Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung deutschen Betriebsverfassungsrechts bei langjährigem Einsatz des Arbeitnehmers im Ausland ohne Eingliederung in einen ausländischen Betrieb
Leitsatz (amtlich)
1. Der Betriebsrat eines in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Betriebes (hier: Reiseunternehmen) hat auch bei der Kündigung eines nicht nur vorübergehend im Ausland eingesetzten Arbeitnehmers (hier: Reiseleiterin) jedenfalls dann ein Beteiligungsrecht, wenn der im Ausland tätige Arbeitnehmer nach wie vor dem Inlandsbetrieb zuzuordnen ist.
2. Ob der Inlandsbezug eines solchen Arbeitsverhältnisses erhalten geblieben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und insbes. von der Dauer des Auslandseinsatzes, der Eingliederung in einen Auslandsbetrieb, dem Bestehen und den Voraussetzungen eines Rückrufrechts zu einem Inlandseinsatz sowie dem sonstigen Inhalt der Weisungsbefugnisse des Arbeitgebers.
Leitsatz (redaktionell)
Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer langjährig im Ausland eingesetzten Reiseleiterin mit einem deutschen Reiseunternehmen
Normenkette
BetrVG § 102
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 10.11.1988; Aktenzeichen 6 Sa 310/88) |
ArbG München (Urteil vom 22.12.1987; Aktenzeichen 19 Ca 8927/86) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10. November 1988 – 6 Sa 310/88 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagte ist ein international tätiges deutsches Reiseunternehmen mit Sitz in M. Dort besteht ein Betriebsrat.
Die 1951 geborene Klägerin wurde von der Beklagten durch schriftlichen Arbeitsvertrag vom 22. August 1980 ab 1. Oktober 1980 eingestellt mit dem Ziel, als Reiseleiterin tätig zu sein. Von Oktober 1980 bis Ende Februar 1981 arbeitete sie zunächst in der Telefonzentrale in M. Wegen Ausfalls eines Reiseleiters wurde sie sodann zu einer Kreuzfahrt und anschließend auf Sizilien, Samos und Rhodos eingesetzt. Grundlage hierfür war ein befristeter Arbeitsvertrag vom 28. Januar 1981.
Mit Arbeitsvertrag vom 10. Februar 1982 wurde die Klägerin unbefristet ab 1. Februar 1982 als Reiseleiterin eingestellt. Gemäß Ziff. 2 dieses Vertrages erhielt sie ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.900,– DM. Während der Auslandsaufenthalte hatte die Beklagte zusätzlich Unterkunft und Verpflegung zu stellen oder bei Unmöglichkeit einen finanziellen Ausgleich zu gewähren. Darüber hinaus stand der Klägerin eine Provision für die von ihr vermittelten Ausflugsfahrten zu, deren Höhe sich nach dem jeweiligen Zielgebiet richtete, jedoch mindestens 5 % betrug. Die Klägerin erzielte zuletzt ein Einkommen von etwa 4.000,– DM brutto monatlich.
In Ziff. 1 des Vertrages heißt es: „Der/die Mitarbeiter/in steht für die Zeit vom 1. März 1982 bis unbefristet als Reiseleiter für das Zielgebiet Tunesien in den Diensten von” (Die unterstrichenen Textteile sind maschinenschriftlich in den Formularvertrag eingesetzt). Ziff. 5 des Vertrages lautet:
„behält sich vor, den Mitarbeiter bei Notwendigkeit jederzeit in andere Zielgebiete zu versetzen oder mit Sonderaufgaben in der Bundesrepublik Deutschland zu beauftragen, ohne daß es einer Änderungskündigung bedarf. Es wird vereinbart, daß bei einer anderen als der vertraglich vorgesehenen Beschäftigung auch das jeweilige andere Vergütungssystem angewandt wird. Der Einsatz erfolgt stets ab und bis M.”
Nach Ziff. 6 des Vertrages hatte die Beklagte die Kosten der Reise von M. zum Einsatzort und zurück zu übernehmen. In Ziff. 13 ist als Gerichtsstand das Arbeitsgericht M. vereinbart.
