Rz. 61
Die Anhörung des Betriebsrats ist nicht fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber ihm nicht alle möglichen Kündigungsgründe mitteilt; es gilt der Grundsatz der subjektiven Determination. Die Unvollständigkeit der Unterrichtung berührt daher nicht die Rechtswirksamkeit der Kündigung; sie führt jedoch zu einem Verwertungsverbot im Kündigungsrechtsstreit. Hier ist zu differenzieren: Dem Betriebsrat nicht mitgeteilte Gründe, die bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden und ihm bekannt gewesen sind, kann der Arbeitgeber nicht im Kündigungsrechtsstreit nachschieben. Das gilt selbst dann, wenn der Betriebsrat der Kündigung aufgrund der ihm mitgeteilten Gründe zugestimmt hat. Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissensstand des Kündigungsberechtigten an. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grds. die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grds. die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter. Ein entsprechendes Wissen muss sich der Arbeitgeber nach der insofern recht strengen Rechtsprechung des BAG regelmäßig auch dann zurechnen lassen, wenn das Organmitglied oder der sonstige Vertreter bei der Behandlung des Sachverhalts eigene Pflichten ihm gegenüber verletzt hat. Etwas anderes kann gelten, wenn es um die Kenntnis von Handlungen geht, die der Vertreter im kollusiven Zusammenwirken mit dem Arbeitnehmer gegen die Interessen der Gesellschaft vorgenommen hat. Auch eine nachträgliche Anhörung eröffnet dem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit, diese Kündigungsgründe nachzuschieben. Der Arbeitgeber kann daher im Kündigungsrechtsstreit lediglich die dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe substanziieren und konkretisieren, aber keine neuen Tatsachen mit dem Gewicht eines kündigungsrechtlich erheblichen Grundes vortragen.
Beispiele
Erwägt der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung, so kann er die Tatsache einer Abmahnung nicht nachschieben. Hat der Arbeitgeber die Kündigung mit einem wiederholten Zuspätkommen zur Arbeit begründet, so handelt es sich bei der Darlegung der Verspätungsfolgen für den Betriebsablauf hingegen nur um eine Konkretisierung des dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgrundes.
Bei einer betriebsbedingten Kündigung liegt in der Mitteilung an den Betriebsrat vom Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes im Allgemeinen der Hinweis, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer bestehe nicht (vgl. Rz. 32). Beruft sich der Arbeitnehmer im Kündigungsrechtsstreit auf eine solche Möglichkeit, so stellt der nunmehr erforderliche Vortrag des Arbeitgebers hierzu eine Konkretisierung und kein Nachschieben eines neuen Kündigungsgrundes dar.
Rz. 62
Die Rechtslage ist dagegen anders, wenn dem Arbeitgeber der Kündigungsgrund bei Erklärung der Kündigung noch nicht bekannt war. Hier ist jedoch zu differenzieren: Gründe, die erst nach der Kündigung entstanden sind, können nur eine neue Kündigung rechtfertigen und daher nicht für die Begründung der bereits erklärten Kündigung nachgeschoben werden. Das Gleiche gilt hinsichtlich solcher Gründe, die ihm zwar noch nicht bei der Unterrichtung des Betriebsrats, aber vor Erklärung der Kündigung bekannt waren. Gründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind, können jedoch im Kündigungsrechtsstreit uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber zuvor den Betriebsrat hierzu erneut angehört hat.