Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereingliederung. Schwerbehinderung. Beschäftigung. Darlegungslast. Ärztliche Bescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX die Beschäftigung zur stufenweisen Wiedereingliederung verlangen.
Orientierungssatz
- Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann.
- Dieser Anspruch besteht auch, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und er nach ärztlicher Empfehlung stufenweise seine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen will.
- Anspruchsvoraussetzung ist die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, die neben der attestierten Arbeitsunfähigkeit einen Wiedereingliederungsplan über die aus ärztlicher Sicht zulässige Arbeit enthält. Die ärztliche Bescheinigung muss außerdem eine Prognose darüber enthalten, ob und ab wann mit einer Wiederherstellung der vollen oder teilweisen Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. Ansonsten kann der Arbeitgeber nicht entscheiden, ob ihm eine Beschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar ist und er deshalb iSv. § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX berechtigt ist, die Mitwirkung an der Wiedereingliederung abzulehnen.
Normenkette
SGB IX §§ 84, 81, 28; SGB V § 74; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. März 2005 – 12 Sa 566/04– wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu beschäftigen.
Der 1950 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 1980 als Chef de Rang angestellt. Das Restaurant gehört zu den “Top 100” in Deutschland und ist unter anderem mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Eine zum Restaurant gehörende Empore und das sog. Wappenzimmer sind nur über 21 Stufen zu erreichen.
Der Kläger ist seit Juli 2002 arbeitsunfähig erkrankt. Ende 2002 unterzog er sich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in einer Fachklinik für Herz- und Kreislaufkrankheiten/Orthopädie. Er wurde als arbeitsunfähig entlassen. Gleichzeitig wurde eine stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit empfohlen. Der Wiedereingliederungsplan sah eine Tätigkeit an den Wochentagen Montag, Mittwoch und Freitag mit je acht Stunden vor, beginnend mit dem 13. Januar 2003. Bei leichten bis mittelschweren Tätigkeiten sei die Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit bis zum 17. Februar 2003 absehbar. Tatsächlich begannen die Parteien ab Mitte Februar 2003 eine Wiedereingliederung mit einer täglichen Arbeitszeit von drei Stunden. Die Maßnahme wurde abgebrochen; Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.
Durch Bescheid vom 27. Januar 2004 wurde bei dem Kläger wegen vielfältiger, vorrangig orthopädischer Beeinträchtigungen, mit Wirkung zum 1. Januar 2003 eine Erhöhung des bis dahin anerkannten Grades der Behinderung von 40 auf 80 festgestellt und ihm das Merkzeichen G… (gehbehindert) zuerkannt.
Am 5. Dezember 2003 bescheinigte der behandelnde Facharzt für Orthopädie dem Kläger auf dem Vordruck der Krankenkasse “Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (Wiedereingliederungsplan)”:
“Durch eine stufenweise Wiederaufnahme seiner Tätigkeit kann der o. g. Versicherte schonend wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden. Nach meiner ärztlichen Beurteilung empfehle ich mit Einverständnis des Versicherten und nach dessen Rücksprache mit dem Arbeitgeber folgenden Ablauf für die stufenweise Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit:
1) |
von 01.01.04 bis 31.01.04 |
3 Stunden täglich |
(an 3 Tagen/Woche) |
2) |
von 01.02.04 bis 29.02.04 |
3 Stunden täglich |
(an 4 Tagen/Woche) |
3) |
von 01.03.04 bis 31.03.04 |
3 Stunden täglich” |
(an 5 Tagen/Woche) |
Die auf der Bescheinigung unter der Überschrift “Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit absehbar?” vorgedruckten Rubriken “ja, ggf. wann” und “z. Z. nicht absehbar” waren nicht ausgefüllt. Die Beklagte lehnte eine Teilnahme an der Wiedereingliederungsmaßnahme ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse an seiner Wiedereingliederung mitwirken. Auf Grund der im Jahr 2003 durchgeführten weitergehenden Maßnahmen der Rehabilitation sei davon auszugehen, dass eine Wiedereingliederungsmaßnahme dieses Mal Erfolg haben werde. Im Bereich der Gastronomie biete sich für die Bedienung des Mittagstisches oder des Abendtisches unproblematisch eine nur auf Stunden beschränkte Tätigkeit an. Als Chef de Rang beaufsichtige er die Servicekräfte; schwere körperliche Tätigkeiten fielen nicht an. Im Übrigen sei auch eine behinderungsgerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes möglich. Da die stufenweise Wiedereingliederung der Erprobung diene, sei unerheblich, ob die ärztliche Empfehlung eine auf den bisherigen Arbeitsplatz bezogene Prognose enthalte. Es sei gerade Sinn der Wiedereingliederung, die Befähigung zur Teilnahme am Arbeitsleben zu testen. Die Erprobung könne unter Umständen später auch lediglich zur Geltendmachung einer Teilzeitbeschäftigung führen.