Die Klägerin wurde ab 1. März 1982 ausschließlich in Tunesien eingesetzt. Etwa halbjährlich erhielt sie von der Personalabteilung der Beklagten sog. „Annexverträge”, in denen das Zielgebiet für die nächste Saison, die Höhe des Wohnungs- und des Verpflegungszuschusses, die Ausflugsprovision und teilweise eine weitere Provision für die Vermittlung von Mietwagen sowie die Überlassung eines Firmen-Pkw geregelt wurden.
Im Sommer 1985 heiratete die Klägerin einen tunesischen Staatsbürger. Am 27. Januar 1986 wurde sie von einem Kind entbunden. Vor und nach der Entbindung nahm sie den gesetzlichen Mutterschaftsurlaub in Anspruch. Im Anschluß daran wurde ihr bis zum 26. Mai 1986 Urlaub gewährt.
Mit Schreiben vom 29. April 1986 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß ihr nächster Einsatz ab Juni 1986 für das Zielgebiet Türkei geplant sei. Mit Schreiben vom 22. Mai 1986 widersprach die Klägerin einem dortigen Arbeitseinsatz, bestritt die Notwendigkeit, sie aus ihrem bisherigen Einsatzgebiet Monastir/Tunesien abzuziehen und vertrat die Ansicht, daß ihr Arbeitsvertrag grundsätzlich einen Einsatz in Tunesien vorsehe. Nachdem der Arbeitsplatz in der Türkei anderweitig besetzt worden war, forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Juni 1986 auf, spätestens zum 1. Juli 1986 eine Tätigkeit in der Zentrale in M. aufzunehmen. Sie verwies darauf, daß sie diesen Einsatz aufgrund des ihr vertraglich eingeräumten Direktionsrechts bestimmen könne und stellte zugleich für den Fall einer Weigerung der Klägerin, in M. zu arbeiten, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht. Die Klägerin lehnte dies mit Schreiben vom 7. Juni 1986 ab und machte geltend, ihr sei es nicht möglich, in der gesetzten Frist nach Deutschland zu ziehen, da sie in Tunesien verheiratet sei und einen kompletten Haushalt habe. Im übrigen sei ihr der weitere Einsatz in Tunesien nach dem Mutterschaftsurlaub von der Zentrale in M. wiederholt zugesichert worden.
Der über die Angelegenheit informierte Betriebsrat widersprach einer Versetzung der Klägerin mit Schreiben vom 10. Juni 1986.
Mit Fernschreiben vom 30. Juni 1986 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos sowie vorsorglich auch fristgerecht. Vor dieser Kündigung wurde der Betriebsrat nicht angehört.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht angehört habe. Sie sei dem Betrieb in M. zuzuordnen, weil sie lediglich ins Ausland entsandt worden sei. Nach dem Arbeitsvertrag habe sie jederzeit in die Zentrale nach M. versetzt werden können, was die Beklagte schließlich auch mit Schreiben vom 7. Juni 1986 angeordnet habe. Im übrigen sei die Kündigung weder durch dringende betriebliche Erfordernisse noch durch ein vertragswidriges Verhalten gerechtfertigt. Es werde bestritten, daß für die angeordnete Versetzung der Klägerin eine Notwendigkeit bestanden habe, wie es der Vertrag voraussetze.
Die Klägerin hat beantragt:
Es wird festgestellt, daß die von der Beklagten mit Telex vom 30. Juni 1986 ausgesprochene außerordentliche Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam ist und daß dieses auch durch die von der Beklagten mit dem genannten Telex vorsorglich zum 30. September 1986 ausgesprochene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Nach ihrer Auffassung war eine Anhörung des Betriebsrats vor der Kündigung der Klägerin nicht erforderlich. Diese sei ausschließlich im Ausland beschäftigt gewesen und gehöre deshalb nicht zur Belegschaft des Betriebes in M. Ihr Arbeitsverhältnis unterliege nicht dem Betriebsverfassungsgesetz. Die Kündigung sei notwendig gewesen, weil die Klägerin trotz Kündigungsandrohung vertragswidrig die Arbeitsaufnahme in M. abgelehnt habe. Ein weiterer Einsatz in Tunesien sei nicht in Frage gekommen. Aufgrund des mutterschutzrechtlichen Ausfalls der Klägerin habe sie eine andere Planung vornehmen müssen. Darüber hinaus pflege sie ihr Auslandspersonal von Zeit zu Zeit zu versetzen, um von ihr nicht mehr kontrollierbare Verflechtungen mit ortsansässigen Unternehmen zu verhindern.
