Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Entgeltabrede als dynamische Inbezugnahme tariflicher Entgeltregelungen. Auslegung einer Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede. Änderungsvertrag als „Neuvertrag”. gerichtliche Pflicht zur Ermittlung von Tarifverträgen. Auslegung einer Bezugnahmeregelung. Gleichstellungsabrede. Abschluss eines „Neuvertrags”
Orientierungssatz
1. Wird im Arbeitsvertrag durch eine Allgemeine Geschäftsbedingung für die „Gehaltszahlung” ein bezifferter Betrag als „Tarifgehalt” bezeichnet, kann ein Arbeitnehmer regelmäßig davon ausgehen, er werde ein Entgelt entsprechend der Entwicklung des maßgebenden Gehaltstarifvertrags erhalten. Eine Klausel, nach der „übertarifliche Bezüge … bei Tariferhöhungen anrechenbar” sind, bestätigt diese Auslegung.
2. Bei einer nach dem 31. Dezember 2001 vereinbarten Arbeitsvertragsänderung kommt es für die Beurteilung, ob eine vor dem 1. Januar 2002 vereinbarte Bezugnahmeregelung entgegen ihrem Inhalt aus Gründen des Vertrauensschutzes noch als Gleichstellungabrede auszulegen ist, darauf an, ob die Klausel durch die Änderungsvereinbarung zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. In einem solchen Fall sind dann die Auslegungsmaßstäbe für „Neuverträge” maßgebend.
3. Beruht die Anwendung eines Tarifvertrags auf ein Arbeitsverhältnis ausschließlich auf einer individualvertraglichen Vereinbarung, ist das Gericht nicht verpflichtet, die in Frage kommenden Tarifverträge unter Beachtung von § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Das ist nur dann der Fall, wenn der Tarifvertrag kraft Tarifgebundenheit normativ gilt.
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. Oktober 2013 – 13 Sa 569/13 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltansprüche der Klägerin und in diesem Zusammenhang über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen aufgrund vertraglicher Bezugnahme.
Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit Juli 2002 als Buchhändlerin beschäftigt. In dem mit der Rechtsvorgängerin, der nicht tarifgebundenen B GmbH & Co. KG, geschlossenen Arbeitsvertrag vom 10. Juni 2002 heißt es ua.:
„§ 1 Probezeit und Anstellung |
Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 01.07.2002 als
Tarifgruppe II/1 eingestellt.
…
Tarifgehalt |
EUR 1.610,– |
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(Eintausendsechshundertundzehn) |
… übertarifliche Bezüge sind bei Tariferhöhungen, bei Aufrücken in ein anderes Berufs- oder Tätigkeitsjahr oder bei Einstufung in eine höhere Beschäftigungsgruppe anrechenbar. Sie können im übrigen unter Einhaltung der in § 10 vereinbarten Frist gekündigt werden.
…
Die Arbeitszeit beträgt in der Woche 37,5 Stunden.
Soweit sich aus diesem Vertrag nichts anderes ergibt, findet der Mantel- und Gehaltstarif des Einzelhandels Hessen in der zuletzt gültigen Fassung sowie die Betriebsordnung Anwendung.