Der Kläger hat beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger im Rahmen der Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend der ärztlichen Empfehlung zur Wiedereingliederung vom 5. Dezember 2003 einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im Wesentlichen geltend gemacht, für die vom Kläger gewünschte Wiedereingliederung gebe es keine rechtliche Grundlage. Außerdem könne sie nicht einschätzen, welche Aufgaben sie ihm im Rahmen der Wiedereingliederung übertragen dürfe. Die ihr bekannten, vorwiegend orthopädisch begründeten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers schlössen seinen Einsatz als Chef de Rang aus.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger im Rahmen der Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend der ärztlichen Empfehlung vom 5. Dezember 2003 einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und zu beschäftigen. In dem Berufungsverfahren hat der Kläger eine Bescheinigung seines behandelnden Arztes vom 5. Januar 2005 vorgelegt. In ihr heißt es ua.:
“Wiedereingliederungspläne (Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung des Erwerbsleben) wurden von uns am 13.01.2003 bis 18.04.2003 und am 01.01.2004 bis 31.03.2004 ausgestellt, wobei von uns in der Bescheinigung von 01.01.2004 folgende Tätigkeiten und Zeiten angegeben worden waren: Vom 01.01.04 bis 31.01.04 täglich 3 Stunden sowie in der Folge vom 31.03.04 weiterhin täglich 3 Stunden an 5 Tagen der Woche für den zuletzt ausgeübten Beruf als Chefkellner. Diese Einschränkung ergab sich auf Grund einer beidseitigen Coxarthrose und rez. WS-Syndrome in allen drei WS-Abschnitten bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule.
Während der Wiedereingliederung sollten die Arbeitszeiten stufenweise erhöht werden, bis zum Erreichen einer vollschichtigen Arbeitszeit.
Vom Amt für soziale Angelegenheiten in Koblenz wurde ein GdB von 80 am 01.01.2003 mitgeteilt.”
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Während des Revisionsverfahrens ist ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 30. Juni 2006 bewilligt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
A. Die Klage ist zulässig.
I. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Streitgegenstand und Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis müssen klar umrissen sein. Die klagende Partei muss festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Bei einer stattgebenden Entscheidung darf keine Unklarheit über den Umfang der Rechtskraft bestehen. Diese Anforderung ist auch erfüllt, wenn der Antrag durch Auslegung, insbesondere unter Heranziehung der Klageschrift und des sonstigen Vorbringens des Klägers, hinreichend bestimmt ist (10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 – AP SGB IX § 81 Nr. 8 = EzA SGB IX § 81 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
II. Diesen Anforderungen ist genügt.
1. Eine Teilzeitbeschäftigung nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Vielmehr begehrt der Kläger seine Beschäftigung auf der Grundlage der ärztlichen Bescheinigung vom 5. Dezember 2003 für die Dauer von drei Monaten, im ersten Monat an drei Tagen, im zweiten Monat an vier Tagen und im dritten Monat an fünf Tagen in der Woche zu jeweils drei Stunden. Aus der fehlenden Angabe, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten die Beschäftigung erfolgen soll, ergibt sich, dass die Verteilung der Beschäftigungszeiten der Beklagten überlassen wird. Den Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahme knüpft der Kläger an den Erlass eines zu seinen Gunsten ergehenden Urteils (vgl. Senat 18. Mai 2004 – 9 AZR 319/03 – BAGE 110, 356).
2. Die mangelnde Konkretisierung, wie die Beschäftigung als Chef de Rang erfolgen soll, macht den Klageantrag nicht unbestimmt.
