Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmungspflicht des Arbeitgebers bei Urlaubsgewährung
Leitsatz (amtlich)
- Kommen für die vom Arbeitnehmer begehrte Freistellung von der Arbeitspflicht unterschiedliche Anspruchsgrundlagen in Betracht, so hat der Arbeitgeber nicht nur zu entscheiden, ob er dem Freistellungsantrag entsprechen, sondern auch zu bestimmen, welchen Anspruch des Arbeitnehmers er erfüllen will.
- Ein vor der Arbeitsbefreiung erklärter Vorbehalt des Arbeitgebers, der ihm ermöglichen soll, nach Gewährung eines bezahlten Sonderurlaubs (§ 50 Abs. 1 BAT) die Freistellung gegebenenfalls mit dem tariflichen Erholungsurlaub zu verrechnen, ist unwirksam.
Normenkette
BUrlG § 7 Abs. 1, §§ 10, 13 Abs. 1; BGB § 366 Abs. 1; BAT i.d.F. des 60. Änderungstarifvertrages vom 5.7.1988 § 50 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 18.04.1990; Aktenzeichen 5 Sa 1820/89) |
ArbG Göttingen (Urteil vom 31.10.1989; Aktenzeichen 1 Ca 139/89) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. April 1990 – 5 Sa 1820/89 – zum Feststellungsantrag zu 1) aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird in diesem Umfang das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 31. Oktober 1989 – 1 Ca 139/89 – abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen.
Im übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist als Masseur und medizinischer Bademeister für den Beklagten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung (BAT) anzuwenden.
Der Kläger unterzog sich vom 3. bis 24. Oktober 1988 einer ambulanten Badekur, die ihm wegen eines schweren rezidivierenden LWS-Syndroms und eines Bandscheibenvorfalls vom zuständigen Sozialversicherungsträger bewilligt worden war. Auf seinen zuvor gestellten Antrag, ihm für die Dauer der Kur Sonderurlaub mit Urlaubsvergütung (§ 50 Abs. 1 BAT) zu gewähren, teilte der Beklagte dem Kläger folgendes schriftlich mit:
“…
Zur Durchführung der Kur gewähre ich Ihnen für die Zeit vom 3.10. – 24.10.1988 Sonderurlaub gem. § 50 BAT. Während des Kurverfahrens wird Urlaubsvergütung nach § 47 Abs. 2 BAT gezahlt.
Der Sonderurlaub wird jedoch aus folgenden Gründen nur unter Vorbehalt gewährt.
Gem. § 50 BAT ist dem Angestellten für die Dauer eines von einem Träger der Sozialversicherung verordneten Kur- oder Heilverfahrens Sonderurlaub unter Zahlung der Urlaubsvergütung bis zur Höchstdauer von 6 Wochen zu gewähren.
Nicht als “verordnetes Kur- oder Heilverfahren” können angesehen werden Erholungsaufenthalte, auch wenn sie als Kuraufenthalt bezeichnet werden, sowie freie Badekuren, wenn der Angestellte nur Zuschüsse erhält, den überwiegenden Teil der Kosten (einschl. der Kosten für Verpflegung und Unterkunft sowie der Fahrtkosten) aber selbst zu tragen hat.
Weitere Voraussetzung ist, daß die verordnende Stelle unmittelbar oder mittelbar durch den beauftragten Kurarzt Einfluß auf die planvolle Gestaltung des Kurablaufs nimmt und die Kur damit den Charakter eines geregelten medizinischen Verfahrens erhält.
Es ist also nach Beendigung Ihrer Kur durch den Landkreis O… zu prüfen, ob die überwiegenden Kosten durch den Träger der Maßnahme bzw. die Krankenkasse übernommen werden und ob eine Einflußnahme auf die planvolle Gestaltung des Kurablaufs genommen wurde, so daß ein “urlaubsmäßiger Zuschnitt” nicht gegeben war (die beiden Erklärungen zur Ermittlung der Kurkosten bitte ich nach Beendigung der Kur von der Krankenkasse bzw. von Ihnen ausgefüllt und unterschrieben vorzulegen).
