Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeinverbindlicherklärung. Wirksamkeit. Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung
Orientierungssatz
1. Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 ist unwirksam.
2. Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Oktober 2013 (BAnz. AT 4. November 2013 B2) in der berichtigten Fassung vom 13. März 2014 (BAnz. AT 14. März 2014 B2) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 ist unwirksam.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, Art. 20, 80 Abs. 1; ArbGG (in der ab 16. August 2014 geltenden Fassung) § 2a Abs. 1 Nr. 5, §§ 83, 97 Abs. 5, § 98; TVG (in der bis 15. August 2014 geltenden Fassung) § 5; VwVfG § 24
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 7., 14., 18. bis 25. und 27. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juli 2015 – 4 BVL 5004/14 – und – 4 BVL 5005/14 – teilweise aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 unwirksam ist.
2. Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 7., 14., 18. bis 20., 23. bis 25. und 27. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juli 2015 – 4 BVL 5004/14 – und – 4 BVL 5005/14 – teilweise aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Oktober 2013 (BAnz. AT 4. November 2013 B2 in der berichtigten Fassung vom 13. März 2014 BAnz. AT 14. März 2014 B2) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 unwirksam ist.
3. Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 17. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juli 2015 – 4 BVL 5004/14 – und – 4 BVL 5005/14 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) betreffend den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18. Dezember 2009 in der Fassung vom 17. Dezember 2012 (AVE VTV 2013 I) sowie der AVE vom 25. Oktober 2013 (BAnz. AT 4. November 2013 B2 in der berichtigten Fassung vom 13. März 2014 BAnz. AT 14. März 2014 B2) betreffend den VTV vom 3. Mai 2013 (AVE VTV 2013 II).
Die Beteiligte zu 6. – die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) – einerseits sowie der Beteiligte zu 4. – der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. (ZDB) – und der Beteiligte zu 5. – der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB) – andererseits sind Tarifvertragsparteien von Tarifverträgen für das Baugewerbe, ua. des VTV vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 und des VTV vom 3. Mai 2013. Der VTV regelt die Durchführung des in weiteren Tarifverträgen festgelegten Urlaubskassenverfahrens, der zusätzlichen Altersversorgung und der Berufsbildung im Baugewerbe.
Der Beteiligte zu 3. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit Rechtsfähigkeit aufgrund staatlicher Verleihung. Er ist die gemeinsame Einzugsstelle für die im Urlaubskassen- und Berufsbildungsverfahren zu zahlenden tariflich festgelegten Beiträge. Darüber hinaus zieht er bei Arbeitgebern mit Sitz in den alten Bundesländern die Beiträge der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK) sowie die Beiträge der regionalen Kassen in Bayern und Berlin ein.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2012 beantragte der Beteiligte zu 5., zugleich namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 4. und 6., bei dem Beteiligten zu 2., dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), den VTV vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 mit Einschränkungen beim betrieblichen Geltungsbereich (sog. Große Einschränkungsklausel) mit Wirkung zum 1. Januar 2013 für allgemeinverbindlich zu erklären.
Dabei führte der Beteiligte zu 5. mit Ergänzungen aus einem Schreiben vom 24. Januar 2013 insbesondere aus, dass – beruhend auf Erhebungen des Beteiligten zu 3. einerseits und der Beteiligten zu 4. und 5. andererseits – zum Stichtag 30. September 2012 in den Betrieben der tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbände 433.326 Arbeitnehmer (330.362 gewerbliche Arbeitnehmer, 75.235 Angestellte und 27.729 Auszubildende) beschäftigt gewesen seien (sog. Kleine Zahl). In den vom Beteiligten zu 3. erfassten Betrieben seien zum Stichtag 30. September 2012 660.195 Arbeitnehmer (526.591 gewerbliche Arbeitnehmer, 100.525 Angestellte sowie 33.079 Auszubildende) beschäftigt gewesen (sog. Große Zahl). Tatsächlich hatte der Beteiligte zu 3. weitere 23.202 gewerbliche Arbeitnehmer und 3.751 Angestellte in von ihm erfassten Betrieben, für die bereits ein Beitragskonto eingerichtet war, die Baubetriebseigenschaft jedoch noch streitig war, an die Tarifvertragsparteien gemeldet. Die Nennung in der Antragstellung unterblieb versehentlich.
Der Antrag wurde an die obersten Arbeitsbehörden der Länder zur Stellungnahme übermittelt und ebenso wie der Termin für die Verhandlung des Tarifausschusses im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Mit am 6. bzw. 8. März 2013 eingegangenen Schreiben übersandten die Beteiligten zu 4. und 5. dem Beteiligten zu 2. die Rücklaufbögen zur Ermittlung der in den Mitgliedsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Mit Schreiben vom 14. März 2013 teilte der Beteiligte zu 4. dem BMAS mit, es seien anstelle der versehentlich angegebenen 27.729 Auszubildenden tatsächlich nur 25.735 Auszubildende in den Mitgliedsverbänden der tarifvertragschließenden Verbände beschäftigt gewesen, sodass sich die „Kleine Zahl” auf 431.332 verringere.
Laut einem Vermerk vom 19. März 2013 prüften zwei Mitarbeiter des Referats IIIa6 des BMAS das Vorliegen der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG in der bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung (künftig TVG aF). Dabei stellten sie zunächst fest, dass die AVE nur mit Einschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs, wie sie sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebe, ergehen solle. Zur Ermittlung der Großen Zahl seien die verfügbaren Erkenntnismittel wie die Daten des Beteiligten zu 3., der Bundesagentur für Arbeit (BA), des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des Statistischen Bundesamts auszuwerten. Für die Kleine Zahl zogen sie die von den Beteiligten zu 4. und 5. ermittelte und im Schreiben des Beteiligten zu 4. vom 14. März 2013 mitgeteilte Zahl von 431.332 Arbeitnehmern heran. Es bestünden keine Gründe, an dieser Zahl zu zweifeln. Auf dieser Grundlage errechneten die Referatsmitarbeiter die folgenden Quoten:
Datenquelle |
Große Zahl |
Kleine Zahl |
Tarifbindung |
ULAK |
660.195 (Stand 30.09.2012) |
431.332 (Stand 30.09.2012) |
65,3 % |
BA |
1.066.378 (Stand 30.06.2012) |
40,4 % |
StBa |
733.476 (Stand 30.06.2012) |
58,8 % |
ZDH |
– |
– |
In der anschließenden Würdigung bevorzugten sie bezüglich der Großen Zahl die vom Beteiligten zu 3. (ULAK) mitgeteilte Zahl. Allein diese bilde den Geltungsbereich des VTV in der zur AVE beantragten Form ab. Die Zahlen der anderen Datenquellen seien letztlich ungeeignet, da sie keinen Bezug zum Geltungsbereich des VTV hätten.
Am 20. März 2013 tagte der Tarifausschuss und befürwortete die beantragte AVE.
Laut einem Vermerk vom 17. April 2013 prüfte ein Mitarbeiter des Referats IIIa6 des BMAS erneut die Voraussetzungen für den Ausspruch der AVE, wobei er die nunmehr verfügbare Beschäftigtenstatistik der BA mit Stand vom 30. September 2012 berücksichtigte. Er führte aus, dass ein öffentliches Interesse an der AVE bestehe.
Am 29. Mai 2013 unterzeichnete der Referatsleiter, Herr B, für den Beteiligten zu 2. die Bekanntmachung der AVE VTV 2013 I mit Wirkung vom 1. Januar 2013. Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger erfolgte am 7. Juni 2013.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2013 beantragte die Beteiligte zu 6., zugleich namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 4. und 5., beim BMAS, den VTV vom 3. Mai 2013 mit der Großen Einschränkungsklausel mit Wirkung vom 1. Juli 2013 für allgemeinverbindlich zu erklären.
Die Ausführungen der Beteiligten zu 6. insbesondere zum Vorliegen der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF deckten sich dabei inhaltlich mit den Angaben der Beteiligten zu 4. und 5. in dem die AVE VTV 2013 I betreffenden Verfahren.
Der Antrag wurde an die obersten Arbeitsbehörden der Länder zur Stellungnahme übermittelt und ebenso wie der Termin für die Verhandlung des Tarifausschusses im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Mit Schreiben vom 13. August 2013 legte das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr gemäß § 5 Abs. 3 TVG Einspruch gegen die beantragte AVE VTV 2013 II ein.
