Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerweiterbildung. Lohnfortzahlung
Leitsatz (amtlich)
Sind an einer Bildungsveranstaltung im Land Nordrhein-Westfalen eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung und eine nicht anerkannte Einrichtung beteiligt, so hat der Arbeitnehmer, der die Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 7 AWbG begehrt, die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergibt, daß die Bildungsveranstaltung von der anerkannten Einrichtung im Sinne des § 9 Satz 1 AWbG durchgeführt wurde (Bestätigung und Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, vgl Urteile vom 23. Februar 1989 – 8 AZR 185/86 und 133/87 –, beide zur Veröffentlichung bestimmt).
Normenkette
AWbG §§ 7, 9 S. 1 Buchst. a, d, §§ 1, 5 Abs. 3; WbG § 23; ZPO §§ 139, 286, 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b, § 561 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 05.11.1987; Aktenzeichen 4 (9) Sa 1302/86) |
ArbG Herford (Urteil vom 21.05.1986; Aktenzeichen 2 Ca 1772/85) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 5. November 1987 – 4 (9) Sa 1302/86 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist kaufmännischer Angestellter. Er ist seit 1972 bei der Beklagten beschäftigt. In der Zeit vom 10. November bis zum 16. November 1985 nahm er an der Bildungsveranstaltung “Betriebsratsarbeit – Vertrauensleutearbeit – Gewerkschaften” teil, die im “Institut für Arbeitnehmerbildung Heinrich Hansen” in L… (im folgenden: Institut) stattfand.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe für die Dauer des Seminars Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitslohns zu. Dies ergebe sich aus § 7 des Gesetzes zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung – Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) – vom 6. November 1984 (GV NW S. 678). Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 592,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29. November 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz sei verfassungswidrig. Sie hat behauptet, das Seminar sei von dem Institut und der Gewerkschaft HBV gemeinsam und damit nicht von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung durchgeführt worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision bittet der Kläger um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Dem Kläger stand für die Dauer des Seminars kein Anspruch auf Lohnfortzahlung zu.
I. Bei der Veranstaltung handelte es sich nicht um Arbeitnehmerweiterbildung im Sinne des § 7 AWbG.
Nach dieser Bestimmung, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfGE 77, 308 = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG), hat der Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Arbeitnehmerweiterbildung erfolgt in anerkannten Bildungsveranstaltungen (§ 1 Abs. 1, § 5 Abs. 3 AWbG). Das Seminar war keine anerkannte Bildungsveranstaltung.
Nach § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG gelten Bildungsveranstaltungen als anerkannt, wenn sie § 1 Abs. 2 AWbG entsprechen und von Volkshochschulen oder von anerkannten Einrichtungen der Weiterbildung in anderer Trägerschaft gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt werden. Nach § 9 Satz 1 Buchst. d AWbG gelten Bildungsveranstaltungen anderer Einrichtungen als anerkannt, wenn sie § 1 Abs. 2 AWbG entsprechen und auf Antrag und nach Genehmigung durch den zuständigen Minister gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt werden.
II. Das Seminar wurde nicht von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung durchgeführt.
1. Das Seminar wurde von dem Institut und der Gewerkschaft HBV gemeinsam veranstaltet.
Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung die Kooperationsvereinbarung vom Dezember 1984 zugrunde gelegt, die es mit ihrem wesentlichen Inhalt im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegeben hat. Es hat angenommen, die Zusammenarbeit zwischen dem Institut und der Gewerkschaft HBV habe zur Folge, daß die Veranstaltung nicht als eine solche angesehen werden könne, die von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung durchgeführt wurde.
2. Dies ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Auch der Senat hat bei Beurteilung der Rechtslage allein von dem Inhalt der Kooperationsvereinbarung auszugehen. Weitere tatsächliche Behauptungen dazu, wie das Institut und die Gewerkschaft HBV die Veranstaltung im einzelnen durchgeführt haben, hat der Kläger nicht aufgestellt.
b) Soweit der Kläger die Revision auf Verfahrensrügen stützt, hat er es an der Bezeichnung der Tatsachen fehlen lassen, die den Mangel ergeben (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO).
Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe wesentliche Teile des Sachverhalts übergangen und dadurch § 286 ZPO verletzt. Der Kläger verkennt jedoch, daß er die von ihm auf S. 32 der Revisionsbegründung behaupteten Tatsachen zu der Frage, wer das Seminar durchgeführt hat, in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen hat. Durch ihre Nichtberücksichtigung hat das Landesarbeitsgericht somit nicht gegen § 286 ZPO verstoßen. Im Revisionsverfahren sind diese Tatsachen nach § 561 Abs. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen.
Die Auffassung des Klägers (S. 33 der Revisionsbegründung), “das Landesarbeitsgericht habe diesem konkreten Sachverhalt nachgehen müssen”, kann auch nicht als zulässige Aufklärungsrüge (§ 139 ZPO) angesehen werden. Der Kläger hat nicht im einzelnen dargelegt, welche Fragen der Tatrichter hätte stellen sollen und welche Tatsachen daraufhin behauptet worden wären. Nachdem der Kläger sich darauf beschränkt hatte, mit Schriftsatz vom 24. Januar 1986 die Kooperationsvereinbarung vorzulegen und im übrigen die Beklagte aufgefordert hatte vorzutragen, ob sie immer noch die Voraussetzungen des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes bestreite, bestand für weitere tatrichterliche Fragen an den Kläger kein Anlaß. Der Kläger hatte durch diese prozessuale Einlassung selbst zu erkennen gegeben, daß er seinen Vortrag, falls die Beklagte weiterhin bestreiten würde, für ergänzungsbedürftig hielt.
c) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß das Seminar nicht von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft (§ 9 Satz 1 Buchst. a AWbG) durchgeführt wurde. Das Seminar wurde von dem Institut und der Gewerkschaft HBV gemeinsam durchgeführt. Nur das Institut ist eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung. Die Gewerkschaft HBV besitzt diesen Status nicht.
aa) Das “Institut für Arbeitnehmerbildung Heinrich Hansen” ist eine nach § 23 WbG (Erstes Gesetz zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen – Weiterbildungsgesetz (WbG) – in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Mai 1982 – GV NW S. 276 –) anerkannte Einrichtung der Weiterbildung. Zwar lautet der Anerkennungsbescheid vom 5. Juli 1979 auf das Institut für Arbeitnehmerbildung e.V., während inzwischen Trägerin des Instituts die IG Medien als Nachfolgerin der IG Druck und Papier, Abteilung Institut für Arbeitnehmerbildung “Heinrich Hansen”, ist. Dies ändert jedoch nichts daran, daß das Institut auch in seiner heutigen Organisationsform als anerkannte Einrichtung der Weiterbildung anzusehen ist.
Mit Wirkung vom 1. Januar 1984 wurden die Einrichtungen der früheren Heimvolkshochschule Heinrich Hansen und des Instituts für Arbeitnehmerbildung zum “Institut für Arbeitnehmerbildung Heinrich Hansen” zusammengeschlossen. Mit Schreiben vom 2. März 1984 hat der Minister für Wissenschaft und Forschung diese Organisationsänderung “zur Kenntnis genommen”. Es ist somit davon auszugehen, daß der Anerkennungsbescheid vom 5. Juli 1979 auch für das Institut in seiner jetzigen Organisationsform fortgilt und mangels Widerrufs (§ 23 Abs. 3 WbG) für die Gerichte für Arbeitssachen weiterhin Tatbestandswirkung entfaltet (vgl. Urteil des Senats vom 3. August 1989 – 8 AZR 249/87 –, zur Veröffentlichung bestimmt, zu III 3b aa der Gründe). Darüber besteht auch Einigkeit zwischen den Parteien.
bb) Das Seminar wurde nicht von dem Institut durchgeführt.
Eine Einrichtung der Weiterbildung führt eine Bildungsveranstaltung im Sinne des § 9 Satz 1 AWbG durch, wenn sie bestimmenden Einfluß darauf hat, ob die Veranstaltung stattfindet, wie sie inhaltlich gestaltet wird, wer unterrichtet und wer teilnimmt. Sind an einer Bildungsveranstaltung zwei Einrichtungen beteiligt, so kommt es für die Frage, welche Einrichtung die Veranstaltung durchführt, auf die tatsächlichen Umstände an (Urteile des Senats vom 23. Februar 1989 – 8 AZR 185/86 – und – 8 AZR 133/87 –, beide zur Veröffentlichung bestimmt).
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß das Institut und die Gewerkschaft HBV das Seminar gemeinsam durchgeführt haben, und daß das Seminar somit nicht als von dem Institut durchgeführt angesehen werden kann.
Der Kooperationsvereinbarung läßt sich nicht entnehmen, daß das Institut den Einfluß auf die Veranstaltung hatte, der es als den alleinigen Durchführenden ausweist.
Im Wortsinne durchgeführt wird eine Veranstaltung von dem, der sie “verwirklicht” oder “in die Tat umsetzt” (vgl. Urteile des Senats, aaO). Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß sich allein aus dem Hinweis in der Kooperationsvereinbarung, die pädagogische Planung und Durchführung der Lehrveranstaltung werde “überwiegend” von dem den staatlichen Zuschuß beantragenden Institut geleistet, nicht ergibt, daß das Institut die Veranstaltung durchführte. Zwar ist es im Gegensatz zur Auffassung des Landesarbeitsgerichts für die Frage, wer Durchführender ist, ohne Bedeutung, ob die öffentlichen Fördermittel gemäß dem Weiterbil dungsgesetz ganz dem Institut zufließen. Dennoch hat das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der Durchführung nicht verkannt. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß sich die Gewerkschaft HBV bei Durchführung des Seminars auf völlig unwesentliche und untergeordnete Arbeiten beschränkt hat. Der Kläger hat keine Tatsachen dazu behauptet, wie die Arbeitsteilung zwischen dem Institut und der Gewerkschaft HBV in bezug auf die Durchführung der Veranstaltung war. Es läßt sicht somit nicht klären, ob das Institut als anerkannte Einrichtung der Weiterbildung das Seminar im Sinne des Gesetzes durchgeführt hat. Dies geht zu Lasten des Klägers, da er die Anspruchsvoraussetzungen darlegen muß, zu denen gehört, daß die Veranstaltung von einer anerkannten Einrichtung der Weiterbildung durchgeführt wurde (§ 9 Satz 1 Buchst. a AWbG). Die Behauptung, sowohl in der Mitteilung für den Arbeitgeber als auch in der Teilnahmebescheinigung sei das Institut als durchführende Stelle bezeichnet (S. 10 der Revisionsbegründung), ist, ihre Schlüssigkeit unterstellt, gemäß § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen.
III. Das Seminar war unstreitig auch nicht durch den zuständigen Minister genehmigt worden. Es galt somit auch nicht als eine nach § 9 Satz 1 Buchst. d AWbG anerkannte Bildungsveranstaltung.
IV. Ob dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen wäre, daß das Seminar auch den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG (berufliche oder politische Weiterbildung) nicht entsprach, kann dahinstehen.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Rheinberger, Dr. Pühler
Fundstellen
Haufe-Index 841075 |
BAGE, 347 |
RdA 1990, 383 |
AP, 0 |