"Mit virtuellen Prozessen gehen wir mit der Zeit"
Haufe Online-Redaktion: Die Corona-Krise zwingt uns zu massiven Reise- und Kontaktbeschränkungen. Das bringt auch große Herausforderungen für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter, insbesondere von Führungskräften mit sich. Sie haben kürzlich sogar eine Vorstandsposition komplett virtuell besetzt. Wie lief das ab?
Lars Gollenia: Wir haben einen Chief Digital Officer für ein großes internationales Unternehmen gesucht. Der einstellende Manager saß in Florida, die Personalleiterin in England und ein weiterer beteiligter Manager wechselweise in Spanien und Hamburg. Die Kandidaten kamen aus ganz Europa. In der ersten Runde war zunächst geplant, sich irgendwo zentral in Deutschland zu treffen. Da dann aber zu der Zeit schon viele Flüge gecancelt wurden und nicht alle Kandidaten hätten anreisen können, haben wir uns für eine Video-Lösung entschieden, damit das Verfahren für alle fair und vergleichbar ist.
Nach der ersten Runde kristallisierte sich bereits heraus, dass ein Kandidat besonders passend erschien. Dann wurden die Corona-Maßnahmen verschärft, sodass auch mit diesem Kandidaten kein Treffen möglich war. Auch ich hatte leider nicht die Möglichkeit, den Kandidaten persönlich zu treffen, und konnte daher die Vorgespräche ausschließlich virtuell führen. Das einstellende Unternehmen und der Kandidat haben sich im weiteren Prozess mehrfach per Videokonferenz getroffen und weiter Vertrauen zueinander aufgebaut. Schließlich wurde man sich einig, beide Seiten haben entschieden: Ja, wir wollen das jetzt machen – auch ohne persönliches Kennenlernen.
Virtuell führen gehört in vielen Positionen zum Alltag
Haufe Online-Redaktion: Executive Search lebt ja vom persönlichen Kontakt zu den Kandidaten. Ist das nicht ein Tabubruch für eine Personalberatung, Top-Führungskräfte komplett virtuell zu rekrutieren?
Gollenia: Ich würde nicht sagen, dass das ein Tabubruch ist, auf keinen Fall. Ich glaube: Wir gehen mit der Zeit. Wir stellen uns auf das ein, was in unseren Klientenunternehmen sowieso schon gang und gäbe ist. In internationalen Konzernen ist es längst so, dass man sich nicht täglich trifft. Wie auch. Das heißt, es ist heute eine absolut entscheidende Qualifikation von Führungskräften, mit virtuellen, digitalen Instrumenten zu führen. Natürlich gibt es Unternehmen und Positionen, wo das persönliche Kennenlernen gewünscht und notwendig ist, ohne Frage. Aber bei den Positionen, bei denen das virtuelle Arbeiten auch den künftigen Aufgabenbereich prägen wird, ist ein virtueller Einstellungsprozess in der Regel kein Problem und vielleicht sogar von Vorteil.
"Bei den Positionen, bei denen das virtuelle Arbeiten auch den künftigen Aufgabenbereich prägen wird, ist ein virtueller Einstellungsprozess in der Regel kein Problem." Lars Gollenia @SpencerStuart
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Digitale Assessments helfen bei der Einschätzung der "weichen" Faktoren
Haufe Online-Redaktion: Gerade bei Führungskräften spielen neben den fachlichen Kompetenzen auch der persönliche Eindruck, der Charakter und wie die Person wirkt eine entscheidende Rolle. All das ist virtuell deutlich schwerer zu erfassen. Wie versuchen Sie das abzubilden oder zu ersetzen?
Gollenia: Das persönliche Gespräch kann nicht zu 100 Prozent substituiert werden, aber man schärft über Video seine Sinne anders. Zum Beispiel: Wie sieht es in dem Zimmer aus, in dem die Person sitzt? Ist das aufgeräumt? Oder liegen da die Turnschuhe rum? Hat der Kandidat sich etwas feiner angezogen? Oder kommt er eher leger rüber? Läuft vielleicht das Kind durchs Bild? Letzteres ist absolut nicht negativ, weil es den Menschen zeigt und Einblicke in seine Privatsphäre gibt. Man erhält also zusätzliche Informationen, die auch relevant sind, und die man in einem Meetingraum gar nicht bekommen würde.