…”
Im Dezember 2009 schlossen die B GmbH & Co. KG und die Klägerin einen befristeten „Nachtrag zum Arbeitsvertrag” (nachfolgend: Nachtrag 2009), der ua. folgenden Inhalt hat:
„2. Arbeitszeit |
Die wöchentliche Arbeitszeit … beträgt 18,00 Std./Woche. |
3. Vergütung |
Das monatliche Bruttoentgelt, bezogen auf 37,5 Std./Woche beträgt EUR 1.974,00. |
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Daraus errechnet sich bei einer Teilzeitbeschäftigung von 18,00 Std./Woche ein monatliches Bruttoentgelt von EUR 947,52. |
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… |
6. Gültigkeit |
Diese Vereinbarung tritt ab 26.12.2009 in Kraft und endet am 26.12.2010. |
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Alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort. |
…” |
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Zum 21. Dezember 2010 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin infolge einer Verschmelzung der Rechtsvorgängerin auf die ebenfalls nicht tarifgebundene Beklagte als aufnehmende Rechtsträgerin über. Am 23. Dezember 2010 schlossen die Parteien einen „Nachtrag zum Arbeitsvertrag” (nachfolgend: Nachtrag 2010), der auszugsweise wie folgt lautet:
„2. Arbeitszeit |
Die wöchentliche Arbeitszeit … beträgt 18,00 Std./Woche. |
3. Vergütung |
Das monatliche Bruttoentgelt, bezogen auf 37,5 Std./Woche, beträgt bis zum 31.03.2011 EUR 1.974,00. Daraus errechnet sich bei einer Teilzeitbeschäftigung von 18,00 Std./Woche ein monatliches Bruttoentgelt von EUR 947,52. |
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Das monatliche Bruttoentgelt, bezogen auf 37,5 Std./Woche beträgt ab dem 01.04.2011 EUR 2.012,50. Daraus errechnet sich bei einer Teilzeitbeschäftigung von 18,00 Std./Woche ein monatliches Bruttoentgelt von EUR 966,00. |
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… |
6. Gültigkeit |
Diese Vereinbarung tritt rückwirkend ab 27.12.2010 in Kraft und endet am 26.12.2011. |
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Alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort. |
…” |
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In einem weiteren „Nachtrag zum Arbeitsvertrag” (nachfolgend: Nachtrag 2011) vereinbarten die Parteien:
„2. Arbeitszeit |
Die wöchentliche Arbeitszeit … beträgt 18,00 Std./Woche. |
3. Vergütung |
Das Bruttomonatsgehalt wird auf die oben genannte Wochenarbeitszeit angepasst. … |
6. Gültigkeit |
Diese Vereinbarung tritt rückwirkend ab 27.12.2011 in Kraft und endet am 26.12.2012. |
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Alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort. |
…” |
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Die Beklagte zahlte zuletzt ein Entgelt in unveränderter Höhe von 966,00 Euro brutto.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2012 hat die Klägerin die Beklagte ohne Erfolg aufgefordert, ihr für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2012 näher bezeichnete Differenzen zwischen den ihr geleisteten Zahlungen und dem tariflichen geregelten Entgelt nach dem „Tarifvertrag für den Hessischen Einzel- und Versandhandel” zu zahlen.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihre Zahlungsansprüche – erweitert um den Zeitraum bis einschließlich des Monats Januar 2013 –, weiterverfolgt und tarifliche Einmalzahlungen für die Jahre 2010 und 2012 aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung anteilig verlangt sowie die Feststellung der für die Vergütung maßgebenden Tarifverträge begehrt. Sie hat ausgeführt, der Arbeitsvertrag vom Juni 2002 enthalte eine unbedingte zeitdynamische Bezugnahme auf die jeweiligen tariflichen Entgeltbestimmungen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.410,72 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB nach näher bezifferter Maßgabe zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 96,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 2. Juli 2012 zu zahlen,
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Vergütung nach dem zwischen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. sowie dem Handelsverband BAG Hessen, Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels Hessen e.V. geschlossenen Gehaltstarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel für Hessen in seiner jeweils gültigen Fassung ab dem 1. Februar 2013 zu zahlen.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, der Arbeitsvertrag enthalte eine sog. statische Bezugnahme auf die bei Vertragsschluss geltenden Tarifverträge, wie das Wort „zuletzt” in dessen § 13 zeige. Zudem sei das Entgelt individuell vereinbart worden. In § 3 des Arbeitsvertrags sei die Vergütung abschließend geregelt. Nichts anderes ergebe sich aus den Nachträgen zum Arbeitsvertrag. Eine etwaige Bezugnahmeregelung aus dem ursprünglichen Arbeitsvertrag sei durch Nr. 6 Satz 2 der jeweiligen Nachträge nicht zum Gegenstand einer erneuten rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht worden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Dies führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO).
I. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung konnte die Klage nicht abgewiesen werden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat – kurz zusammengefasst – angenommen, § 13 des Arbeitsvertrags verweise nur auf den Mantel- und Gehaltstarifvertrag „in der zuletzt gültigen Fassung”. Dies sei nur der Tarifvertrag, der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 10. Juni 2002 in Kraft gewesen sei. Die Abreden in den §§ 1, 3 und 7 des Arbeitsvertrags ließen keinen Schluss auf eine dynamische Verweisung auf die in Zukunft jeweils gültigen Tarifverträge zu.
2. Dem folgt der Senat nicht. Die Parteien des im Juni 2002 geschlossenen Arbeitsvertrags haben in den §§ 1 und 3 eine zeitdynamische Bezugnahme von tariflichen Entgeltbestimmungen vereinbart. Das ergibt die Auslegung der §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags (zu den Maßstäben: BAG 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08 – Rn. 15 mwN, BAGE 134, 283; 13. Februar 2013 – 5 AZR 2/12 – Rn. 14 f. mwN).
a) Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrags in § 1 wurde die Klägerin als „Buchhändlerin … Tarifgruppe II/1” eingestellt und in § 3 für die „Gehaltszahlung” ein „Tarifgehalt” vorgesehen. Damit hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Klauselverwenderin deutlich zum Ausdruck gebracht, sie vergüte die Klägerin entsprechend den einschlägigen tariflichen Entgeltbestimmungen. Der durchschnittliche Arbeitnehmer darf bei einer derartigen Verknüpfung von einem festen Entgeltbetrag und dessen Bezeichnung als Tarifgehalt redlicherweise davon ausgehen, der in der Klausel festgehaltene Betrag werde nicht für die Dauer des Arbeitsverhältnisses statisch sein, sondern solle sich entsprechend den tariflichen Entwicklungen des maßgebenden Gehaltstarifvertrags entwickeln. Ein redlicher Arbeitgeber würde – wenn er die von ihm gestellte Klausel nicht so verstanden wissen wollte – die Bezeichnung als Tarifgehalt unterlassen, um klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass er nicht „nach Tarif” zahlen will, sondern sich das vereinbarte Entgelt ausschließlich nach den konkret bezifferten Parteivereinbarungen richten soll (so bereits BAG 13. Februar 2013 – 5 AZR 2/12 – Rn. 17; weiterhin 13. Mai 2015 – 4 AZR 244/14 – Rn. 17 ff., für eine nahezu wortgleiche Vertragsgestaltung).
b) Bestätigt wird diese Auslegung durch § 3 Satz 4 des Arbeitsvertrags. Die dortige Anrechnungsregelung – „übertarifliche Bezüge sind bei Tariferhöhungen, bei Aufrücken in ein anderes Berufs- oder Tätigkeitsjahr oder bei Einstufung in eine höhere Beschäftigungsgruppe anrechenbar” – hat nur bei einer dynamischen Inbezugnahme der tariflichen Entgeltbestimmungen einen Anwendungsbereich (ebenso BAG 13. Mai 2015 – 4 AZR 244/14 – Rn. 18; 20. April 2012 – 9 AZR 504/10 – Rn. 29).
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich weder aus
anderen Gründen als insgesamt zutreffend noch ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ob die auch hinsichtlich des Feststellungsantrags – Antrag zu 3 – als sog. Elementenfeststellungsklage (s. nur BAG 1. Juli 2009 – 4 AZR 261/08 – Rn. 26 ff., BAGE 131, 176; 22. Oktober 2008 – 4 AZR 784/07 – Rn. 11 mwN, BAGE 128, 165) zulässige Klage jedenfalls teilweise begründet ist, steht noch nicht fest.
