3.1 Wirksamer Dienstvertrag
Rz. 3
Voraussetzung für die Rechtsfolge des § 612 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich ein rechtswirksamer Vertrag über Dienste, dessen Zustandekommen sich nach den allgemeinen Vorschriften beurteilt und damit auch konkludent erfolgen kann. Die Norm betrifft mithin den Fall, dass eine wirksame Vereinbarung allein hinsichtlich der Vergütung fehlt, während eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über die Erbringung von Diensten bestehen muss.
Entgegen dem Wortlaut wird § 612 Abs. 1 BGB sowohl im Fall einer unwirksamen Vereinbarung über Dienste als auch bei einer unwirksamen Vergütungsvereinbarung angewandt.
3.2 Fehlen einer Vergütungsvereinbarung
Rz. 4
Darüber hinaus fordert die Vorschrift das Fehlen einer wirksamen Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien. § 612 Abs. 1 BGB ist daher nicht anwendbar, wenn eine Vergütung lediglich unangemessen ist, sondern nur in solchen Fällen, in denen weder durch Gesetz, Tarifvertrag oder einzelvertragliche Vereinbarung noch auf sonstiger Grundlage eine Vergütung festgelegt ist.
Ist eine Vergütung etwa wegen Verstoßes gegen das MiLoG oder gegen Branchenmindestlöhne in Verordnungen nach dem AEntG bzw. AÜG oder gegen § 17 BBiG unwirksam, stellt dies keinen Anwendungsfall von § 612 Abs. 1 BGB dar. In diesen Fällen kann aber § 612 Abs. 2 BGB (analog, d. h. entsprechend) eingreifen. Die Regelung gilt nach Ansicht des BAG indes beim sittenwidrigen Lohnwucher, also bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Vergütungshöhe. Ein wucherähnliches Geschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB gegeben, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände, wie etwa eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag Begünstigten, hinzukommen. Liegt insofern ein Verstoß gegen § 138 BGB vor, schuldet der Arbeitgeber gem. § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung unter Zugrundelegung des tariflichen Stundenlohns ohne Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen. Bei arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarungen ist der jeweils streitgegenständliche Zeitraum und der Umfang der täglichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers maßgeblich.
Gleiches gilt, wenn über die vertraglich geschuldete Tätigkeit hinaus eine Sonderleistung erbracht wird, die durch die vereinbarte Vergütung nicht abgegolten ist und weder einzelvertraglich noch tarifvertraglich geregelt ist, wie diese Dienste zu vergüten sind. So kann auch bei der Begründung eines Praktikums – unabhängig davon, ob es unentgeltlich, nach §§ 26, 17 BBiG oder nach § 22 MiLoG vergütungspflichtig ist – ein Vergütungsanspruch für Dienstleistungen entstehen, der von dem Praktikumsverhältnis nicht gedeckt ist, sofern der Praktikant höherwertige Dienste verrichtet, als er im Rahmen des Praktikums zu erbringen hat.
3.3 Vergütungserwartung nach den Umständen
Rz. 5
Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt die Vergütung als vereinbart, wenn die Dienstleistung "den Umständen nach" nur gegen eine Vergütung "zu erwarten ist". Es darf damit weder ausdrücklich noch konkludent die Unentgeltlichkeit vereinbart sein.
Nach den allgemeinen Grundsätzen der Auslegung von Rechtsgeschäften sind die "Umstände", unter denen ein Rechtsgeschäft zustande kommt, bereits zu dessen Auslegung heranzuziehen. Die Bestimmung des § 612 Abs. 1 BGB kann dagegen erst eingreifen, wenn eine Auslegung ergeben hat, dass die Parteien sich keine Gedanken über die Entgeltlichkeit gemacht haben oder unerkannt unterschiedliche Vorstellungen haben. Dann aber können dieselben "Umstände" nicht ein zweites Mal, nunmehr bei § 612 Abs. 1 BGB, zum Tragen kommen; sprechen nämlich die Umstände bereits für die Entgeltlichkeit, so dürfte dies bereits im Wege der Auslegung zu einer stillschweigenden Abre...