Entscheidungsstichwort (Thema)
Immaterieller Schadensersatz. Mobbing. Verwirkung
Orientierungssatz
1. Allgemeine, nicht fallbezogene Überlegungen zu möglichen Beweisschwierigkeiten oder dem Interesse an einer „zeitnahen Klärung” dürfen ohne normative oder vertragliche Grundlage nicht zu einer Geltendmachungsfrist führen, die das Ausschöpfen der kurzen gesetzlichen Verjährungsfrist nach § 195 BGB obsolet werden lässt.
2. „Verwirkung” bedeutet die unzulässige Rechtsausübung im konkreten Einzelfall. Die generelle Einführung von Geltendmachungsfristen lässt sich mit diesem Rechtsinstitut nicht durchsetzen.
3. Die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 AGG ist eng auszulegen und daher grundsätzlich nicht analogiefähig.
Normenkette
BGB §§ 195, 199, 242
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 25. Juli 2013 – 5 Sa 525/11 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten, seinen ehemaligen Vorgesetzten, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch. Zum Ersatz immateriellen Schadens sei der Beklagte verpflichtet, weil er den Kläger von 2006 bis Anfang 2008 „gemobbt” habe.
Der 1958 geborene Kläger, der das Erste juristische Staatsexamen abgelegt hat, war bei der P GmbH und deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 23. Juli 1990 beschäftigt, zuletzt als Personalfachberater/Fachberater Arbeitsrecht mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 4.500,00 Euro. Die P GmbH war die Dachgesellschaft aller Versandhandelsmarken der 2009 in Insolvenz geratenen A AG, vormals K AG. Einem Zwischenzeugnis vom 31. Mai 2006 zufolge führte der Kläger die ihm übertragenen Aufgaben „stets zur … vollsten Zufriedenheit” der Arbeitgeberin aus, in den Jahren 2001 und 2006 erhielt er für herausragende Leistungen Sonderprämien.
Anfang Juni 2006 wurde die bisherige Abteilung des Klägers mit einer weiteren zu einer neuen Abteilung zusammengelegt, in der nur noch Volljuristen Sachbearbeiter sein sollten. Die Abteilungsleiterin der neu gebildeten Abteilung war dem Beklagten unterstellt. In die neue Abteilung wurde der Kläger nicht aufgenommen, vielmehr wurde auch er dem Beklagten als Vorgesetzten unmittelbar unterstellt.
Der Beklagte teilte dem Kläger am 17. Juli 2006 mit, dass er sich – extern im Wege des Outplacements – eine andere Stelle suchen solle, in der neu gebildeten Abteilung könne er nicht mehr beschäftigt werden. Bewerbungen des Klägers auf andere Stellen im Unternehmen blieben erfolglos. In der Folgezeit leitete der Beklagte als direkter Vorgesetzter des Klägers eine Reihe von Maßnahmen ein, die dieser als „Mobbing” in Form der Isolierung, Herabwürdigung, Schikane wertete. Nachdem der Kläger in zwei E-Mails den Vorwurf des Mobbings erhoben hatte, wurde er mit Schreiben der Arbeitgeberin vom 9. März 2007 abgemahnt, eine weitere, vom Beklagten unterzeichnete Abmahnung wurde unter dem 25. Mai 2007 wegen Nichterledigung eines Auftrages ausgesprochen. In dem dazu geführten Rechtsstreit einigten sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung des Berufungsrechtszugs am 21. Juli 2009 darauf, beide Abmahnungen als gegenstandslos zu betrachten.
2007 erkrankte der Kläger an einem chronischen Überlastungssyndrom und Depression. Er war an insgesamt 52 Tagen in drei Krankheitszeiträumen arbeitsunfähig. 2008 konnte der Kläger an 216 Tagen nicht arbeiten, im Jahre 2009 durchgängig bis zum August. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis, das schließlich endgültig am 28. Februar 2010 endete.
