7.1 Begriff
Rz. 110
Eine betriebliche Übung bildet die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung auf Dauer gewährt werden, und dass er daher diesen Anspruch auch erhält. Ganz überwiegend handelt es sich um Ansprüche, die auf Geld gerichtet sind. Eine Rechtsbindung durch betriebliche Übung bei bloßen Annehmlichkeiten wird dagegen verneint. Umstritten ist die dogmatische Herleitung dieses Rechtsinstituts. Die st. Rspr. folgt der sog. Vertragstheorie: Aufgrund einer Willenserklärung, die vom Arbeitnehmer stillschweigend angenommen wird, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen. Daneben findet sich im Schrifttum eine Herleitung aus dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung. Teilweise geht man von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung aus.
7.2 Voraussetzungen und Verhinderung einer betrieblichen Übung
Rz. 111
Ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers eine betriebliche Übung mit Anspruch auf eine zukünftige Gewährung entsteht oder ob aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Vergünstigung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist, ist in den Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln. Eine vertragliche Bindung kann nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründen. Ein Gratifikationsanspruch des Arbeitnehmers ist aufgrund betrieblicher Übung dann gegeben, wenn der Arbeitgeber eine Gratifikation wiederholt vorbehaltlos zahlt und hierdurch für die Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand entsteht, der Arbeitgeber wolle sich diesbezüglich auch für die Zukunft binden. Die Entstehung eines solchen Vertrauenstatbestandes ist nicht dadurch gehindert, dass der Arbeitgeber die Höhe der Zuwendung jährlich neu festsetzt, sofern nur eine gewisse Regelmäßigkeit, beispielsweise in Form eines Mindestbetrags, ersichtlich ist.
Ein derartiger Vertrauenstatbestand ist nach dreimaliger Zahlung anzunehmen, falls nicht besondere Umstände dagegen sprechen.
Rz. 112
Will der Arbeitgeber verhindern, dass aus der Stetigkeit eines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muss er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. Dabei gilt kein Formzwang. Erforderlich ist, dass der Vorbehalt klar und unmissverständlich kundgetan wird. Daher ersetzt der Umstand, dass der Arbeitgeber vorhatte, eine Kündigungsklausel in eine Betriebsvereinbarung aufzunehmen, wenn es denn zu einer gekommen wäre, nicht die ausdrückliche Erklärung eines Vorbehalts. Der Arbeitgeber kann den Vorbehalt sowohl durch Aushang oder Rundschreiben als auch durch Erklärung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer bekannt geben. Eine für den Arbeitnehmer erkennbar auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung begründet keine Ansprüche der Leistungsempfänger aus einer betrieblichen Übung für zukünftige Jahre. Ein Widerrufsvorbehalt bzw. die Mitteilung, dass die Leistung freiwillig erfolgt, ist in diesem Fall nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen.
Rz. 113
Der für das Entstehen einer betrieblichen Übung erforderliche Bindungswille ist in der Wechselbeziehung von Leistung und Gegenleistung nach der Rspr. des BAG eher anzunehmen, als für den Fall, dass ein Gegenstand betroffen ist, der seinem Schwerpunkt nach der Organisation des Betriebs zuzurechnen ist und daher üblicherweise auf kollektiver Ebene oder durch Ausübung des Direktionsrechts geregelt wird. Je mehr eine Regelung auf das Funktionieren des Betriebs in seiner Gesamtheit bezogen ist, desto weniger können die Arbeitnehmer annehmen, der Arbeitgeber wolle sich mit einem bestimmten Verhalten ihnen gegenüber individualrechtlich binden. Allein die Leistung an einzelne Arbeitnehmer lässt noch nicht auf einen zurechenbaren objektiven Bindungswillen des Arbeitgebers schließen, er wolle allen Arbeitnehmern oder zumindest allen Arbeitnehmern einer abgrenzbaren Gruppe die Leistung zukommen lassen. Eine allgemeinverbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen ein Arbeitnehmer auf die Fortgewährung auch an ihn schließen darf, gibt es nicht. Es ist auf die Art,...