BSG-Fundstelle

12.5.2020, B 12 KR 30/19 R

(BSGE 130, 123-132; SozR 4-2400 § 7 Nr. 47; USK 2020-23;
Die Beiträge, Beilage 2021, 3-11; Breith. 2021, 381-389)
Sachverhalt
  • Familien-GmbH
  • Gesellschafter: Mutter (70 % Kapitalbeteiligung), Sohn (30 % Kapitalbeteiligung)
  • Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, Beschlüsse über die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, die Vertretung der Gesellschaft durch den/die Geschäftsführer, die Geschäftsführung, die Übertragung von Geschäftsanteilen mit ¾ Mehrheit
  • zunächst Mutter alleinvertretungsberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführerin (ohne gesonderten Geschäftsführervertrag)
  • danach Vater als alleiniger Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen (mit Geschäftsführer-Anstellungsvertrag)
  • Mutter mit Arbeitsvertrag als Sachbearbeiterin für Auftragsbearbeitung, Beratung und Softwarepflege (Arbeitszeit 40 Wochenstunden, monatliches Festgehalt, Urlaubsanspruch)
  • nicht notariell beurkundeter Treuhandvertrag (Mutter als Treuhänderin für 40 % Stammkapital, Treugeber ist Vater)
  • Treuhänderin konnte nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Treugebers über die Gesellschafterrechte verfügen und musste das Stimmrecht entsprechend den Weisungen des Treugebers ausüben
  • Treugeber war unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht und unwiderrufliche Verfügungsvollmacht über den treuhänderisch gehaltenen Geschäftsanteil eingeräumt
  • Treuhänderin war bei Beendigung des Treuhandvertrags oder auf Verlangen des Treugebers verpflichtet, den Geschäftsanteil auf diesen oder eine von ihm bezeichnete Person zu übertragen.
  • Kündigung des Treuhandvertrags war für beide Seiten jederzeit ohne Kündigungsfrist möglich)
Entscheidung

Kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis (Gesellschafter-Geschäftsführerin)

Abhängiges Beschäftigungsverhältnis (Gesellschafterin/Treuhänderin und Sachbearbeiterin)
Urteilstenor/Begründung
  • Als Gesellschafter-Geschäftsführerin (Kapitalbeteiligung 70 %) verfügte die Mutter über eine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht, die sie in die Lage versetzte, jederzeit eine Einflussnahme auf ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin zu verhindern.
  • Der Treuhandvertrag stand dem nicht entgegen. Ein Treuhandvertrag ist wegen seiner schuldrechtlichen Wirkung für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ohne Bedeutung. Das gilt auch, wenn dem Treugeber eine unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht eingeräumt ist. Dieses Ergebnis wird durch die fehlende Publizität von Treuhandabreden im Handelsregister untermauert.
  • Die Treuhänderin war als Gesellschafterin Inhaberin aller mit dem Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Pflichten. Insbesondere das Stimmrecht als das wichtigste Verwaltungsrecht stand grundsätzlich ihr allein und nicht dem Treugeber zu.
  • Auch die dem Treugeber eingeräumte unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht entfaltete keine gesellschaftsrechtliche Wirkung zwischen den Vertragsparteien. Das Stimmrecht eines Gesellschafters ist ein wesentliches Element seiner gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaft und als solches an den die Gesellschafterstellung prägenden Geschäftsanteil gebunden.
  • Für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ist maßgeblich, dass die Treuhänderin als Gesellschafterin nicht an einer eigenen Stimmabgabe unter Verdrängung des Vertreters gehindert war. Bei widersprechender Stimmabgabe von Vertreter und Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung ist allein die Stimme des Gesellschafters maßgebend.
  • Etwas anderes ergab sich auch nicht aus der unwiderruflichen Bevollmächtigung der Treugeber, den jeweils treuhänderisch gehaltenen Geschäftsanteil an sich selbst oder einen Dritten abzutreten.
  • Für die Statusbestimmung ist ausschließlich die im zu beurteilenden Zeitraum tatsächlich verteilte, nicht aber eine nur nach weiteren Rechtshandlungen denkbare Rechtsmacht maßgebend.
  • Bei einer Übertragung des Geschäftsanteils gilt der Treugeber oder ein Dritter erst ab dem Tag der Aufnahme der geänderten Gesellschafterliste in das Handelsregister als Gesellschafter und damit als in der Gesellschafterversammlung stimmberechtigt. Bis zu diesem Zeitpunkt steht der Treuhänderin das aus dem Geschäftsanteil resultierende Stimmrecht zu.
  • Die mit der Aufnahme der Gesellschafterliste in das Handelsregister einhergehende Fiktion der Gesellschafterstellung schafft eine klare Zäsur, nach der sich die Rechte und Pflichten zwischen einer GmbH einerseits und Veräußerern sowie Erwerbern des Gesellschaftsanteils andererseits bestimmen.
  • Der in die Gesellschafterliste aufgenommene Gesellschafter kann bis zur Eintragung einer Veränderung die Gesellschafterrechte wahrnehmen und haftet für die bis dahin fällig werdenden Gesellschafterpflichten allein.
  • Der (noch) nicht in der Gesellschafterliste Eingetragene, aber materiell Berechtigte ist demgegenüber rechtlich gehindert, Gesellschafterrechte auszuüben und haftet grundsätzlich nicht für Pflichten aus dem Geschäftsanteil. Er muss sämtliche Rechtshandlungen zwischen Gesellschaft und bisher Leg...

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