Rz. 196

Diese Aussage enthält zunächst eine Festlegung im Hinblick auf die perspektivisch-personelle Dimension der Beurteilung des Kündigungssachverhalts: Nach zutreffender Auffassung des BAG kommt es allein auf die zum Kündigungszeitpunkt objektiv vorliegenden Verhältnisse an. Bei deren Betrachtung ist die Perspektive eines ideal-objektiven Beobachters einzunehmen.[1] Unerheblich ist dagegen die subjektive Sicht des Arbeitgebers. Im Kündigungszeitpunkt beim Arbeitgeber nicht vorhandenes Wissen schützt diesen nicht vor der Unwirksamkeit einer Kündigung.

 

Beispiel

Durfte ein Arbeitgeber aufgrund eines vorliegenden ärztlichen Attests zum Zeitpunkt der Kündigung in vertretbarer Weise von der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers ausgehen, ist die aus diesem Grunde ausgesprochene Kündigung gleichwohl unwirksam, wenn sich später herausstellt, dass schon zu diesem Zeitpunkt nur eine harmlose Kurzerkrankung vorlag.[2]

 
Hinweis

Das bedeutet allerdings nicht, dass subjektive Entscheidungen des Arbeitgebers (insbesondere beim Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen) grundsätzlich keine Rolle spielen dürfen. Ob diesen kündigungsbegründende Wirkung zukommt (beispielsweise weil aus ihnen der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für einen bestimmten Arbeitnehmer folgt), ist jedoch wiederum aus ideal-objektiver Perspektive zu beurteilen.

Entsprechendes gilt für die Kündigungsrelevanz eines subjektiven "Vertrauensverlusts" des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer. Ein solcher kann nach richtiger Auffassung des BAG eine Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn er zum einen auf objektiven Tatsachen beruht[3] und zum anderen auch objektiv nachvollziehbar ist.[4]

 

Rz. 197

Der Grundsatz, dass der Kündigungssachverhalt aus ideal-objektiver Perspektive zu beurteilen ist, gilt auch für die im Rahmen aller Kündigungsgründe anzustellenden Zukunftsprognosen (dazu näher Rz. 276 ff.). Insbesondere ist ein wie auch immer gearteter "Prognosespielraum" des Arbeitgebers nicht anzuerkennen.[5]

[1] Näher Holthusen, Das Prognoseprinzip im vertraglichen Dauerschuldverhältnis, Diss., 2023, S. 241 ff.
[2] Mit diesem Beispiel auch Ascheid, Kündigungsschutzrecht 1993 Rz. 370.
[3] BAG, Urteil v. 14.9.1994, 2 AZR 164/94.
[4] BAG, Urteil v. 10.6.2010, 2 AZR 541/09; ausführlich zum Ganzen Holthusen, Das Prognoseprinzip im vertraglichen Dauerschuldverhältnis, Diss., 2023, S. 234 ff.
[5] Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, Diss., 1987, S. 338; Honstetter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, Diss., 1994, S. 122; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, Diss., 2012, S. 36 ff.

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