Der Kläger hat behauptet, die letzte Einzelhandlung des Mobbings habe am 4. Februar 2008 stattgefunden, durch sein Vorgehen habe der Beklagte die erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten und die zugrunde liegende schwere Erkrankung ausgelöst.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen Mobbings ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, mindestens jedoch 10.000,00 Euro.
Zur Begründung seines Klageabweisungsantrags hat der Beklagte abgestritten, gegenüber dem Kläger Mobbinghandlungen vorgenommen zu haben. Die den Kläger betreffenden Maßnahmen seien der Umstrukturierung geschuldet gewesen. Der Beklagte hat im Übrigen die Einrede der Verjährung erhoben und im Berufungsrechtszug zudem die Auffassung vertreten, ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch sei jedenfalls verwirkt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, da dem Beklagten Mobbing im Sinne der Rechtsprechung nicht vorgeworfen werden könne. Die Berufung des Klägers blieb vor dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg, das seine Entscheidung ausschließlich auf den Gesichtspunkt der Verwirkung gestützt hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger habe einen etwaigen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens verwirkt.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Wie bei vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen beginne der eine Verwirkung auslösende Zeitraum mit der zeitlich letzten behaupteten Mobbinghandlung. Mit der Geltendmachung seines Schmerzensgeldanspruchs durch die am 28. Dezember 2010 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage habe der Kläger „annähernd zwei Jahre” zugewartet. Dadurch habe der Kläger unter Verstoß gegen Treu und Glauben das Interesse des Beklagten missachtet, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Das Interesse des Beklagten als Anspruchsgegner, dem Dokumentationserfordernis zu genügen, falle ins Gewicht. Die Dokumentationserfordernis- und Beweisprobleme seien der Situation vergleichbar, die den Gesetzgeber für Schadensersatz- oder Entschädigungsforderungen nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG zu einer zweimonatigen Geltendmachungsfrist (§ 15 Abs. 4 AGG) veranlasst hätte. Der Kläger habe nach Abschluss des Verfahrens um die beiden Abmahnungen am 21. Juli 2009 von einer „zeitnahen” Klärung seiner Mobbingvorwürfe abgesehen. Auch nach Erhalt der Kündigung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Unternehmensgruppe der Arbeitgeberin sei der Kläger nicht aktiv geworden.
B. Die Revision des Klägers ist begründet. Die Begründung des Berufungsurteils hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen der Verwirkung liegen nicht vor. Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
I. Die Klage ist schlüssig. Den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt, kommt ein Schmerzensgeldanspruch nach § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB in Betracht.
1. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Mobbings setzt eine hinreichend schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus (vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 8 AZR 546/09 – Rn. 19 und 30, AP BGB § 611 Mobbing Nr. 7). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. Zum Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört auch der sog. Ehrenschutz, der auf den Schutz gegen unwahre Behauptungen und gegen herabsetzende, entwürdigende Äußerungen und Verhaltensweisen und die Wahrung des sozialen Geltungsanspruchs gerichtet ist (ErfK/Schmidt 15. Aufl. GG Art. 2 Rn. 48, 84).
2. Dabei ist der Kläger nach allgemeinen Grundsätzen für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Mobbinghandlungen, aus denen er seinen Schmerzensgeldanspruch herleitet, darlegungs- und beweispflichtig. Dass die behaupteten Äußerungen und Verhaltensweisen des Beklagten als seines Vorgesetzten tatsächlich getätigt worden sind, muss der Kläger – soweit streitig – beweisen (vgl. BAG 14. November 2013 – 8 AZR 813/12 – Rn. 11; 24. April 2008 – 8 AZR 347/07 – Rn. 41, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42).
3. Angesichts des gesamten – unstreitigen wie streitigen – Tatsachenvortrags des Klägers lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass eine Gesamtabwägung sämtlicher vom Kläger behaupteter und ggf. zu beweisender Tatsachen – Handlungen des Beklagten – eine hinreichend schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung ergibt. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Klage daher nicht unschlüssig.
