Stephanie Thelen, Dieter Gerhard †
6.1 Fehlende Anhörung
Rz. 98
Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Gleiches gilt für eine vor Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochene Kündigung. Ein Verschulden des Arbeitgebers ist unbeachtlich. Auch bei Eilfällen, insbesondere bei einer fristlosen Kündigung, ist die Anhörung des Betriebsrats nicht entbehrlich.
Rz. 99
Die Kündigung ist und bleibt auch dann unwirksam, wenn der Betriebsrat der Kündigung nach deren Zugang an den Arbeitnehmer zustimmt. In diesem Fall hat der Betriebsrat keine Möglichkeit mehr, auf den mittlerweile verwirklichten Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken (BAG, Urteil v. 27.6.1985, 2 AZR 412/84).
Hat der Arbeitgeber die Anhörung des Betriebsrats (versehentlich) unterlassen, kann er ohne weiteres, nach jetzt erfolgter Anhörung, eine weitere Kündigung aussprechen.
Rz. 100
Einer Nichtanhörung steht es gleich, wenn die Informationen des Arbeitgebers an ein nicht empfangsberechtigtes Betriebsratsmitglied übermittelt werden und dieses die Informationen nicht als Erklärungsbote an das Betriebsratsgremium weitergibt (BAG, Urteil v. 27.6.1985, 2 AZR 412/84).
6.2 Fehlerhafte Anhörung
Rz. 101
Obwohl die nur fehlerhafte Anhörung im Gegensatz zur unterlassenen Beteiligung des Betriebsrats nicht von der Unwirksamkeitsfolge des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG erfasst ist, wird auch diese Konstellation vom BAG unter dieser Vorschrift subsumiert. Dies folgt aus Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wird dem Betriebsrat die Möglichkeit gegeben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Um diesem Sinn und Zweck zu entsprechen, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine Absicht, zu kündigen, rechtzeitig vorher mitzuteilen und den Betriebsrat so zu informieren, dass er sich über die Person des Arbeitnehmers und die Kündigungsgründe ein eigenes Bild machen kann. Nur unter diesen Voraussetzungen ist von einer wirksamen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auszugehen. Die Anhörung ist also fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht richtig beteiligt hat, insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist (BAG, Urteil v. 19.7.2012, 2 AZR 352/11; BAG, Urteil v. 6.10.2005, 2 AZR 316/04; BAG, Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 461/03; BAG, Urteil v. 29.1.1997, 2 AZR 292/96; BAG, Urteil v. 31.1.1996, 2 AZR 181/95). Die erforderliche Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG vollzieht sich in 2 aufeinander folgenden Verfahrensabschnitten. Diese sind nach ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich voneinander abzugrenzen. So hat zunächst der Arbeitgeber unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG beschriebenen Erfordernisse das Anhörungsverfahren einzuleiten. Im Anschluss daran ist es Aufgabe des Betriebsrats, sich mit der beabsichtigten Kündigung zu befassen und darüber zu entscheiden, ob und wie er Stellung nehmen will. Die Trennung dieser beiden Verantwortungsbereiche ist wesentlich für die Entscheidung der Frage, wann eine Kündigung i. S. d. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG "ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochen" und deswegen unwirksam ist. Nur wenn dem Arbeitgeber bei der ihm obliegenden Einleitung des Anhörungsverfahrens ein Fehler unterläuft, liegt darin eine Verletzung des § 102 Abs. 1 BetrVG mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung. Mängel, die im Verantwortungsbereich des Betriebsrats entstehen, führen grundsätzlich auch dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Solche Fehler gehen schon deshalb nicht zulasten des Arbeitgebers, weil der Arbeitgeber keine wirksamen rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf die Beschlussfassung des Betriebsrats hat (BAG, Urteil v. 6.10.2005, 2 AZR 316/04).
Rz. 102
Die Unwirksamkeitsfolge tritt also nur dann ein, wenn die vorkommenden Fehler der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur richtigen Bezeichnung der Person des Arbeitnehmers, zur Angabe der Kündigungsfrist bzw. des Beendigungstermins nicht nachkommt bzw. unzureichende, bewusst wahrheitswidrige oder unvollständige Informationen über die Kündigungsgründe weitergibt.
Rz. 103
Mängel aus der Sphäre des Betriebsrats, also Fehler, die dem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats zuzurechnen sind, wirken sich grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitgebers aus und führen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG (BAG, Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 461/03). Es ist Sache des Betriebsrats, ob und wie er im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG tätig wird. Der Arbeitgeber ist nicht befugt, den Betriebsrat anzuhalten, seine Stellungnahme zu einer beabsichtigten Kündigung aufgrund einer ordnungsgemäßen Beschlus...