Rz. 12
Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, die Zeit des Annahmeverzugs nachträglich, d. h. nach verlorenem Kündigungsschutzprozess auf den dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaub anzurechnen. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt und besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, hat er die während des Kündigungsrechtsstreits entstandenen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers grundsätzlich auch dann zu erfüllen, wenn dieser inzwischen mit einem anderen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist.
Geht ein Arbeitnehmer nach einer rechtswidrigen Kündigung einer anderen Beschäftigung nach, entstehen für den Zeitraum der zeitlichen Überschneidung beider Arbeitsverhältnisse auch dann ungeminderte Urlaubsansprüche sowohl gegenüber dem alten als auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht hätte kumulativ erfüllen können.
Hätte der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen können, ist in analoger Anwendung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB aber eine Anrechnung vorzunehmen.
Der für das Urlaubsrecht ausschließlich zuständige 9. Senat des BAG hat die entgegenstehende frühere Rechtsprechung des 8. Senats aufgegeben. Auch wenn der Urlaub keine Vergütung für vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistungen darstellt, schließt dies nach Auffassung des 9. Senats eine analoge Anwendung von § 11 KSchG und § 615 Satz 2 BGB nicht aus. Der vom neuen Arbeitgeber bewilligte Urlaub wird wirtschaftlich gesehen wie anrechenbares Einkommen behandelt.
Ohne anderweitiges Arbeitsverhältnis wäre für die Anrechnung eine Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber zum Zwecke der Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderlich. Daran fehlt es nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung oder nach Ablauf der Kündigungsfrist einer (unwirksamen) ordentlichen Kündigung regelmäßig. Davon zu unterscheiden ist die Situation, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit seinem Einverständnis von weiterer Arbeitsleistung unter Anrechnung auf Urlaub freistellt; in diesem Fall besteht bereits kein Annahmeverzug. Auch wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig rechtswirksam von seiner Arbeitspflicht freigestellt hat, kommen Ansprüche aus Annahmeverzug nicht in Betracht, wenn mit der Freistellung Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllt werden sollen. Die Erfüllung eines Anspruchs auf Erholungsurlaub setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer durch eine sog. Freistellungserklärung des Arbeitgebers zu Erholungszwecken von seiner sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit wird. Dazu muss der Arbeitnehmer erkennen können, an welchen Tagen er zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub und an welchen Tagen er unter Umständen zu anderen Zwecken von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt ist. Diese Differenzierung ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Freistellung des Arbeitnehmers zu anderen Zwecken – wie in der Praxis häufig – ausdrücklich unter Anrechnung auf den Zwischenverdienst (§ 615 Satz 2 BGB) erfolgt.
Nach der früheren Rechtsprechung des BAG konnte der Arbeitgeber den Urlaub auch vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung lag nach Auffassung des 9. Senats des BAG im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern. Dem stand nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzrechtsstreit offen war, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schuldet.
Diese Rechtsprechung ist durch die Rechtsprechung des EuGH überholt. Nach dem Urteil des EuGH sind der Anspruch auf Jahresurlaub und der Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Hieraus folgen strengere Anforderungen an die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers als dies nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG der Fall war. Auch nach dem BAG ist der Urlaubsanspruch nicht mehr allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet. Nach § 1 BUrlG hat vielmehr jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Die Vorschrift entspricht der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein muss. Dazu genügt es nicht, wenn ihm zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ein Anspruch auf Urlaubsvergütung zuerkannt wird. Der Arbeitnehmer ist in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht weiß, ob ihm Urlaubsentgelt gezahlt wird.