II. Der Anspruch des Klägers auf Ersatz seines immateriellen Schadens ist nicht verjährt.
1. Für einen Schmerzensgeldanspruch gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem zum einen der Anspruch entstanden ist, und in dem zum anderen der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. In Mobbingfällen ist daher der verjährungsrelevante Zeitpunkt regelmäßig auf den Abschluss der zeitlich letzten vorgetragenen Mobbinghandlung festzusetzen (BAG 16. Mai 2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 60, BAGE 122, 304).
2. Nach dem Vortrag des Klägers hat sich die letzte angebliche Mobbinghandlung im Februar 2008 ereignet. Die Verjährungsfrist begann demnach mit Ablauf des 31. Dezember 2008 und endete mit dem 31. Dezember 2011. Die Klage ging per Fax am 28. Dezember 2010 bei Gericht ein. Die Einrede der Verjährung ist unbehelflich.
III. Anhaltspunkte für das Eingreifen tariflicher oder gesetzlicher Ausschlussfristen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch liegen nicht vor.
1. Eine arbeitsvertragliche oder tarifliche Ausschlussfrist, die auch im Falle von auf Mobbing gestützten Ansprüchen gelten und zu deren von Amts wegen zu beachtendem Verfall führen könnte (vgl. zuletzt zu derartigen Ausschlussfristen bei Mobbingfällen: BAG 26. September 2013 – 8 AZR 1013/12 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 204; 20. Juni 2013 – 8 AZR 280/12 –), ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Eine gesetzliche Ausschlussfrist für Ansprüche wegen „Mobbings” besteht nicht. Eine analoge Anwendung anderer gesetzlicher Ausschlussfristen, etwa die des § 15 Abs. 4 AGG, kommt nicht in Betracht, da es an den Voraussetzungen einer Analogiebildung fehlt. Dies hat auch das Landesarbeitsgericht gesehen. Bei § 15 Abs. 4 AGG handelt es sich um eine Bestimmung, die eng auszulegen und grundsätzlich nicht analogiefähig ist. Weiter fehlt es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, dass dem durch Mobbing Geschädigten grundsätzlich keine Beweiserleichterungen wie dem Diskriminierungsopfer nach § 22 AGG zugute kommen. Es existiert auch keine sonstige gesetzliche Frist zur Rechtsausübung wie zB in § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB.
IV. Zwar wird auch bei einem Anspruch wegen behaupteten Mobbings die Anwendung der allgemeinen Verwirkungsgrundsätze nicht von vornherein ausgeschlossen, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden kann (vgl. BAG 22. Juni 2011 – 8 AZR 752/09 – Rn. 28). Das Landesarbeitsgericht hat jedoch sowohl verkannt, dass vorliegend bereits die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht gegeben sind, als es auch die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen selbst nicht angewendet hat.
1. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und dient – wie die Verjährung – dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Mit der Verwirkung soll das Auseinanderfallen zwischen rechtlicher und sozialer Wirklichkeit beseitigt werden; die Rechtslage wird der sozialen Wirklichkeit angeglichen (vgl. BAG 12. Dezember 2006 – 9 AZR 747/06 – Rn. 17 mwN).
a) Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, sodass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (so die vom Senat zur Verwirkung des Widerspruchsrechts bei Betriebsübergängen aufgestellten Grundsätze; s. etwa aktuell BAG 17. Oktober 2013 – 8 AZR 974/12 – Rn. 26).
b) Zudem hat das Rechtsinstitut der Verwirkung Ausnahmecharakter. Unterliegt ein geltend gemachter Anspruch nach §§ 195, 199 BGB der kurzen regelmäßigen Verjährung von drei Jahren, kann im Rahmen der Verwirkung eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände angenommen werden (BGH 20. Juli 2010 – EnZR 23/09 – Rn. 22; vgl. 13. Januar 1988 – IVb ZR 7/87 – BGHZ 103, 62; 17. Februar 1969 – II ZR 30/65 – BGHZ 51, 346).