Die Klägerin kann zwar aufgrund der vertraglichen Bezugnahme grundsätzlich ein Entgelt nach den jeweils maßgebenden tariflichen Entgeltbestimmungen verlangen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis einschließlich 26. Dezember 2011 stehen aber nach dem derzeitigen Streitstand die Entgeltabreden in den vertraglich vereinbarten Nachträgen 2009 und 2010 den Zahlungsansprüchen der Klägerin entgegen (unter II 1). Für die Zeit ab dem 27. Dezember 2011 kommt hingegen eine Anwendung der in Bezug genommenen tariflichen Entgeltbestimmungen in Betracht; derzeit steht aber nach dem Vorbringen der Klägerin und den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nicht fest, welche tariflichen Regelungen dies sind (unter II 2). Die Sache ist vor dem Hintergrund der bisherigen Erörterungen des Rechtsstreits in den Tatsacheninstanzen sowie der Begründung der klageabweisenden Entscheidung insgesamt an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG wird das Landesarbeitsgericht insbesondere der Klägerin Gelegenheit zu weiterem tatsächlichen Vortrag geben müssen.
1. Für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 26. Dezember 2011 ist die Klage derzeit nicht begründet.
Zwar gelten nach Nr. 6 Satz 2 der Nachträge 2009 und 2010 „alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages” unverändert fort. Die Parteien haben aber in Nr. 3 Satz 1 der beiden Nachträge jeweils eine selbständige und gegenüber der Regelung in Nr. 6 Satz 2 iVm. § 13 Satz 1 des Arbeitsvertrags vorrangige „Bestimmung” zum Entgelt vereinbart, die jedenfalls kein aktuelles tariflich geregeltes Entgelt zum Inhalt haben. Diese eigenständige, befristete vertragliche Entgeltabrede steht für die vereinbarte Dauer ihrer Geltung nach § 13 des Arbeitsvertrags einer Anwendung der jeweiligen tariflichen Entgeltbestimmungen entgegen.
2. Für die Zeit ab dem 27. Dezember 2011 finden hingegen die jeweiligen tariflichen Entgeltbestimmungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme wieder Anwendung. Allerdings kann nach dem derzeitigen Vorbringen der Klägerin noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die von ihr herangezogenen Tarifverträge, auf die sie ihr Klagebegehren stützt, maßgebend sind (unter II 2 a). Die Klage kann – wenn man zugunsten der Klägerin die Anwendbarkeit der von ihr herangezogenen tariflichen Entgeltbestimmungen unterstellt – jedenfalls noch nicht abgewiesen werden. Ein anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Alemo-Herron (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 –) (unter II 2 b). Ob dies allerdings bereits für die Dauer der Gültigkeit des Nachtrags 2011 (vom 27. Dezember 2011 bis einschließlich 26. Dezember 2012) der Fall ist, kann der Senat mangels weiterer erforderlicher Feststellungen nicht entscheiden (unter II 2 c).
a) Der Senat kann nach den getroffenen tatrichterlichen Feststellungen und dem bisherigen Vorbringen der Klägerin nicht abschließend beurteilen, ob die von ihr in Anspruch genommenen Tarifverträge von der vertraglichen Abrede in den §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags erfasst sind. Die Klägerin hat bisher noch nicht schlüssig dargetan, welche tariflichen Entgeltbestimmungen arbeitsvertraglich in Bezug genommen sind. Ihr ist daher, weil das Landesarbeitsgericht – nach seiner Begründungslinie konsequent – von einem richterlichen Hinweis abgesehen hat, Gelegenheit zu einem ergänzenden und konkretisierenden Vorbringen zu geben.
aa) Die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen nennen in den §§ 1 und 3 keinen konkreten Tarifvertrag. Lediglich in § 13 des Arbeitsvertrags wird ein solcher – „Mantel- und Gehaltstarif des Einzelhandels Hessen” – aufgeführt, der aber nur „im Übrigen” für das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis maßgebend sein soll.