Ein auf Beschäftigung gerichteter Klageantrag genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO allerdings regelmäßig nur, wenn er Berufsbild und Arbeitsbedingungen enthält oder diese nicht im Streit sind. Der Arbeitgeber soll dann verurteilt werden, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, dh. ihm Zutritt zum Betrieb zu gewähren, die mit dem Arbeitsplatz verbundenen Aufgaben zu übertragen und den Zugriff auf die sächlichen und personellen Mittel zu eröffnen, die zur tatsächlichen Ausübung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung erforderlich sind.
Da hier die Beschäftigung im Rahmen einer Wiedereingliederung erfolgen soll, ist eine derartige Auslegung des Klageantrags ausgeschlossen. Art und Umfang der zu erfüllenden Aufgaben ergeben sich stattdessen aus dem ärztlich aufgestellten Wiedereingliederungsplan. Darüber, wie der Plan in den betrieblichen Alltag umzusetzen ist, haben sich die Parteien unter Berücksichtigung der aktuellen Leistungsfähigkeit jeweils zu verständigen (vgl. Senat 27. Mai 1997 – 9 AZR 325/96 – EEK I/1219; 19. April 1994 – 9 AZR 462/92 – AP SGB V § 74 Nr. 2 = EzA SGB V § 74 Nr. 2). Die damit verbundenen möglichen Unwägbarkeiten sind wegen des Justizgewährleistungsanspruchs (Art. 20 Abs. 3 GG) hinzunehmen. Bei Streit über die ordnungsgemäße Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs hat das Arbeitsgericht als Vollstreckungsgericht (§ 888 ZPO) unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe zu entscheiden.
B. Die Klage ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, ein Anspruch auf Mitwirkung an einer stufenweisen Wiedereingliederung ergebe sich nicht aus § 81 SGB IX. Zwar könne der Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX auch zum Zweck einer Wiedereingliederung genutzt werden; eine darüber hinausgehende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ermöglichung einer Wiedereingliederung bestehe nicht. Eine solche hätte ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen werden müssen. Die Mitwirkung an der Wiedereingliederung sei der Beklagten auch nicht zumutbar. Da der Kläger während der Wiedereingliederung nicht zur Arbeit verpflichtet sei, könne er weder fest in den Dienstplan eingegliedert werden noch könnte die Beklagte ihm verbindliche Arbeitsanweisungen erteilen. Im Übrigen fehle eine realistische Aussicht, wann der Kläger das Arbeitsverhältnis aktiv aufnehmen könne. Er habe nur darauf verwiesen, ohne die Möglichkeit einer Erprobung könne er keine Vorhersagen machen.
II. Dem stimmt der Senat nur im Ergebnis zu. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer mit dem Ziel einer Wiedereingliederung zu beschäftigen. § 81 SGB IX kommt dafür als Anspruchsgrundlage in Betracht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Er entfällt, wenn er krankheitsbedingt nicht seine volle, vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringen kann. Eine “Teilarbeitsunfähigkeit” ist dem geltenden Arbeits- und Sozialrecht unbekannt; der Arbeitgeber ist nach § 266 BGB grundsätzlich nicht verpflichtet, eine nur eingeschränkt angebotene Arbeitsleistung anzunehmen (vgl. BAG 29. Januar 1992 – 5 AZR 37/91 – BAGE 69, 272). Andererseits ist anerkannt, dass ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung oft in der Lage ist, unter geänderten Arbeitsbedingungen tätig zu sein und eine allmähliche Steigerung der beruflichen Belastung die Rückkehr des Arbeitnehmers in das aktive Erwerbsleben im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien erleichtern kann. Krankenkassen (§ 74 SGB V) und die sonstigen Sozialversicherungsträger (§ 28 SGB IX) fördern deshalb die sog. stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben. Während der beruflichen Rehabilitation erhält der weiterhin arbeitsunfähige Arbeitnehmer die ihm sozialrechtlich zustehenden Leistungen. Arbeitsrechtlich bedarf die Maßnahme wegen der vom Arbeitsvertrag abweichenden Beschäftigung grundsätzlich der Zustimmung des Arbeitgebers. Entgeltansprüche entstehen nicht (vgl. BAG 29. Januar 1992 – 5 AZR 37/91 – BAGE 69, 272; LSG NRW 28. März 2006 – L 1 AL 8/06 – juris).