Beide Vorinstanzen haben angenommen, daß sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats unwirksam seien. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis und mit im wesentlichen zutreffender Begründung angenommen, die Kündigungen der Beklagten seien gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil sie den Betriebsrat ihres Betriebes in M. nicht angehört habe.
I.1. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 30. April 1987, BAGE 55, 236 = AP Nr. 15 zu § 12 SchwbG, m.w.N.) und herrschender Lehre (Auffarth in Festschrift für Hilger/Stumpf (1983), S. 31; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 1 Rz 4; Hickl, NZA Beil. 1/87, 10, 14; Hess/Kropshofer, BlStSozArbR 1979, 100, 101; Richardi, IPRax 1983, 217, 218; Corts, AuR 1981, 254) richtet sich der räumliche Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes nach dem sog. Territorialitätsprinzip. Anknüpfungspunkt ist der Sitz des Betriebes. Das Betriebsverfassungsgesetz findet auf alle in der Bundesrepublik Deutschland oder in West-Berlin (§ 131 BetrVG) gelegenen Betriebe Anwendung. Nach welcher Rechtsordnung sich die Vertragsverhältnisse der dort tätigen Arbeitnehmer richten, ist für die Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes ohne Bedeutung (BAG Urteil vom 30. April 1987, aaO, zu II 2 a der Gründe; Auffarth, aaO, S. 32; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, Rz 6; Birk, RabelsZ, Bd. 46, 1982, 384, 409; Richardi, aaO). Dieses erfaßt somit grundsätzlich auch ausländische Arbeitnehmer, die in einem im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes gelegenen Betrieb tätig sind. Umgekehrt gilt es für Auslandsbetriebe auch dann nicht, wenn Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer deutsche Staatsangehörige sind und auf die Vertragsverhältnisse deutsches Recht Anwendung findet (vgl. Richardi, aaO; Birk, Festschrift für Schnorr v. Carolsfeld (1973), S. 61, 69 f.).
2. Inwieweit das Betriebsverfassungsgesetz auf Mitarbeiter deutscher Betriebe Anwendung findet, die im Ausland tätig sind, läßt sich mit Hilfe des Territorialitätsprinzips nicht feststellen. Es handelt sich hierbei um eine Frage des persönlichen, nicht des räumlichen Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes (vgl. Auffarth, aaO, S. 35). Einigkeit besteht darüber, daß deutsches Betriebsverfassungsrecht auf im Ausland tätige Mitarbeiter anwendbar ist, soweit sich deren Auslandstätigkeit als „Ausstrahlung” des Inlandsbetriebes darstellt (Senatsurteil vom 30. April 1987, aaO; Auffarth, aaO, S. 35; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, Rz 13; Richardi, aaO; Corts, AuR 1981, 254; Hess/Kropshofer, BlStSozArbR 1979, 100, 101; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 1 Rz 3; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., Rz 4, 5 vor § 1).
3. Bei der Prüfung, wann eine solche Ausstrahlung vorliegt, orientiert sich die Rechtsprechung bisher in erster Linie an der Dauer der Auslandstätigkeit. Arbeitnehmer, die vorübergehend ins Ausland entsandt werden, sind dem deutschen Betrieb zuzurechnen (Senatsurteil vom 30. April 1987, aaO; Hickl, aaO, 14; Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 4. Aufl., Rz 749; Auffarth, aaO, S. 35; Richardi, aaO, 219; Birk, RabelsZ, aaO, 408). Demgegenüber fehlt es an einer hinreichenden Beziehung zum Inland bei Arbeitnehmern, die dauernd im Ausland tätig sind (BAGE 30, 266, 271 = AP Nr. 16 zu Internat. Privatrecht Arbeitsrecht, zu II 2 d der Gründe; Urteil vom 30. April 1987, aaO, zu II 2 b der Gründe; Auffarth, aaO, S. 36; Richardi, aaO; Birk, RdA 1984, 129, 136), insbesondere nur für einen bestimmten Auslandseinsatz eingestellt wurden und nie im inländischen Betrieb tätig waren (BAG Urteil vom 21. Oktober 1980 – 6 AZR 640/79 – AP Nr. 17 zu Internat. Privatrecht Arbeitsrecht, zu II 3 c der Gründe; Corts, aaO, 255; Birk, RabelsZ, aaO, 408). Für die Abgrenzung der dauernden von der vorübergehenden Auslandstätigkeit gibt es nach herrschender Meinung (vgl. etwa Auffarth, aaO, S. 36; Corts, aaO, 255 f.; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, Rz 14 f.; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, Rz 6; wohl auch BAGE 30, 266, 271 f. = AP Nr. 16, aaO) keine absolute zeitliche Grenze, während eine Mindermeinung eine Obergrenze von ein (Birk, Festschrift für Schnorr v. Carolsfeld (1973), S. 61, 70, 79; LAG Berlin Urteil vom 23. Mai 1977 – 9 Sa 75/76 – BB 1977, 1302) bzw. zwei Jahren (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., Rz 44 vor § 1) befürwortet.
