Rz. 45

Im Kündigungsschutzverfahren ist zu fragen, ob in der Erhebung der Klage auch gleichzeitig die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen liegt und damit ein Verfall aufgrund des Ablaufs des Urlaubsjahres bzw. des Eingreifens von Ausschlussfristen ausgeschlossen ist. Aufgrund der nunmehr vom BAG bejahten Initiativlast einer Arbeitgeberin für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs (vgl. vor Rz. 43) bedarf es schon gar keiner Geltendmachung zur Vermeidung des Verfalls des Urlaubsanspruchs, wenn die Arbeitgeberin ihrer Initiativlast nicht nachgekommen ist. Dies gilt auch im gekündigten Arbeitsverhältnis.[1]

 
Praxis-Beispiel

Die Arbeitgeberin versucht 2020 vergeblich, den Arbeitnehmer wirksam zu kündigen. Sie beschäftigt den Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens im Juni 2022 nicht. Dieser verlangt – nachdem der Kündigungsschutzklage rechtskräftig stattgegeben wurde – erstmals im Juli 2022 die Gewährung von 20 Tagen Erholungsurlaub für das Jahr 2021.

Lösung

Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage hat zwar regelmäßig nicht die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen des Arbeitnehmers zum Inhalt.[2] Die Urlaubsansprüche können aber nur dann verfallen sein, wenn die Arbeitgeberin trotz der aus ihrer Sicht eingetretenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitgeteilt hat, dass der Urlaub am Ende des Urlaubsjahres oder eines Übertragungszeitraums (z. B. in Fällen der langen Erkrankung) verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.[3] Dabei muss der Arbeitgeber klar darauf hinweisen, dass er trotz ausgesprochener Kündigung zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bereit ist.[4]

Hat die Arbeitgeberin der Mitwirkungsobliegenheit genügt, hat der Arbeitnehmer seine Urlaubsansprüche konkret geltend zu machen. Zwar geht das BAG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Arbeitnehmer mit der Bestandschutzklage Ausschlussfristen für die vom Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses abhängigen Vergütungsansprüche wahrt, soweit die mündliche oder schriftliche Geltendmachung verlangt werde.[5] Diese Auffassung wird mit der Überlegung begründet, dass der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage nicht nur das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen will, sondern für den Arbeitgeber erkennbar zugleich deutlich macht, er wolle die sich aus dem Fortbestehen ergebenden Entgeltansprüche sichern. Mittlerweile geht die Rechtsprechung einen Schritt weiter: Auch die oftmals in Tarifverträgen zu findende 2. Stufe einer Ausschlussfrist, die gerichtliche Geltendmachung für den Fall, dass der Anspruch auf die außergerichtliche Aufforderung i. S. d. 1. Stufe nicht erfüllt worden ist oder sich der Anspruchsgegner nicht geäußert hat, wird durch eine Bestandsschutzklage gewahrt.[6]

Die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen ist damit aber nicht vergleichbar: Für die monatlichen Entgeltansprüche ist die Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt; die Arbeitgeberin kommt ohne weitere Handlungen des Arbeitnehmers in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Für den Urlaubsanspruch greift diese Vorschrift nicht ein. Der Arbeitgeber muss – sobald er seiner Mitwirkungsobliegenheit genügt hat – nicht von sich aus Urlaub gewähren.[7] Der Arbeitgeber setzt sich mit der Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit auch nicht in Widerspruch zu seiner Kündigungserklärung. Denn er hat regelmäßig ein wirtschaftliches Interesse daran, einem Arbeitnehmer auf dessen Wunsch Urlaub zu erteilen, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern.[8] Der Arbeitnehmer muss daher weiterhin den Urlaubsanspruch i. S. v. § 286 Abs. 1 BGB geltend machen.[9] Für die Geltendmachung genügt allerdings schon die – pauschale –Aufforderung des Arbeitnehmers in der Kündigungsschutzklage, ihm Urlaub zu gewähren, einen konkreten Zeitraum muss er nicht benennen.[10]

 
Hinweis

Das BAG hat im Jahr 2011 angedeutet, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht als Geltendmachung von Urlaubsansprüchen anzusehen ist, möglicherweise nicht festhält[11]: Wenn der Arbeitgeber durch Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung in Annahmeverzug gerate, da er dem Arbeitnehmer bei einer ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist die Arbeitsmöglichkeit entzieht, spreche einiges dafür, diese Grundsätze künftig auch für die Kehrseite der Arbeitspflicht, nämlich die Befreiung hiervon durch Urlaubsgewährung anzuwenden. Bislang hat keine Gelegenheit bestanden, diese Ankündigung umzusetzen.

Für den Fall der Geltendmachung von Urlaubsabgeltung reicht die Erhebung einer Kündigungsschutzklage jedenfalls nicht. Denn der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht nur im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Bestandsschutzklage zielt jedoch auf das Gegenteil, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.[12] Es genügt allerdings, wenn der Arbeitnehmer den Urlaubsabgeltungsanspruch z. B. im Rahmen der Bestandsschutzklage dem Grunde nach gelt...

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