Sollten vorstehende Voraussetzungen nicht erfüllt sein, kann für die Dauer der Kur lediglich Erholungsurlaub oder unbezahlter Urlaub (§ 50 Abs. 2 BAT) – also kein Sonderurlaub – gewährt werden. Beiliegende Erklärung über die vorbehaltliche Gewährung des Sonderurlaubs bitte ich vor Kurantritt unterschrieben zurückzugeben.”
§ 50 Abs. 1 BAT i.d.F. des 60. Änderungstarifvertrages vom 5. Juli 1988 bestimmt insoweit:
“(1) Dem Angestellten ist für die Dauer eines von einem Träger der Sozialversicherung, von einem Träger der Tuberkulosehilfe oder von einem Beauftragten für die Durchführung der Tuberkulosehilfe, von einem Träger einer Altersversorgung einer öffentlichen Verwaltung oder eines Betriebes oder von der Versorgungsbehörde verordneten Kur- oder Heilverfahrens oder einer als beihilfefähig anerkannten Heilkur ein Sonderurlaub unter Zahlung der Urlaubsvergütung (§ 47 Abs. 2) bis zur Höchstdauer von sechs Wochen zu gewähren.”
Aufgrund der geringen Anzahl von Kuranwendungen hält der Beklagte die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BAT für nicht erfüllt. Er hat mit Schreiben vom 10. November 1988 die Gewährung von bezahltem Sonderurlaub abgelehnt und erklärt, daß für den fraglichen Zeitraum dementsprechend Erholungsurlaub gewährt werde.
Mit seiner am 10. April 1989 erhobenen Klage hat der Kläger zuletzt beantragt,
- festzustellen, daß der Beklagte dem Kläger zur Durchführung einer Kur in Bad K… vom 3. bis 24. Oktober 1988 Sonderurlaub gemäß § 50 Abs. 1 BAT gewährt hat,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 15 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahre 1988 zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsziel weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nur begründet, soweit sie sich gegen den Feststellungsantrag zu 1) richtet. Im übrigen ist sie unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß dem Kläger noch Urlaub für 15 Arbeitstage zusteht. Der Antrag des Klägers festzustellen, daß der Beklagte ihm Sonderurlaub zur Durchführung einer Kur gewährt hat, ist unzulässig, so daß auf die Revision des Beklagten insoweit die Urteile der Vorinstanzen zu ändern waren und die Klage in diesem Umfang abgewiesen werden mußte.
I.1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nur zulässig, wenn ein rechtliches Interesse daran besteht, daß das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt wird. Das trifft für eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines vergangenen Rechtsverhältnisses nur zu, wenn sich daraus Rechtsfolgen für die Gegenwart ergeben (BAGE 54, 210 = AP Nr. 3 zu § 52 BAT, zu A I der Gründe; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 – 8 AZR 47/86 – unveröffentlicht).
2. Diese Voraussetzungen erfüllt der Feststellungsantrag zu 1) nicht.
Mit der Entscheidung über den Antrag zu 1) soll geklärt werden, ob der Kläger im Jahre 1988 bezahlten Sonderurlaub erhalten hat. Folgerungen für die Gegenwart werden aus diesem Antrag nicht gezogen, so daß das Begehren auf die Erstattung eines Rechtsgutachtens gerichtet ist, für das kein Rechtsschutzinteresse gegeben ist. Abgesehen davon ist die vom Kläger erstrebte Feststellung nur eine Voraussetzung für eine Entscheidung über den Feststellungsantrag zu 2), weil jenem Begehren nur entsprochen werden kann, wenn feststeht, daß der Beklagte nicht befugt war, nach Bewilligung des Sonderurlaubs Ansprüche des Klägers auf Erholungsurlaub auf diesen Sonderurlaub anzurechnen. Über sie ist deshalb als Vorfrage des mit dem Antrag zu 2) verfolgten Anspruchs mitzuentscheiden.
II. Im übrigen ist die Revision des Beklagten unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch auf Gewährung von 15 Urlaubstagen aus dem Kalenderjahr 1988.
