André Häusling, Martin Kahl-Schatz
Die externen Einflüsse, die auf Unternehmen einwirken, machen vor allen Dingen deutlich: Die Welt, in der sich die Unternehmen bewegen, dreht sich zunehmend schneller. Steigende Komplexität, eine immer größer werdende Unübersichtlichkeit sowie eine steigende Marktdynamik zwingen die Unternehmen, sich selbst sowie ihr Handeln und Denken zu hinterfragen. In Kombination damit treten auch innerhalb der Unternehmen immer mehr Herausforderungen zutage, die den Handlungsdruck auf die Unternehmen zusätzlich erhöhen.
Können – Dürfen – Wollen: sonst bewegt sich nichts
Man könnte also vermuten, dass Unternehmen in breiter Front Initiativen starten, um die notwendigen Veränderungen anzugehen. In vielen Unternehmen berichten allerdings Manager und Mitarbeiter, wie träge und langsam ihre Unternehmen nach wie vor seien. Sie wären aufgrund ausführlichster Prozessketten nicht in der Lage, schnell und flexibel zu reagieren. Davon abgesehen seien die Mitarbeiter durch die festen Hierarchien in großen Teilen ohnehin nicht in der Lage, notwendige Dinge selbst entscheiden zu dürfen. Stattdessen liegen die Entscheidungen größtenteils am oberen Ende der Hierarchie, sodass die Entscheidungswege sehr lang werden. Die Ironie an der Sache: Die Führungskräfte klagen zumeist darüber, dass ihre Mitarbeiter nicht genügend Selbstverantwortung übernehmen würden und darüber hinaus ohnehin nicht jeder für agiles Arbeiten geeignet sei. Ein ausgiebiges "Fingerpointing" setzt ein, was letztlich nur eine Konsequenz hat: Nichts bewegt sich. Hinzu kommt, dass kaum ein Unternehmen weiß, wo es anfangen und wie es die Situation verändern soll.
Viele Abteilungen sind sehr stark auf sich selbst fixiert. Der eigene Tellerrand stellt ein nahezu unüberwindliches Hindernis dar, welches gleichzeitig auch wirkungsvoll zur Abschottung gegenüber anderen Abteilungen genutzt wird. Anstatt sich konstruktiv mit anderen Abteilungen zusammenzuschließen, wird sogar noch intern der Konkurrenzgedanke gepflegt. Durch diese Grabenkämpfe verlangsamen sich abteilungsübergreifende Prozesse, wenn sie nicht sogar zum kompletten Stillstand kommen. Die gesamte Organisation verharrt in ihrer eigenen Trägheit.
Die Abschottung gegenüber anderen Abteilungen bzw. das ausgeprägte Silodenken sind aber nicht singulär für die Trägheit der Unternehmen verantwortlich. Gerade Unternehmen, die traditionell durch einen starken Wunsch nach Stabilität getrieben sind, haben aufgrund ihres hohen Absicherungsbedürfnisses über die Zeit ausgeprägte bürokratische Strukturen entwickelt. Diese Strukturen sorgen dafür, dass die Weiterentwicklung der Organisation insgesamt erschwert oder sogar gänzlich verhindert wird. Ausgiebige Kontrollschleifen, hierarchiebasierte Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, lange Genehmigungsprozesse, Entscheidungsgremien, Absicherungsmechanismen … – diese Liste bürokratischer "Errungenschaften", die eine Organisation in ihrer Funktion beeinträchtigen und ausbremsen kann, ließe sich beliebig fortführen.
Wenn nun die beiden Welten – die sich rasant verändernde und komplexer werdende Umwelt und die in bürokratischen Prozessen gefangenen, trägen Organisationen – aufeinanderprallen, braucht es Lösungen. Die Organisationen müssen einen Weg identifizieren, sich in einer Form an die Herausforderungen der Umwelt anzupassen, um auf den sich rasant ändernden Märkten zu bestehen.
Agilität ist kein Wundermittel
Für viele Unternehmen scheint eine agile Organisation der vielversprechendste Lösungsansatz, um die beschriebenen Herausforderungen zu bewältigen. Ja, agile Ansätze können an vielen Stellen wirkungsvolle Veränderungen erreichen. Dennoch sollte man nicht der Annahme verfallen, Agilität sei ein Universalwerkzeug für alle Lebenslagen. Agilität ist in der Lage, auf bestimmte Fragestellungen Antworten und Lösungsansätze zu bieten. Jedoch gilt es, auch immer den Kontext zu betrachten und im konkreten Einzelfall zu beurteilen, inwieweit Agilität tatsächlich helfen kann. Eine "maximale Agilisierung" aller Unternehmen ist keineswegs notwendig und auch nicht zielführend. Nicht jedes Unternehmen muss nach dem Höchstmaß an Agilität streben. Vielmehr geben die externen wie auch die internen Voraussetzungen vor, wie stark ein Unternehmen bestrebt sein sollte, agil zu sein, sprich: sich an die sich verändernden Rahmenbedingungen flexibel anzupassen.
Es ist wichtig für jedes Unternehmen, sein "Warum" und die Gründe deutlich zu haben. Es geht nicht darum, agiler zu werden, weil aktuell alle Unternehmen agiler werden. Die individuellen Gründe, agiler zu werden, müssen im Unternehmen deutlich und bekannt sein, um auch in der Kommunikation der Veränderungsprozesse das Ziel zu vermitteln. Agilität ist kein Selbstzweck und auch keine Sozialromantik. Es steckt ein betriebswirtschaftlicher Nutzen dahinter, nämlich sich schneller an die sich veränderten Rahmenbedingungen und Bedürfnisse der Kunden und Märkte anzupassen, um als Unternehmen überlebensfähig zu werden oder zu bleiben.