebenfalls zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1. Danach kann vollstationäre Pflege insbesondere erforderlich sein bei
- Fehlen einer Pflegeperson,
- fehlender Pflegebereitschaft möglicher Pflegepersonen,
- drohender oder bereits eingetretener Überforderung von Pflegepersonen,
- drohender oder bereits eingetretener Verwahrlosung des Pflegebedürftigen,
- Selbst- und Fremdgefährdungstendenzen des Pflegebedürftigen,
- räumlichen Gegebenheiten im häuslichen Bereich, die keine häusliche Pflege ermöglichen und durch Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes (§ 40 Abs. 4) nicht verbessert werden können.
Vorsicht ist bei Zugrundelegung dieser Kriterien insoweit geboten, als sie zum einen nach eigenem Anspruch ("insbesondere") überhaupt nur exemplarischen Charakter haben und zum anderen materiell-rechtlich nicht verbindlich sind, da sie von der Ermächtigungsgrundlage des § 17 nicht gedeckt sein dürften. Es geht bei ihnen weder i. S. d. § 17 Abs. 1 um Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit noch um Abgrenzung der Pflegestufen noch um das Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit.
Rz. 5/6
(unbesetzt)