Laut einem Vermerk vom 20. August 2013 prüften zwei Mitarbeiter des Referats IIIa6 des BMAS das Vorliegen der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF. Dabei stellten sie zunächst fest, dass die AVE nur mit Einschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs, wie sie sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebe, ergehen solle. Zur Ermittlung der Großen Zahl seien die verfügbaren Erkenntnismittel wie die Daten des Beteiligten zu 3., der Bundesagentur für Arbeit, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des Statistischen Bundesamts auszuwerten. Für die Kleine Zahl zogen sie die von den Beteiligten zu 4. und 5. ermittelte und im Antrag auf AVE erneut mitgeteilte Zahl von 431.332 Arbeitnehmern heran. Es bestünden keine Gründe, an dieser Zahl zu zweifeln. Auf dieser Grundlage errechneten die Referatsmitarbeiter die folgenden Quoten:
Datenquelle |
Große Zahl |
Kleine Zahl |
Tarifbindung |
ULAK |
660.195 (Stand 30.09.2012) |
431.332 (Stand 30.09.2012) |
65,3 % |
BA |
1.094.205 (Stand 30.09.2012) |
39,4 % |
StBa |
733.476 (Stand 30.06.2012) |
58,8 % |
ZDH |
– |
– |
In der anschließenden Würdigung bevorzugten sie bezüglich der Großen Zahl die vom Beteiligten zu 3. (ULAK) mitgeteilte Zahl. Allein diese bilde den Geltungsbereich des VTV in der zur Allgemeinverbindlichkeit beantragten Form unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel ab. Die Zahlen der anderen Datenquellen seien letztlich ungeeignet, da sie keinen Bezug zum Geltungsbereich des VTV hätten.
Am 27. August 2013 tagte der Tarifausschuss und befürwortete die beantragte AVE.
Wegen der aufgrund des Einspruchs des Freistaats Sachsen nach § 5 Abs. 3 TVG erforderlichen Zustimmung der Bundesregierung wandte sich die Abteilung III des BMAS mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 an Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. Diese richtete ein Schreiben vom 11. Oktober 2013 an die Bundesregierung, mit dem sie unter Angabe näherer Erwägungen die Zustimmung zur Stattgabe des Antrags auf AVE beantragte. Die Bundesregierung stimmte der AVE in ihrer Kabinettssitzung am 16. Oktober 2013 zu.
Laut einem Vermerk vom 18. Oktober 2013 prüfte eine Mitarbeiterin des Referats IIIa6 des BMAS erneut die Voraussetzungen für den Ausspruch der AVE und führte aus, dass ein öffentliches Interesse an der AVE bestehe.
In den vom Beteiligten zu 2. kopierten Verfahrensakten, die für das Beschlussverfahren vorgelegt wurden, ist weder die AVE VTV 2013 II selbst noch eine Verfügung zu ihrer Bekanntmachung enthalten. Die Veröffentlichung der Bekanntmachung der AVE VTV 2013 II vom 25. Oktober 2013 mit Wirkung vom 1. Juli 2013 erfolgte am 4. November 2013 im Bundesanzeiger. Unter dem Text der Veröffentlichung befindet sich der gedruckte Zusatz „Bundesministerium für Arbeit und Soziales Im Auftrag B”. Am 13. März 2014 unterzeichnete der Referatsleiter B die Berichtigung der Bekanntmachung über die AVE VTV 2013 II, die am 14. März 2014 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.
Am 17. Dezember 2013 wurde der VTV vom 3. Mai 2013 mit Wirkung ab 1. Januar 2014 geändert. Die geänderte Fassung wurde durch AVE vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) rückwirkend zum 1. Januar 2014 ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt.
Der Beteiligte zu 3. macht als Kläger in einem durch rechtskräftigen Beschluss ausgesetzten Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden (– 4 Ca 540/14 –) Beitragsansprüche gegen einen nicht kraft Mitgliedschaft in einem der tarifschließenden Verbände tarifgebundenen Arbeitgeber für den Zeitraum Mai 2013 bis April 2014 geltend, deren Berechtigung allein von der Wirksamkeit der AVE VTV 2013 I und AVE VTV 2013 II abhängt. Die Beteiligten zu 7., 14., 19. bis 25. und 27. sind natürliche bzw. juristische Personen, die, ohne Mitglied in einem der tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbände gewesen zu sein, von dem Beteiligten zu 3. auf Beitragszahlungen für das Jahr 2013 in Anspruch genommen werden, und zwar mit Ausnahme der Beteiligten zu 21. und 22. auch für Zeiträume nach dem 30. Juni 2013. Die entsprechenden Verfahren sind zum Teil gemäß § 98 Abs. 6 ArbGG ausgesetzt.
Der Beteiligte zu 17. ist der Bundesinnungsverband der Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Gemäß seiner Satzung hat er die Aufgabe, Tarifverträge abzuschließen, soweit und solange solche nicht durch Innungen oder Innungsverbände für ihren Bereich abgeschlossen werden. Zu den von ihm abgeschlossenen Tarifverträgen gehören ein „Tarifvertrag über ein Mindestentgelt in den Elektrohandwerken” aus dem Jahr 1997 nebst Folgetarifverträgen, ein „Tarifvertrag zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge” aus dem Jahr 2002 sowie ein „Tarifvertrag zur überregionalen Regelung der kollegialen Arbeitnehmerüberlassung” aus den Jahren 2009 und 2010. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin führte der Beteiligte zu 17. seit Juli 2012 ein Verfahren mit dem Ziel, die Unwirksamkeit verschiedener AVE des VTV feststellen zu lassen. Dieser Rechtsstreit, der weder die AVE VTV 2013 I noch die AVE VTV 2013 II betraf, wurde nach Inkrafttreten des § 98 ArbGG in der ab 16. August 2014 geltenden Fassung durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet.
Die Beteiligte zu 18. ist Beitragsforderungen des Beteiligten zu 3. für den Zeitraum Dezember 2011 bis November 2012 ausgesetzt. Im Rahmen der mündlichen Anhörung vor dem Senat im Verfahren – 10 ABR 48/15 – hat der dortige Beteiligte zu 7. (hiesiger Beteiligter zu 3.) mitgeteilt, er behalte sich die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Jahr 2014 gegen den dortigen Beteiligten zu 11. vor, bei dem es sich um den hiesigen Beteiligten zu 18. handelt.
Die Beteiligten zu 7., 14., 17. bis 25. und 27. haben die Auffassung vertreten, die AVE des VTV vom 29. Mai 2013 und vom 25. Oktober 2013 seien aus formellen und materiellen Gründen unwirksam. Es fehle bereits an der Unterschrift der verantwortlichen Ministerin. Die AVE verstießen gegen Grundrechte der Antragsteller und gegen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch sei ihre Vereinbarkeit mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 16 GRC, zweifelhaft, was eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erforderlich mache.
Der VTV vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 sowie der VTV vom 3. Mai 2013 seien unwirksam, da die Beteiligten zu 4., 5. und 6. nicht tariffähig und/oder tarifzuständig gewesen seien. Insbesondere sei den Beteiligten zu 4. und 5. als Spitzenverbänden die Tariffähigkeit von ihren Mitgliedsverbänden nicht vollständig vermittelt worden. Letztere seien im Übrigen teilweise selbst weder tariffähig noch tarifwillig gewesen.
Die materiellen Voraussetzungen der AVE hätten nicht vorgelegen.
Eine Richtigkeitsvermutung für ministerielle Entscheidungen gebe es nicht. Der Beteiligte zu 2. habe zur Ermittlung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF hinsichtlich der Großen Zahl nicht alle greifbaren Quellen ausgeschöpft. Schon deshalb sei der Rechtsakt der Verwaltung nichtig; eine gerichtliche Nachbesserung komme nicht in Betracht. Die Zahlen der ULAK seien materiell unbrauchbar, da sie sich nicht mit dem Geltungsbereich des VTV deckten und von Eigeninteressen geprägt seien. In Wirklichkeit sei zum Zeitpunkt des jeweiligen Erlasses der AVE eine sehr viel größere Anzahl von Beschäftigten unter den Geltungsbereich des VTV gefallen. Dies ergebe sich beispielsweise aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit oder der Berufsgenossenschaft Bau. Die Angaben der Beteiligten zu 4. und 5. zur Kleinen Zahl seien unzutreffend.
