Rz. 1
Die Vorschrift enthält eine Ausnahme des Grundsatzes "Ohne Arbeit kein Lohn" (§ 326 Abs. 1 BGB). Häufig kann der Dienstverpflichtete seine Arbeitskraft nicht kurzfristig anderweitig verwerten, ist zugleich aber auf die Vergütung als elementare Einkunftsquelle für seinen Lebensunterhalt angewiesen.
§ 615 BGB stellt zwar keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, belässt aber dem Dienstverpflichteten grundsätzlich seinen Vergütungsanspruch, falls die Leistungserbringung trotz seiner Leistungsfähigkeit und -bereitschaft an der fehlenden Mitwirkung des Dienstberechtigten scheitert. Normiert sind lediglich die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs, während für die Voraussetzungen auf die §§ 293 ff. BGB abzustellen ist.
Rz. 2
Abzugrenzen ist der Annahmeverzug von der Unmöglichkeit. Diese Problematik ist seit langem heftig umstritten. Die Rechtsprechung geht von einem Exklusivverhältnis von Unmöglichkeit und Annahmeverzug aus. Unmöglichkeit liege vor, wenn die Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer unmöglich sei und der Arbeitgeber hypothetisch zur Annahme derselben bereit war. Hingegen verstehe man unter Annahmeverzug das Unterbleiben der Arbeitsleistung, das durch die vom Arbeitgeber verweigerte Annahme der vom Arbeitnehmer angebotenen Arbeit entstehe. Fälle der sog. Annahmeunfähigkeit werden demnach nicht von § 615 BGB erfasst. Dies wurde in jüngerer Rechtsprechung erneut bestätigt und zu einer knappen Formel zusammengefasst: Wird dem Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung unmöglich, bestimmen sich die Rechtsfolgen für seinen Vergütungsanspruch nach § 615 BGB, wenn der Arbeitgeber sich schon im Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit im Annahmeverzug befindet. Ansonsten findet § 326 BGB Anwendung. Die dadurch entstehende Gesetzeslücke bei Betriebsstörungen, die weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu vertreten sind, wurde durch die Entwicklung der Betriebsrisikolehre gelöst. Diese wurde nunmehr durch die Einfügung von Satz 3 kodifiziert. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht schließt der Annahmeverzug i. S. v. § 615 BGB auch die Konstellation der "Annahmeunmöglichkeit" mit ein, sodass sowohl die Annahmeunwilligkeit als auch die Annahmeunfähigkeit erfasst werden. Die Einschlägigkeit von § 615 BGB wird damit allein an die Voraussetzungen des Annahmeverzugs geknüpft, ohne dass es auf die Ursache der Nichtannahme ankommt. Eine derartige Sichtweise bietet den Vorteil, dass bei Betriebsstörungen, die weder in die Sphäre des Arbeitgebers noch in die des Arbeitnehmers fallen, nicht auf die Betriebsrisikolehre zurückgegriffen werden muss.
Rz. 3
§ 615 BGB ist sowohl durch individualrechtliche als auch kollektivrechtliche Vereinbarungen abdingbar. Die Abrede muss eindeutig sein und darf das Entgeltrisiko nicht vollständig auf den Dienstverpflichteten verlagern.