bb) Aus dem weiteren Vorbringen der Klägerin erschließt sich nicht, welche tariflichen Entgeltbestimmungen nach den §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags maßgebend sein sollen. In ihrer Klageschrift hat sie sich für die von ihr für die einzelnen Zeiträume näher bezifferten Entgeltdifferenzen auf zwischen der „Gewerkschaft Ver.di” und dem „Arbeitgeberverband der Hessischen Einzelhändler” vereinbarten Entgelterhöhungen in den Jahren 2010 und 2011 gestützt. Hierzu hat die Klägerin allerdings auszugsweise den „Gehaltstarifvertrag zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und dem Handelsverband BAG Hessen e.V. einerseits und Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) andererseits” – also von zwei Tarifvertragsparteien auf Arbeitgeberseite, die mit dem schriftsätzlich bezeichneten „Arbeitgeberverband der Hessischen Einzelhändler” nicht namensgleich sind – mit den Entgeltregelungen ab dem 1. August 2009 und ab dem 1. August 2010 auszugsweise vorgelegt. Darüber hinaus hat sie in ihrem Feststellungsantrag (Antrag zu 3) einen von den drei genannten Tarifvertragsparteien vereinbarten „Gehaltstarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel für Hessen” benannt. Weiterhin hat sie sich auf Tarifinformationen der Gewerkschaft ver.di („Wir im Einzel- und Versandhandel Hessen”) gestützt und schließlich für die Zeit ab dem 1. April 2011 einen lediglich vom „Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V.” und ab dem 1. April 2013 einen vom „Handelsverband Hessen e.V.” geschlossenen Gehaltstarifvertrag vorgelegt, die auf Arbeitnehmerseite jeweils mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen wurden. Damit hat sie noch nicht hinreichend dargetan, welcher konkrete Tarifvertrag in Bezug genommen sein soll. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, die in Frage kommenden Tarifverträge unter Beachtung von § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Dies ist nur dann der Fall, wenn es um die normative Wirkung eines Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG geht (BAG 19. November 1996 – 9 AZR 376/95 – zu I 1 b aa der Gründe, BAGE 84, 325), nicht aber wenn – wie hier – die Anwendung eines Tarifvertrags ausschließlich auf einer individualvertraglichen Vereinbarung beruht. Der Klägerin ist im Hinblick auf ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und weil das Landesarbeitsgericht – nach seiner Begründungslinie konsequent – einen richterlichen Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO nicht gegeben hat, aber Gelegenheit zu einem konkretisierenden Sachvortrag zu geben.
b) Einer dynamischen Bezugnahme der jeweiligen tariflichen Entgeltbestimmungen steht die Entscheidung des EuGH vom 18. Juli 2013 (– C-426/11 –) nicht entgegen. Für die Zeit ab dem 27. Dezember 2011 haben die Parteien selbst durch Nr. 6 Satz 2 in den beiden Nachträgen zum Arbeitsvertrag aus den Jahren 2010 (Nachtrag 2010) und 2011 (Nachtrag 2011) eine dynamische Verweisung auf die jeweiligen tarifvertraglichen Entgeltregelungen vereinbart. Mit dieser vertraglichen Abrede haben sie grundsätzlich die Bezugnahmeregelung in den §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags aus dem Jahr 2002 erneut zum Gegenstand ihrer rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht (zu den Beurteilungsmaßstäben BAG 13. Mai 2015 – 4 AZR 244/14 – Rn. 26 ff. mwN).