Diese beruhten teilweise auf Schätzungen, bei denen kein einheitlicher Maßstab angelegt worden sei. Der Beteiligte zu 2. habe nicht einmal eine stichprobenartige Überprüfung vorgenommen.
Das öffentliche Interesse sei lediglich formel- und floskelhaft bejaht und der Beurteilungsspielraum nicht ausgeübt worden. Es habe seitens des Beteiligten zu 2. keine Abwägung der für und gegen eine AVE vorgebrachten Gesichtspunkte gegeben, vielmehr sei lediglich die Empfehlung des Tarifausschusses vollzogen worden. Der Erhalt der tariflichen Einrichtung dürfe nicht im Wege des Zirkelschlusses das öffentliche Interesse an seinem Erhalt begründen. Die herangezogenen Argumente, insbesondere die behauptete erhöhte Fluktuation im Baugewerbe, seien unzutreffend.
Die Beteiligten zu 7., 14., 17. bis 25. und 27. haben beantragt
festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 gemäß der Bekanntmachung vom 29. Mai 2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 7. Juni 2013, unwirksam ist.
Die Beteiligten zu 7., 14., 17. bis 20., 23. bis 25. und 27. haben weiter beantragt
festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 gemäß der Bekanntmachung vom 25. Oktober 2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 4. November 2013 mit Berichtigung im Bundesanzeiger vom 14. März 2014, unwirksam ist.
Der Beteiligte zu 3. hat beantragt
festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 gemäß der Bekanntmachung vom 29. Mai 2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 7. Juni 2013, und die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 gemäß der Bekanntmachung vom 25. Oktober 2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 4. November 2013 mit Berichtigung im Bundesanzeiger vom 14. März 2014, wirksam sind.
Die Beteiligten zu 2. und 4. bis 6. haben, soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung, beantragt, die negativen Feststellungsanträge zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 2. bis 6. haben die Auffassung vertreten, den Antragstellern fehle die Antragsbefugnis, soweit sie geltend machten, nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst zu sein. Im Übrigen seien die angegriffenen AVE wirksam. Die Tarifzuständigkeit der Verbände sei nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht Gegenstand des Verfahrens. Ernsthafte Zweifel an deren Vorliegen bestünden im Übrigen nicht.
Bei der gerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit einer AVE sei keine Ermittlung „ins Blaue hinein” vorzunehmen, sondern es sei detaillierter Vortrag der Beteiligten erforderlich, der Zweifel an dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aufkommen lasse. Solcher Vortrag fehle. Im Übrigen habe der Beteiligte zu 2. ordnungsgemäß entschieden. Die Zahlen der ULAK seien die „geborene Erkenntnisquelle” für die Große Zahl. Zusätzlich zu den tarifvertraglich vorgeschriebenen Meldungen ermittle die ULAK auch selbst beitragspflichtige Betriebe und erhalte hierzu Hinweise und Informationen von verschiedenen Institutionen, wie zB dem Zoll. Besondere Bedeutung komme ihrer Funktion als gesetzliche Einzugsstelle für die Winterbeschäftigungsumlage zu. Mit Einrichtung des Beitragskontos werde der Betrieb als Baubetrieb erfasst. Bei der Bestimmung der Großen Zahl seien Einschränkungen der AVE hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs aufgrund von Sinn und Zweck der Quote zu berücksichtigen. Der Beteiligte zu 2. habe die gemeldeten Zahlen einer Plausibilitätskontrolle durch Vergleich mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts unterzogen, die, wenn überhaupt, die einzig heranzuziehenden Zahlen seien. Andere Zahlen seien ungeeignet, da sie weit über den Geltungsbereich des VTV hinausgingen.
Aus der jährlichen Verbandsumfrage zur Beschäftigtenzahl in tarifgebunden Betrieben, die gekoppelt mit der Beitragsveranlagung erfolge, ergäben sich zuverlässige Angaben über die Kleine Zahl. Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften seien zwar nicht generell auszuschließen, sie führten aber zu keiner Verfälschung.
Das öffentliche Interesse an der AVE sei mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtung, die sich praktisch bewährt habe, zu Recht bejaht worden. Im Baugewerbe seien weniger als 50 % der Beschäftigten ununterbrochen in einem Kalenderjahr bei einem Arbeitgeber beschäftigt, über 60 % der teilnehmenden Betriebe hätten nicht mehr als fünf Beschäftigte. Mit den drei Sozialkassensystemen würden unterschiedliche sozial- und tarifpolitische Zwecke verfolgt. Dies seien zum einen die Portabilität der Urlaubsansprüche, der Ausgleich von Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund unterjähriger Beschäftigung und vorzeitiger Erwerbsminderung und die Bereitstellung einer ausreichenden und qualifizierten Anzahl von Ausbildungsplätzen zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses.
Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge aller damaligen Antragsteller auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE VTV 2013 I und der AVE VTV 2013 II zurückgewiesen und dem positiven Feststellungsantrag des Beteiligten zu 3. stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 7., 14., 17. bis 25. und 27. ihr Begehren weiter. Der frühere Beteiligte zu 16. hat seinen Antrag bereits im ersten Rechtszug zurückgenommen. Das Verfahren ist hinsichtlich dieses Beteiligten durch das Landesarbeitsgericht eingestellt worden. Die erstinstanzlich Beteiligten zu 1., 8. bis 13. haben keine Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Beteiligten zu 15. und zu 26. haben die von ihnen eingelegte Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2016 zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig und, soweit eine Antragsbefugnis der Antragsteller gegeben ist (dazu I.), begründet. Die Überprüfung der Wirksamkeit der AVE erfolgt im Beschlussverfahren, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (dazu II.). Hiernach verstoßen die AVE weder gegen Verfassungsrecht noch die EMRK. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Unionsrecht ist unbeschadet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit nicht geboten (dazu III.). Ebenso wenig kommt eine Aussetzung nach § 97 Abs. 5 ArbGG in Betracht (dazu IV.). Beim Erlass der beiden AVE hat das BMAS das öffentliche Interesse zu Recht bejaht (dazu V.) und keine verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften verletzt (dazu VI.). Die AVE vom 29. Mai 2013 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 idF vom 17. Dezember 2012 (AVE VTV 2013 I) ist jedoch ebenso wie die AVE vom 25. Oktober 2013 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 (AVE VTV 2013 II) unwirksam, weil nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der jeweiligen AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (dazu VII.). Die AVE VTV 2013 I ist überdies unwirksam, weil die zuständige Ministerin sich vor dem Erlass hiermit nicht befasst hat (dazu VIII.). Der Beteiligte zu 2. hat gemäß § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG die Entscheidungsformel dieses Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt zu machen (dazu IX.).
I. Die Antragsteller sind – mit Ausnahme des Antragstellers zu 17. – antragsbefugt und haben ein Interesse an den jeweils begehrten Feststellungen. Alle am Verfahren zu beteiligenden Vereinigungen oder Stellen sind beteiligt worden.
1. Das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist hinsichtlich der angegriffenen AVE statthaft. Unschädlich ist, dass sowohl die AVE VTV 2013 I als auch die AVE VTV 2013 II vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF am 16. August 2014 erlassen wurden und dass der VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 3. Dezember 2013, durch den der VTV vom 3. Mai 2013 abgelöst wurde, mit Bekanntmachung vom 17. März 2014 rückwirkend ab 1. Januar 2014 ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt wurde (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 36 ff.).
2. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts ist gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 93 Abs. 2, § 65 ArbGG im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Zur Klarstellung ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gemäß § 98 Abs. 2 ArbGG örtlich zuständig war, da das die AVE erlassende BMAS seinen ersten Dienstsitz in Berlin hat (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 39).
