Stephanie Thelen, Dieter Gerhard †
3.1 Einleitung
Rz. 19
Das Anhörungsverfahren, das ausnahmslos vor Ausspruch der Kündigung durchzuführen ist, wird dadurch eingeleitet, dass der Arbeitgeber
- den Entschluss fasst, einen bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen,
- diese Absicht gegenüber dem Betriebsrat erklärt und
- seine Mitteilungspflichten gegenüber dem Betriebsrat vollständig erfüllt.
Dabei kann die Kündigungsmitteilung nicht nur durch eine ausdrückliche Erklärung erfolgen, sondern sie kann sich auch aufgrund der Begleitumstände ergeben (BAG, Urteil v. 16.5.2002, 8 AZR 319/01). Das Anhörungsvefahren unterteilt sich in zwei Abschnitte, zum einen die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber und zum anderen die Äußerung des Betriebsrats zu der erfolgten Unterrichtung. Hierbei obliegt es dem Betriebsrat, ob sich aus der Anhörung eine Beratung entwickelt.
Rz. 20
Die Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG soll dem Betriebsrat Gelegenheit geben, die Stichhaltigkeit und die Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und damit in der Lage zu sein, ggf. auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Diesem Zweck widerspricht es, das Verfahren zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht abschließend gefasst hat, er also seine Kündigungsabsicht noch nicht verwirklichen will oder kann. Die Anhörung des Betriebsrats erfolgt dann vorzeitig, nämlich in einer Phase, in der die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung stehen. Eine solche Anhörung "auf Vorrat" ist unzulässig (BAG, Urteil v. 17.3.2016, 2 AZR 182/15).
Der Arbeitgeber hört den Betriebsrat zu einer Kündigung an, deren Ausspruch noch von einer Einigung über einen Interessenausgleich und Sozialplan abhängt.
Die Betriebsratsanhörung erfolgt zu einer Kündigung, für die ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund, etwa ein unentschuldigtes Fehlen, noch gar nicht vorliegt, sondern nur erwartet wird.
In solchen Fällen kann der Betriebsrat nicht zu einem bestimmten Kündigungssachverhalt Stellung nehmen, sondern sich nur – gleichsam gutachterlich – zu einem teilweise fiktiven Sachverhalt äußern (BAG, Urteil v. 22.4.2010, 2 AZR 991/08). Davon zu unterscheiden sind Anhörungen, die lediglich offenlassen, ob der Arbeitgeber eine Änderungs- oder eine Beendigungskündigung erklären wird, der Kündigungssachverhalt für beide Alternativen im Zeitpunkt der Anhörung aber feststeht und jedenfalls eine der beiden Kündigungen definitiv ausgesprochen werden soll. Eine solche Anhörung widerspricht nicht dem Schutzzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG (BAG, Urteil v. 17.3.2016, 2 AZR 182/15).
Rz. 21
Der Arbeitgeber ist auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs i. S. d. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG verpflichtet, den Betriebsrat gem. § 102 BetrVG zu einer beabsichtigten Kündigung anzuhören. Die Betriebsratsanhörung unterliegt insoweit keinen erleichterten Anforderungen. Allerdings muss er dem Wegfall des Arbeitsplatzes und der Sozialauswahl zugrundeliegende Tatsachen, die dem Betriebsrat bereits aus den Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs bekannt sind, im Anhörungsverfahren nicht erneut mitteilen. Dies gilt zumindest dann, wenn zwischen den Verhandlungen über den Interessenausgleich und der Anhörung ein überschaubarer Zeitraum liegt. Der Arbeitgeber kann das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG auch mit den Interessenausgleichsverhandlungen verbinden (BAG, Urteil v. 20.9.2006, 6 AZR 219/06). In diesem Fall ist dies schon bei der Einleitung des Anhörungsverfahrens klarzustellen. Außerdem ist es dann zweckmäßig, dass die Betriebspartner im Wortlaut des Interessenausgleichs zum Ausdruck bringen, mit der Unterzeichnung des Interessenausgleichs solle auch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG hinsichtlich sämtlicher auszusprechender Kündigungen abgeschlossen sein.
Rz. 21a
Bei beabsichtigten Massenentlassungen (§ 17 Abs. 1 KSchG) hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigungen den Betriebsrat zu informieren und die Sachlage mit ihm zu beraten. Ziel ist die Vermeidung von Kündigungen, bzw. die Milderung ihrer Folgen. Im Anschluss an die Beratung mit dem Betriebsrat hat er der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten und der Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, ist die Anzeige nur wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens 2 Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat und er den Stand der Beratungen darlegt. Sobald das Konsultationsverfahren beendet ist, darf der Arbeitgeber die Kündigungen aussprechen. Das Konsultationsverfahren kann als beendet angesehen werden, wenn eine weitere Verhandlungsbereitschaft des Betriebsrats nicht mehr besteht (vgl. BAG, Urteil v. 22.9.2016, 2 AZR 276/16). Die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG soll mit der Anhörung nach § 102 BetrVG verbunden werden können. Dies stößt jedoch auf Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung. Die Konsul...