OFD Berlin, Verfügung v. 20.1.1999, St 414 - S 2295 - 1/97

Ist ein Steuerpflichtiger nicht während des gesamten Kalenderjahres unbeschränkt steuerpflichtig, z.B. wegen Zuzugs nach oder Wegzugs aus Deutschland, sind ausländische Einkünfte, die im betroffenen Veranlagungszeitraum nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen, ab Veranlagungszeitraum 1996 im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Dieses gilt unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige außerhalb des Zeitraums der unbeschränkten Steuerpflicht inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG bezogen hat und damit beschränkt steuerpflichtig oder mangels inländischer Einkünfte nicht steuerpflichtig ist § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG).

Beispiel:

A wohnte bis zum 30.4.1996 in Belgien und bezog dort Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von insgesamt 20.000 DM. Am 1.5.1996 verlegte er seinen Wohnsitz nach Berlin, da er seit diesem Zeitpunkt für einen deutschen Arbeitgeber in Berlin arbeitet.

A ist seit dem 1.5.1996 unbeschränkt steuerpflichtig. Die Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der Einkommensteuerfestsetzung sind unabhängig davon für das gesamte Kalenderjahr zu ermitteln § 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Die in Belgien bezogenen Einkünfte in Höhe von 20.000 DM sind bei der Einkommensteuerveranlagung 1996 im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG).

Betroffene Steuerpflichtige wenden sich gegen die Anwendung des § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG. Dieses wird damit begründet, daß die Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Personen, die während des ganzen Veranlagungszeitraums unbeschränkt steuerpflichtig seien und aufgrund eines Doppelwohnsitzes für die Anwendung der einschlägigen DBA-Vorschriften als nicht im Inland ansässig gelten würden, unterlägen mit ihren ausländischen Einkünften nicht dem Progressionsvorbehalt. Außerdem verstoße die Regelung gegen internationales Recht. Nach Art. 23 Abs. 3 OECD-Musterabkommen dürfte ausschließlich der Ansässigkeitsstaat bei der Bestimmung des Steuersatzes Einkünfte berücksichtigen, die nach dem DBA von der dortigen Besteuerung auszunehmen seien, weil das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat zugeordnet werde.

Die Regelung des § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG dient der Gleichheit der Besteuerung (BT-Drucks. 13/1558, 156). Vergleichsgruppe sind die Personen, die während des ganzen Veranlagungszeitraums unbeschränkt steuerpflichtig sind. Da auch nur bei zeitweiser unbeschränkter Steuerpflicht der jahresbezogene Einkommensteuertarif anzuwenden und die Jahresfrei- bzw. Jahreshöchstbeträge in voller Höhe zu gewähren sind, ist es geboten, den Steuersatz anzuwenden, der die weltweite Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigt.

Der Einwand, § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG verstoße gegen DBA-Recht, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Die DBA-Regelungen gehen als Spezialgesetze den nationalen Bestimmungen nur insoweit vor, als nicht noch speziellere Vorschriften anzuwenden sind. Dem Gesetzgeber steht es frei, durch eine nationale Bestimmung Vorbehalte oder Einschränkungen zur Anwendung bestimmter Abkommensvorschriften zu erlassen ( BFH-Urteil vom 13.7.1994, I R 120/93, BStBl 1995 II S. 129). § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG ordnet die Anwendung des Progressionsvorbehalts unabhängig von den DBA-Regelungen an und stellt somit die vorrangig zu beachtende Vorschrift dar.

Nach Nr. 56 des Kommentars zu Art. 23 des OECD-Musterabkommens wird durchArt. 23 Abs. 3 OECD-MA nicht ausgeschlossen, daß der Quellenstaat sein innerstaatliches Recht bezüglich der Progression anwendet. Dies gilt auch in Doppelwohnsitzfällen, in denen der Quellenstaat gleichzeitig der Staat mit dem nachrangigen Wohnsitz ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die ausländischen Einkünfte selbst nicht besteuert werden: es geht vielmehr um die Ermittlung des Steuersatzes auf die steuerpflichtigen (inländischen) Einkünfte.

Die Frage, ob die Anwendung des Progressionsvorbehalts nach § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG rechtmäßig ist, wenn der Steuerpflichtige von der unbeschränkten Steuerpflicht zur „Nicht-Steuerpflicht” oder umgekehrt wechselt, ist Gegenstand der folgenden Verfahren vor dem FG Düsseldorf:

Az. 3 K 2303/98 E, Az. 14 K 2269/98 E, Az. 14 K 2426/98 E, Az. 14 K 2428/98 E, Az. 14 K 3192/98 E.

Im Hinblick auf diese Verfahren bestehen keine Bedenken, Einsprüche in entsprechenden Fällen mit Zustimmung des Steuerpflichtigen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen zu lassen.

 

Normenkette

EStG § 32 b Abs. 1 Nr. 2

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