3. Bei dem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG handelt es sich um ein Normenkontrollverfahren, dessen Durchführung eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 oder Abs. 6 ArbGG voraussetzt. Das Verfahren kann grundsätzlich auch hinsichtlich bereits außer Kraft getretener AVE oder VO eingeleitet werden, sofern der jeweilige Antragsteller weiterhin ein rechtlich anerkennenswertes Feststellungsinteresse an einer entsprechenden Entscheidung darlegt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 40).
a) Nach § 98 Abs. 1 ArbGG ist antragsbefugt, wer geltend macht, durch die AVE oder VO oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (dazu im Einzelnen BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 41 bis 52).
b) Hiernach besteht eine Antragsbefugnis der Beteiligten zu 7., 14., 18. bis 25. und 27. für deren negative Feststellungsanträge ebenso wie eine Antragsbefugnis des Beteiligten zu 3. für dessen positiven Feststellungsantrag. Nicht antragsbefugt ist der Beteiligte zu 17.
aa) Die Antragsbefugnis der Beteiligten zu 7., 14., 19. bis 25. und 27. ergibt sich aus § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie werden vom Beteiligten zu 3. auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für den Geltungszeitraum der jeweils von ihnen angegriffenen AVE in Anspruch genommen, ohne Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien gewesen zu sein. Die Ablösung der AVE VTV 2013 I und der AVE VTV 2013 II durch eine zeitlich jeweils nachfolgende AVE ändert hieran nichts, da die entsprechenden Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Antragsteller im Ausgangsverfahren leugnet, unter den Geltungsbereich des VTV zu fallen. Für eine mögliche Rechtsverletzung ist vielmehr ausreichend, dass er vom Beteiligten zu 3. auf Beitragszahlung in Anspruch genommen wird. Seine rechtlichen Argumente gegen eine Inanspruchnahme werden weder durch § 98 Abs. 1 ArbGG beschränkt, noch muss er ein Klageverfahren oder andere drohende Nachteile abwarten, bevor er einen Antrag nach § 98 Abs. 1 ArbGG stellen kann. Dies wird gesetzessystematisch dadurch bestätigt, dass die Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG gleichrangig neben der nach Abs. 6 steht und nur letztere eine klagweise Inanspruchnahme voraussetzt (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 55).
bb) Der Beteiligte zu 3. ist nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG für seinen positiven Feststellungsantrag antragsbefugt. Mindestens ein Gerichtsverfahren, in dem er Kläger ist und Beiträge auf Grundlage der beiden angegriffenen AVE geltend macht, ist nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ausgesetzt.
cc) Auch die Beteiligte zu 18. ist nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG antragsbefugt. Zwar ist sie nach ihrem Vortrag Beitragsforderungen des Beteiligten zu 3. nur bis einschließlich November 2012 ausgesetzt, dh. nicht im von den angegriffenen AVE betroffenen Zeitraum. Da der Beteiligte zu 3. im Rahmen der mündlichen Anhörung vor dem Senat im Verfahren – 10 ABR 48/15 – (als dortiger Beteiligter zu 7.) jedoch mitgeteilt hat, er behalte sich die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Jahr 2014 gegen den hiesigen Beteiligten zu 18. vor, droht diesem höchstwahrscheinlich auch eine Inanspruchnahme durch den Beteiligten zu 3. für Beiträge im Kalenderjahr 2013. Für eine mögliche Rechtsverletzung ist dies ausreichend.
dd) Der Beteiligte zu 17. ist nicht antragsbefugt. Er hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen AVE nicht hinreichend dargelegt.
(1) Bei dem Beteiligten zu 17. handelt es sich um eine Vereinigung von Arbeitgebern iSv. § 98 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, die geltend macht, in ihren koalitionsmäßigen Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt zu sein, da ihr tarifpolitischer Spielraum vergangenheits- und zukunftsbezogen durch die AVE beschränkt werde. Dies kann grundsätzlich eine Antragsbefugnis und ein Feststellungsinteresse begründen, wenn die angegriffene AVE oder VO noch in Kraft ist. Gleiches muss regelmäßig dann gelten, wenn diese erst während des laufenden Verfahrens außer Kraft getreten sind. Andernfalls könnten Koalitionen wegen der typischerweise begrenzten Laufzeit der erstreckten Tarifverträge keinen wirksamen Rechtsschutz nach § 98 ArbGG erlangen (vgl. zur Reichweite des Justizgewährleistungsanspruchs zB BAG 18. Mai 2016 – 7 ABR 81/13 – Rn. 28). Etwas anderes gilt jedoch, wenn ein Normenkontrollverfahren erst zu einem Zeitpunkt eingeleitet wird, zu dem die AVE oder VO bereits außer Kraft getreten war. Dann bedarf es zur Begründung des Feststellungsinteresses nach § 98 Abs. 1 ArbGG weiterer Darlegungen zur anhaltenden oder anstehenden Rechtsverletzung.
(2) Der durch die streitgegenständliche AVE VTV 2013 I mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 für allgemeinverbindlich erklärte VTV vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012 wurde durch den VTV vom 3. Mai 2013 abgelöst, der durch die streitgegenständliche AVE VTV 2013 II mit Wirkung ab dem 1. Juli 2013 für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Ab dem 1. Januar 2014 trat sodann der VTV vom 3. Mai 2013 idF des Änderungstarifvertrags vom 3. Dezember 2013 in Kraft, der durch die AVE VTV 2014 rückwirkend zum 1. Januar 2014 für allgemeinverbindlich erklärt wurde (zur Unwirksamkeit der AVE VTV 2014 vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 –).
(3) Der Beteiligte zu 17. hat sich erstmals im Februar 2015 am vorliegenden Verfahren beteiligt. Die Klage in dem vom Beteiligten zu 17. vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF eingeleiteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte er zwar schon im Juli 2012 erhoben. Sie betraf jedoch weder die AVE VTV 2013 I noch die AVE VTV 2013 II. Darüber hinaus hat der Beteiligte zu 17. selbst vorgebracht, er habe während der Geltungsdauer der angegriffenen AVE Tarifverträge abgeschlossen, deren Geltungsbereiche sich mit dem des VTV teilweise überschnitten haben. Welche Auswirkungen die Entscheidung über die Wirksamkeit der AVE VTV 2013 I und der AVE VTV 2013 II auf sein aktuelles oder zukünftiges Handeln als Tarifvertragspartei und auf seine Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG haben könnte, hat er trotz eines Hinweises des Senats nicht näher dargelegt. Aus der von ihm angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2010 (– 8 C 38.09 – Rn. 55, BVerwGE 136, 75) ergibt sich nichts anderes. Das dortige Verfahren ist zu einem Zeitpunkt eingeleitet worden, als die AVE noch in Kraft war.
4. Alle nach § 98 Abs. 3, § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligenden Vereinigungen und Stellen sind im vorliegenden Verfahren vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden. Hierzu gehören die Behörde, die den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt hat, die Antragsteller sowie die Tarifvertragsparteien, die den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag abgeschlossen haben (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 77 bis 85).
II. Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer AVE oder einer entsprechenden VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 98 ArbGG sind gemäß § 2a Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren auszutragen. Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforscht das Gericht hierbei den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen, wobei die am Verfahren Beteiligten nach § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Diese Grundsätze gelten gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG entsprechend im Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE oder VO (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 87 bis 93).
III. Die AVE von Tarifverträgen nach § 5 TVG verstößt entgegen der in einigen Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 95 bis 116).
IV. Das Verfahren ist nicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen, da es auf die Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer der tarifvertragschließenden Parteien nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 118 bis 122).
V. Die AVE sind entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden nicht bereits deshalb unwirksam, weil sie nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheinen, wie § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF verlangt.
1. Die Entscheidung des Beteiligten zu 2., ein öffentliches Interesse für die streitgegenständlichen AVE anzunehmen, ist nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar, da ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Spiegelbildlich führt diese begrenzte gerichtliche Überprüfbarkeit des Vorliegens eines öffentlichen Interesses zu erhöhten Anforderungen hinsichtlich des Erfordernisses einer demokratischen Legitimation für diese Entscheidung (vgl. dazu unten VII.). Für die AVE sprechen mehrere Umstände von erheblichem Gewicht. Nicht tarifgebundenen Arbeitgebern entstehen dadurch keine so großen Nachteile, dass die Entscheidung des Beteiligten zu 2. schlechthin unvertretbar oder unverhältnismäßig und damit das ihm zustehende normative Ermessen bei Rechtssetzungsakten überschritten wäre (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 124 bis 131).