2. Die Beurteilung der Frage, ob ein Recht verwirkt ist, obliegt grundsätzlich den Tatsachengerichten, die den ihnen zur Begründung des Verwirkungseinwandes vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu würdigen haben. Allerdings unterliegt der revisionsrechtlichen Überprüfung, ob das Tatsachengericht die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und ob die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird (vgl. BAG 17. Oktober 2013 – 8 AZR 974/12 – Rn. 28, AP BGB § 613a Nr. 448; 11. November 2010 – 8 AZR 185/09 – Rn. 25; 20. Mai 2010 – 8 AZR 734/08 – Rn. 24).
3. Das Berufungsgericht hat die rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung verkannt.
a) Im Zuge einer Gesamtwürdigung hat das Landesarbeitsgericht entscheidend auf die für den Beklagten sich ergebenden „Dokumentationserfordernisse” und mögliche Beweisschwierigkeiten bei längerem Zeitablauf abgestellt.
Etwaige Beweisschwierigkeiten stellen jedoch als solche keinen Gesichtspunkt dar, der – alleine oder in Zusammenschau mit weiteren Gesichtspunkten – die Annahme der Verwirkung rechtfertigte. Dies würde im praktischen Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die Verjährungsfristen, insbesondere lange Verjährungsfristen, kaum noch ausgeschöpft werden könnten. Das durch Richterrecht geschaffene Institut der Verwirkung darf in seiner Anwendung nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährungsregelung in weitem Maße unterlaufen wird. Überdies ist der Gläubiger in gleicher Weise den Beweisschwierigkeiten ausgesetzt, die durch Zeitablauf auftreten. Dem Beweisargument könnte allenfalls dann Bedeutung zukommen, wenn der Schuldner im Vertrauen darauf, dass der Gläubiger nach Ablauf eines längeren Zeitraums mit Ansprüchen nicht mehr hervortreten werde, Beweismittel vernichtet hat (BGH 26. Mai 1992 – VI ZR 230/91 – zu II 1 b der Gründe, zur 30-jährigen Verjährungsfrist; bestätigt durch BVerfG 14. Dezember 2005 – 1 BvR 2874/04 – Rn. 27). Dies muss erst recht gelten, nachdem vom Gesetzgeber die regelmäßige Verjährungsfrist auf drei Jahre festgesetzt wurde, § 195 BGB. Zudem hat sich vorliegend der Beklagte im Verfahren nicht auf ihm drohende Beweisschwierigkeiten berufen. Das Berufungsgericht hat mithin nicht den Einzelfall und die konkreten Beweisantritte umfassend gewürdigt, sondern rein abstrakte Überlegungen angestellt.
b) Es kann auch nicht mit dem Gesichtspunkt einer „zeitnahen Klärung” vor Gericht auf den Gedanken der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit abgestellt werden, ohne dass dies eine normative oder vertragliche Grundlage hätte. Der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dienen bereits die Verjährungsvorschriften, vor allem diejenigen mit kurzer Verjährungsfrist. Solche sollen möglichst rasch Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herstellen, den verspätet in Anspruch genommenen Schuldner vor Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs schützen und eine alsbaldige Klärung der erhobenen Ansprüche herbeiführen. Diese, bereits im Verjährungsrecht berücksichtigten Gesichtspunkte dürfen nicht als „doppelrelevante Topoi” nochmals zur Begründung einer Verwirkung herangezogen werden.
4. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen für eine Verwirkung im vorliegenden Fall erkennbar nicht vor.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob das sogenannte „Zeitmoment” – der Ablauf einer gewissen längeren Zeitspanne – erfüllt war. Auch in Ansehung der knapp bemessenen, jedoch unionsrechtskonformen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG können die Anforderungen an das Zeitmoment bei der Verwirkung von Schadensersatzansprüchen aufgrund von Mobbinghandlungen nicht herabgesetzt werden.
b) Jedenfalls fehlt es an dem erforderlichen Umstandsmoment. Der Einwand der Verwirkung ist nur dann begründet, wenn zu dem Zeitablauf im Verhalten des Berechtigten beruhende, im Falle einer kurzen Verjährung besondere Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigten, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGH 18. Juli 2014 – V ZR 291/13 – Rn. 22). Ein derartiges spezifisches Verhalten des Klägers ist weder ersichtlich, noch wurde es vom Berufungsgericht angeführt oder belegt.
aa) Soweit das Berufungsgericht das bloße „Zuwarten” des Klägers moniert und als treuwidrig bezeichnet, geht dies fehl, weil es vorliegend keine Rechtspflicht oder auch nur Obliegenheit des Klägers gab, zu bestimmten Zeitpunkten seine Ansprüche gegen den Beklagten aktiv durchzusetzen. Das bloße Unterlassen oder „Nichtstun” des Klägers konnte beim Beklagten nur dann die begründete Erwartung hervorrufen, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn es eine von dem Beklagten wahrnehmbare Pflicht zum Handeln gab. Hierfür ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.
bb) Weder die bloße Tatsache der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch diejenige der Insolvenz der Arbeitgeberin stellen ein Umstandsmoment für sich genommen dar, das zur Verwirkung führen könnte. Das vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Urteil zur Verwirkung des Anspruchs auf Zeugniserteilung ist schon wegen der nicht vergleichbaren Sachverhalte unbehelflich (BAG 17. Februar 1988 – 5 AZR 638/86 – BAGE 57, 329). Zudem lagen jenem Urteil besondere Umstände zugrunde, aufgrund derer sich eine Pflicht zur zeitnahen Anforderung eines Zeugnisses ergeben hatte.
C. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), weil der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da das Berufungsgericht die Verwirkung eines eventuell bestehenden Schmerzensgeldanspruchs angenommen hat, hat es – aus seiner Sicht folgerichtig – nicht geprüft, ob die materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs wegen einer Gesundheits- oder Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben sind. Ob die Rechte des Klägers aufgrund der von ihm behaupteten Mobbinghandlungen verletzt worden sind, muss das Landesarbeitsgericht aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung unter sorgsamer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen. Diese Würdigung darf dem Berufungsgericht nicht entzogen werden (vgl. BAG 20. Juni 2013 – 8 AZR 280/12 – Rn. 26; 28. Oktober 2010 – 8 AZR 546/09 – Rn. 20, AP BGB § 611 Mobbing Nr. 7; 16. Mai 2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 63, BAGE 122, 304).
Unterschriften
Hauck, Breinlinger, Winter, Mallmann, R. Kandler
Fundstellen
BB 2015, 1267 |
BB 2015, 51 |
DB 2014, 15 |
DStR 2014, 12 |
NJW 2015, 2061 |
FA 2015, 222 |
FA 2015, 61 |
NZA 2014, 6 |
NZA 2015, 808 |
ZTR 2015, 464 |
AP 2015 |
AuA 2015, 112 |
AuA 2015, 552 |
EzA-SD 2014, 4 |
EzA-SD 2015, 10 |
EzA 2015 |
NJ 2015, 8 |
NZA-RR 2015, 6 |
ZMV 2015, 41 |
AA 2015, 19 |
AA 2018, 133 |
AUR 2015, 240 |
AUR 2015, 32 |
AUR 2015, 34 |
ArbRB 2015, 2 |
ArbR 2015, 281 |
NJW-Spezial 2015, 338 |
RÜ 2015, 413 |
StX 2015, 47 |
Personalmagazin 2015, 65 |
SPA 2015, 24 |