Haufe Online Redaktion: Um Azubis auszuwählen, stehen nicht viele biografische Daten als Auswahlkriterien zur Verfügung. Welche Anhaltspunkte für das Potenzial kann man trotzdem aus dem Lebenslauf ablesen?
Wolfgang Saaman: Potenziale sind die Basis für leichtes, schnelles, tief greifendes und erfolgreiches Lernen. Zeugnisse geben Aufschluss über Potenziale. Noten besser als 2 sind immer ein Hinweis auf Potenziale, besonders wenn der Bewerber nicht durchgängig mit Bestnoten abgeschlossen hat. Bei fehlender Noten-Differienzierung kann Fleiß hinter den guten Ergebnissen stehen. Dass ein Mensch in allen Fächern, die während der schulischen Ausbildung geprüft werden, Potenzialträger ist, lässt sich weitestgehend ausschließen. Weiterer Aufschluss über Potenziale lässt sich aus einem Vergleich Lebenslauf zu Zeugnissen ableiten. Hier müssen Zusammenhänge erkennbar werden zwischen gewissen Noten und der Aufbereitung des Lebenslaufes. Solche Vergleiche stehen aber auf dünnem Eis, weil verborgen bleibt, wer Impulsgeber des Lebenslaufes war: der Bewerber selbst, Eltern, Lehrer, Buchautoren oder sonstige Einfluss gebende Personen? Auch ist nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen Potenzialen und Hobbys herzustellen. Hobbys basieren auf Motivation, jedoch nicht immer auf Potenzialen. Hier müsste man wissen, wie erfolgreich das Hobby ausgeübt wird.
Haufe Online Redaktion: Was sollten Personaler speziell im Vorstellungsgespräch mit potenziellen Auszubildenden beachten?
Saaman: Dass Sie kein theoretisch gelerntes Wissen abfragen, sondern sich für die Erfahrungen und Erlebnisse des Bewerbers interessieren. Es kommt dabei immer darauf, neben der reinen rationalen Erlebnisebene die emotionale zum selben Ereignis abzufragen. Besonders wichtig ist dabei, dass der Bewerber durch narrative Interviewführung ins Erzählen kommt und sich der Interviewer auf das Zuhören konzentriert. "Narrative Interviewführung" bedeutet, die Frage ist kurz und offen, sie lässt damit viel Raum für Antworten. Zudem sollte sich der Interviewer mit Gestik, Mimik, Kommentaren zurückhalten, ganz gleich, was der Bewerber von sich gibt. Denn solche Interventionen beeinflussen den Bewerber. Je größer die Beeinflussung durch den Fragesteller, umso weniger gibt die Antwort her.
Haufe Online Redaktion: Welche weiteren Verfahren empfehlen Sie, um Azubis auszuwählen?
Saaman: Es sollte neben dem narrativen Erlebnis- oder Ereignisinterview ein auf Konstruktionen abgestelltes Interview angeschlossen werden. Hierbei zielen die Fragen darauf ab, den Bewerber zu ermuntern, sich vorzustellen, dass er die in Aussicht genommene Ausbildung bereits begonnen hat. Die zu stellenden Fragen lenken ihn in die Richtung, sich darüber zu äußern, was er am Ende zum Beispiel des ersten Ausbildungsjahrs erreicht haben will. Aufschlussreich ist zudem, dem Bewerber zukünftige Situationen, die zu bewältigen sind, zu schildern und ihn zu fragen, wie er diese meistern würde. Das Interview darf über die ganze Zeitstrecke kein Stressinterview sein. Der Bewerber muss so bald als möglich in die Lage versetzt werden, sich wohl zu fühlen. Unter Stress geben Menschen Antworten auf der Basis ihres natürlichen Schutzmechanismus. Solche Antworten sind für die Potenzialerkennung wertlos.
Haufe Online Redaktion: Inwiefern ist ein Testverfahren wie ein Persönlichkeits- oder Intelligenztest geeignet?
Saaman: Zur Vorselektion einer größeren Gruppe von Bewerbern eignen sich solche Verfahren, für Vertragsentscheidung bzw. Feinauswahl ernsthaft infrage kommender Bewerber nicht, da man heute für viele dieser Verfahren vorab trainieren kann. Bei der Wahl von Intelligenztests ist zu berücksichtigen, dass der Intelligenzquotent als solcher nicht viel hergibt. Wichtiger ist der Intelligenzstrukturverlauf. Der wiederum korrespondiert mit Schulnoten, die ja recht taufrisch vorliegen. Persönlichkeitstests basieren immer auf dem Selbstbild des Bewerbers und haben damit nur eine bedingte Aussagekraft.
Dr. Wolfgang Saaman ist Vorstandsvorsitzender der Unternehmensberatung Saaman AG.