2. Soweit die Beteiligten zu 24., 25. und 27. hiergegen einwenden, der Beteiligte zu 2. habe das Vorliegen eines öffentlichen Interesses nicht geprüft, sondern nur festgestellt, sodass ein Abwägungsausfall vorliege, verkennen sie, dass etwaige Mängel im Abwägungsvorgang irrelevant wären, da es nur darauf ankommt, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 135). Die weiteren Ausführungen der Beteiligten zu 24., 25. und 27. geben keinen Anlass zu der Annahme, dass auch im Ergebnis kein öffentliches Interesse an den AVE besteht. Diesbezüglich unterliegt der (politische) Bewertungsprozess des Beteiligten zu 2. nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Diese eingeschränkte Überprüfung der AVE ist gerechtfertigt, weil zugleich eine zustimmende persönliche Befassung des zuständigen Ministers oder Staatssekretärs erfolgen muss und hierdurch der Normsetzungsakt die gebotene demokratische Legitimation erhält (dazu unten VII.). In einer Gesamtschau kann nicht angenommen werden, dass die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis des Beteiligten zu 2. überschritten wären (vgl. hierzu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 131).
VI. Die streitgegenständlichen AVE sind ebenso wenig wegen Verletzung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften unwirksam. Die AVE sind weder an Art. 80 Abs. 1 GG noch am Maßstab des § 24 VwVfG zu messen. Anderweitige Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzung der AVE VTV 2012 nach dem TVG bzw. der TVG-DVO bestehen nicht (dazu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 133 bis 137).
1. Die aufgrund des Einspruchs des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 13. August 2014 gegen die beantragte AVE VTV 2013 II erforderliche Zustimmung der Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 3 TVG wurde erteilt. Bezüglich der AVE VTV 2013 I war eine Zustimmung der Bundesregierung nicht erforderlich, da gegen den diesbezüglichen Antrag kein Einspruch eingelegt wurde.
2. Zweifel an der Wirksamkeit wegen Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften bestehen gegen die AVE VTV 2013 II, weil weder die AVE selbst noch eine Verfügung zu ihrer Bekanntmachung in den dem Gericht überlassenen kopierten Verfahrensakten enthalten sind. Ob dies einen zur Unwirksamkeit der AVE VTV 2013 II führenden Verfahrensfehler darstellt und ob dieser ggf. durch die vom Referatsleiter B am 13. März 2014 unterschriebene Bekanntmachung der Berichtigung der Bekanntmachung über die AVE VTV 2013 II geheilt wurde, kann jedoch dahinstehen. Die AVE VTV 2013 II ist jedenfalls deshalb unwirksam, weil die 50 %-Quote des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF nicht erfüllt ist (dazu VII.).
VII. Die AVE VTV 2013 I und die AVE VTV 2013 II sind unwirksam, weil nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF; sog. 50 %-Quote).
1. Die AVE eines Tarifvertrags durfte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG in der hier maßgeblichen Fassung nur erfolgen, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 vH der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Zur Feststellung der Einhaltung dieser 50 %-Quote war dabei zunächst die Große Zahl zu ermitteln, dh. die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, unabhängig davon, ob eine Tarifbindung vorliegt oder nicht.
a) Für die Ermittlung der Großen Zahl kommt es darauf an, wie viele Arbeitnehmer insgesamt unter den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags fallen. Maßgeblich ist dabei der Begriff des Geltungsbereichs, wie er im TVG auch an anderer Stelle (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) verwendet wird. Ist der Geltungsbereich im Tarifvertrag selbst beschränkt, beispielsweise durch Ausnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV, sind in solchen Betrieben beschäftigte Arbeitnehmer nicht bei der Ermittlung der Großen Zahl zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Großen Zahl ist es entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2. bis 6. und des Landesarbeitsgerichts im angegriffenen Beschluss unerheblich, ob die AVE mit Einschränkungen hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs ergangen ist. Vielmehr ist auch im Fall eines bereits eingeschränkten Antrags auf AVE oder einer Einschränkung der AVE ohne Antrag durch das BMAS auf den tariflichen Geltungsbereich abzustellen. Dies ergibt eine Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF (dazu im Einzelnen BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 186 bis 200).
b) Die im vorliegenden Verfahren von den Beteiligten zu 3., 4. und 6. insoweit gegen den Beschluss des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 –) erhobenen Einwendungen sind nicht überzeugend.
aa) Wie bereits im Senatsbeschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR33/15 – Rn. 189) ausgeführt, deutet schon der Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF darauf hin, dass bei der Ermittlung der Großen Zahl die Große Einschränkungsklausel nicht zu berücksichtigen ist. Der in dieser Norm angesprochene „Geltungsbereich des Tarifvertrags” kann nicht anders verstanden werden als die entsprechende Regelung im Tarifvertrag selbst. In § 1 VTV ist unter der gleichlautenden Überschrift dessen „Geltungsbereich” geregelt, ohne dass dort die Große Einschränkungsklausel, die allein Gegenstand der AVE ist und außerhalb des Tarifvertrags steht, Erwähnung findet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff „Geltungsbereich des Tarifvertrags” etwas anderes gemeint haben könnte als üblicherweise in den Tarifverträgen geregelt wird.
bb) Anders als vom Beteiligten zu 3. offenbar angenommen, besteht der Zweck der 50 %-Quote nicht allein in der Verhinderung einer Majorisierung durch eine Minderheit. Die Regelung soll vielmehr darüber hinaus sicherstellen, dass nur Tarifverträge, die in ihrem von den Tarifvertragsparteien selbst gewählten örtlichen, fachlichen und persönlichen Verbreitungsgebiet repräsentativ sind, Gegenstand einer AVE sein können. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn auf den Geltungsbereich des Tarifvertrags ohne Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel abgestellt wird.
cc) Wie der Beteiligte zu 3. im Übrigen zutreffend ausführt, bewirkt eine Einschränkung der AVE von Tarifverträgen, „dass die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse gerade nicht erfassen, obwohl sie unter den Geltungsbereich fallen.” Die weiteren Ausführungen des Beteiligten zu 3., dass durch die Große Einschränkungsklausel der „Anwendungsbereich” des Tarifvertrags eingeschränkt werde, sind in diesem Zusammenhang ohne Belang und führen zu einer unzutreffenden Begriffsverschiebung. Sie berücksichtigen nicht, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF gerade auf den „Geltungsbereich” und nicht den „Anwendungsbereich” des Tarifvertrags abstellt.
dd) Dass es, anders als vom Beteiligten zu 3. erneut vorgetragen, im Hinblick auf Nachbindung und Nachwirkung eines Tarifvertrags durchaus von tarifrechtlicher Relevanz ist, ob schon dessen Geltungsbereich beschränkt ist oder ob sein „Anwendungsbereich” durch eine Einschränkungsklausel bei der AVE begrenzt wird, hat der Senat bereits ausgeführt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 197). Die Beteiligten zu 4. bis 6. hätten im Übrigen bei Abschluss des Tarifvertrags den Geltungsbereich des VTV beschränken können, wie es in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV für Teilbereiche geschehen ist, statt in den AVE-Antrag eine Große Einschränkungsklausel aufzunehmen. Davon haben sie aber offenbar deshalb abgesehen, um dem VTV einen möglichst großen Geltungsbereich zu geben.
ee) Die Beteiligte zu 6. nimmt zu Unrecht an, dass nur bei Berücksichtigung der eingeschränkten AVE die Frage beantwortet werden könne, ob es sich im Hinblick auf den Geltungsbereich, für den die Erstreckung beantragt wurde, um einen repräsentativen Tarifvertrag handelt. Maßgebliches Kriterium bei der Betrachtung ist vielmehr die Repräsentativität des Tarifvertrags selbst. Dabei hat die Große Einschränkungsklausel außer Betracht zu bleiben. Anderenfalls könnte ein nicht repräsentativer Tarifvertrag mit einem weiten Geltungsbereich und wenig tarifgebundenen Arbeitnehmern in einem durch eine Einschränkungsklausel gezielt zurechtgeschnittenen Teilbereich dennoch für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies würde dem Erfordernis der Repräsentativität des (gesamten) Tarifvertrags aber nicht gerecht.
