Maren Rixen, Anna-Lena Glander
Unabhängig von der Einführung eines speziellen Hinweisgeber-Verfahrens kann für Arbeitnehmer unter verschiedenen Gesichtspunkten die Pflicht bestehen, bestimmte rechtswidrige Umstände dem Arbeitgeber zu melden. Dabei handelt es sich regelmäßig um eine Ausprägung der allgemeinen Treue- und Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers. In der Praxis kann der Arbeitgeber diese Nebenpflicht im Rahmen seines Direktionsrechts konkretisieren.
2.1 Gesetzliche Regelungen
Grundsätzlich kann der Arbeitgeber im Wege des Direktionsrechts gemäß § 106 Satz 2 GewO und § 315 BGB neben Ort und Zeit vor allem auch den Inhalt der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Der Arbeitgeber ist zudem berechtigt, Weisungen hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb zu erteilen; er kann also auch anordnen, wie sich Arbeitnehmer bei der Entdeckung von drohenden Schäden zu verhalten haben.
Da der Arbeitgeber nach § 106 Satz 2 GewO Weisungen hinsichtlich Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer erteilen darf, ist auch eine einseitige Konkretisierung der Meldepflicht grundsätzlich zulässig. Sie kann durch Einzelanweisung, durch Rundschreiben, Einstellung in das Intranet oder auch durch Aushang bekannt gegeben werden. Besteht im Betrieb ein Betriebsrat, sind allerdings die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung zu beachten.
Auch wird der Arbeitgeber nicht die Mitteilung sämtlicher Rechtsverletzungen und drohender Schäden verlangen können. Grenzen bestehen in den Gesetzen und ggf. in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen. Außerdem muss der Arbeitgeber gemäß § 106 GewO und § 315 BGB nach billigem Ermessen handeln.
2.2 Bisherige Rechtsprechung
Gemäß früherer Entscheidungen des BAG soll eine Meldepflicht des Arbeitnehmers nur dann bestehen,
- wenn Schäden im eigenen Aufgabenbereich drohen und
- wenn Wiederholungsgefahr besteht.
Erforderlich sei eine aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht.
Nach einer späteren Entscheidung des BAG vom 3.7.2003 soll der Arbeitnehmer dagegen den Arbeitgeber über alle wesentlichen Vorkommnisse im Betrieb in Kenntnis setzen, vor allem, um bedeutende Schädigungen des Arbeitgebers zu verhindern. Damit besteht auch eine entsprechende Pflicht, erhebliche Pflichtverletzungen von anderen Mitarbeitern im Unternehmen (unabhängig von dem jeweiligen Tätigkeitsbereich), welche drohende erhebliche Schäden begründen, anzuzeigen, um Abhilfe zu ermöglichen. Keine Meldepflicht soll bestehen, wenn die Meldung dem Arbeitnehmer unzumutbar ist oder mit einer Selbstbezichtigung verbunden wäre. Einfache, harmlose Pflichtverstöße sind in der Regel ebenfalls nicht von der Treuepflicht erfasst.
Praxisrelevanz
Arbeitgeber sollten nicht davon ausgehen, allein die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2003 könnte dafür sorgen, dass Mitarbeiter rechtzeitig vor Eintritt eines Schadens Hinweisgebermeldungen vornehmen würden. Nur wenige Arbeitnehmer dürften sich – ohne Hinweisgebersystem und entsprechende Richtlinien – verpflichtet fühlen, bei drohendem Schadenseintritt den Arbeitgeber zu informieren. Denn die von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Meldeverpflichtung und ihr konkretes Ausmaß dürfte den Mitarbeitern in der Regel nicht bekannt sein.
Insoweit gilt es, Mitarbeiter durch Leitfäden, Richtlinien und Schulungen zu informieren und über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären. Nur ein auf allen Ebenen "gelebtes Hinweisgebersystem" wird aus den genannten Gründen seinen Zweck tatsächlich erfüllen.
2.3 Individualvertragliche Regelungen
Eine noch weitergehende Verpflichtung der Arbeitnehmer zur internen Meldung von Pflichtverstößen im Unternehmen kann im Wege arbeitsvertraglicher Vereinbarungen implementiert werden. Insoweit sind allerdings ebenfalls bestimmte Grenzen zu beachten. Nicht zulässig dürfte etwa die Pflicht zur Selbstanzeige oder eine zu umfassende Pflicht zur Meldung jeglicher Art von Pflichtverstößen sein.