"Man schärft über Video seine Sinne ganz anders." Lars Gollenia @SpencerStuart über #ExecutiveSearch in Zeiten von #Corona
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Wir haben aber auch konkrete digitale Tools etabliert, die eine gründliche Analyse der "weichen Aspekte" von Kandidaten erlauben. Diese haben wir schon vor der Corona-Krise eingesetzt, aber sie kommen uns jetzt besonders zugute. Beispielsweise nutzen wir ein Online-Assessment, um das Führungspotenzial eines Kandidaten zu ermitteln. Mit einem Persönlichkeitstest schauen wir uns außerdem die Wertepräferenzen an. Das gibt uns Aufschluss, ob der Kandidat zur Unternehmenskultur passt. Mit diesen Tools haben die einstellenden Unternehmen – neben der Einschätzung des Personalberaters – noch eine zusätzliche Entscheidungshilfe.
Darüber hinaus arbeiten wir – im virtuellen Prozess noch verstärkt - sehr viel mit Referenzen, das heißt, wir sprechen mit Leuten, die mit dem Kandidaten bereits zusammengearbeitet haben. Last but not least ist die Technologie ein wichtiger Faktor. Spencer Stuart ist digital gut ausgerüstet. Wir sind weltweit alle freiwillig seit acht Wochen im Homeoffice. Und die Arbeit geht ganz normal weiter, weil wir über IT-Systeme und Videokonferenz-Plattformen verfügen, die uns das ermöglichen. Diese Video-Plattform stellen wir auch unseren Klienten zur Verfügung, um Gespräche mit Kandidaten zu führen.
Virtuelle Besetzung von Führungspositionen: Global tätige Unternehmen tun sich leichter
Haufe Online-Redaktion: Viele Unternehmen haben jetzt die Besetzung von Führungspositionen erst einmal auf Eis gelegt, weil sie sich nicht vorstellen können, jemanden einzustellen, den sie vorher nicht persönlich kennenlernen konnten. Funktioniert das nur bei digital-affinen Unternehmen oder bei Positionen wie dem Chief Digital Officer?
Gollenia: Positionen in der obersten Führungsspitze werden eigentlich immer besetzt, auch in der Krise - zur Not eben virtuell. Eine Nicht-Besetzung wäre viel risikoreicher. Aber natürlich tun sich große, global tätige Unternehmen da leichter, weil dort virtuelles Arbeiten über Distanzen hinweg zum Alltag gehört.
Haufe Online-Redaktion: Und wie sieht es von Kandidatenseite aus? Wie groß ist da die Scheu, eine neue Position anzutreten, ohne das Arbeitsumfeld persönlich kennengelernt zu haben?
Gollenia: Mit dem eingangs erwähnten CDO, den wir kürzlich vermittelt haben, habe ich genau über diese Frage gesprochen. Seine Antwort war: "Wieso sollte ich mich scheuen? Ich werde in der künftigen Position sowieso überwiegend virtuell arbeiten müssen. Ich habe also jetzt genau den Eindruck von den Menschen und deren Arbeitsweise gewonnen, der auch später Alltag sein wird."
Der Kandidat hat übrigens eine ungekündigte, langjährige Position bei einem großen Unternehmen aufgegeben. Im Gegenzug hat das einstellende Unternehmen in dieser besonderen Situation, in der ein persönliches Kennenlernen gar nicht möglich war, im Vertrag auf die Probezeit verzichtet, um dem Kandidaten eine größere Sicherheit zu bieten.
Executive Search: Digitalisierungsschub durch Corona-Krise
Haufe Online-Redaktion: Zuletzt noch ein vorsichtiger Ausblick: Welche Veränderungen erwarten Sie durch die Corona-Krise für die Personalberatungsbranche?
Gollenia: Auf jeden Fall einen großen Digitalisierungsschub. Diejenigen, die vor der Krise nicht digitalisiert haben, sind gezwungen, das jetzt nachzuholen. Das gilt sowohl für die Klienten wie auch für die Personalberatungen. Wir wissen alle nicht, wie lange die Einschränkungen bestehen bleiben, aber man geht ja davon aus, dass uns diese noch ein bis anderthalb Jahre begleiten werden. Die Beratungsunternehmen, die bereits vor der Corona-Pandemie digital gut aufgestellt waren, haben jetzt einen Vorsprung, weil sie ihr Geschäft ohne größere Einschränkungen weiterführen können. Diese werden in und nach der Krise Marktanteile gewinnen und die anderen höchstwahrscheinlich Anteile verlieren.
Zur Person: Lars A. Gollenia ist Partner bei der internationalen Personalberatung Spencer Stuart am Standort Frankfurt. Er gehört der Technologie- und IT-Services Practice an und berät Unternehmen bei der Suche, Auswahl, Bewertung und Weiterentwicklung von Führungskräften, vorwiegend im Digitalbereich.
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