1. Der Beklagte hat dem Kläger am 27. September 1988 wirksam bezahlten Sonderurlaub nach § 50 Abs. 1 BAT erteilt. Er konnte die hiernach gewährte Arbeitsbefreiung nicht auf den Anspruch auf Erholungsurlaub anrechnen. Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen.
a) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann indessen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts dahinstehen, ob der Kläger sich einem “verordneten Kur- oder Heilverfahren” im Sinne von § 50 Abs. 1 BAT unterzogen hat. Der Beklagte hat nämlich zu Unrecht 15 Tage Erholungsurlaub auf die Kurzeit des Klägers angerechnet, obwohl er hierzu aufgrund des bei Freistellung erklärten Vorbehalts nicht befugt war. Dieser zugleich mit der schriftlichen Urlaubsbewilligung erklärte Vorbehalt des Beklagten ist rechtsunwirksam. Bezahlter Sonderurlaub nach § 50 Abs. 1 BAT kann nach den tariflichen Bestimmungen nur entweder vorbehaltlos erteilt oder abgelehnt werden (vgl. BAG Urteile vom 26. November 1964 – 5 AZR 298/63 – AP Nr. 2 zu § 611 BGB Urlaub und Kur, vom 2. Dezember 1965 – 5 AZR 288/65 – AP Nr. 1 zu § 10 BUrlG Kur und vom 10. Februar 1966 – 5 AZR 408/65 – AP Nr. 1 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit).
b) Als Schuldner des Urlaubsanspruchs obliegt es dem Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 BUrlG ebenso wie nach § 50 Abs. 1 BAT auf Antrag des Arbeitnehmers den Urlaubszeitraum festzulegen. Kommen für die vom Arbeitnehmer begehrte Freistellung von der Arbeitspflicht unterschiedliche Urlaubsansprüche in Betracht, hat der Arbeitgeber nach Prüfung der gesetzlichen oder tariflichen Anspruchsvoraussetzungen nicht nur zu entscheiden, ob er dem Freistellungsantrag entspricht, sondern auch zu bestimmen, welchen Anspruch des Arbeitnehmers er erfüllen will (vgl. BAGE 54, 63, 66 = AP Nr. 10 zu § 7 BUrlG). Hat der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs seine Erfüllungshandlung erbracht, ist ihm verwehrt, später die Anspruchsgrundlagen für die getilgte Leistung mit einem anderen vom Gläubiger nicht geforderten Anspruch auszutauschen. Die Tilgungsbestimmung hat bei der Leistung und nicht nach der Leistung zu erfolgen (§ 366 Abs. 1 BGB).
c) Der Beklagte hat bezahlten Sonderurlaub nach § 50 Abs. 1 BAT erteilen wollen, und dies auch mit seiner schriftlichen Urlaubsgewährung gegenüber dem Kläger erklärt. Jedenfalls mußte der Kläger die Erklärung des Beklagten so verstehen, nachdem dieser entsprechend der Bewilligung der Kur durch den Sozialversicherungsträger ihn von der Arbeitspflicht für die Dauer der Kur befreit und auch mitgeteilt hatte, daß die Vergütung für diese Zeit fortgezahlt werde.
2. Zwar kann eine Leistung unter Vorbehalt eine ordnungsgemäße Erfüllung sein, wenn der Schuldner lediglich die Wirkung des § 814 BGB ausschließen und sich Bereicherungsansprüche offenhalten will, soweit nachträglich das Nichtbestehen einer Forderung auf die erbrachte Leistung festgestellt werden kann (BGH Urteile vom 6. Mai 1982 – VII ZR 208/81 – und vom 8. Februar 1984 – IVb ZR 52/82 – NJW 1982, 2302; 1984, 2826; MünchKomm-Heinrichs, 2. Aufl., § 362 Rz 4). Ein solcher Vorbehalt würde indessen hier schon daran scheitern, daß eine Freistellung von der Arbeitspflicht einem Anspruch nach § 812 Abs. 1 BGB nicht unterliegen kann. Im übrigen richtete sich die Erklärung des Beklagten nicht auf eine solche Möglichkeit sondern darauf, nachträglich einen anderen Anspruch des Klägers für erfüllt erklären zu dürfen. Eine solche widersprüchliche Erklärung ist indessen rechtlich unbeachtlich. Der Beklagte kann nicht wirksam zugleich erklären, daß er die geforderte Leistung erbringt und gegebenenfalls nachträglich einseitig eine andere ebenfalls geschuldete, vom Kläger aber nicht geforderte Leistung als erfüllt behandelt wissen will.
