Rz. 4
Heftig umstritten zwischen den Heimträgern und ihren Organisationen auf der einen Seite und Verbraucher-, Behinderten- und Altenorganisationen auf der anderen Seite ist – nicht was die Auslegung betrifft, wohl aber, was die Frage der politischen Rechtfertigung betrifft – die Vorschrift des Abs. 2.
In der Diskussion wird nicht immer hinreichend gewürdigt, dass die zuvor bestehende Rechtslage ausgesprochen unbefriedigend war und dringender Regelungsbedarf bestand.
Wegen der durch § 84 Abs. 2 Satz 3 erfolgten engen Verknüpfung der für die Höhe der Pflegevergütung maßgebenden Pflegeklasse und der Pflegestufe eines Heimbewohners hat der Heimträger ein hohes wirtschaftliches Interesse an einer angemessen hohen Einstufung des Pflegebedürftigen. Es ist gleichwohl große Zurückhaltung geboten bei der Annahme, der Heimträger besitze aus diesem Grund auch die Befugnis, eigenständig und damit ohne bzw. gar gegen den Willen des pflegebedürftigen Heimbewohners einen diesen betreffenden Leistungsantrag bei der Pflegekasse zu stellen (vgl. Komm. zu § 33). Auch ist die Rechtsprechung des BSG nicht überzeugend, wonach der Heimträger eine Vergütung nach der materiell richtigen Pflegeklasse des Pflegebedürftigen aufgrund der Verfassungsnorm des Art. 19 Abs. 4 GG einklagen können soll (vgl. Komm. zu § 84).
Der Gesetzgeber hat der für den Heimträger schwierigen Situation vielmehr u.a. (vgl. darüber hinaus § 84 Abs. 2 Satz 3) mit Schaffung des § 87a Abs. 2 Rechnung getragen. Die Vorschrift räumt dem Heimträger ein Initiativrecht hinsichtlich einer Höherstufung des Pflegebedürftigen ein. Der betreffende Antrag ist dabei weiterhin vom Pflegebedürftigen selbst zu stellen, nicht vom Heimträger. Der Heimträger indessen ist nunmehr befugt, den pflegebedürftigen Heimbewohner zur Antragstellung anzuhalten, wenn Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer höheren Pflegestufe bestehen.
Die Auffassung von Verbraucherorganisationen, mit dieser Regelung werde faktisch das sozialrechtliche Antragsprinzip durchbrochen (so der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V. in seiner Stellungnahme zum Entwurf des PQSG), dürfte bei näherer Betrachtung nicht haltbar sein. Das Antragsrecht verbleibt vielmehr beim pflegebedürftigen Heimbewohner. Ihm steht es im Übrigen frei, mit dem Heimträger den Umfang der Pflege zu begrenzen. Nimmt er aber eine aufwändige Pflege in Anspruch, die nicht der festgestellten Pflegestufe entspricht, so erscheint es wegen der vergütungsrechtlichen Regelung des § 84 Abs. 2 interessengerecht, dass der Heimträger ihn mit vertragsrechtlichen Folgen für den Fall der Weigerung zur Stellung eines Höherstufungsantrages anhalten darf.
Die vertragsrechtlichen Folgen einer Weigerung bestehen darin, dass der Heimträger nach Abs. 2 Satz 3 unter Beachtung einer Frist einen höheren Pflegesatz berechnen darf.
Weitere Voraussetzung ist indessen die Erfüllung des Grundtatbestandes des Abs. 2 Satz 1. Dies bedeutet, dass der Heimträger nicht willkürlich sein Initiativrecht ausüben darf, sondern es müssen i.S.v. Satz 1 der Vorschrift Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der pflegebedürftige Heimbewohner aufgrund der Entwicklung seines Zustandes einer höheren Pflegestufe zuzuordnen ist. Der Heimträger hat insoweit keinen Beurteilungsspielraum. Die genannten Anhaltspunkte müssen vielmehr objektivierbar sein. Ihr Bestehen ist vollständig gerichtlich überprüfbar.
Bei der Formulierung des Abs. 2 Satz 3 hat der Gesetzgeber mit dem Wort "vorläufig" augenscheinlich unterstellt, dass sich der Pflegebedürftige nicht endgültig weigert, den Höherstufungsantrag zu stellen, sich vielmehr unter dem Druck der heimvertragsrechtlichen Konsequenz später überzeugen lässt. Nicht ausdrücklich geregelt ist damit der Fall der endgültigen Weigerung. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung bestehen indessen keinerlei Gründe, den Pflegebedürftigen in diesem Fall von der Mehrzahlungsverpflichtung zu entbinden. Auch bei endgültiger Weigerung hat er den Pflegesatz nach der nächsthöheren Pflegestufe zu zahlen.
Nicht befriedigend geregelt ist die Position der Pflegekasse, soweit diese auf der Grundlage des Abs. 2 Satz 3 mehrzahlungspflichtig wird. Hier wird durch die Rechtsprechung zu klären sein, inwieweit die Pflegekasse den Pflegebedürftigen etwa auf der Grundlage der §§ 60 ff. SGB I veranlassen darf, sich in ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung der zutreffenden Pflegeklasse zu begeben.
Erforderlichenfalls muss der Gesetzgeber Abhilfe schaffen.
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Der Gesetzgeber hat es ebenfalls verabsäumt, expressis verbis zu regeln, von welchem Zeitpunkt an der antragswillige Pflegebedürftige den höheren Satz zu zahlen hat. Hier lässt erst die in Abs. 2 Satz 4 normierte Rückzahlungsverpflichtung des Heimträgers für den Fall der Ablehnungsentscheidung der Pflegekasse erkennen, dass der Gesetzgeber ganz offenbar von einer Zahlungspflicht des Pflegebedürftigen schon auf die schriftliche Aufforderung des Heimträgers i.S.d. Abs. 2 Satz 1 hinausgeht. Der Gesetzgeber mag be...