Rz. 7
Oftmals führt der Benachteiligende andere Gründe als Ursache für die Repressalie an, sodass es für den Hinweisgeber sehr herausfordernd ist, den kausalen Zusammenhang zwischen der Meldung und den Repressalien nachzuweisen. Dem Grundgedanken des nationalen Zivilprozessrechts zufolge, dass jede Partei die für sie günstigen Tatsachen beweisen muss, müsste die hinweisgebende Person auch den Zusammenhang zwischen der eingetretenen Benachteiligung und der erstatteten Meldung oder Offenlegung beweisen – dies ist nahezu ausgeschlossen. § 36 Abs. 2 HinSchG sieht daher eine Beweislastumkehr zugunsten des Hinweisgebers vor.
Deren Anwendbarkeit setzt aber voraus, dass die hinweisgebende Person zunächst schlüssig darlegt und beweist, dass sie nach der Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes nach diesem Gesetz eine Benachteiligung erlitten hat. Sodann wird vermutet, dass diese Benachteiligung tatsächlich eine Repressalie für die Meldung oder Offenlegung ist.
In diesem Fall hat die benachteiligende Person zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basiert oder die Meldung bzw. Offenlegung für die Benachteiligung nicht kausal war. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Meldung/Offenlegung und benachteiligender Maßnahme spielt dabei keine Rolle. Selbst wenn also noch Jahre nach der Meldung oder Offenlegung eine den Hinweisgeber benachteiligende Maßnahme vorgenommen wird, greift die Beweislastumkehr des § 36 Abs. 2 HinSchG ein. Nichtsdestotrotz kann der (fehlende) zeitliche Zusammenhang im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden.
Rz. 8
Sodann muss der Benachteiligende den Beweis des Gegenteils antreten, dass die Benachteiligung nicht auf dem Verhalten des Hinweisgebers beruht. Hierfür genügt, wenn er nachweist, dass das Hinweisgeberverfahren keine Rolle für die Maßnahme spielte. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die Meldung vertraulich behandelt wurde und die die Maßnahme aussprechende Stelle keine Kenntnis von dem Meldeverfahren besitzen konnte.
Wichtig ist, dass der Beschäftigungsgeber gerade nicht darlegen muss, dass die Benachteiligung auf sachlichen Gründen basiert und eine gerechtfertigte Benachteiligung darstellt, sondern ausschließlich, dass die Kündigung nicht an die Meldung oder Offenlegung anknüpft. Da bereits die Berücksichtigung der Meldung oder Offenlegung in einem Motivbündel zur Bejahung der Kausalität ausreicht, genügt es nicht, wenn die Person, die den Hinweisgeber benachteiligt, darlegt, dass im Hinblick auf andere Belegschaftsmitglieder genauso verfahren wurde oder werde wie gegenüber dem Hinweisgeber.
Stattdessen muss der Verantwortliche nachweisen, dass er die Maßnahme auch tatsächlich ausschließlich auf die anderen Gründe stützte und nicht bloß hätte stützen können. Wenn eine benachteiligende Maßnahme zulässig ist und die Unterlagen zum Ausdruck bringen, die Meldung selbst spielte keine Rolle bei der Entscheidung, besteht regelmäßig ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der etwaigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, dass die Meldung oder Offenlegung für die Benachteiligung auch nicht kausal war.
In der Beweiswürdigung können auch weitere Faktoren wie die Geringfügigkeit der gemeldeten Verstöße und ein erfolgreicher Abschluss des Verfahrens, berücksichtigt werden.
Wird die Meldung oder Offenlegung während des hinter den Kulissen bereits laufenden Verfahrens (beispielsweise bereits erfolgte Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG) eingereicht, kann der Beschäftigungsgeber darlegen, dass der Kündigungsentschluss bereits zuvor aufgrund anderer Umstände gefasst wurde. Gleiches gilt, wenn zwar der Kündigungsentschluss noch nicht endgültig gefasst wurde, der Arbeitgeber jedoch verfahrenseinleitende Schritte vorgenommen hat, die in vergleichbaren Fällen ebenfalls zu derartig nachteilhaften Maßnahmen führen. Ein nennenswertes Missbrauchspotential droht durch die weite Auslegung des Kausalitätsbegriffs und den damit verbundenen hohen Anforderungen an die zu erbringenden Nachweise nicht.