3. Die spätere Erklärung des Beklagten vom 10. November 1988, dem Kläger werde für die Kurzeit Erholungsurlaub gewährt, weil die Voraussetzungen nach § 50 Abs. 1 BAT nicht erfüllt seien, ist schließlich ebenfalls nicht geeignet, den Anspruch des Klägers auf Gewährung von 15 Arbeitstagen Erholungsurlaub aus dem Kalenderjahr 1988 zu berühren.
Die Erklärung wäre auch durch § 10 BUrlG nicht gedeckt. Will ein Arbeitgeber nach § 10 BUrlG Kur- oder Schonungszeiten ganz oder teilweise auf den Urlaub anrechnen, muß er dies gegenüber dem Arbeitnehmer vor Beginn der Kur erklären, d. h. die Zeit als Urlaub festsetzen, in der der Arbeitnehmer sich der Kur oder der Schonungszeit unterziehen will. Eine solche Erklärung hat der Beklagte vor der Kur nicht abgegeben. Schon deshalb ist eine Urlaubsgewährung nach § 10 BUrlG nicht möglich. Soweit im Schrifttum angenommen wird (GK-Stahlhacke, BUrlG, 4. Aufl., § 10 Rz 56; Dersch/Neumann, BUrlG, 7. Aufl., § 10 Rz 27; Tautphäus, HAS, § 13 B Rz 27), jedenfalls in Ausnahmefällen könne der Arbeitgeber auch nachträglich Zeiten einer Kur auf den Urlaub anrechnen, folgt der Senat dem nicht, weil mit dieser Auffassung die Voraussetzungen der Lohnzahlungspflicht und die nach § 10 BUrlG modifizierte Pflicht des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung nicht hinreichend auseinandergehalten werden. Eine Anrechnung der Kurzeit auf den Urlaubsanspruch, also eine nachträgliche Urlaubserteilung, kann schon deswegen nicht in Betracht kommen, weil der Arbeitnehmer nicht rückwirkend für die Kurdauer von der Arbeitspflicht befreit werden kann. Selbst wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von bezahltem Sonderurlaub nach § 50 Abs. 1 BAT nicht vorgelegen haben und deshalb an sich der Arbeitnehmer zur Arbeit verpflichtet gewesen wäre, kann nach Ablauf dieser Zeit keine Arbeitspflicht mehr bestehen, weil sie jedenfalls durch Zeitablauf erloschen ist. Die Arbeitspflicht könnte dann durch Urlaubsgewährung auch nicht mehr beseitigt werden.
4. Damit stehen dem Kläger weiterhin insgesamt 15 Arbeitstage Urlaub zu. Der Beklagte ist verpflichtet, diesen Urlaubsanspruch noch zu erfüllen.
Daran ändert nichts, daß der Urlaubsanspruch des Jahres 1988 inzwischen erloschen ist. Der Beklagte hat diesen Urlaub trotz der Geltendmachung durch den Kläger (zuletzt am 19. Januar 1989) nicht gewährt. Für den durch Untergang des Anspruchs am 30. Juni 1989 (§ 47 Abs. 7 BAT) entstandenen Schaden muß der Beklagte dem Kläger einstehen (§§ 286 Abs. 1, 287 Satz 2 BGB), so daß anstelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs als Schadenersatz ein Ersatzurlaubsanspruch in gleicher Höhe getreten ist, § 249 Satz 1 BGB (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BAG Urteil vom 31. Mai 1990 – 8 AZR 296/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen, m.w.N.).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 2 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dörner, Dr. Lipke, Schulze, Dr. Bächle
Fundstellen
Haufe-Index 838636 |
BAGE, 308 |
JR 1992, 528 |
NZA 1992, 1078 |
RdA 1992, 282 |