Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 26. Juli 1995 – 2 Sa 148/94 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der 1940 geborene, verheiratete Kläger war zumindest seit 1968 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Sigmaschweißer gegen einen Bruttomonatslohn von 4.240,00 DM. In den Jahren von 1970 bis 31. Oktober 1993 hat der Kläger wie folgt wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gefehlt:
Jahr |
Arbeitstage |
in % |
1970 |
88 |
35,2 |
1971 |
40 |
16,0 |
1972 |
36 |
14,4 |
1973 |
37 |
14,8 |
1974 |
12 |
4,8 |
1975 |
31 |
12,4 |
1976 |
67 |
26,8 |
1977 |
33 |
13,2 |
1978 |
62 |
24,8 |
1979 |
18 |
7,2 |
1980 |
76 |
30,5 |
1981 |
40 |
16,1 |
1982 |
44 |
17,7 |
1983 |
115 |
46,0 |
1984 |
21 |
8,5 |
1985 |
36 |
14,6 |
1986 |
41 |
16,6 |
1987 |
66 |
26,6 |
1988 |
44 |
17,6 |
1989 |
75 |
30,1 |
1990 |
218 |
87,9 |
1991 |
54 |
21,9 |
1992 |
75 |
30,0 |
1993 |
208 |
100,0 |
(bis 31.10.)
In der Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Oktober 1993 beliefen sich die Kosten der Beklagten für die Fortzahlung des Arbeitsentgelts an den Kläger für krankheitsbedingte Fehltage auf einen sechsstelligen Betrag. Die häufigen krankheitsbedingten Ausfälle beim Kläger beruhten darauf, daß dieser nach seinen eigenen Angaben seit einigen Jahren unter verschiedenen schwerwiegenden Erkrankungen leidet. In den Jahren 1989 und 1990 mußte er sich zwei Handoperationen unterziehen, seit 1991 fehlte er u.a. wegen eines Halswirbelsäulensyndroms, einer Wirbelsäulenveränderung, eines fieberhaften Infekts, einer Polyneuropathie, einer Bluthochdruckerkrankung, einer Gefäßoperation, eines Lendenwirbelsäulensyndroms und einer Neuralgie.
Mit Schreiben vom 25. November 1993 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats fristgemäß aus krankheitsbedingten Gründen zum 30. Juni 1994. Kurz zuvor hatte der Kläger am 15. Oktober 1993 beim zuständigen Versorgungsamt einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt und beim Arbeitsamt seine Gleichstellung beantragt, ohne die Beklagte hiervon innerhalb einer Frist von einem Monat zu unterrichten. Am 24. November 1993 hatte er eine Kur angetreten, die ihm von der Landesversicherungsanstalt Württemberg bewilligt wurde und aus der er am 22. Dezember 1993 arbeitsfähig entlassen wurde. Seit 9. Dezember 1993 genießt der Kläger den besonderen Kündigungsschutz des § 4 Ziff. 4.4 des MTV für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden.