4. Im vorliegenden Fall läßt sich – wovon auch das angefochtene Urteil zutreffend ausgegangen ist –, die Zuordnung der Klägerin zu dem M. Betrieb der Beklagten allerdings nicht mit einer nur vorübergehenden Auslandsentsendung begründen. Die Frage, ob eine Zuordnung zum Inlandsbetrieb auch bei dauernder Auslandstätigkeit in Betracht kommt, ist höchstrichterlich bisher nicht abschließend geklärt. Die beiden Entscheidungen des Sechsten Senats vom 25. April 1978, BAGE 30, 266 = AP Nr. 16 zu Internat. Privatrecht Arbeitsrecht und 21. Oktober 1980 – 6 AZR 640/79 – AP Nr. 17 zu Internat. Privatrecht Arbeitsrecht, haben lediglich den Fall behandelt, daß der Arbeitnehmer bei dauernder Auslandstätigkeit gleichzeitig in einen ausländischen Betrieb integriert war. Der Senat hat dieser Ansicht in dem Urteil vom 30. April 1987 (aaO) zugestimmt, aber nicht ausdrücklich die Frage behandelt, was bei dauernder Auslandstätigkeit ohne Integration in einem Auslandsbetrieb zu gelten hat.
In der Literatur ist die Frage streitig. Auffarth (aaO, 5.36) lehnt eine Zuordnung zum Inlandsbetrieb auch in diesem Fall ab. Demgegenüber vertritt Richardi (IPRax 1983, 217, 219; Dietz/Richardi, aaO, Rz 46) u.a. im Hinblick auf die vorliegende Fallvariante der Auslandsreiseleiterin den gegenteiligen Standpunkt. Er begründet dies damit, daß Mitarbeiter von Betrieben, die ausschließlich Projekte im Ausland betreuen, ansonsten aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgeklammert würden. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
Die Anwendung deutschen Betriebsverfassungsrechts setzt eine Beziehung zum Inlandsbetrieb voraus, die es rechtfertigt, die Auslandstätigkeit als Ausstrahlung der im Inland entfalteten betrieblichen Aktivitäten zu behandeln. Weder die Dauer der Auslandstätigkeit noch die Frage, ob der Arbeitnehmer dort in eine betriebliche Struktur eingegliedert ist oder nicht, sind für sich genommen hinreichende Begründungen für den notwendigen Inlandsbezug. Beides sind lediglich – wenn auch wichtige – Indizien.
Der Sechste Senat hat das entscheidende materielle Kriterium als persönliche, tätigkeitsbezogene und rechtliche Bindung an den Inlandsbetrieb umschrieben (Urteil vom 21. Oktober 1980, aaO, zu II 3 d der Gründe; ebenso Hickl, aaO, 14). Richardi (aaO, 219) stellt auf das Weisungsverhältnis und die personelle Kompetenz ab. Nach Auffarth (aaO, S. 35) ist maßgebend allein die fortbestehende arbeitsvertragliche Beziehung zum Inland. Birk (RdA 1984, aaO) fragt nach der Eingliederung in den inländischen Betrieb. Corts (aaO, 255) prüft, ob die Beziehung zum Inlandsbetrieb über diejenige zum Auslandsbetrieb hinausgeht.
Diese unterschiedlichen Formulierungen beruhen nicht auf grundsätzlich verschiedenen Rechtsstandpunkten. Einigkeit besteht vielmehr darüber, daß auf den konkreten Bestand einer materiellen Beziehung zum Inlandsbetrieb abzustellen ist, die sich aus einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, wobei die Dauer der Entsendung und die Frage der Integration in einen ausländischen Betrieb eine wesentliche Rolle spielen.
