Entscheidungsstichwort (Thema)
Luftverkehrsbetrieb. Betriebsstilllegung. inländischer Flughafen. Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (redaktionell)
Die Gesamtheit der an inländischen Flughäfen eines Luftverkehrsunternehmens stationierten Luftfahrzeuge bilden kündigungsschutzrechtlich einen Luftverkehrsbetrieb.
Normenkette
KSchG § 24 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 17 Abs. 3, § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. März 2022 - 12 Sa 598/21 - wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Kosten zweiter Instanz wie folgt verteilen:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Kläger 98 % und die Beklagte zu 1. 2 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. hat diese selbst zu 9 % und der Kläger zu 91 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Unter Bezugnahme auf die Leitentscheidung des Senats vom 1. Juni 2023 (- 2 AZR 150/22 -) wird entsprechend § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestands abgesehen.
Entscheidungsgründe
Rz. 2
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen des Klägers gegen die die Kündigungsschutzanträge und den auf einen Betriebsübergang bezogenen Feststellungsantrag abweisenden erstinstanzlichen Urteile zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigungen beider Beklagten sind wirksam. Die Auslegung des Betriebsbegriffs des § 24 Abs. 2 KSchG durch das Berufungsgericht erweist sich zwar als rechtsfehlerhaft. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht, da sich die Entscheidung im Ergebnis als richtig darstellt (§ 561 ZPO).
Rz. 3
I. Die deutschen Gerichte sind international zuständig (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 19 f.).
Rz. 4
II. Auf die Arbeitsverhältnisse des Klägers mit beiden Beklagten fand deutsches Recht Anwendung (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 21 ff.).
Rz. 5
III. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 10. September 2020 ist wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.
Rz. 6
1. Die Kündigungserklärung ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 25 ff.).
Rz. 7
2. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG. Die Beklagte zu 1. hat ihren Flugbetrieb in Deutschland stillgelegt.
Rz. 8
a) Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat. Die Beklagte zu 1. hat einen Luftverkehrsbetrieb iSv. § 24 Abs. 2 KSchG im Inland unterhalten, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt wurden. Das Berufungsgericht hat allerdings rechtsfehlerhaft den Begriff des Luftverkehrsbetriebs im Inland zu eng gefasst allein auf den Standort der Beklagten zu 1. in Düsseldorf bezogen. Deren in Stuttgart stationierte Flugzeuge hat es nicht in den Blick genommen. Erst die Gesamtheit dieser Luftfahrzeuge bildete den Luftverkehrsbetrieb der Beklagten zu 1. im Inland (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 32 ff.).
Rz. 9
b) Für die Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger mit der Beklagten zu 1. in seinem Arbeitsvertrag vom März 2018 ursprünglich die Geltung österreichischen Rechts vereinbart hatte (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 38).
Rz. 10
c) Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht sozial ungerechtfertigt. Es liegen dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor. Die Beklagte zu 1. hat ihren Luftverkehrsbetrieb in Deutschland - auch unter Berücksichtigung der am Flughafen Stuttgart stationierten Flugzeuge - vollständig stillgelegt, wobei die Stilllegung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hatte (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 39 ff.).
Rz. 11
d) Das Berufungsgericht hat ohne revisiblen Fehler festgestellt, dass kein einer Betriebsstilllegung entgegenstehender (vgl. BAG 14. Mai 2020 - 6 AZR 235/19 - Rn. 91, BAGE 170, 244) Betriebs(teil)übergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. vorliegt. Dementsprechend scheidet auch eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 45 ff.).
Rz. 12
e) Es bestand keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf einem anderen freien Arbeitsplatz (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 54 ff.).
Rz. 13
3. Die Kündigung der Beklagten zu 1. ist nicht wegen einer formal oder inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG iVm. § 134 BGB nichtig. Dabei kann offenbleiben, ob Verstöße im Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG überhaupt zur Nichtigkeit einer Kündigung führen können (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 58 ff.).
Rz. 14
IV. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist ebenfalls wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 31. Dezember 2020 beendet.
Rz. 15
1. Die Kündigung der Beklagten zu 2. ist nicht mangels Bestimmtheit unwirksam (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 74).
Rz. 16
2. Sie bedurfte keiner sozialen Rechtfertigung, weil der Kläger noch nicht die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 KSchG absolviert hat (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 76 ff.).
Rz. 17
3. Die Kündigung der Beklagten zu 2. erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB oder einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG als unwirksam oder nichtig (vgl. BAG 1. Juni 2023 - 2 AZR 150/22 - Rn. 86).
Rz. 18
V. Da der Kläger den Antrag auf Feststellung, dass sein mit der Beklagten zu 1. bestehendes Arbeitsverhältnis ab dem 1. November 2020 mit der Beklagten zu 2. fortbesteht, ausdrücklich als sein „vordringliches Klageziel“ bezeichnet hat, war über ihn als Hauptantrag zu entscheiden. Der auf einen Betriebsübergang abzielende Feststellungsantrag ist aber unbegründet, da ein Betriebsübergang von der Beklagten zu 1. auf die Beklagte zu 2. nicht erfolgt ist (vgl. oben Rn. 11).
Rz. 19
VI. Der gegen die Beklagte zu 2. gerichtete Weiterbeschäftigungsantrag ist ein unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag und fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (vgl. BAG 22. Juli 2021 - 2 AZR 6/21 - Rn. 45).
Rz. 20
VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. den Grundsätzen der sog. Baumbach’schen Kostenformel. Die Kostenentscheidung des Landesarbeitsgerichts kann nach § 308 Abs. 2 ZPO durch den Senat auch ohne entsprechende Anträge der Parteien abgeändert werden (vgl. BAG 16. Oktober 1974 - 4 AZR 29/74 - zu VII der Gründe, BAGE 26, 320; MüKoZPO/Musielak 6. Aufl. § 308 Rn. 29).
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Koch |
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Niemann |
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Schlünder |
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Cl. Peter |
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T. Prinz |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16193340 |