Der Kläger hält die Kündigung für sozialwidrig. Er hat geltend gemacht, die Beklagte hätte den Erfolg der Kur abwarten müssen. Schon im Kündigungszeitpunkt sei abzusehen gewesen, daß diese Heilmaßnahme erfolgreich verlaufen werde und er, wie dies tatsächlich geschehen sei, arbeitsfähig aus der Kur entlassen werde. Sein Arzt könne darüber Auskunft geben, in welchem Umfang bei ihm eine positive Gesundheitsentwicklung durch die Heilbehandlung bewirkt worden sei. Die Beklagte hätte im Kündigungszeitpunkt bei ihm von einer positiven Prognose bezüglich seines Gesundheitszustandes ausgehen müssen und ihm deshalb nicht kündigen dürfen. Durch die Kündigung habe die Beklagte vor allem den Eintritt des tariflichen Alterskündigungsschutzes unterlaufen wollen.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25. November 1993 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, angesichts der beim Kläger in der Vergangenheit aufgetretenen überdurchschnittlich hohen Fehlzeiten sei nicht damit zu rechnen gewesen, daß eine lediglich vierwöchige Kur bei unterschiedlichsten Krankheitsursachen zu einer Wiederherstellung seiner Gesundheit habe führen können. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in Höhe von 25,9 % der möglichen Arbeitszeit in den Jahren zwischen 1972 und dem 31. Oktober 1993 habe zu betrieblichen Schwierigkeiten geführt. Die Fehlzeiten des Klägers hätten die durchschnittlichen Fehlzeiten seiner Kostenstelle um das 2,5-fache überschritten und zur Umsetzung von höherqualifizierten Mitarbeitern sowie zum Einsatz von Mitarbeitern aus anderen Bereichen geführt. Hierdurch seien ihr Mehrkosten für das höhere Entgelt der umgesetzten Mitarbeiter entstanden und es sei unter den umgesetzten Mitarbeitern große Unzufriedenheit wegen unzulänglicher Ablösung und dadurch geringerwertiger Tätigkeit entstanden. Außerdem habe sie stets wiederkehrende Anlernkosten aufbringen müssen. Durch den Ausspruch der Kündigung habe sie nicht treuwidrig den Eintritt des besonderen Kündigungsschutzes des § 4 MTV vereiteln wollen. Sie habe im Gegenteil noch jahrelang mit dem Ausspruch der Kündigung zugewartet, obwohl die erheblichen Krankheitszeiten des Klägers schon früher eine Kündigung gerechtfertigt hätten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Die Vorinstanzen haben die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei wegen häufiger Kurzerkrankungen des Klägers sozial gerechtfertigt. Die in der Vergangenheit aufgetretenen erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers hätten eine negative Zukunftsprognose gerechtfertigt. Die Beklagte habe die dem Kläger bewilligte Kur nicht abwarten müssen. Es sei nicht ersichtlich, daß die Kur geeignet gewesen sei, ein Wiederauftreten der zahlreichen, verschiedenartigen Krankheiten beim Kläger für die Zukunft auszuschließen. Angesichts der hohen Entgeltfortzahlungskosten, die der Beklagten durch die häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers entstanden seien und auch für die Zukunft drohen würden, müsse auch angesichts des hohen sozialen Besitzstandes des Klägers das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für gewichtiger angesehen werden als das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte habe auch nicht etwa treuwidrig den Eintritt des besonderen Kündigungsschutzes des Klägers verhindert.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung. Die Revisionsrügen, die sich insbesondere gegen die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch das Landesarbeitsgericht richten, greifen nicht durch.
1. Das Landesarbeitsgericht hat nach den für eine krankheitsbedingte Kündigung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Kriterien (vgl. u.a. Grundsatzurteil vom 16. Februar 1989 – 2 AZR 299/88 – BAGE 61, 131 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; Urteile vom 29. Juli 1993 – 2 AZR 155/93 – AP Nr. 27, a.a.O., und zuletzt vom 12. Juli 1995 – 2 AZR 762/94 – AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit, zu II 4 der Gründe) die soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 25. November 1993 zum 30. Juni 1994 beurteilt. Danach ist zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich; es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen.
Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch erhebliche wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen pro Jahr übersteigende Lohnfortzahlungskosten zu einer derartigen erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.
Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen, wobei u.a. zu berücksichtigen ist, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Lohnfortzahlungskosten aufzuwenden hatte; ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
2. Das Berufungsgericht hat die Kündigung der Beklagten methodisch richtig nach diesen Kriterien überprüft. Bei der Frage, ob die Kündigung des Klägers aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur dahin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u.a. BAG Urteile vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89 – AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b aa der Gründe, m.w.N. und vom 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31, a.a.O., zu II 1 der Gründe). Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes läßt das angefochtene Urteil keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose mit den kontinuierlich hohen Fehlzeiten des Klägers begründet, die fast seit Beginn seiner Beschäftigung bei der Beklagten in den letzten mehr als 20 Jahren aufgetreten sind und auf den verschiedensten Krankheitsursachen beruhten. Mit dieser Begründung setzt sich die Revision konkret nicht auseinander und behauptet nicht etwa, die verschiedenen Erkrankungen des Klägers, die dieser selbst als schwerwiegend bezeichnet und zum Anlaß genommen hat, einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter zu stellen bzw. seine Gleichstellung zu beantragen, seien im Zeitpunkt der Kündigung ausgeheilt gewesen.
