2.2.1 Außerordentliche Betriebsversammlungen
Rz. 10
Außerordentliche Betriebsversammlungen, die auf Initiative des Betriebsrats oder eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer einberufen werden, können gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 BetrVG demgegenüber nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber während der Arbeitszeit stattfinden. Die Einwilligung steht im Ermessen des Arbeitgebers. Sie kann nicht erzwungen werden.
Fehlt es an der Einwilligung des Arbeitgebers, kann sich der Arbeitgeber gegen eine gleichwohl während der Arbeitszeit anberaumte außerordentliche Betriebsversammlung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zur Wehr setzen und gegebenenfalls eine einstweilige Verfügung erwirken.
Rz. 11
Überdies verhält sich der Betriebsrat grob pflichtwidrig, wenn er ohne Einverständnis des Arbeitgebers während der betrieblichen Arbeitszeit eine außerordentliche Betriebsversammlung einberuft, sodass er gegebenenfalls nach § 23 Abs. 1 BetrVG aufgelöst werden kann.
Nehmen Arbeitnehmer an einer außerordentlichen Betriebsversammlung, die ohne Zustimmung des Arbeitgebers während der Arbeitszeit stattfindet, teil und hat der Arbeitgeber ihnen dies ausdrücklich und eindeutig verboten, so rechtfertigt dies eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Weist der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht auf die Unzulässigkeit der Teilnahme hin, so können sich die Arbeitnehmer im Regelfall auf die Rechtmäßigkeit der Einladung zur Betriebsversammlung verlassen und scheidet daher eine außerordentliche Kündigung regelmäßig aus.
Rz. 12
Auch in § 44 Abs. 2 BetrVG ist unter Arbeitszeit die betriebliche Arbeitszeit zu verstehen. Ist demnach eine Betriebsversammlung nach § 44 Abs. 2 BetrVG nicht außerhalb der persönlichen Arbeitszeit aller teilnehmenden Arbeitnehmer möglich, weil es sich etwa um einen 24-Stunden-Betrieb handelt, so muss die Betriebsversammlung auf einen Zeitpunkt gelegt werden, an dem möglichst wenige Arbeitnehmer ihren Dienst zu leisten haben. Die Arbeitnehmer, bei denen die Versammlung in ihre persönliche Arbeitszeit fällt, können dann ebenfalls an der Betriebsversammlung teilnehmen. Sie haben aber keinen Entgeltanspruch.
2.2.2 Regelmäßige und zusätzliche Betriebsversammlungen
Rz. 13
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG finden die regelmäßigen, zusätzlichen und die auf Wunsch des Arbeitgebers einberufenen Betriebsversammlungen sowie Wahlversammlungen nur dann nicht während der Arbeitszeit statt, wenn die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert. Da § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine Schutzbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer ist, ist die Anberaumung der Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig.
Rz. 14
Unter der Eigenart des Betriebs ist – wie im Rahmen von § 42 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – in erster Linie die organisatorisch-technische Besonderheit des konkreten Einzelbetriebs zu verstehen.
Es muss eine technisch untragbare Störung eines eingespielten Betriebsablaufs eintreten, die nur in diesem Betrieb oder nur in bestimmten Arten von Betrieben auftreten und zu unangemessen betrieblichen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen kann.
Arbeitet ein Produktionsbetrieb in einer zeitlich straffen Just-in-Time-Organisation und sind mit seinen Kunden für die nicht termingerechte Herstellung der Ware hohe Vertragsstrafen vereinbart, die bei einer Betriebsversammlung während der Arbeitszeit verwirken, so handelt es sich nicht um eine organisatorisch-technische Besonderheit des Einzelbetriebs, sondern um bloße wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen.
Rz. 15
Aus dem Wortlaut des Gesetzes, das ausdrücklich auf die Erfordernisse des Betriebs abstellt, wird deutlich, dass besondere Umstände gegeben sein müssen, die in der technischen Organisation des Betriebes begründet sind. Bloße wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen zählen daher grundsätzlich nicht zu den zwingenden Erfordernissen. Auch allgemeine wirtschaftliche Erwägungen oder bloße Unbequemlichkeiten, die generell in dem Betrieb durch eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit entstehen, müssen vom Arbeitgeber grundsätzlich geduldet werden. Insoweit muss daher in angemessenem Rahmen der Arbeitgeber auch einen Ausfall der Produktion während der Zeit der Betriebsversammlung in Kauf nehmen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen, die allein auf dem Produktionsausfall während der Dauer der Betriebsversammlung beruhen, können keine Ausnahme von § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rechtfertigen. Etwas anderes kann nur in Fällen einer "absoluten wirtschaftlichen Unzumutbarkeit" gelten; diese ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, hier insbesondere des § 2 Abs. 1 BetrVG, erheblich.
In Betracht kommen als solche besondere Ausnahmefälle etwa: