Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeinverbindlicherklärung. Wirksamkeit. Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV)
Orientierungssatz
1. Die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 (AVE VTV 2012) ist unwirksam, weil nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben.
2. Da sich der zuständige Staatssekretär mit der AVE VTV 2012 vor deren Erlass zustimmend befasst hat, erweist sich die streitgegenständliche AVE nicht zusätzlich noch unter diesem Gesichtspunkt als unwirksam.
Normenkette
GG Art. 20, 80 Abs. 1; ArbGG (in der ab 16. August 2014 geltenden Fassung) § 2a Abs. 1 Nr. 5, §§ 83, 97 Abs. 5, § 98; TVG § 5 Fassung: 2014-08-15
Verfahrensgang
LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 09.07.2015; Aktenzeichen 3 BVL 5003/14) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juli 2015 – 3 BVL 5003/14 – aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 unwirksam ist.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 (AVE VTV 2012).
Die Beteiligte zu 6. – die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) – einerseits sowie der Beteiligte zu 4. – der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. (ZDB) – und der Beteiligte zu 5. – der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB) – andererseits sind Tarifvertragsparteien von Tarifverträgen für das Baugewerbe, ua. des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011. Der VTV regelt die Durchführung des in weiteren Tarifverträgen festgelegten Urlaubskassenverfahrens, der zusätzlichen Altersversorgung und der Berufsbildung im Baugewerbe.
Der Beteiligte zu 3. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit Rechtsfähigkeit aufgrund staatlicher Verleihung. Er ist die gemeinsame Einzugsstelle für die im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren zu zahlenden tariflich festgelegten Beiträge. Darüber hinaus zieht er bei Arbeitgebern mit Sitz in den alten Bundesländern die Beiträge der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK) sowie die Beiträge der regionalen Kassen in Bayern und Berlin ein.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 beantragte die Beteiligte zu 6. zugleich namens und in Vollmacht der Beteiligten zu 4. und 5. bei dem Beteiligten zu 2., dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), den VTV vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 mit Einschränkungen beim betrieblichen Geltungsbereich (sog. Große Einschränkungsklausel) mit Wirkung zum 1. Januar 2012 für allgemeinverbindlich zu erklären.
Dabei führte die Beteiligte zu 6. mit Ergänzungen aus einem Schreiben vom 14. Februar 2012 insbesondere aus, dass – beruhend auf Erhebungen des Beteiligten zu 3. einerseits und der Beteiligten zu 4. und 5. andererseits – zum Stichtag 30. September 2011 in den Mitgliedsbetrieben der tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbände 431.159 Arbeitnehmer (331.547 gewerbliche Arbeitnehmer, 75.186 Angestellte und 24.426 Auszubildende) beschäftigt gewesen seien (sog. Kleine Zahl). In den vom Beteiligten zu 3. erfassten Betrieben seien zum Stichtag 30. September 2011 653.466 Arbeitnehmer (519.738 gewerbliche Arbeitnehmer, 100.237 Angestellte sowie 33.491 Auszubildende) beschäftigt gewesen (sog. Große Zahl).
Tatsächlich hatte der Beteiligte zu 3. 101.237 von ihm erfasste Angestellte – also 1.000 mehr – an die Tarifvertragsparteien gemeldet. Ferner meldete der Beteiligte zu 3. ihnen weitere 25.895 gewerbliche Arbeitnehmer in von ihm erfassten Betrieben, für die bereits ein Beitragskonto eingerichtet, die Baubetriebseigenschaft jedoch noch streitig war. Die Nennung in der Antragstellung unterblieb versehentlich.
Der Antrag wurde an die obersten Arbeitsbehörden der Länder zur Stellungnahme übermittelt und ebenso wie der Termin für die Verhandlung des Tarifausschusses im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Mit Schreiben vom 27. Januar 2012 legte das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr gemäß § 5 Abs. 3 TVG Einspruch gegen die beantragte AVE ein.
In einem Vermerk vom 17. Februar 2012 prüften zwei Mitarbeiter des Referats IIIa6 des BMAS das Vorliegen der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG in der bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung (künftig TVG aF). Dabei stellten sie zunächst fest, dass die AVE nur mit Einschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs, wie sie sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebe, ergehen solle. Zur Ermittlung der Großen Zahl seien die verfügbaren Erkenntnismittel wie die Daten des Beteiligten zu 3., der Bundesagentur für Arbeit, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auszuwerten. Für die Kleine Zahl zogen sie die von den Beteiligten zu 4. und 5. ermittelte und im Antrag auf AVE mitgeteilte Zahl von 431.159 Arbeitnehmern heran. Es bestünden keine Gründe, an dieser Zahl zu zweifeln. Auf dieser Grundlage errechneten die Referatsmitarbeiter die folgenden Quoten:
Datenquelle |
Große Zahl |
Kleine Zahl |
Tarifbindung |
ULAK |
653.466 (Stand 30.09.11) |
431.159 (Stand 30.09.11) |
66 % |
BA |
1.054.423 (Stand 30.06.11) |
40,9 % |
StaBU |
721.496 (Stand 30.06.11) |
59,8 % |
ZDH |
– |
– |
In der anschließenden Würdigung bevorzugten sie bezüglich der Großen Zahl die vom Beteiligten zu 3. (ULAK) mitgeteilte Zahl. Allein diese bilde den Geltungsbereich des VTV in der zur Allgemeinverbindlicherklärung beantragten Form unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel ab. Die Zahlen der anderen Datenquellen seien letztlich ungeeignet, da sie keinen Bezug zum Geltungsbereich des VTV hätten.
Am 21. Februar 2012 tagte der Tarifausschuss und befürwortete die beantragte AVE.
Wegen der aufgrund des Einspruchs des Freistaats Sachsen gegen die beantragte AVE nach § 5 Abs. 3 TVG erforderlichen Zustimmung der Bundesregierung wandte sich der Leiter der Abteilung III des BMAS mit Schreiben vom 22. März 2012 an Herrn Staatssekretär H. Eine Kopie des Schreibens ging ua. an Frau Bundesministerin Nahles. In dieser Vorlage wird unter Schilderung des Sachstandes zur beantragten AVE angeregt, mit der Sächsischen Staatskanzlei Kontakt aufzunehmen, um eine Rücknahme des Einspruchs zu erreichen oder – im Falle der Erfolglosigkeit – eine zeitnahe Behandlung des AVE-Antrags im Kabinett durchzuführen. Herr Staatssekretär H zeichnete die Vorlage am 26. März 2012 ab und führte in der Folgezeit ein Telefongespräch mit Herrn Staatssekretär F aus dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, der den Einspruch gegen die beantragte AVE unterzeichnet hatte. Dies wurde dem Abteilungsleiter mit E-Mail der persönlichen Referentin des Staatssekretärs vom 29. März 2012 mitgeteilt. Mit E-Mail vom 11. April 2012 teilte die persönliche Referentin des Staatssekretärs dem Leiter der Abteilung III des BMAS mit, dass Herr Staatssekretär H um die Vorbereitung einer Kabinettvorlage bitte. Sie vermerkte diese Bitte auch auf dem Schreiben vom 22. März 2012. Mit Schreiben vom 12. April 2012 bat das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr darum, seinen Einspruch gegen die beantragte AVE nicht als Einspruch iSd. § 5 Abs. 3 TVG zu werten. Mit einer auf dieses Schreiben gesetzten und von Herrn Staatssekretär H abgezeichneten Verfügung vom 13. April 2012 wurde die Abteilung III des BMAS um weitere Veranlassung gebeten.
In einem Vermerk vom 27. April 2012 prüften zwei Mitarbeiter des Referats IIIa6 des BMAS erneut die Voraussetzungen für den Ausspruch der AVE und führten aus, dass ein öffentliches Interesse an der AVE bestehe.
Auf Grundlage einer Verfügung vom 3. Mai 2012 wurde die Bekanntmachung der AVE VTV 2012 für den Beteiligten zu 2. durch den Referatsleiter, Herrn W, am 3. Mai 2012 unterzeichnet und mit Wirkung ab 1. Januar 2012 am 22. Mai 2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Am 17. Dezember 2012 wurde der VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 mit Wirkung ab 1. Januar 2013 geändert. Die geänderte Fassung des VTV wurde durch AVE vom 29. Mai 2013 (BAnz AT 7. Juni 2013 B5) rückwirkend zum 1. Januar 2013 ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt.
Die Beteiligten zu 7. bis 11., 17., 18. und 24. bis 26. sind natürliche bzw. juristische Personen, die ohne Mitglied in einem der tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbände gewesen zu sein, vom Beteiligten zu 3. auf Beitragszahlungen auch für das Jahr 2012 in Anspruch genommen werden. Die entsprechenden Verfahren sind zum Teil gemäß § 98 Abs. 6 ArbGG ausgesetzt. Die Beteiligte zu 17. wurde ursprünglich nur für Beitragszahlungen bis November 2011 in Anspruch genommen. Mit Mahnbescheid vom 19. August 2016 macht der Beteiligte zu 3. nunmehr auch Ansprüche für den Zeitraum von Dezember 2011 bis November 2012 gegen die Beteiligte zu 17. geltend.
Der Beteiligte zu 16. ist der Bundesinnungsverband der Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Gemäß seiner Satzung hat er die Aufgabe, Tarifverträge abzuschließen, soweit und solange solche nicht durch Innungen oder Innungsverbände für ihren Bereich abgeschlossen werden. Zu den von ihm abgeschlossenen Tarifverträgen gehören ein „Tarifvertrag über ein Mindestentgelt in den Elektrohandwerken” aus dem Jahr 1997 nebst Folgetarifverträgen, ein „Tarifvertrag zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge” aus dem Jahr 2002 sowie ein „Tarifvertrag zur überregionalen Regelung der kollegialen Arbeitnehmerüberlassung” aus den Jahren 2009 und 2010. Vor dem Verwaltungsgericht Berlin (– VG 4 K 253.12 –) führte der Beteiligte zu 16. seit Juli 2012 ein Verfahren mit dem Ziel, die Unwirksamkeit verschiedener AVE des VTV feststellen zu lassen. Dieser Rechtsstreit, der auch die AVE VTV 2012 betraf, wurde nach Inkrafttreten des § 98 ArbGG in der ab dem 16. August 2014 geltenden Fassung durch übereinstimmende Erledigterklärungen beendet.
Die Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. haben die Auffassung vertreten, die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV vom 3. Mai 2012 sei aus formellen und materiellen Gründen unwirksam. Es fehle bereits an der Unterschrift des verantwortlichen Ministers. Die AVE verstoße gegen Grundrechte der Antragsteller und gegen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch sei ihre Vereinbarkeit mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 16 GRC, zweifelhaft, was eine Vorlage an den EuGH erforderlich mache.
Der VTV sei unwirksam, da die Beteiligten zu 4., 5. und 6. nicht tariffähig und/oder tarifzuständig gewesen seien. Insbesondere sei den Beteiligten zu 4. und 5. als Spitzenverbänden die Tariffähigkeit von ihren Mitgliedsverbänden nicht vollständig vermittelt worden. Letztere seien im Übrigen teilweise selbst weder tariffähig noch tarifwillig gewesen.
Die materiellen Voraussetzungen der AVE hätten nicht vorgelegen. Eine Richtigkeitsvermutung für ministerielle Entscheidungen gebe es nicht. Der Beteiligte zu 2. habe zur Ermittlung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF hinsichtlich der Großen Zahl nicht alle greifbaren Quellen ausgeschöpft. Schon deshalb sei der Rechtsakt der Verwaltung nichtig; eine gerichtliche Nachbesserung komme nicht in Betracht. Die Zahlen der ULAK seien materiell unbrauchbar, da sie sich nicht mit dem Geltungsbereich des VTV deckten und von Eigeninteressen geprägt seien. In Wirklichkeit sei zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE eine sehr viel größere Zahl von Beschäftigten unter den Geltungsbereich des VTV gefallen. Dies ergebe sich beispielsweise aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit oder der Berufsgenossenschaft Bau. Die Angaben der Beteiligten zu 4. und 5. zur Kleinen Zahl seien unzutreffend. Diese beruhten teilweise auf Schätzungen, bei denen kein einheitlicher Maßstab angelegt worden sei. Der Beteiligte zu 2. habe nicht einmal eine stichprobenartige Überprüfung vorgenommen.
Das öffentliche Interesse sei lediglich formel- und floskelhaft bejaht und der Beurteilungsspielraum nicht ausgeübt worden. Es habe seitens des Beteiligten zu 2. keine Abwägung der für und gegen eine AVE vorgebrachten Gesichtspunkte gegeben, vielmehr sei lediglich die Empfehlung des Tarifausschusses vollzogen worden. Der Erhalt der tariflichen Einrichtung dürfe nicht im Wege des Zirkelschlusses das öffentliche Interesse an seinem Erhalt begründen. Die herangezogenen Argumente, insbesondere die behauptete erhöhte Fluktuation im Baugewerbe, seien unzutreffend.
Die Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. haben beantragt
festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 gemäß der Bekanntmachung vom 3. Mai 2012, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 22. Mai 2012, unwirksam ist.
Der Beteiligte zu 3. hat beantragt
festzustellen, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 gemäß der Bekanntmachung vom 3. Mai 2012, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 22. Mai 2012, wirksam ist.
Die Beteiligten zu 2. bis 6. haben die Auffassung vertreten, den Antragstellern fehle die Antragsbefugnis, soweit sie geltend machten, nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst zu sein. Im Übrigen sei die angegriffene AVE wirksam. Die Tarifzuständigkeit der Verbände sei nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht Gegenstand des Verfahrens. Ernsthafte Zweifel an deren Vorliegen bestünden im Übrigen nicht.
Bei der gerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit einer AVE sei keine Ermittlung „ins Blaue hinein” vorzunehmen, sondern es sei detaillierter Vortrag der Beteiligten erforderlich, der Zweifel an dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aufkommen lasse. Solcher Vortrag fehle. Im Übrigen habe der Beteiligte zu 2. ordnungsgemäß entschieden. Die Zahlen der ULAK seien die „geborene Erkenntnisquelle” für die Große Zahl. Zusätzlich zu den tarifvertraglich vorgeschriebenen Meldungen ermittle die ULAK auch selbst beitragspflichtige Betriebe und erhalte hierzu Hinweise und Informationen von verschiedenen Institutionen, wie zB dem Zoll. Besondere Bedeutung komme ihrer Funktion als gesetzliche Einzugsstelle für die Winterbeschäftigungsumlage zu. Mit Einrichtung des Beitragskontos werde der Betrieb als Baubetrieb erfasst. Bei der Bestimmung der Großen Zahl seien Einschränkungen der AVE hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs aufgrund von Sinn und Zweck der Quote zu berücksichtigen. Der Beteiligte zu 2. habe die gemeldeten Zahlen einer Plausibilitätskontrolle durch Vergleich mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts unterzogen, die, wenn überhaupt, die einzig heranzuziehenden Zahlen seien. Andere Zahlen seien ungeeignet, da sie weit über den Geltungsbereich des VTV hinausgingen.
Aus der jährlichen Verbandsumfrage zur Beschäftigtenzahl in tarifgebunden Betrieben, die gekoppelt mit der Beitragsveranlagung erhoben werde, ergäben sich zuverlässige Angaben über die Kleine Zahl. Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften seien zwar nicht generell auszuschließen, sie führten aber zu keiner Verfälschung.
Das öffentliche Interesse an der AVE sei mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtung, die sich praktisch bewährt habe, zu Recht bejaht worden. Im Baugewerbe seien weniger als 50 % der Beschäftigten ununterbrochen in einem Kalenderjahr bei einem Arbeitgeber beschäftigt, über 60 % der teilnehmenden Betriebe habe nicht mehr als fünf Beschäftigte. Mit den drei Sozialkassensystemen würden unterschiedliche sozial- und tarifpolitische Zwecke verfolgt. Dies seien zum einen die Portabilität der Urlaubsansprüche, der Ausgleich von Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund unterjähriger Beschäftigung und vorzeitiger Erwerbsminderung und die Bereitstellung einer ausreichenden und qualifizierten Anzahl von Ausbildungsplätzen zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses.
Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge aller damaligen Antragsteller auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE VTV 2012 zurückgewiesen und dem positiven Feststellungsantrag des Beteiligten zu 3. stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. ihr Begehren weiter. Die erstinstanzlichen Beteiligten zu 1. und 12. bis 14. haben keine Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 19. bis 23. hat der Senat mit Beschluss vom 11. April 2016 wegen Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist als unzulässig verworfen. Die Beteiligten zu 15. und 27. haben ihre Rechtsbeschwerden mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2016 zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig und im Rahmen der gegebenen Antragsbefugnis der Antragsteller (dazu I.), begründet. Die Überprüfung der Wirksamkeit der AVE erfolgt im Beschlussverfahren, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (dazu II.). Hiernach verstößt die AVE weder gegen Verfassungsrecht noch die EMRK. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Vereinbarkeit der AVE mit Unionsrecht ist unbeschadet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit nicht geboten (dazu III.). Ebenso wenig kommt eine Aussetzung nach § 97 Abs. 5 ArbGG in Betracht (dazu IV.). Beim Erlass der AVE hat das BMAS das öffentliche Interesse zu Recht bejaht (dazu V.) und keine verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften verletzt (dazu VI.). Der zuständige Staatssekretär hat sich vor Erlass der AVE hiermit in der erforderlichen Weise befasst (dazu VII.). Die AVE vom 3. Mai 2012 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 idF des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 (AVE VTV 2012) ist jedoch unwirksam, weil nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (dazu VIII.). Der Beteiligte zu 2. hat gemäß § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG die Entscheidungsformel dieses Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt zu machen (dazu IX.).
I. Die Antragsteller sind antragsbefugt und haben ein Interesse an den begehrten Feststellungen. Alle am Verfahren zu beteiligenden Vereinigungen oder Stellen sind beteiligt worden.
1. Das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist hinsichtlich der angegriffenen AVE VTV 2012 statthaft. Unschädlich ist, dass diese vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF am 16. August 2014 erlassen wurde und auch vor diesem Zeitpunkt durch den VTV idF vom 17. Dezember 2012, der mit Bekanntmachung vom 29. Mai 2013 rückwirkend ab 1. Januar 2013 ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt wurde, abgelöst wurde (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 36 bis 38).
2. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts ist gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 93 Abs. 2, § 65 ArbGG im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Zur Klarstellung ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gemäß § 98 Abs. 2 ArbGG örtlich zuständig war, da das die AVE erlassende BMAS seinen ersten Dienstsitz in Berlin hat (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 39).
3. Bei dem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG handelt es sich um ein Normenkontrollverfahren, dessen Durchführung eine Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 oder Abs. 6 ArbGG voraussetzt. Das Verfahren kann grundsätzlich auch hinsichtlich bereits außer Kraft getretener AVE oder VO eingeleitet werden, sofern der jeweilige Antragsteller weiterhin ein rechtlich anerkennenswertes Feststellungsinteresse an einer entsprechenden Entscheidung darlegt.
a) Nach § 98 Abs. 1 ArbGG ist antragsbefugt, wer geltend macht, durch die AVE oder die VO oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (dazu im Einzelnen BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 41 bis 52).
b) Hiernach besteht eine Antragsbefugnis der Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. für deren negative Feststellungsanträge ebenso wie eine Antragsbefugnis des Beteiligten zu 3. für dessen positiven Feststellungsantrag.
aa) Eine Antragsbefugnis der Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. ergibt sich aus § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie werden vom Beteiligten zu 3. auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für den Geltungszeitraum der angegriffenen AVE in Anspruch genommen, ohne Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien gewesen zu sein. Die Ablösung der AVE durch eine zeitlich nachfolgende AVE ändert hieran nichts, da die entsprechenden Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Antragsteller im Ausgangsverfahren leugnet, unter den Geltungsbereich des VTV zu fallen. Für eine mögliche Rechtsverletzung ist vielmehr ausreichend, dass er vom Beteiligten zu 3. auf Beitragszahlung in Anspruch genommen wird. Seine rechtlichen Argumente gegen eine Inanspruchnahme werden weder durch § 98 Abs. 1 ArbGG beschränkt noch muss er ein Klageverfahren oder andere drohende Nachteile abwarten, bevor er einen Antrag nach § 98 Abs. 1 ArbGG stellen kann. Dies wird gesetzessystematisch dadurch bestätigt, dass die Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 1 ArbGG gleichrangig neben der nach Abs. 6 steht und nur letztere eine klagweise Inanspruchnahme voraussetzt (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 55).
bb) Der Beteiligte zu 3. ist nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG für seinen positiven Feststellungsantrag antragsbefugt. Mehrere Gerichtsverfahren, in denen er Kläger ist und Beiträge auf Grundlage der angegriffenen AVE VTV 2012 geltend macht, sind nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ausgesetzt.
cc) Der Beteiligte zu 16. hat ein noch bestehendes rechtlich geschütztes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen AVE hinreichend dargelegt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er während der Geltungsdauer der AVE VTV 2012 in seinen Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG eingeschränkt gewesen ist und ihm der Abschluss von Tarifverträgen erschwert wurde. Da er sich noch während des Jahres 2012 gegen die Wirksamkeit der AVE VTV 2012 gewandt hat, muss ihm nach den Grundsätzen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses in analoger Anwendung des Rechtsgedankens aus § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nach der Erledigterklärung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgrund der gesetzlichen Zuständigkeitsänderung eine Beteiligung am Verfahren nach § 98 ArbGG nF möglich sein. Der Umstand, dass der VTV nach den Bestimmungen der Großen Einschränkungsklausel auf Betriebe, die unmittelbar oder mittelbar Mitglied des Beteiligten zu 16. waren, unter bestimmten Umständen überhaupt nicht erstreckt wurde, steht seiner Antragsbefugnis nicht entgegen. Im Rahmen der mit verschiedenen Ausnahmen versehenen Regelung sind Fallgestaltungen denkbar, in denen Mitgliedsbetriebe des Beteiligten zu 16. nicht von der Großen Einschränkungsklausel erfasst werden.
4. Alle nach § 98 Abs. 3, § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligenden Vereinigungen und Stellen sind im vorliegenden Verfahren vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden. Hierzu gehören die Behörde, die den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt hat, die Antragsteller sowie die Tarifvertragsparteien, die den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag abgeschlossen haben (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 77 bis 85).
II. Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer AVE oder einer entsprechenden VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 98 ArbGG sind gemäß § 2a Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren auszutragen. Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforscht das Gericht hierbei den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen, wobei die am Verfahren Beteiligten nach § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Diese Grundsätze gelten gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG entsprechend im Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE oder VO (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 87 bis 93).
III. Die AVE von Tarifverträgen nach § 5 TVG verstößt entgegen der in einigen Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 95 bis 116).
IV. Das Verfahren ist nicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen, da es auf die Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer der tarifvertragschließenden Parteien nicht entscheidungserheblich ankommt (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 118 bis 122).
V. Die AVE VTV 2012 ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden nicht bereits deshalb unwirksam, weil sie nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheint, wie § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF verlangt.
1. Die Entscheidung des Beteiligten zu 2., ein öffentliches Interesse für die AVE anzunehmen, ist nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar, da ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Spiegelbildlich führt diese begrenzte gerichtliche Überprüfbarkeit des Vorliegens eines öffentlichen Interesses zu erhöhten Anforderungen hinsichtlich des Erfordernisses einer demokratischen Legitimation für diese Entscheidung (vgl. dazu unten VII.). Für die streitgegenständliche AVE sprechen mehrere Umstände von erheblichem Gewicht. Nicht tarifgebundenen Arbeitgebern entstehen dadurch keine so großen Nachteile, dass die Entscheidung des Beteiligten zu 2. schlechthin unvertretbar oder unverhältnismäßig und damit das ihm zustehende normative Ermessen bei Rechtssetzungsakten überschritten wäre (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 124 bis 131).
2. Soweit die Beteiligten zu 24. bis 26. hiergegen einwenden, der Beteiligte zu 2. habe das Vorliegen eines öffentlichen Interesses nicht geprüft, sondern nur festgestellt, sodass ein Abwägungsausfall vorliege, verkennen sie, dass etwaige Mängel im Abwägungsvorgang irrelevant wären, da es nur darauf ankommt, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 135). Die weiteren Ausführungen der Beteiligten zu 24. bis 26. geben keinen Anlass zu der Annahme, dass auch im Ergebnis kein öffentliches Interesse an der AVE VTV 2012 besteht. Diesbezüglich unterliegt der (politische) Bewertungsprozess des Beteiligten zu 2. nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Diese eingeschränkte Überprüfung der AVE ist gerechtfertigt, weil zugleich eine zustimmende persönliche Befassung des zuständigen Ministers oder Staatssekretärs erfolgen muss und hierdurch der Normsetzungsakt die gebotene demokratische Legitimation erhält (dazu unten VII.). In einer Gesamtschau kann nicht angenommen werden, dass die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis des Beteiligten zu 2. überschritten wären (vgl. hierzu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 131).
VI. Die AVE VTV 2012 ist ebenso wenig wegen Verletzung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften unwirksam. Die AVE VTV 2012 ist weder an Art. 80 Abs. 1 GG noch am Maßstab des § 24 VwVfG zu messen. Anderweitige Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzung der AVE VTV 2012 nach dem TVG bzw. der TVG-DVO bestehen nicht (dazu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 133 bis 137). Der AVE-Antrag bedurfte insbesondere nicht der Zustimmung der Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 3 TVG. Zwar hat das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr seinen Einspruch gegen die beantragte AVE mit Schreiben vom 12. April 2012 nicht förmlich „zurückgenommen”. In dem Schreiben hat es jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Verfahren nach § 5 Abs. 3 TVG nicht durchgeführt werden sollte.
VII. Der zuständige Staatssekretär hat sich mit der AVE VTV 2012 vor deren Erlass zustimmend befasst, wodurch diese ausreichend demokratisch legitimiert ist.
1. Da es sich bei der AVE eines Tarifvertrags um einen Akt der exekutiven Normsetzung handelt, muss sich der zuständige Minister oder der zuständige Staatssekretär persönlich in einer Weise damit befasst haben, die aktenkundig verdeutlicht, dass er die beabsichtigte AVE billigt. Nur unter dieser Voraussetzung ist es gerechtfertigt, das Bestehen eines öffentlichen Interesses einer nur eingeschränkten Überprüfung zu unterziehen (dazu oben V.). Dies folgt aus den Grundsätzen des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG, ohne dass dem eine abweichende ständige, unbeanstandete Verwaltungspraxis des Beteiligten zu 2. entgegenstünde. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 139 bis 181) Bezug genommen.
2. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die AVE VTV 2012 nicht wegen fehlender Befassung der zuständigen Ministerin bzw. des zuständigen Staatssekretärs mit der AVE als unwirksam. Vor Normerlass erfolgte in ausreichender Form eine Befassung des Staatssekretärs H mit der AVE, die erkennen lässt, dass er die AVE VTV 2012 in seinen Willen aufgenommen hat.
a) Die Bekanntmachung der AVE VTV 2012 vom 3. Mai 2012 ist allerdings weder von Frau Ministerin Dr. von der Leyen noch von Herrn Staatssekretär H selbst, sondern vom Leiter des Referats IIIa6 des Beteiligten zu 2. – Herrn W – unterzeichnet worden. Aufgrund des Einspruchs des Freistaats Sachsen gegen die beabsichtigte AVE hat sich die Abteilung III des Beteiligten zu 2. nach der Sitzung des Tarifausschusses, in welcher dieser seine Zustimmung zu der von den Tarifvertragsparteien beantragten AVE VTV 2012 erklärte, jedoch mit Schreiben vom 22. März 2012 an Staatssekretär H gewandt und ihm den Sachverhalt geschildert. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Voraussetzungen für eine AVE nach § 5 Abs. 1 TVG aF – insbesondere das erforderliche öffentliche Interesse – vorlägen. Um eine AVE zu erlassen, müsse entweder das Sächsische Arbeitsministerium zu einer Rücknahme seines Einspruchs bewegt werden oder eine Kabinettbefassung erfolgen. Das Schreiben trägt das handschriftliche Kürzel des als Adressaten angegebenen Staatssekretärs. Dieser führte in der Folgezeit – durch E-Mail-Korrespondenz aktenkundig gemachte – Telefongespräche mit dem Staatssekretär im Sächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Nachdem zunächst eine Rücknahme des Einspruchs nicht zu erreichen war, bat Staatssekretär H – dokumentiert durch eine weitere E-Mail-Korrespondenz und einen handschriftlichen Vermerk seiner persönlichen Referentin – um die Vorbereitung einer Kabinettvorlage. Hierzu kam es im Ergebnis nicht, da das Sächsische Ministerium seinen Einspruch gegen die beantragte AVE mit Schreiben vom 12. April 2012 der Sache nach zurücknahm. Auf diesem Schreiben befindet sich eine an die Abteilung III gerichtete, vom Staatssekretär H mit einer Paraphe abgezeichnete Verfügung „zur Kenntnis und weiteren Veranlassung”. Damit ist aktenkundig hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er mit der beabsichtigten AVE zustimmend befasst war.
b) Soweit die Beteiligten zu 24. bis 26. meinen, die Wirksamkeit der AVE VTV 2012 scheitere auch an einer fehlenden zustimmenden Befassung der Ministerin mit der Angelegenheit, übersehen sie, dass eine Befassung durch den zuständigen Staatssekretär ausreicht (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 163).
3. Da im vorliegenden Verfahren das Erfordernis der Befassung des Ministers/Staatssekretärs mit der AVE erfüllt wurde und die Wirksamkeit der AVE VTV 2012 nicht deshalb infrage gestellt ist, kommt es auf die diesbezüglichen, sich kritisch mit der Senatsrechtsprechung auseinandersetzenden Ausführungen des Beteiligten zu 2. in seinen Schriftsätzen vom 14. Dezember 2016 und 10. Januar 2017, des Beteiligten zu 3. aus seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017, des Beteiligten zu 4. aus seinem Schriftsatz vom 6. Januar 2017 und der Beteiligten zu 6. aus ihrem Schriftsatz vom 6. Januar 2017 nicht an.
VIII. Die AVE VTV 2012 ist aber unwirksam, weil nicht festgestellt werden kann, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber bei Erlass der AVE nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des VTV fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF; sog. 50 %-Quote).
1. Die AVE eines Tarifvertrags durfte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG in der hier maßgeblichen Fassung nur erfolgen, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 vH der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Zur Feststellung der Einhaltung dieser 50 %-Quote war dabei zunächst die Große Zahl zu ermitteln, dh. die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, unabhängig davon, ob eine Tarifbindung vorliegt oder nicht.
a) Für die Ermittlung der Großen Zahl kommt es darauf an, wie viele Arbeitnehmer insgesamt unter den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags fallen. Maßgeblich ist dabei der Begriff des Geltungsbereichs, wie er im TVG auch an anderer Stelle (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) verwendet wird. Ist der Geltungsbereich im Tarifvertrag selbst beschränkt, beispielsweise durch Ausnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV, sind in solchen Betrieben beschäftigte Arbeitnehmer nicht bei der Ermittlung der Großen Zahl zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Großen Zahl ist es entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2. bis 6. und des Landesarbeitsgerichts im angegriffenen Beschluss unerheblich, ob die AVE mit Einschränkungen hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs ergangen ist. Vielmehr ist auch im Fall eines bereits eingeschränkten Antrags auf AVE oder einer Einschränkung der AVE ohne Antrag durch das BMAS auf den tariflichen Geltungsbereich abzustellen. Dies ergibt eine Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF (dazu im Einzelnen BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 189 bis 200).
b) Die im vorliegenden Verfahren von den Beteiligten zu 3., 4. und 6. insoweit gegen den Beschluss des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 –) erhobenen Einwendungen sind nicht überzeugend.
aa) Wie bereits im Senatsbeschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 189) ausgeführt, deutet bereits der Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF darauf hin, dass bei der Ermittlung der Großen Zahl die Große Einschränkungsklausel nicht zu berücksichtigen ist. Der in dieser Norm angesprochene „Geltungsbereich des Tarifvertrags” kann nicht anders verstanden werden, als die entsprechende Regelung im Tarifvertrag selbst. In § 1 VTV ist unter der gleichlautenden Überschrift dessen „Geltungsbereich” geregelt, ohne dass dort die Große Einschränkungsklausel, die allein Gegenstand der AVE ist und außerhalb des Tarifvertrags steht, Erwähnung findet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff „Geltungsbereich des Tarifvertrags” etwas anderes gemeint haben könnte, als üblicherweise in den Tarifverträgen geregelt wird.
bb) Anders als vom Beteiligten zu 3. offenbar angenommen, besteht der Zweck der 50 %-Quote nicht allein in der Verhinderung einer Majorisierung durch eine Minderheit. Die Regelung soll vielmehr darüber hinaus sicherstellen, dass nur Tarifverträge, die in ihrem von den Tarifvertragsparteien selbst gewählten örtlichen, fachlichen und persönlichen Verbreitungsgebiet repräsentativ sind, Gegenstand einer AVE sein können. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn auf den Geltungsbereich des Tarifvertrags ohne Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel abgestellt wird.
cc) Wie der Beteiligte zu 3. im Übrigen zutreffend ausführt, bewirkt eine Einschränkung der AVE von Tarifverträgen, ”dass die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse gerade nicht erfassen, obwohl sie unter den Geltungsbereich fallen”. Die weiteren Ausführungen des Beteiligten zu 3., dass durch die Große Einschränkungsklausel der „Anwendungsbereich” des Tarifvertrags eingeschränkt werde, sind in diesem Zusammenhang ohne Belang und führen zu einer unzutreffenden Begriffsverschiebung. Sie berücksichtigen nicht, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF gerade auf den „Geltungsbereich” und nicht den „Anwendungsbereich” des Tarifvertrags abstellt.
dd) Dass es, anders als vom Beteiligten zu 3. erneut vorgetragen, im Hinblick auf Nachbindung und Nachwirkung eines Tarifvertrags durchaus von tarifrechtlicher Relevanz ist, ob schon dessen Geltungsbereich beschränkt ist, oder ob sein „Anwendungsbereich” durch eine Einschränkungsklausel bei der AVE begrenzt wird, hat der Senat bereits ausgeführt (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 197). Die Beteiligten zu 4. bis 6. hätten im Übrigen bei Abschluss des Tarifvertrags den Geltungsbereich des VTV beschränken können, wie es in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV für Teilbereiche geschehen ist, statt in den AVE-Antrag eine Große Einschränkungsklausel aufzunehmen. Davon haben sie aber offenbar abgesehen, um dem VTV einen möglichst großen Geltungsbereich zu geben.
ee) Die Beteiligte zu 6. nimmt zu Unrecht an, dass nur bei Berücksichtigung der eingeschränkten AVE die Frage beantwortet werden könne, ob es sich im Hinblick auf den Geltungsbereich, für den die Erstreckung beantragt wurde, um einen repräsentativen Tarifvertrag handelt. Maßgebliches Kriterium bei der Betrachtung ist vielmehr die Repräsentativität des Tarifvertrags selbst. Dabei hat die Große Einschränkungsklausel außer Betracht zu bleiben. Anderenfalls könnte ein nicht repräsentativer Tarifvertrag mit einem weiten Geltungsbereich und wenig tarifgebundenen Arbeitnehmern in einem durch eine Einschränkungsklausel gezielt zurechtgeschnittenen Teilbereich dennoch für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies würde dem Erfordernis der Repräsentativität des (gesamten) Tarifvertrags aber nicht gerecht.
ff) Soweit die Beteiligte zu 6. eine angeblich „ständige, unbeanstandete Verwaltungspraxis, die Große Zahl stets unter Berücksichtigung der beantragten Einschränkungen zu bestimmen”, hervorhebt, ist dieses unbeachtlich. Eine ständige unbeanstandete Staatspraxis kann von Bedeutung sein, wenn die Nichtigkeit einer Norm (allein) auf Verfahrensfehlern im Normsetzungsverfahren beruhen würde, nicht aber bei inhaltlichen Fehlern (vgl. BVerfG 11. Oktober 1994 – 1 BvR 337/92 – zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 91, 148). Bloße Mängel im Verfahren der Zahlenermittlung, als dessen Ergebnis der Beteiligte zu 2. „zufällig” doch eine zutreffende Quote ermittelt hätte, wären gegebenenfalls ohne Bedeutung, weil insoweit nur das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens zu beurteilen ist. Die Frage der Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Bestimmung der Großen Zahl ist aber keine Frage des Verfahrens „bei” Erlass der AVE, sondern betrifft die inhaltlichen Tatbestandsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF „für” ihren Erlass. Entscheidend ist, ob die vom gesetzlichen Tatbestand verlangten materiellen Voraussetzungen für die AVE vorliegen oder nicht. Das Fehlen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die AVE kann auch nicht nach der herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter Berufung auf eine „ständige unbeanstandete Staatspraxis” ausgeglichen werden.
gg) Der Auffassung der Beteiligten zu 6., die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE wegen Nichterreichens der 50 %-Quote sei unverhältnismäßig, ist nicht zu folgen. Sie geht unzutreffend davon aus, dass wegen vielfältiger Belange Betroffener die Wirksamkeit der AVE VTV 2012 generell nicht infrage gestellt werden dürfe und vermengt unzulässig Fragen des öffentlichen Interesses gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF mit der erforderlichen 50 %-Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF. Der Senat hat – anders als die Ausführungen der Beteiligten zu 6. offenbar Glauben machen sollen – in seinem Beschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 –) auch nicht den VTV kritisiert, oder das Instrument der AVE als solches infrage gestellt, sondern lediglich verlangt, dass die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine AVE eingehalten werden.
hh) Soweit sich die Beteiligte zu 6. auf „historische Betrachtungen” bezieht, rechtfertigen diese keine andere Beurteilung. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 189) ausgeführt, dass die in der Begründung zu Art. 5 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vertretene Auffassung, bereits bisher sei bei der Ermittlung der 50 %-Quote berücksichtigt worden, „wenn der besondere Geltungsbefehl der Allgemeinverbindlicherklärung nur für einen Teil des Geltungsbereichs erfolgt” (BT-Drs. 18/1558 S. 48), unzutreffend ist. Tatsächlich hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit stets – entsprechend der Formulierung in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF – auf den „Geltungsbereich des Tarifvertrags” abgestellt. Eine Einschränkung der AVE hat das Bundesarbeitsgericht nie als maßgeblich für die Ermittlung der Großen Zahl angesehen. Den Ausführungen des Senats zur Entstehungsgeschichte von § 5 TVG (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 199) stellt die Beteiligte zu 6. keine substantiierten Einwendungen entgegen.
2. Der Beteiligte zu 2. ist bei der Bestimmung der Quote nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF von einer falschen Schätzgrundlage für die Bestimmung der Großen Zahl ausgegangen.
a) Für die Bestimmung der Großen Zahl müssen die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, zugrunde gelegt werden. Der Beteiligte zu 2. hat jedoch vor der AVE nicht ermittelt, wie viele Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich des VTV fallen. Er hat vielmehr die Zahlen des Beteiligten zu 3. übernommen, aus denen sich nur ergibt, wie viele Arbeitnehmer im Geltungsbereich des VTV unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel zur AVE beschäftigt werden. Dies folgt aus dem Inhalt der Verfahrensakte. Der Beteiligte zu 2. hat in einem die AVE VTV 2012 vorbereitenden Vermerk mehrfach darauf Bezug genommen, dass die Statistik der ULAK die Zahl der in den Geltungsbereich des VTV unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel fallenden Beschäftigten mit Abstand am genauesten abbilde und sich die Große Zahl unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel ergebe. Auch die Beteiligten des Verfahrens gehen davon aus, dass der Beteiligte zu 3. nur Betriebe unter Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel erfasst (und dies – so die Beteiligten zu 2. bis 6. – auch rechtlich die zutreffende Zahl sei).
b) Die Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Ermittlung der Großen Zahl macht die vom Beteiligten zu 2. verwendete Schätzgrundlage unbrauchbar. Sie führt dazu, dass die Große Zahl (alle Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrags) systematisch zu klein ist, wodurch die hierdurch bestimmte Quote (der Anteil der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer) generell zu hoch bewertet wird. Denn anders als bei einer Einschränkung des Geltungsbereichs im Tarifvertrag selbst – wie in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV – wirkt sich die Große Einschränkungsklausel nicht auf die Zahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer (Kleine Zahl) aus.
c) Bei der durch die Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel eintretenden Veränderung der nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF zu ermittelnden Quote handelt es sich nicht um einen vernachlässigbaren Effekt. Die Große Einschränkungsklausel hat, wie ihr Name zutreffend verdeutlicht, einen bedeutenden Umfang. Sie umfasst einschließlich der Anhänge mehrere Druckseiten und betrifft ganz unterschiedliche Fallgestaltungen. Wesentliche Handwerks- und Industriebereiche werden – insbesondere soweit anderweitige Tarifgebundenheit besteht – von der AVE ausgenommen. Dies lässt schon nach Umfang und Vielgestaltigkeit der Regelung nicht die Annahme zu, dass die Nichtberücksichtigung von Arbeitnehmern, die unter die Große Einschränkungsklausel fallen, nur eine kleine Gruppe betrifft und unbedeutend wäre. Die Große Einschränkungsklausel ist ausgesprochen differenziert und verschachtelt formuliert, sodass es nicht möglich ist, einen gegebenenfalls statistisch leicht erfassbaren Bereich zu benennen, um damit unter Zuhilfenahme anderweitigen zum Zeitpunkt der Entscheidungen über die AVE vorhandenen Datenmaterials eine Hochrechnung der vom Beteiligten zu 3. angegebenen Arbeitnehmerzahlen auf den rechtlich zutreffenden „Geltungsbereich des VTV” vorzunehmen. Die Angaben des Beteiligten zu 3. zur Großen Zahl sind damit offensichtlich keine geeignete Grundlage für die vorzunehmende Schätzung der Großen Zahl und somit auch nicht für die Prüfung der 50 %-Quote.
3. Eine weitere Sachaufklärung zur Ermittlung der 50 %-Quote ist nicht geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass anderes geeignetes statistisches Material zum Zeitpunkt der AVE objektiv vorlag, auf dessen Grundlage das Erreichen der 50 %-Quote hätte festgestellt werden können.
a) Maßstab für die gerichtliche Kontrolle sind allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen 16. November 2012 – 4 A 46/11 – zu II 1 a der Gründe mwN). Eine nachträgliche Erhebung oder statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung verwendbar zu machen, scheidet aus. Von der Behörde kann nicht verlangt werden, im Rahmen der ihr auferlegten und zukommenden sorgfältigen Prüfung auch Daten zu berücksichtigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden und verfügbar sind. Bei der gerichtlichen Überprüfung ist kein anderer Zeitpunkt zugrunde zu legen als bei der zu überprüfenden Entscheidung. Dies ist der Zeitpunkt des Erlasses der AVE. Bei einer Berücksichtigung erst später vorliegender Daten zu den Verhältnissen im Entscheidungszeitpunkt könnte es sonst von Zufälligkeiten, wie dem Zeitpunkt der Einleitung und der Dauer eines Verfahrens nach § 98 ArbGG abhängen, ob die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer AVE festgestellt wird. Damit können für die Bestimmung der Großen Zahl und einer etwaigen Korrektur der sich aus der Großen Einschränkungsklausel ergebenden Fehler nur zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung objektiv zur Verfügung stehende und bereits verwertbare Informationen berücksichtigt werden.
b) Zum Zeitpunkt der ministeriellen Entscheidung gab es keine anderen verwertbaren Daten, aus denen man die Große Zahl zutreffend hätte ableiten oder die zumindest Grundlage für eine einigermaßen sichere, qualifizierte Schätzung hätten sein können. Weder die Zahlen des Statistischen Bundesamts, der Bundesagentur für Arbeit, der Berufsgenossenschaft Bau, der Deutschen Rentenversicherung, der Handwerkszählung oder anderer von den Beteiligten genannten Stellen sind geeignet, als Grundlage einer Schätzung für die Große Zahl im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF zu dienen. Die Zahlenwerke anderer datenerhebender Stellen treffen keine Aussagen zu der sehr speziellen Frage der von der Großen Einschränkungsklausel erfassten Betriebe und Beschäftigten sowie ihrer Auswirkung auf die vom Beteiligten zu 3. mitgeteilten Zahlen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 208 bis 217) Bezug genommen, der eine entsprechende Konstellation betrifft.
c) Angesichts der vorstehenden Ausführungen muss nicht weiter darauf eingegangen werden, dass der Beteiligte zu 2. hinsichtlich der Großen Zahl nicht den Beteiligten zu 3. – als von ihm angenommene geeignete Auskunftsstelle – unmittelbar um Mitteilung der Beschäftigtenzahlen gebeten, sondern die von den Beteiligten zu 4. bis 6. weitergegebenen Zahlen seiner Betrachtung zugrunde gelegt hat. Allerdings wäre es unter Berücksichtigung des Gebots der Objektivität und Genauigkeit durchaus naheliegend, für die Entscheidung über eine AVE erforderliche Daten unmittelbar bei der datenerhebenden Stelle abzufragen und sich nicht auf eine Informationsvermittlung der die AVE beantragenden Beteiligten zu verlassen. Möglicherweise hätte es so auch vermieden werden können, dass die Meldung von weiteren knapp 26.000 Beschäftigten, welche vom Beteiligten zu 3. bei der Berechnung der Großen Zahl als berücksichtigungsbedürftig angesehen wurden, offenbar versehentlich unterblieben ist, wie auch die Anzahl von Angestellten – wahrscheinlich wegen eines Tippfehlers – um 1.000 zu niedrig angegeben wurde.
d) Soweit sich der Beteiligte zu 3. nunmehr im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf beruft, auch ohne Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel bei der Bestimmung der Großen Zahl ergebe sich eine Quote von über 50 % iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF ist dies unbeachtlich.
aa) Die vom Beteiligten zu 3. in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 erstmals mitgeteilte Große Zahl ohne Berücksichtigung der Großen Einschränkungsklausel und die daraus resultierende Quote stellen keine zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen dar. Es handelt sich vielmehr um eine nachträgliche statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung im Mai 2012 verwendbar zu machen. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – Rn. 206) darauf hingewiesen, dass dies schon deshalb nicht in Betracht kommt, da es sonst von Zufälligkeiten, wie dem Zeitpunkt der Einleitung und der Dauer eines Verfahrens nach § 98 ArbGG abhängen würde, ob die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer AVE festgestellt wird.
bb) Der Vortrag des Beteiligten zu 3. im Rechtsbeschwerdeverfahren, er habe über diese Zahlen schon zum Zeitpunkt der AVE-Antragstellung verfügt, steht im offenen Widerspruch zu seinen Ausführungen in mehreren Anhörungsrügeverfahren betreffend die Beschlüsse des Senats vom 21. September 2016 (– 10 ABR 33/15 – und – 10 ABR 48/15 –). Dort hat er eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, wonach Mitarbeiter erst ab dem 22. September 2016 mit der nachträglichen Auswertung von Akten beauftragt worden seien, diese aber auch Mitte Dezember 2016 noch nicht abgeschlossen gewesen sei (vgl. dazu BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 81/16 (F) – Rn. 14). Auch im vorliegenden Verfahren gibt der Beteiligte zu 3. in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 auf Seite 12 selbst an, dass das Zahlenwerk erst nach den Beschlüssen vom 21. September 2016 erstellt worden sei. Es ist damit nach dem Vortrag des Beteiligten zu 3. weder erkennbar, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beteiligten zu 2. im Mai 2012 über die streitgegenständliche AVE die nunmehr vorgetragenen Zahlen – unabhängig von deren Bewertung – beim Beteiligten zu 2. in verwertbarer und verwendbarer Form vorgelegen haben, noch hat der Beteiligte zu 2. diese vor der Entscheidung bei den tarifvertragschließenden Parteien oder beim Beteiligten zu 3. angefordert. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob die weiteren Ausführungen des Beteiligten zu 3. in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2017 zur Herleitung der Großen Zahl schlüssig oder wenigstens plausibel sind.
4. Im Hinblick auf die Ausführungen zur Großen Zahl kann dahinstehen, ob die Kleine Zahl zutreffend ermittelt wurde und ob die von den Beteiligten zu 4. und 5. an den Beteiligten zu 2. übermittelten Zahlen zumindest eine Plausibilitätskontrolle erforderlich gemacht und ob sie einer solchen standgehalten hätten (vgl. hierzu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 209 ff., betreffend die AVE VTV 2014).
5. Da die verwendeten Daten des Beteiligten zu 2. als Schätzgrundlage ungeeignet sind und keine geeigneten anderen, zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE vorhandenen und verwertbaren Daten zur Verfügung standen, andererseits aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF positiv feststehen muss, hätte eine AVE nicht erfolgen dürfen. Auf Antrag der Beteiligten zu 7. bis 11., 16. bis 18. und 24. bis 26. ist daher der angegriffene Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg aufzuheben und die Unwirksamkeit der AVE VTV 2012 festzustellen.
IX. Der Beteiligte zu 2. hat gemäß § 98 Abs. 4 Satz 3 ArbGG die Entscheidungsformel dieses Beschlusses im Bundesanzeiger bekannt zu machen.
C. Im vorliegenden Verfahren werden Kosten nicht erhoben, § 2 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Schlünder, Schumann, Frese
Fundstellen
Haufe-Index 10685188 |
BB 2017, 1077 |
BB 2017, 307 |
DB 2017, 15 |
DStR 2017, 14 |