Rz. 2
Die dogmatische Einordnung des § 1a KSchG ist stark umstritten. Hauptsächlich wird vertreten, bei § 1a KSchG handele es sich um einen vertraglichen Anspruch, um ein einseitiges Rechtsgeschäft oder – so die wohl h. M. – um ein gesetzliches Schuldverhältnis.
Obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage existiert noch nicht, was in der Praxis die Abgrenzung nicht gerade erleichtert. Zwar stand dem LSG Schleswig-Holstein diese Frage nicht zur Entscheidung, dieses tendiert in seinen Formulierungen aber in Richtung vertragliche Lösung.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der sich anschließenden Revision wieder ausdrücklich offengelassen.
Demgegenüber favorisieren das LAG Hamm und ArbG Siegen eine gesetzliche Einordnung.
Ob es sich bei § 1a KSchG um einen vertraglichen Anspruch handelt, ist nicht rein akademischer Natur, sondern ist auch in der Praxis von Bedeutung. Davon hängt neben der Abgrenzung zu anderen Abfindungsregelungen (dazu Rz. 38) und der Anwendbarkeit der Regeln über Rechtsgeschäfte auf die Arbeitnehmerreaktion (z. B. §§ 104 ff. und §§ 119 ff. BGB) auch ab, ob ein Arbeitnehmer eine Abfindung nach § 1a KSchG beanspruchen kann, wenn er bei Erhalt einer Kündigung mit entsprechendem Abfindungshinweis i. S. v. § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG ablehnt, sich mit einer Abfindung zufrieden zugeben, dann aber doch auf eine Klageerhebung verzichtet.
Im Falle einer rein vertraglichen Einordnung käme dies der Ablehnung einer arbeitgeberseitigen Vertragsofferte gleich, ein Abfindungsanspruch bestünde nicht. Ob die Anspruchsbegründung hingegen auf einseitigem Rechtsgeschäft oder gesetzlichem Schuldverhältnis beruht, hat auf die Praxis wohl keine Auswirkungen.
Rz. 3
Schwierigkeiten bestehen insoweit, als die Anspruchsvoraussetzungen einerseits zwar an eine Handlung des Arbeitgebers anknüpfen, der unter Umständen ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert entnommen werden kann (dazu Rz. 12 ff.), während andererseits die erforderliche Arbeitnehmerhandlung in der Nichtvornahme einer Handlung liegt. Ersteres allein schließt einen gesetzlichen Anspruch nicht aus. Nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG entsteht der Abfindungsanspruch nur dann, wenn der Arbeitnehmer nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage erhebt. Einige sprechen dem Unterlassen der Klageerhebung ebenfalls rechtsgeschäftlichen Charakter zu. Ein Zugang wäre dann mit Rückgriff auf § 151 Satz 1 BGB entbehrlich. Insofern ließen sich die Fragen der Bindungswirkung, Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung und der Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung nach allgemeinen Grundsätzen lösen.
Ein solches Verständnis übersieht jedoch, dass dem Schweigen im Zivilrecht nur im Falle ausdrücklicher Fiktion Erklärungswert zukommen kann, die dem § 1a KSchG fehlt.
Rz. 4
Wortlaut, Genese und Systematik zeigen vielmehr eindeutig auf ein gesetzliches Schuldverhältnis. Auch aus teleologischer Sicht besteht kein Bedürfnis für eine rechtsgeschäftliche Einordnung. Wenn der Arbeitnehmer die Frist unverschuldet verstreichen lässt, hilft ihm die Zulassung der verspäteten Klage nach den §§ 5 und 6 KSchG. Weil das Verstreichenlassen hier als Problem erkannt und gelöst worden ist, besteht kein Anlass für die Anwendung der §§ 104 ff. und §§ 119 ff. BGB.
Es bedarf daher keiner weiteren Erklärung des Arbeitnehmers, dass er die ihm angebotene Abfindung annimmt.