Cesare Vannucchi, Dr. Brigitta Liebscher
Rz. 409
Die Abmahnung erfordert keine bestimmte Form. Sie kann auch mündlich erfolgen.
Wichtig ist, dass der Arbeitnehmer tatsächlich Kenntnis von dem Inhalt der Kündigungsandrohung erhält. Bei einer schriftlichen Abmahnung ist der Zugang der Abmahnung grds. ausreichend (§ 130 Abs. 1 BGB analog), da mit diesem von der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer ausgegangen werden und er sich dann im Regelfall nicht mehr auf Unkenntnis berufen kann.
Beispiel
Eine griechische Arbeitnehmerin hat über einen Monat lang Abmahnungen ohne Widerspruch entgegengenommen. Später stellte sich heraus, dass sie Analphabetin ist, sie konnte sich aber hinterher nicht mehr auf ihre Lese-Unkundigkeit berufen.
Rz. 410
Dem Arbeitnehmer kann es nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf den fehlenden oder verspäteten Zugang der Abmahnung zu berufen. Dies ist der Fall, wenn ihm das Zugangshindernis zuzurechnen ist und der Arbeitgeber nicht damit rechnen musste, z. B. weil der Arbeitnehmer bewusst eine falsche Anschrift angegeben hat.
In der Praxis empfiehlt sich aus Beweisgründen die schriftliche Fixierung und ihre durch Zeugen dokumentierte Aushändigung an den Arbeitnehmer, da Inhalt und Zugang der Abmahnung im Streitfall vom Arbeitgeber zu beweisen sind.
Rz. 411
Eine unwirksame Kündigung entfaltet die Wirkung einer Abmahnung, wenn der Kündigungssachverhalt feststeht und die Kündigung aber aus anderen Gründen, z. B. wegen fehlender Abmahnung oder wegen formeller Fehler, für sozialwidrig erachtet worden ist. Aufgrund des Kündigungsvorgangs ist der Arbeitnehmer hinreichend gewarnt. Er kann dadurch erkennen, dass der Arbeitgeber ein weiteres vergleichbares Fehlverhalten nicht hinnehmen wird.
Rz. 412
Abmahnungsberechtigt ist nicht nur der Kündigungsberechtigte, sondern jeder Mitarbeiter, der befugt ist, verbindliche Anweisungen hinsichtlich Ort, Zeit sowie Art und Weise der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung zu erteilen, mithin also weisungsbefugt ist. Dies können z. B. Dienst- oder Fachvorgesetzte sein.
Rz. 413
Eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers vor Erteilung der Abmahnung ist nach überwiegender Ansicht nicht erforderlich, falls nicht tarifvertragliche Regelungen eine Anhörung vorsehen. Ein solches Recht des Arbeitnehmers ergibt sich entgegen anderslautender Auffassungen im Schrifttum für den Bereich der Privatwirtschaft auch nicht aus einer Heranziehung des § 82 BetrVG, der dem Arbeitnehmer als Individualanspruch im Betriebsverfassungsgesetz das Recht zugesteht, in betrieblichen Angelegenheiten, die seine Person betreffen, von den nach Maßgabe des organisatorischen Aufbaus des Betriebs hierfür zuständigen Personen gehört zu werden. § 82 Abs. 1 BetrVG betrifft nur die betrieblichen und nicht die persönlich-privaten Angelegenheiten.
Rz. 414
Bei der Erteilung der Abmahnung ist die Mitwirkung des Betriebsrats nicht erforderlich. Insbesondere sieht das Mitbestimmungsrecht bei sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG, auch wenn das beanstandete Verhalten zugleich gegen die betriebliche Ordnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstößt, keine zwingende Beteiligung bei der Abmahnung vor.
Die Mitbestimmung kann allenfalls im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG zwischen den Betriebspartnern vereinbart werden. Richtet sich dagegen eine Beschwerde des Arbeitnehmers an die Personalvertretung gegen die erteilte Abmahnung, ist der Betriebsrat nach § 84 BetrVG verpflichtet, diese entgegenzunehmen und, wenn er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber nach § 85 BetrVG auf Abhilfe hinzuwirken.
Rz. 415
Ein Beteiligungsrecht des Personalrats bei der Abmahnung besteht nach § 75 BPersVG nicht. Im Bereich einiger Landespersonalvertretungsgesetze sind allerdings Beteiligungsrechte in unterschiedlicher Ausgestaltung vorgesehen.