Wenn die Revision in diesem Zusammenhang rügt, allein aus der Bewilligung des Heilverfahrens in Verbindung mit dem erfolgten Antritt der Kur durch den Kläger ergebe sich im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, daß nicht von einer negativen Prognose auszugehen gewesen sei, so trifft dies nicht zu. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts hat das Berufungsgericht im einzelnen begründet, weshalb es trotz des Kurantritts von einer negativen Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt ausgegangen ist: Es habe sich schon um die zweite Kur des Klägers gehandelt? da die erste Kur nicht zu einer grundlegenden Verbesserung seines körperlichen Zustands, insbesondere nicht zu einer Reduzierung seiner Fehlzeiten geführt habe, könne bei der Verschiedenartigkeit der Erkrankungen des Klägers ohne nähere Darlegung nicht von einer günstigen Gesundheitsprognose beim Kläger für die Zeit nach der zweiten Kur ausgegangen werden. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht in diesem Punkt das Vorbringen des Klägers in den Tatsacheninstanzen nicht als geeignet angesehen hat, die durch die überdurchschnittlichen Krankheitszeiten indizierte negative Gesundheitsprognose in Frage zu stellen. Da der Kläger seit vielen Jahren an den verschiedensten schwerwiegenden Krankheiten litt und schon eine Kurmaßnahme erfolglos geblieben war, hätte es näherer Darlegungen bedurft, welche Krankheiten des Klägers durch die zweite Kurmaßnahme günstig beeinflußt werden konnten und wie nach Ansicht seiner Ärzte die Fehlzeiten deshalb durch einen erfolgreichen Abschluß der Kur in Zukunft reduziert werden konnten. Wie die ihn behandelnden Ärzte im Kündigungszeitpunkt seine gesundheitliche Entwicklung für die Zeit nach Abschluß der Kur beurteilt haben, hat der Kläger konkret nicht angegeben. Er hat sich im wesentlichen auf den Hinweis beschränkt, nach Abschluß der Kur sei er arbeitsfähig gewesen. Dies reicht nicht aus. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang darauf hinweist, ein Versicherungsträger bewillige typischerweise ein Heilverfahren nur dann, wenn damit eine Besserung des Gesundheitszustandes des Betreffenden erreicht werden könne, so hilft dies nicht weiter. Angesichts der enormen Krankheitszeiten beim Kläger war nicht irgendeine Besserung seines Gesundheitszustandes geeignet, die durch die bisherigen Krankheiten indizierte negative Gesundheitsprognose in Frage zu stellen. Es hält sich jedenfalls im Rahmen des den Tatsacheninstanzen eingeräumten Beurteilungsspielraums, wenn das Berufungsgericht unter den gegebenen Umständen davon ausgegangen ist, auch unter Berücksichtigung des bewilligten Heilverfahrens sei im Kündigungszeitpunkt von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen gewesen.
Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Prozeßrüge, das Landesarbeitsgericht hätte den behandelnden Arzt vernehmen müssen, ist unzulässig. Sie genügt nicht den strengen Anforderungen, die nach § 554 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO an Prozeßrügen zu stellen sind (vgl. BAG Urteile vom 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit und vom 27. Oktober 1956 – 2 AZR 297/54 – AP Nr. 3 zu § 554 ZPO; Urteil vom 19. Oktober 1959 – 2 AZR 60/59 – AP Nr. 4, a.a.O.). Danach muß die Revisionsbegründung „die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben”. Wird die Nichtberücksichtigung von Teilvorbringen gerügt, so ist mindestens auf die entsprechenden Stellen und Blattzahlen der Schriftsätze hinzuweisen. Wird die fehlende Durchführung einer Beweisaufnahme gerügt, so ist anzugeben, welche Tatsachen durch die durchgeführte Beweisaufnahme bewiesen worden wären und daß ohne die gerügte Verfahrensverletzung anders entschieden worden wäre. Hier gibt der Kläger nicht einmal an, bei weichen seiner zahlreichen Krankheiten die ihn behandelnden Ärzte die gesundheitliche Entwicklung nach Abschluß der Kur positiv beurteilt und was sie dazu im Falle ihrer Vernehmung bekundet hätten. Der Kläger rügt im Ergebnis lediglich, das Landesarbeitsgericht habe die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises unterlassen.
