3.3.1 Praktische Bedeutung
Rz. 5
Der Vorsitzende – im Verhinderungsfall sein Stellvertreter – hat die Mitglieder des Betriebsrats nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG rechtzeitig und unter Mitteilung der Tagesordnung zur Betriebsratssitzung zu laden. Voraussetzung ist also, dass
- die Mitglieder des Betriebsrats, einschließlich zu ladender Ersatzmitglieder
- rechtzeitig eingeladen werden, und
- ihnen ebenso rechtzeitig die Tagesordnung mitgeteilt wird.
Dies ist eine zwingende Voraussetzung für einen wirksamen Betriebsratsbeschluss (BAG, Urteil v. 28.4.1988, 6 AZR 495/86). Bestreitet der Arbeitgeber oder auch der Arbeitnehmer einen wirksamen Betriebsratsbeschluss, so hat derjenige, der aus ihm Rechte herleiten will, die Wirksamkeit des Beschlusses im arbeitsgerichtlichen Verfahren darzulegen und zu beweisen.
Beispiele:
Beschlüsse über
- Schulungsteilnahme von Betriebsratsmitgliedern nach § 37 Abs. 6 BetrVG
- Widerspruch gegen eine Kündigung nach § 102 Abs. 3 BetrVG
- Verweigerung der Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme nach § 99 BetrVG Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegen den Arbeitgeber
- Anrufen der Einigungsstelle
- Bestellung von Beisitzern für eine Einigungsstelle
- Honorarzusagen an Beisitzer
- Beauftragung eines Rechtsanwalts
- Anschaffung von Sachmitteln nach § 40 BetrVG
- Beschluss über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung
- Beschluss über den Abschluss eines Interessenausgleichs – ggf. mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG
Auch für den Arbeitgeber stellt die Missachtung der Regelungen des § 29 BetrVG ein erhebliches Risiko dar.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben im Zuge von Massenentlassungen einen Interessenausgleich nach § 111, § 112 Abs. 1 BetrVG geschlossen, in dem sie die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich benannt haben. Im Hinblick auf die für den Arbeitgeber vorteilhaften Wirkungen im Kündigungsschutzprozess hat der Arbeitgeber – um die Zustimmung des Betriebsrats hierzu zu erhalten,– die Mittel für den Sozialplan erheblich aufgestockt. Nachdem die Kündigungen ausgesprochen sind, stellt sich heraus, dass der Beschluss des Betriebsrats zur Zustimmung zum Interessenausgleich unwirksam ist, weil ein Betriebsratsmitglied nicht ordnungsgemäß eingeladen worden war.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben 1988 eine Betriebsvereinbarung geschlossen, mit der sie die nicht mehr finanzierbare betriebliche Altersversorgung abgesenkt haben. Im Jahr 2011 klagt ein Arbeitnehmer die wesentlich höhere Altersversorgung nach der alten Versorgungsordnung mit der Begründung ein, die verschlechternde Betriebsvereinbarung sein mangels wirksamen Betriebsratsbeschlusses nicht wirksam zustande gekommen.
Der Betriebsrat hat der Kündigung eines Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 3 BetrVG widersprochen und der gekündigte Arbeitnehmer verlangt nun nach § 102 Abs. 5 BetrVG die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses (der sich über mehrere Jahre hinziehen kann). Voraussetzung für den Weiterbeschäftigungsanspruch ist, dass der Betriebsrat den Widerspruch gegen die Kündigung ordnungsgemäß beschlossen hat. Dazu gehört auch die Beachtung der Formalien der Einladung zur Betriebsratssitzung. Ist hier ein Fehler unterlaufen, ist der Widerspruch des Betriebsrats gegenstandslos.
3.3.2 Rechtzeitige Einladung
Rz. 6
§ 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verlangt, dass die Betriebsratsmitglieder rechtzeitig eingeladen werden. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dass sich das Betriebsratsmitglied auf seine Sitzungsteilnahme einstellen und seine Arbeit danach organisieren kann. Der Arbeitgeber soll die Möglichkeit haben, einen Vertreter zu besorgen. Regelmäßig werden hier drei volle Arbeitstage ausreichend sein. Es gibt aber Sitzungen, die wegen der Dringlichkeit des Themas ganz kurzfristig einberufen werden müssen. Hier darf die Einladungsfrist dann auch kürzer sein.
Die Anforderungen an die Rechtzeitigkeit der Einladung und die Mitteilung der Tagesordnung gelten auch in der COVID-19-Pandemie. § 129 BetrVG schafft nur eine Sonderregelung für die Modalitäten der Sitzung, ändert aber ansonsten nichts an den Anforderungen des § 29 BetrVG.
Beratung über eilbedürftige Mehrarbeit wegen eines Maschinenschadens oder wegen der Zustimmung zu einer fristlosen Kündigung; bei Letzterer hat der Betriebsrat lediglich 3 Tage Zeit zur Stellungnahme (§ 102 Abs. 2 BetrVG).
Rz. 7
Auch Ersatzmitglieder müssen "rechtzeitig" eingeladen werden. Wenn der Verhinderungsfall aber kurzfristig eintritt, genügt auch eine ebenso kurzfristige Ladung, im Extremfall sogar aus der laufenden Sitzung heraus. Es ist zulässig, Ersatzmitglieder vorsorglich zu laden, wenn damit zu rechnen ist, dass ein Betriebsratsmitglied verhindert sein wird. Nimmt es dann wider Erwarten doch an der Sitzung teil, muss das Ersatzmitglied die Sitzung aber wieder verlassen, da ansonsten gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit nach § 30 BetrVG verstoßen wird.
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Mitteilung der Tagesordnung und die Einladung "rechtzeitig" erfolgt sind, ist d...