ff) Soweit die Beteiligte zu 6. eine angeblich „ständige, unbeanstandete Verwaltungspraxis, die Große Zahl stets unter Berücksichtigung der beantragten Einschränkungen zu bestimmen”, hervorhebt, ist dieses unbeachtlich. Eine ständige unbeanstandete Staatspraxis kann von Bedeutung sein, wenn die Nichtigkeit einer Norm (allein) auf Verfahrensfehlern im Normsetzungsverfahren beruhen würde, nicht aber bei inhaltlichen Fehlern (vgl. BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 91, 148). Bloße Mängel im Verfahren der Zahlenermittlung, als dessen Ergebnis der Beteiligte zu 2. „zufällig” doch eine zutreffende Quote ermittelt hätte, wären gegebenenfalls ohne Bedeutung, weil insoweit nur das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens zu beurteilen ist. Die Frage der Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Bestimmung der Großen Zahl ist aber keine Frage des Verfahrens „bei” Erlass der AVE, sondern betrifft die inhaltlichen Tatbestandsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF „für” ihren Erlass. Entscheidend ist, ob die vom gesetzlichen Tatbestand verlangten materiellen Voraussetzungen für die AVE vorliegen oder nicht. Das Fehlen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die AVE kann auch nicht nach der herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter Berufung auf eine „ständige unbeanstandete Staatspraxis” ausgeglichen werden.
gg) Der Auffassung der Beteiligten zu 6., die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE wegen Nichterreichens der 50 %-Quote sei unverhältnismäßig, ist nicht zu folgen. Sie geht unzutreffend davon aus, dass wegen vielfältiger Belange Betroffener die Wirksamkeit der AVE VTV 2013 I und der AVE VTV 2013 II generell nicht infrage gestellt werden dürfe und vermengt unzulässig Fragen des öffentlichen Interesses gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF mit der erforderlichen 50 %-Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF. Der Senat hat – anders als die Ausführungen der Beteiligten zu 6. offenbar glauben machen sollen – in seinem Beschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 –) auch nicht den VTV kritisiert oder das Instrument der AVE als solches infrage gestellt, sondern lediglich verlangt, dass die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine AVE eingehalten werden.
hh) Soweit sich die Beteiligte zu 6. auf „historische Betrachtungen” bezieht, rechtfertigen diese keine andere Beurteilung. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 189) ausgeführt, dass die in der Begründung zu Art. 5 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vertretene Auffassung, bereits bisher sei bei der Ermittlung der 50 %-Quote berücksichtigt worden, „wenn der besondere Geltungsbefehl der Allgemeinverbindlicherklärung nur für einen Teil des Geltungsbereichs erfolgt” (BT-Drs. 18/1558 S. 48), unzutreffend ist. Tatsächlich hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit stets – entsprechend der Formulierung in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF – auf den „Geltungsbereich des Tarifvertrags” abgestellt. Eine Einschränkung der AVE hat das Bundesarbeitsgericht nie als maßgeblich für die Ermittlung der Großen Zahl angesehen. Den Ausführungen des Senats zur Entstehungsgeschichte von § 5 TVG (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 199) stellt die Beteiligte zu 6. keine substantiierten Einwendungen entgegen.
2. Der Beteiligte zu 2. ist bei der Bestimmung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF von einer falschen Schätzgrundlage für die Bestimmung der Großen Zahl ausgegangen.
a) Für die Bestimmung der Großen Zahl müssen die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, zugrunde gelegt werden. Der Beteiligte zu 2. hat jedoch vor der AVE nicht ermittelt, wie viele Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des VTV fallen. Er hat vielmehr die Zahlen des Beteiligten zu 3. übernommen, aus denen sich nur ergibt, wie viele Arbeitnehmer im Geltungsbereich des VTV unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel zur AVE beschäftigt werden. Dies folgt aus dem Inhalt der Verfahrensakte. Der Beteiligte zu 2. hat in den die AVE VTV 2013 I und die AVE VTV 2013 II vorbereitenden Vermerken mehrfach darauf Bezug genommen, dass die Statistik der ULAK die Zahl der in den Geltungsbereich des VTV unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel fallenden Beschäftigten mit Abstand am genauesten abbilde und sich die Große Zahl unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel ergebe. Auch die Beteiligten des Verfahrens gehen davon aus, dass der Beteiligte zu 3. nur Betriebe unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel erfasst (und dies – so die Beteiligten zu 2. bis 6. – auch rechtlich die zutreffende Zahl sei).
b) Die Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Ermittlung der Großen Zahl macht die vom Beteiligten zu 2. verwendete Schätzgrundlage unbrauchbar. Sie führt dazu, dass die Große Zahl (alle Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrags) systematisch zu klein ist, wodurch die hierdurch bestimmte Quote (der Anteil der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer) generell zu hoch bewertet wird. Denn anders als bei einer Einschränkung des Geltungsbereichs im Tarifvertrag selbst – wie in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV – wirkt sich die Große Einschränkungsklausel nicht auf die Zahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer (Kleine Zahl) aus.
c) Bei der durch die Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel eintretenden Veränderung der nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF zu ermittelnden Quote handelt es sich nicht um einen vernachlässigbaren Effekt. Die Große Einschränkungsklausel hat, wie ihr Name zutreffend verdeutlicht, einen bedeutenden Umfang. Sie umfasst einschließlich der Anhänge mehrere Druckseiten und betrifft ganz unterschiedliche Fallgestaltungen. Wesentliche Handwerks- und Industriebereiche werden – insbesondere soweit anderweitige Tarifgebundenheit besteht – von der AVE ausgenommen. Dies lässt schon nach Umfang und Vielgestaltigkeit der Regelung nicht die Annahme zu, dass die Nichtberücksichtigung von Arbeitnehmern, die unter die Große Einschränkungsklausel fallen, nur eine kleine Gruppe betrifft und unbedeutend wäre. Die Große Einschränkungsklausel ist ausgesprochen differenziert und verschachtelt formuliert, sodass es nicht möglich ist, einen gegebenenfalls statistisch leicht erfassbaren Bereich zu benennen, um damit unter Zuhilfenahme anderweitigen zum Zeitpunkt der Entscheidungen über die AVE vorhandenen Datenmaterials eine Hochrechnung der vom Beteiligten zu 3. angegebenen Arbeitnehmerzahlen auf den rechtlich zutreffenden „Geltungsbereich des VTV” vorzunehmen. Die Angaben des Beteiligten zu 3. zur Großen Zahl sind damit offensichtlich keine geeignete Grundlage für die vorzunehmende Schätzung der Großen Zahl und somit auch nicht für die Prüfung der 50 %-Quote.
3. Eine weitere Sachaufklärung zur Ermittlung der 50 %-Quote ist nicht geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass anderes geeignetes statistisches Material zum Zeitpunkt der AVE objektiv vorlag, auf dessen Grundlage das Erreichen der 50 %-Quote hätte festgestellt werden können.
a) Maßstab für die gerichtliche Kontrolle sind allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen 16. November 2012 – 4 A 46/11 – zu II 1 a der Gründe mwN). Eine nachträgliche Erhebung oder statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung verwendbar zu machen, scheidet aus. Von der Behörde kann nicht verlangt werden, im Rahmen der ihr auferlegten und zukommenden sorgfältigen Prüfung auch Daten zu berücksichtigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden und verfügbar sind. Bei der gerichtlichen Überprüfung ist kein anderer Zeitpunkt zugrunde zu legen als bei der zu überprüfenden Entscheidung. Dies ist der Zeitpunkt des Erlasses der AVE. Bei einer Berücksichtigung erst später vorliegender Daten zu den Verhältnissen im Entscheidungszeitpunkt könnte es sonst von Zufälligkeiten wie dem Zeitpunkt der Einleitung und der Dauer eines Verfahrens nach § 98 ArbGG abhängen, ob die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer AVE festgestellt wird. Damit können für die Bestimmung der Großen Zahl und einer etwaigen Korrektur der sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebenden Fehler nur zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung objektiv zur Verfügung stehende und bereits verwertbare Informationen berücksichtigt werden.
b) Zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung gab es keine anderen verwertbaren Daten, aus denen man die Große Zahl zutreffend hätte ableiten oder die zumindest Grundlage für eine einigermaßen sichere, qualifizierte Schätzung hätten sein können. Weder die Zahlen des Statistischen Bundesamts, der Bundesagentur für Arbeit, der Berufsgenossenschaft Bau, der Deutschen Rentenversicherung, der Handwerkszählung oder anderer von den Beteiligten genannten Stellen sind geeignet, als Grundlage einer Schätzung für die Große Zahl iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF zu dienen. Die Zahlenwerke anderer datenerhebender Stellen treffen keine Aussagen zu der sehr speziellen Frage der von der Großen Einschränkungsklausel erfassten Betriebe und Beschäftigten sowie ihrer Auswirkung auf die vom Beteiligten zu 3. mitgeteilten Zahlen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 208 bis 217) Bezug genommen, der eine entsprechende Konstellation betrifft.
c) Angesichts der vorstehenden Ausführungen muss nicht weiter darauf eingegangen werden, dass der Beteiligte zu 2. hinsichtlich der Großen Zahl nicht den Beteiligten zu 3. – als von ihm angenommene geeignete Auskunftsstelle – unmittelbar um Mitteilung der Beschäftigtenzahlen gebeten, sondern die von den Beteiligten zu 4. bis 6. weitergegebenen Zahlen seiner Betrachtung zugrunde gelegt hat. Allerdings wäre es unter Berücksichtigung des Gebots der Objektivität und Genauigkeit durchaus naheliegend, für die Entscheidung über eine AVE erforderliche Daten unmittelbar bei der datenerhebenden Stelle abzufragen und sich nicht auf eine Informationsvermittlung der die AVE beantragenden Beteiligten zu verlassen. Möglicherweise hätte so auch die unterbliebene Meldung der weiteren knapp 27.000 Beschäftigten berücksichtigt werden können, die vom Beteiligten zu 3. bei der Berechnung der Großen Zahl als berücksichtigungsbedürftig angesehen wurden.
d) Soweit sich der Beteiligte zu 3. nunmehr im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf beruft, auch ohne Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Bestimmung der Großen Zahl ergebe sich eine Quote von über 50 % iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF, ist dies unbeachtlich.
aa) Die vom Beteiligten zu 3. in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 erstmals mitgeteilte Große Zahl ohne Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel und die daraus resultierende Quote stellen keine zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen dar. Es handelt sich vielmehr um eine nachträgliche statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung verwendbar zu machen. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 206) darauf hingewiesen, dass dies schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil es sonst von Zufälligkeiten wie dem Zeitpunkt der Einleitung und der Dauer eines Verfahrens nach § 98 ArbGG abhängen würde, ob die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer AVE festgestellt wird.
bb) Der Vortrag des Beteiligten zu 3. im Rechtsbeschwerdeverfahren, er habe über diese Zahlen schon zum Zeitpunkt der AVE-Antragstellung verfügt, steht im offenen Widerspruch zu seinen Ausführungen in mehreren Anhörungsrügeverfahren betreffend die Beschlüsse des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – und – 10 ABR 48/15 –). Dort hat er eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, wonach Mitarbeiter erst ab dem 22. September 2016 mit der nachträglichen Auswertung von Akten beauftragt worden seien, diese aber auch Mitte Dezember 2016 noch nicht abgeschlossen gewesen sei (vgl. dazu BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 81/16 (F) – Rn. 14). Auch im vorliegenden Verfahren gibt der Beteiligte zu 3. in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 auf Seite 12 selbst an, dass das Zahlenwerk erst nach den Beschlüssen vom 21. September 2016 erstellt worden sei. Es ist damit nach dem Vortrag des Beteiligten zu 3. weder erkennbar, dass zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Beteiligten zu 2. im Mai und Oktober 2013 über die streitgegenständlichen AVE die nunmehr vorgetragenen Zahlen – unabhängig von deren Bewertung – beim Beteiligten zu 2. in verwertbarer und verwendbarer Form vorgelegen haben, noch hat der Beteiligte zu 2. diese vor der Entscheidung bei den tarifvertragschließenden Parteien oder beim Beteiligten zu 3. angefordert. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob die weiteren Ausführungen des Beteiligten zu 3. in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 zur Herleitung der Großen Zahl schlüssig oder wenigstens plausibel sind.
4. Im Hinblick auf die Ausführungen zur Großen Zahl kann dahinstehen, ob die Kleine Zahl zutreffend ermittelt wurde und ob die von den Beteiligten zu 4. und 5. an den Beteiligten zu 2. übermittelten Zahlen zumindest eine Plausibilitätskontrolle erforderlich gemacht und ob sie einer solchen standgehalten hätten (vgl. hierzu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 209 ff., betreffend die AVE VTV 2014).
5. Da die verwendeten Daten des Beteiligten zu 2. als Schätzgrundlage ungeeignet sind und keine geeigneten anderen zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE vorhandenen und verwertbaren Daten zur Verfügung standen, andererseits aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF positiv feststehen muss, hätten die streitgegenständlichen AVE nicht erfolgen dürfen. Auf Antrag der Beteiligten zu 7., 14., 17. bis 25. und 27. ist deshalb unter teilweiser Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg festzustellen, dass die AVE VTV 2013 I unwirksam ist. Weiter ist auf Antrag der Beteiligten zu 7., 14., 17. bis 20., 23. bis 25. und 27. unter teilweiser Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg festzustellen, dass die AVE VTV 2013 II unwirksam ist.
VIII. Die AVE VTV 2013 I ist darüber hinaus unwirksam, weil sich die zuständige Ministerin damit nicht vor deren Erlass befasst hat. Die AVE VTV 2013 II ist dagegen hinreichend demokratisch legitimiert.
1. Da es sich bei der AVE eines Tarifvertrags um einen Akt der exekutiven Normsetzung handelt, muss sich der zuständige Minister oder der zuständige Staatssekretär persönlich in einer Weise damit befasst haben, die aktenkundig verdeutlicht, dass er die beabsichtigte AVE billigt. Dies folgt aus den Grundsätzen des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG, ohne dass dem eine abweichende ständige, unbeanstandete Verwaltungspraxis des Beteiligten zu 2. entgegenstünde (– 10 ABR 33/15 – Rn. 139 bis 181).
2. Danach erweist sich die AVE VTV 2013 I auch deshalb als unwirksam, weil sich weder die zuständige Ministerin Dr. von der Leyen noch ihr Staatssekretär damit in einer Weise befasst hat, die aktenkundig verdeutlicht, dass sie die beabsichtigte AVE VTV 2013 I billigen. Die Ministeriumsakte des Beteiligten zu 2. beinhaltet lediglich eine Verfügung vom 29. Mai 2013, die durch den damaligen Referatsleiter des Beteiligten zu 2., Herrn B, am 29. Mai 2013 „im Auftrag” unterzeichnet wurde. Eine zustimmende Befassung der zuständigen Ministerin Dr. von der Leyen oder ihres Vertreters im Amt mit der AVE VTV 2013 I ist nicht aktenkundig. Zweifel an der Vollständigkeit der Akte bestehen insoweit nicht, zumal auch der Beteiligte zu 2. nicht vorgetragen hat, die Ministerin oder ihr Vertreter im Amt hätten sich mit der AVE VTV 2013 I befasst, ohne dass dies Eingang in die Akten gefunden habe. Auf die gegen das Erfordernis der aktenkundigen Dokumentation der Ministerbefassung (dazu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 165 bis 169) geäußerten Bedenken des Beteiligten zu 2. kommt es daher nicht an.
a) Das Demokratieprinzip verlangt für die Ausübung von Staatsgewalt bei Entscheidungen von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrags jedenfalls, dass die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gesichert ist (sog. Verantwortungsgrenze; BVerfG 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 93, 37). Damit ist entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 6. keineswegs die Forderung verbunden, der Minister oder der Staatssekretär müsse ausnahmslos bei allen hoheitlichen Entscheidungen persönlich tätig werden. Die AVE als Normsetzungsakt ist jedoch eine Entscheidung von besonderer Bedeutung, weil die Normsetzung grundsätzlich der Legislative vorbehalten ist. Soweit ausnahmsweise die Exekutive damit betraut ist, handelt es sich um einen Sonderfall, der die herausgehobene Bedeutung der Maßnahme für die Behörde unterstreicht (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 156). Hiervon ausgehend hat der Senat der AVE als Normsetzungsakt eine besondere Bedeutung innerhalb der verschiedenen Exekutivhandlungen beigemessen, weshalb die AVE unabhängig vom Inhalt des erstreckten Tarifvertrags einer besonderen Legitimation bedarf. Der Beteiligte zu 2. lässt bei seiner Kritik an der Senatsrechtsprechung das Zusammenspiel von eingeschränkter Überprüfung der Entscheidung über das öffentliche Interesse an der AVE und dem Erfordernis der Ministerbefassung außer Acht. Das Bestehen eines öffentlichen Interesses an der AVE als Normsetzungsakt ist nur deshalb einer lediglich eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich, weil zugleich ein hohes Legitimationsniveau bei Erlass der AVE verlangt wird. Diese kurze Legitimationskette rechtfertigt die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten.
b) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2. hat die AVE eines Tarifvertrags nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG aF auch dann besondere Bedeutung, wenn es sich „nur” um einen Änderungstarifvertrag zu einem bereits für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag handelt, weil selbst bei einer nur geringfügigen Änderung eines bereits für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags die – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 157) – Frage des öffentlichen Interesses erneut für den gesamten Tarifvertrag in der Fassung des jeweiligen Änderungstarifvertrags geprüft werden muss.
c) Soweit der Beteiligte zu 2. die besondere Bedeutung einer AVE zu relativieren versucht, indem er sie als Normvollzug qualifiziert, übersieht er, dass das Bundesverfassungsgericht den Normsetzungscharakter der AVE ausdrücklich hervorgehoben und daraus insbesondere das unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips bestehende Erfordernis einer eigenverantwortlichen Prüfung des Bundesministers (nach aktueller Terminologie des Bundesministeriums) hergeleitet hat (BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 44, 322). Diesen Umstand blendet der Beteiligte zu 2. auch bei seiner Argumentation aus, wonach der – die gerichtliche Kontrolle exekutiver Akte betreffende – Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 1994 (– 2 BvL 8/88 – BVerfGE 91, 367; Gruppenprinzip bei Personalratswahl) für das Erfordernis der Ministerbefassung nichts hergebe. Dass eine zustimmende Ministerbefassung die förmliche Zeichnung durch den Minister nicht erfordert, hat der Senat bereits klargestellt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 164).
d) Der Umstand, dass der Beteiligte zu 2. das einfachrechtlich nicht näher bestimmte Verfahren der Normsetzung kraft der ihm zukommenden Organisationsgewalt innerbehördlich geregelt hat, entbindet die Gerichte nicht von der Verpflichtung zu überprüfen, ob diese Regelungen den Anforderungen des Demokratieprinzips genügen. Damit wird entgegen der vom Beteiligten zu 2. geäußerten Befürchtung nicht in dessen Organisationsgewalt eingegriffen, vom Gericht wird vielmehr lediglich überprüft, ob der Normsetzungsakt AVE mit höherrangigem Recht im Einklang steht.
e) Die vom Beteiligten zu 2. erneut angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1994 (BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – BVerfGE 91, 148) hat der Senat in seinen Beschlüssen vom 21. September 2016 bereits eingehend berücksichtigt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 173 ff.). Der Beteiligte zu 2. beachtet bei seinem weiteren Vorbringen nicht, dass die Staatspraxis Gegenstand und nicht Maßstab der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Akten der öffentlichen Gewalt ist. Die Staatspraxis kann nicht die eindeutigen oder durch Auslegung ermittelten Anforderungen einer Verfassungsnorm verdrängen (so ausdrücklich BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – zu B II 2 a cc (1) der Gründe, BVerfGE 91, 148). Ebenso lässt der Beteiligte zu 2. außer Acht, dass es bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE im Verfahren nach § 98 ArbGG nicht um die Kontrolle ministerieller Organisationsakte geht, sondern um die Kontrolle ausgeübter Staatsgewalt durch Normsetzung. Dabei ist der Beteiligte zu 2. – anders als die Bundesregierung in dem vom Bundesverfassungsgericht am 11. Oktober 1994 entschiedenen Verfahren (– 1 BvR 337/92 –) – bei der AVE von Tarifverträgen nicht gemäß einer ständigen, unbeanstandeten Staatspraxis verfahren. Dies hat der Senat im Beschluss vom 21. September 2016 im Einzelnen dargelegt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 173 bis 178). Der erneute Hinweis des Beteiligten zu 2. auf die angeblich mangelnde Evidenz des Verfahrensfehlers verfängt deshalb ebenso wenig wie der Einwand der Beteiligten zu 3., 4. und 6., sie hätten auf die Rechtmäßigkeit der jahrzehntelang geübten Praxis des Beteiligten zu 2. vertraut (vgl. dazu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 173 bis 184) und es habe sich die Praxis im Baugewerbe auf die Wirksamkeit der AVE eingestellt.
f) Dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Mai 1977 (– 2 BvL 11/74 –) das Vorliegen einer zustimmenden Ministerbefassung nicht geprüft hat, macht diese entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2. nicht entbehrlich. Der Entscheidung kann weder entnommen werden, ob die Ministerbefassung im dortigen Verfahren problematisiert wurde, noch ist erkennbar, ob dem Bundesverfassungsgericht die Ministeriumsakten vorlagen. Allein aus dem Schweigen der Entscheidung zur Frage der Ministerbefassung kann deshalb nicht auf deren Entbehrlichkeit geschlossen werden. Der Beteiligte zu 2. blendet bei seiner Argumentation überdies aus, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich durch den Erlass der Regelungen in §§ 3 ff. AEntG die Gleichwertigkeit der Normsetzung durch Rechtsverordnung und AVE bestätigt hat (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 158), weshalb auch die Befassung des Ministers mit dem jeweiligen Normsetzungsakt jedenfalls im Grundsatz gleichwertig sein muss.
g) Schließlich hat der Beteiligte zu 2. die Ausführungen des Senats zur aktenkundigen Dokumentation einer Ministerbefassung offensichtlich falsch verstanden (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 165 ff.). Der Senat hat nicht angenommen, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot ergebe sich bereits aus der mangelnden Dokumentation. Er hat vielmehr, wie der Beteiligte zu 2. an anderer Stelle zutreffend darlegt, ausgeführt, dass es nach Aktenlage keine Ministerbefassung gegeben habe. Da der Beteiligte zu 2. eine solche auch nicht behauptet hat, ist der Senat insoweit gerade von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Akten ausgegangen.
3. Die AVE VTV 2013 II erweist sich allerdings nicht wegen fehlender Befassung der zuständigen Ministerin bzw. des zuständigen Staatssekretärs mit der AVE als unwirksam. Vor Normerlass hat sich die zuständige Ministerin Dr. Ursula von der Leyen in ausreichender Form mit dieser AVE befasst und sie in ihren Willen aufgenommen. Aufgrund des Einspruchs des Freistaats Sachsen gegen die beabsichtigte AVE hat sich die Abteilung III des Beteiligten zu 2. nach der Sitzung des Tarifausschusses, in der dieser seine Zustimmung zu der von den Tarifvertragsparteien beantragten AVE VTV 2013 II erklärt hatte, mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 an Frau Ministerin Dr. von der Leyen gewandt und ihr den Sachverhalt geschildert. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Voraussetzungen für eine AVE nach § 5 Abs. 1 TVG aF – insbesondere das erforderliche öffentliche Interesse – vorlägen. Frau Ministerin Dr. von der Leyen hat daraufhin durch ihren Staatssekretär ein Schreiben vom 11. Oktober 2013 an die Bundesregierung richten lassen, um deren nach § 5 Abs. 3 TVG erforderliche Zustimmung einzuholen. Damit ist aktenkundig, dass sich die Ministerin mit der AVE VTV 2013 II zustimmend befasst hat. Die Bundesregierung hat die nach § 5 Abs. 3 TVG erforderliche Zustimmung in der Kabinettssitzung vom 16. Oktober 2013 erteilt.
IX. Der Beteiligte zu 2. hat gemäß § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG die Entscheidungsformeln zu 1. und 2. dieses Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt zu machen.
C. Im vorliegenden Verfahren werden Kosten nicht erhoben, § 2 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Brune, D. Schumann, Frese
Fundstellen