b) Soweit das Landesarbeitsgericht eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festgestellt hat, trifft dies zu und wird auch von der Revision nicht beanstandet. Schon die von der Beklagten behaupteten, vom Kläger nicht substantiiert bestrittenen Betriebsablaufstörungen stellen eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen dar. Auf die hohen Entgeltfortzahlungskosten, auf die das Landesarbeitsgericht in erster Linie abgestellt hat, kommt es damit nicht einmal entscheidend an.
c) Soweit die Revision die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts als fehlerhaft rügt, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß dem Tatsachenrichter gerade insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht. Die Revision hat nicht näher dargelegt, das Berufungsgericht habe etwa nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt oder die Voraussetzungen und Grenzen seines Ermessens verkannt. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr ausdrücklich die schwierige Lage des seinerzeit 52 Jahre alten Klägers gewürdigt, dessen Chancen, auf dem Arbeitsmarkt kurzfristig einen neuen adäquaten Arbeitsplatz zu finden, gering sind.
Die Revision meint, es sei der Gesichtspunkt nicht ausreichend berücksichtigt, daß der Kläger bei Ausspruch der Kündigung kurz vor der tariflichen Alterssicherung stand, die der Beklagten zumindest eine ordentliche Kündigung unmöglich gemacht hätte. Dieser Umstand ist jedoch bei der Interessenabwägung nicht zu kurz gekommen, sondern vom Landesarbeitsgericht ausdrücklich berücksichtigt worden. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, die Beklagte hätte eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung bereits erheblich früher aussprechen können. Angesichts der über mehr als 20 Jahre ständig anfallenden erheblichen Krankheitszeiten und Entgeltfortzahlungskosten beim Kläger kann es bei der Interessenabwägung nicht entscheidend zu Lasten der Beklagten berücksichtigt werden, daß sie mit dem Ausspruch der Kündigung so lange zugewartet hat.
3. Damit steht auch fest, daß sich die Beklagte nicht entsprechend § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen muß, als wäre der besondere Kündigungsschutz nach § 4 Ziff. 4 des MTV für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden in der Fassung vom 5. Mai 1990 im Zeitpunkt der Kündigung bereits eingetreten gewesen. Kündigt der Arbeitgeber, kurz bevor der Arbeitnehmer die Voraussetzungen des (besonderen) Kündigungsschutzes erlangt, so kann zwar nach dem Rechtsprinzip des § 162 BGB die Einräumung dieses Kündigungsschutzes in Betracht kommen (BAG Urteil vom 20. September 1957 – 1 AZR 136/56 – BAGE 4, 306 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG; Senatsurteil vom 20. Juli 1989 – 2 AZR 515/88 – EzBAT § 53 BAT Nr. 12, zu 3 der Gründe). Dies setzt jedoch voraus, daß das Verhalten des Arbeitgebers, der den Eintritt des (besonderen) Kündigungsschutzes verhindert, gegen Treu und Glauben verstößt. Das Landesarbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung, gegen die die Revision keine durchschlagenden Einwendungen erhebt, unter den vorliegenden Umständen einen derartigen Treueverstoß der Beklagten verneint. Betrachtet man die Entwicklung der krankheitsbedingten Ausfälle beim Kläger, so spricht alles dafür, daß die Beklagte mit dem Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung so lange zugewartet hat, bis der Kläger zuletzt 1993 zu 100 % ausfiel, und daß sie nicht zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt gekündigt hat, nur um treuwidrig den Eintritt des tariflichen Sonderkündigungsschutzes zu unterlaufen.
4. Einen besonderen Kündigungsschutz des Klägers nach § 15 SchwbG hat das Landesarbeitsgericht nicht angenommen und dazu als unstreitig festgestellt, der Kläger habe die Beklagte nicht rechtzeitig innerhalb einer Frist von einem Monat über den gestellten Antrag unterrichtet. Da die Revision insoweit keine Rügen erhebt, erübrigt sich ein weiteres Eingehen hierauf.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Wolter, Beckerle
Fundstellen