aa) In Nr. 6 Satz 2 der beiden Nachträge 2010 und 2011 haben die Vertragsparteien ausdrücklich geregelt, dass „alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages”, der in Nr. 1 des jeweiligen Nachtrags auch ausdrücklich aufgeführt ist, unverändert fortgelten. Mit dieser Formulierung haben sie die Bestimmungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags erneut vereinbart. Das ergibt sich auch aus der Systematik des jeweiligen Nachtrags. Nach Nr. 6 Satz 1 des Nachtrags 2010 soll die Änderung der Arbeitszeit (Nr. 2) und die vereinbarte Vergütung (Nr. 3) ausschließlich für die Zeit vom 27. Dezember 2010 bis zum 26. Dezember 2011 „Gültigkeit” haben und für den anschließenden Zeitraum vom 27. Dezember 2011 bis zum 26. Dezember 2012 jedenfalls die geänderte Arbeitszeit von wöchentlich 18 Stunden fortgesetzt werden (Nr. 2 Nachtrag 2011). Darüber hinaus haben die Parteien in Nr. 6 Satz 2 der jeweiligen Nachträge die uneingeschränkte Fortgeltung „aller anderen Bestimmungen” zum Vertragsinhalt gemacht. Nach dem Ende des jeweiligen Nachtrags bilden dann – vorbehaltlich erneuter abweichender Vereinbarungen – die gesamten Regelungen des Arbeitsvertrags aus dem Jahr 2002 die maßgebende vertragliche Grundlage für das Arbeitsverhältnis. Damit werden zugleich die §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags einbezogen (so schon BAG 13. Mai 2015 – 4 AZR 244/14 – Rn. 28).
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Regelung in den jeweiligen Nachträgen nicht lediglich um eine sog. deklaratorische Vertragsbestimmung. Bei einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ist grundsätzlich von übereinstimmenden Willenserklärungen auszugehen. Soll deren Inhalt keine rechtsgeschäftliche Wirkung zukommen, sondern es sich nur um eine deklaratorische Angabe in Form einer sog. Wissenserklärung handeln, muss dies im Vertrag deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein (BAG 13. Mai 2015 – 4 AZR 244/14 – Rn. 29; 21. August 2013 – 4 AZR 656/11 – Rn. 12 mwN, BAGE 146, 29). Nach dem jeweiligen Wortlaut liegen den Vereinbarungen ohne Weiteres übereinstimmende Willenserklärungen zugrunde. Anhaltspunkte dafür, die Parteien hätten reine Wissenserklärungen ohne Rechtsbindungswillen abgegeben, wie es die Beklagte meint, lassen sich weder den Vertragswortlauten entnehmen noch sind besondere Umstände erkennbar, die hierauf schließen lassen.
c) Die Anwendung der tarifvertraglichen Entgeltbestimmungen für die Zeit vom 27. Dezember 2011 bis einschließlich 26. Dezember 2012 (Nachtrag 2011) steht derzeit nicht fest. Die Parteien haben in Nr. 3 des Nachtrags 2011 keine eigenständige Vergütungsabrede für diesen Zeitraum getroffen, sondern lediglich die reduzierte Wochenarbeitszeit aus dem vorangegangenen Zeitraum in Nr. 2 des Nachtrags 2011 für ein weiteres Jahr fortgeschrieben. Dies könnte dafür sprechen, dass die in Nr. 3 des Nachtrags 2011 vorgesehene Anpassung des monatlichen Bruttoentgelts auf die „genannte Wochenarbeitszeit” anhand der maßgebenden tariflichen Entgeltbestimmungen erfolgt, die über Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags 2011 iVm. den §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags in Bezug genommen sind. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erörterungen des Rechtsstreits, die sich allein mit der Auslegung des Arbeitsvertrags aus dem Jahr 2002 befassten, ist den Parteien auch insoweit die Möglichkeit zu weiterem Vorbringen zu geben.
III. Im Rahmen der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht neben den vorstehenden Ausführungen weiterhin beachten müssen, dass nach dem bisherigen Vorbringen der Klägerin die Höhe des begehrten Entgeltanspruchs für die Zeit vom 27. Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2011 nicht ausreichend dargelegt worden ist. Gleiches gilt für die Zeit vom 27. Dezember 2012 bis zum 31. Dezember 2012, falls die Klägerin erst ab dem Ende der vertraglichen Geltung des Nachtrags 2011 ein Entgelt nach den einschlägigen tariflichen Regelungen beanspruchen kann. Darüber hinaus sind die maßgebenden tariflichen Grundlagen für die Einmalzahlungen seitens der Klägerin darzulegen.
Unterschriften
Eylert, Creutzfeldt, Treber, Pust, Lippok
Fundstellen
Haufe-Index 8720004 |
BB 2015, 2931 |