II. Das angefochtene Urteil hat die vorliegend dargestellten Rechtsgrundsätze zutreffend erkannt und auf den festgestellten Sachverhalt angewandt.
1. Die Zuordnung zum Inlandsbetrieb läßt sich vorliegend, wie ausgeführt, nicht mit einer nur vorübergehenden Entsendung nach Tunesien begründen. Das entspräche zwar der Argumentation der Beklagten zum Kündigungsgrund. Die Klägerin ist aber tatsächlich von März 1982 bis zum Ausspruch der Kündigung ausschließlich in Tunesien eingesetzt worden. Unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Klägerin anderweitig eingesetzt werden konnte, ist ein anderer Einsatz jedenfalls erst erwogen worden, nachdem sie schwangerschaftsbedingt vorübergehend ausgefallen war.
2. Für die Zuordnung zum M. Betrieb spricht zunächst die anfängliche Tätigkeit der Klägerin. Da das Betriebsverfassungsgesetz auf die tatsächliche Eingliederung unabhängig von der zugrundeliegenden Rechtsbeziehung abstellt (vgl. für die Einstellung: BAG Beschluß vom 16. Dezember 1986 – 1 ABR 52/85 – AP Nr. 40 zu § 99 BetrVG 1972, zu B II 1 a der Gründe = NZA 1987, 424, 425; Beschluß vom 12. Juli 1988 – 1 ABR 85/86 –, zu B I 3 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen), ist es unschädlich, daß der Inlandstätigkeit zunächst ein befristeter Arbeitsvertrag zugrunde lag. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung, ob eine Zuordnung zu einem Inlandsbetrieb in jedem Fall voraussetzt, daß der Arbeitnehmer dort irgendwann einmal tätig war (so wohl der Sechste Senat im Urteil vom 21. Oktober 1980, aaO; Auffarth, aaO, S. 36; Corts, aaO, 255; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, Rz 16).
3. Ebenfalls für einen Inlandsbezug spricht die in Ziff. 5 des Arbeitsvertrages der Klägerin enthaltene Verpflichtung, ggf. im Inland tätig zu werden.
In der Literatur wird eine solche „Rückrufmöglichkeit” zum Teil als zwingendes Indiz für eine fortbestehende Beziehung zum Inlandsbetrieb gewertet (Hess/Kropshofer, BlStSozArbR 1979, 100, 102; Auffarth, aaO, S. 35; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, Rz 6). Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen eine „Rückrufmöglichkeit” zwar vertraglich vorgesehen, aber beispielsweise deshalb von untergeordneter Bedeutung erscheint, weil von ihr jahrzehntelang kein Gebrauch gemacht worden ist. Gerechtfertigt erscheint es jedoch, einer „Rückrufmöglichkeit” erhebliche Indizwirkung für den fortbestehenden Inlandsbezug einzuräumen. Die Einbeziehung in eine Gesamtwertung ermöglicht es auch, unterschiedlich zu gewichten, je nachdem, an welche Voraussetzungen der „Rückruf” geknüpft ist und ob eine dauernde oder nur eine vorübergehende Inlandsverwendung zulässig ist.
Da im vorliegenden Fall bereits die Möglichkeit einer vorübergehenden, von der Bedingung ihrer sachlichen Notwendigkeit abhängigen Inlandsverwendung – zusammen mit den übrigen Kriterien – zu einer Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes führt, bedarf es auch an dieser Stelle keines Eingehens auf die zwischen den Parteien streitige Vertragsauslegung.
4. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf abgestellt, daß der Einsatz der Klägerin von M. aus geplant wurde und dort die zur Ausübung des Direktionsrechts befugten Vorgesetzten arbeiteten. Der Zentrale oblag nicht nur die Personalverwaltung, was für eine Zuordnung zum M. Betrieb regelmäßig nicht ausreichen würde. Der Klägerin wurden von dort aus auch die Reisegruppen zugeführt, ohne die sie ihre Tätigkeit nicht ausüben konnte.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Ascheid, Jansen, Dr. Roeckl
Fundstellen
BB 1990, 707 |
NJW 1990, 3104 |
RdA 1990, 128 |
IPRspr. 1989, 74 |