Rz. 670

§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist Ausdruck der praktischen Konkordanz und bringt die kollidierenden Grundrechtsinteressen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in ein verfassungsgemäßes Verhältnis. Denn die § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG im Ausgangspunkt zugrundeliegende unternehmerische Freiheit gilt nicht schrankenlos. Die Berufsfreiheit i. S. v. Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht nur die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers, sondern gewährt zugleich auch einen Mindestbestandsschutz für den Arbeitnehmer. Mit der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufswahlfreiheit ist zwar kein unmittelbarer Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition verbunden[1], sodass dem einzelnen Arbeitnehmer kein absolutes Recht am Arbeitsplatz i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB zusteht.[2]

Trotzdem obliegt dem Staat eine Schutzpflicht, der sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte Rechnung tragen müssen. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestbestandsschutz für ein Arbeitsverhältnis strahlt auf die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes aus. Die Gerichte haben von Verfassungs wegen zu prüfen, ob von ihrer Anwendung im Einzelfall das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG berührt wird. Trifft das zu, dann haben sie die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes im Lichte der Grundrechte auszulegen.[3]

Hierdurch ist der Arbeitnehmer vor einem offensichtlich unsachlichen, unvernünftigen oder willkürlichen Arbeitsplatzabbau geschützt[4], muss aber einen grds. entschädigungslosen Arbeitsplatzverlust hinnehmen, wenn dringende betriebliche Erfordernisse seiner Beschäftigung entgegenstehen. Somit besteht ein durch die Bestimmungen des individuellen und kollektiven Kündigungsschutzes konkretisierter relativer Bestandsschutz.[5]

[2] Anders noch BAG, Urteil v. 30.9.1970, 1 AZR 535/69, zu 3 b der Gründe.
[5] KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 552.

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