Rz. 27
Unzulässig ist eine Benachteiligung, "weil" der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Dies erfordert einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung, der aber nicht bereits dann gegeben ist, wenn die Rechtsausübung die Bedingung (conditio sine qua non) für die Benachteiligung ist.
Die Rechtsprechung hält darüber hinaus als subjektives Moment eine Maßregelungsabsicht des Arbeitgebers in dem Sinne für erforderlich, dass die Rechtsausübung des Arbeitnehmers für die Maßnahme oder Vereinbarung seitens des Arbeitgebers nicht nur in irgendeiner Weise auch ursächlich und nicht nur äußerer Anlass sein darf. Das Maßregelungsverbot ist nur dann verletzt, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wobei die zulässige Rechtsausübung der tragende Grund, d. h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein muss. Bloße Mitursächlichkeit der Rechtsausübung genügt nicht. Eine Maßregelungsabsicht ist demgegenüber nicht zu fordern.
Rz. 28
Dagegen wird zum Teil diese subjektive, am Motiv des Arbeitgebers ansetzende Betrachtung durch eine rein objektive Kausalität ergänzt, wonach unabhängig von den Beweggründen des Arbeitgebers eine Maßregelung vorliegen soll, wenn z. B. eine Rechtsausübung einzige Ursache für eine Benachteiligung ist.
Eine solche objektive Ergänzung des Zusammenhangs zwischen Rechtsausübung und Maßregelung losgelöst vom Willen des Arbeitgebers entspricht aber nicht dem Maßregelungsverbotscharakter und ist auch nicht erforderlich: Wo für eine Benachteiligung objektiv kein anderer Grund als die zulässige Rechtsausübung bestehen kann oder wo andere Gründe sie nicht rechtfertigen können, ist das einzig verbleibende Motiv des Arbeitgebers, an die zulässige Rechtsausübung eine Sanktion zu knüpfen.
Dies stimmt mit der Rechtsprechung des BAG überein, das betont, dass auch bei objektivem Vorliegen von Gründen, die eine benachteiligende Differenzierung gegenüber anderen Arbeitnehmern rechtfertigen, trotzdem keine Maßregelung vorliegt, wenn diese Gründe nicht das Motiv des Arbeitgebers für die Benachteiligung waren. Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung ist z. B. nur dann eine unzulässige Maßregelung, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll; will der Arbeitgeber dagegen für die Zukunft erwarteten Folgen weiterer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere (neuerlichen) Betriebsablaufstörungen, vorbeugen, fehlt es an einem unlauteren Motiv für die Kündigung.
Allgemeingültige zeitliche Grenzen, außerhalb derer ein Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Benachteiligung ausscheidet, lassen sich nicht ziehen. Allerdings dürfte mit Recht ein Zusammenhang abzulehnen sein, wenn zwischen der Rechtsausübung (etwa der Geltendmachung eines Anspruchs auf Überstundenvergütung) und der Kündigung ein Zeitraum von annähernd 3 Monaten liegt. Liegen zwischen der Rechtsausübung (etwa die Geltendmachung eines von dem Arbeitgeber nicht beanstandeten Anspruchs auf Erlangung einer Musterberechtigung auf Kosten des Arbeitgebers) und der Kündigung 2 Wochen, bleibt ein hinreichender Zusammenhang möglich. Ein Zeitraum von etwa 3 Jahren zwischen Wahl zum Betriebsrat (2018) und der Kündigung (vom 22.2.2021) genügte nicht als Sachverhalt, der einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen zulässiger Rechtsausübung einerseits und Kündigung andererseits indizierte. Auch bei einem Zeitraum von zumindest 2,5 Monaten zwischen der Meldung eines Datenschutzverstoßes durch den Arbeitnehmer und der Probezeitkündigung wurde der Zusammenhang verneint.
Eine zeitliche Reihenfolge von der Rechtsausübung zur Benachteiligung ist nicht Voraussetzung für eine Maßregelung. Vielmehr kann eine verbotene Maßregelung auch anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen eines bevorstehenden, z. B. angekündigten Verhaltens benachteiligt.
Rz. 29
Problematisch kann daher die Frage sein, ob ein Verstoß gegen § 612a BGB vorliegt, wenn die Kündigung zwar infolge einer zulässigen Rechtsausübung erklärt wird, jedoch aus anderen Gründen gerechtfertigt ist oder sein kann.
Beispiel
Ein Arbeitnehmer kündigt an, Anstalten zur Gründung eines Betriebsrats treffen zu wollen. Der Arbeitgeber kündigt wegen begründeter betrieblicher Erfordernisse.
Hier ist die Kündigung nach § 612a BGB nur dann unwirksam, wenn nicht die betriebsbedingten Gründe das Motiv für die Kündigung waren, sondern die Ankündigung der Aktivitäten zur Betriebsratsgründung. Nach der Rechtsprechung des BAG gilt: Ist der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlass zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den...