2. Im Schwerbehindertenrecht schließt die Unfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit einen Beschäftigungsanspruch nicht aus.
a) Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Der Arbeitgeber erfüllt den Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX regelmäßig dadurch, dass er dem Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zuweist. Ist der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage, die damit verbundenen Tätigkeiten wegen Art oder Schwere seiner Behinderung wahrzunehmen, kann er Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben (Senat 3. Dezember 2002 – 9 AZR 481/01 – BAGE 104, 45; 14. März 2006 – 9 AZR 411/05 – NZA 2006, 1214).
b) Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX eine anderweitige Tätigkeit auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen.
aa) Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut der Norm. “Beschäftigung” bedeutet “Beruf, Arbeit, Betätigung, Tätigkeit, Zeitvertreib” (Wahrig Deutsches Wörterbuch 7. Aufl.). Die Verrichtung von weisungsabhängiger Arbeit in einem Arbeitsverhältnis ist nicht notwendige Voraussetzung, um beschäftigt zu sein (vgl. BAG 27. Juni 2001 – 7 ABR 50/99 – BAGE 98, 151; 16. April 2003 – 7 ABR 27/02 – BAGE 106, 57).
bb) Die Lösung des schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungsanspruchs von den vertraglichen Festlegungen der Arbeitspflicht wird durch die weiteren Regelungen des § 81 Abs. 4 und 5 SGB IX bestätigt. Kann der Schwerbehinderte wegen Art oder Schwere seiner Behinderung (§ 2 Abs. 1 SGB IX) die vertraglich geschuldete Arbeit nicht oder nur noch teilweise leisten, so hat er Anspruch auf entsprechende Vertragsänderung (Senat 28. April 1998 – 9 AZR 348/97 – AP SchwbG 1986 § 14 Nr. 2 = EzA SchwbG § 14 Nr. 5). Da der schwerbehindertenrechtliche Beschäftigungsanspruch unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entsteht, kann er auch ohne vorherige Vertragsänderung gerichtlich verfolgt werden (Senat 10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 – AP SGB IX § 81 Nr. 8 = EzA SGB IX § 81 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; vgl. auch BAG 19. September 1979 – 4 AZR 887/77 – BAGE 32, 105). Das gilt auch für den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 iVm. Abs. 5 Satz 3 SGB IX; der Arbeitgeber muss nicht vorab auf Zustimmung verklagt werden (Senat 14. Oktober 2003 – 9 AZR 100/03 – BAGE 108, 77). Anknüpfungspunkt für die Beschäftigungspflicht sind stets die Fähigkeiten und Kenntnisse des schwerbehinderten Menschen (so auch Kohte in jurisPR-ArbR 21/2006 Anm. Nr. 4). Sie soll dem schwerbehinderten Menschen eine Betätigung ermöglichen, auch wenn sie hinter den vertraglichen Festlegungen quantitativ oder qualitativ zurückbleibt.
cc) Vor Inkrafttreten des SGB IX hatte weitgehend Einigkeit bestanden, dass die in § 74 SGB V geregelte schrittweise Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer vom Prinzip der Freiwilligkeit beherrscht wurde (vgl. Schmidt AuR 1997, 461, 465). Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, diese Rechtslage bestehe unverändert fort. Dem kann nicht zugestimmt werden. Schon mit Inkrafttreten des SGB IX ist zum 1. Juli 2001 die Vorschrift des § 74 SGB IX um die zugunsten der behinderten Menschen geltende Erweiterung der Wiedereingliederungspflichten in § 28 SGB IX ergänzt worden. Damit verbunden war auch die Einführung einer in § 84 Abs. 1 SGB IX geregelten Präventionspflicht. Sie verpflichtet den Arbeitgeber zur Beseitigung personenbedingter Schwierigkeiten interne Stellen und externen Sachverstand einzuschalten, um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortsetzen zu können. Das galt nach § 84 Abs. 2 SGB IX aF insbesondere für den Fall der länger als drei Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit. Seit dem 1. Mai 2004 schreibt § 84 Abs. 2 SGB IX idF des Art. 1 Nr. 20 Buchst. a des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) bereits bei einer länger als sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit die Einleitung eines besonderen “Eingliederungsmanagements” vor, um das schon seit dem 1. Juli 2001 bestehende Ziel der Überwindung der Arbeitsunfähigkeit noch frühzeitiger erreichen zu können. Mit den Präventions- und Teilhabevorschriften des SGB IX ist ein Wandel verbunden. Zeiten langandauernder Arbeitsunfähigkeit sind nicht mehr Zeiten des “Ruhens”, sondern Zeiten für betriebliche Eingliederungsmaßnahmen (vgl. Gagel NZA 2004, 1359). Daraus wird deutlich: Das SGB IX will der Ausgrenzung des behinderten Menschen aus dem Arbeitsleben entgegenwirken und deren Teilhabe stärken. Das ist ohne Mitwirkung des Arbeitgebers nicht zu erreichen. Dem Arbeitgeber ist deshalb in § 99 Abs. 1 SGB IX die Pflicht auferlegt, zusammen mit anderen Stellen die Teilhabe schwerbehinderter Arbeitnehmer am Arbeitsleben zu ermöglichen.
III. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass auch bei Anerkennung eines schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungsanspruchs die Klage ohne Erfolg ist. Denn der Kläger hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung die Anspruchsvoraussetzungen nicht dargelegt. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Beklagten eine Beschäftigung des Klägers wegen der Ausgestaltung der Arbeitsabläufe in ihrem Restaurant unzumutbar ist.
1. Ein Anspruch auf Beschäftigung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX setzt voraus, dass der nach allgemeinem Recht darlegungsbelastete Arbeitnehmer (vgl. Senat 10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 – AP SGB IX § 81 Nr. 8 = EzA SGB IX § 81 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Sie muss eine Prognose enthalten, wann “voraussichtlich” die Wiederaufnahme der Tätigkeit erfolgt. Gefördert werden soll: Die bessere Wiedereingliederung “in das Erwerbsleben” (§ 74 SGB V).
Das setzt nicht voraus, dass die letzte Stufe im Sinne einer vollen Wiedererlangung der Befähigung erreicht werden muss (Gagel/Schian Behindertenrecht 2006, 53).
a) Das Wiedereingliederungsverhältnis ist nicht auf die für Arbeitsverhältnisse typische Leistungsbeziehung “Arbeit gegen Lohn” gerichtet (BAG 28. Juli 1999 – 4 AZR 192/98 – BAGE 92, 140); der Arbeitnehmer unterliegt nicht seiner ursprünglichen Arbeitspflicht. Er kann die Arbeit abbrechen, wenn nachteilige gesundheitliche Folgen zu erkennen oder zu befürchten sind (BAG 29. Januar 1992 – 5 AZR 37/91 – BAGE 69, 272). Andererseits macht eine Wiederaufnahme der Tätigkeit zur Wiedereingliederung nur Sinn, wenn der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit im Hinblick auf eine im Betrieb mögliche Beschäftigung tatsächlich erprobt. Hat der langzeitig arbeitsunfähige schwerbehinderte Arbeitnehmer trotz seiner die Arbeitsunfähigkeit verursachenden Krankheiten und Behinderungen noch eine sinnvoll in betrieblicher Organisation einsetzbare Fähigkeit, so hat der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ihm zu ermöglichen, im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung berufsnahe Tätigkeiten zu verrichten. Die Rechte des Schwerbehinderten gehen damit über die Rechte nichtbehinderter Arbeitnehmer bei der stufenweisen Wiedereingliederung hinaus. Diese haben weder einen Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX noch ist der Arbeitgeber verpflichtet, generell deren Teilhabe am Arbeitsleben zu fördern (BAG 28. Juli 1999 – 4 AZR 192/98 – BAGE 92, 140).
b) Diese besondere Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, die ordnungsgemäß nach den Vorschriften des Sozialrechts erstellt ist und dem Arbeitgeber hinreichend deutlich macht, dass mit dem Eingliederungsplan auch eine betrieblich nutzbare Tätigkeit wiedererlangt werden kann. Kein Anspruch besteht auf eine Mitwirkung an einer nur therapeutischen Erprobung, ohne dass in absehbarer Zeit das “Ob” und “Wie” einer möglichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ersichtlich wären.
aa) Nach den Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V vom 1. Dezember 2003 (BAnz. Nr. 61 vom 27. März 2003 S. 6501) knüpfen die Feststellung von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und die Empfehlung zur Wiedereingliederung an die vom Arbeitnehmer bisher konkret ausgeübte Tätigkeit an. Hiervon ausgehend setzt die Empfehlung zur Wiedereingliederung zunächst die Beurteilung voraus, der Arbeitnehmer sei (weiterhin) arbeitsunfähig. Hinzu kommt die Einschätzung, dass er seine arbeitsvertragliche Tätigkeit teilweise verrichten könnte und schließlich muss der Arzt die Prognose treffen, dass eine stufenweise Heranführung des Arbeitnehmers an die berufliche Belastung seine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben fördert. Dabei muss sich die Prognose nicht zwingend auf das Ziel der Wiederherstellung der vollen Arbeitstätigkeit richten, auch wenn dies regelmäßig verfolgt wird (vgl. dazu BAG 28. Juli 1999 – 4 AZR 192/98 – BAGE 92, 140). Auch die Befähigung zu einer nach Art, Dauer, zeitlicher und räumlicher Lage veränderten Arbeitstätigkeit kann Eingliederung in das Erwerbsleben sein.
bb) Der Arzt hat seine Feststellungen auf dem Vordruck der Sozialversicherungsträger zu bescheinigen. Dieses verlangt eine erkennbar auf die Erkrankung und Behinderung des Arbeitnehmers und seine Tätigkeit abgestellte Empfehlung über die Art und Weise der Beschäftigung. Ebenso muss der Arzt eine Prognose zur Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nach Durchführung der Maßnahme abgeben. Eine konkrete Zeitangabe ist dann bei Beginn der Maßnahme nicht zwingend; denn die stufenweise Wiederaufnahme soll den Arbeitnehmer schonend und kontinuierlich an die Belastungen seines Arbeitsplatzes heranführen.
Die so erstellte Bescheinigung ist dem Arbeitgeber vorzulegen. Andernfalls kann er nicht beurteilen, ob er an der Wiedereingliederung mitwirken muss oder wegen der Art oder der voraussichtlichen Dauer der Maßnahme berechtigt ist, sie als unzumutbar iSv. § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX abzulehnen.
2. Diesen Anforderungen werden beide vom Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht gerecht.
a) Die Bescheinigung vom 5. Dezember 2003 enthält keine Prognose, dass und ggf. wann mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers ganz oder teilweise zu rechnen ist. Die auf dem Vordruck vorgesehenen Felder zur “absehbaren” Arbeitsfähigkeit sind nicht ausgefüllt. Eine Einschätzung des Arztes ergibt sich auch nicht im Rückschluss aus der Befristung der Maßnahme auf drei Monate. Denn auch für den dritten Monat ist lediglich eine Tätigkeit von drei Stunden täglich vorgesehen, ohne dass zu erkennen ist, ob das die letzte oder nur eine Zwischenstufe auf dem Weg der Wiedereingliederung sein soll.
b) Das weitere ärztliche Attest vom 5. Januar 2005 ist ebenfalls ohne Aussagekraft. In ihm wird lediglich der Inhalt des Wiedereingliederungsvorschlags wiederholt. Sodann wird die Einschränkung der Stundenzahl mit den gesundheitlichen Problemen des Klägers begründet. Der sich daran anschließende Satz: “Während der Wiedereingliederung sollten die Arbeitszeiten stufenweise erhöht werden, bis zum Erreichen einer vollschichtigen Arbeitszeit”, macht deutlich, dass der Arzt von Anfang an überhaupt keine Prognose aufstellen wollte oder dass eine solche wegen der Art der Erkrankung oder der Behinderung des Klägers nicht möglich war.
Die erstmalig in der Revision aufgestellte Behauptung des Klägers, bei Durchführung der dreimonatigen Wiedereingliederungsmaßnahme sei mit seiner vollständigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen, ist schon aus revisionsrechtlichen Gründen unbeachtlich (§ 559 ZPO). Sie widerspricht außerdem der ergänzenden Stellungnahme seines behandelnden Arztes und seinem eigenen Vorbringen in der Berufungsinstanz. Dort hat der Kläger noch ausgeführt, dem Attest sei zu entnehmen, dass er “selbst für den Fall der Geltendmachung eines Anspruches auf eine Teilzeitbeschäftigung zunächst die eigene Befähigung zur Teilnahme am Arbeitsleben testen müsste”.
C. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Revisionsverfahrens gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Böck, Reinecke, Jungermann, Klosterkemper
Fundstellen
Haufe-Index 1644359 |
BAGE 2007, 252 |