Entscheidungsstichwort (Thema)
Abberufung des Vorsitzenden eines Heimarbeitsausschusses
Leitsatz (redaktionell)
Die Abberufung des Vorsitzenden eines Heimarbeitsausschusses ist ein Verwaltungsakt, der erst mit der Bekanntgabe an den Adressaten wirksam wird.
Normenkette
HAG §§ 1, 4-5, 25, 19; HAGDV § 3; VwVfG §§ 35, 43, 81, 86; HAGDV 1 § 3
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 19.03.1987; Aktenzeichen 9 Sa 1533/86) |
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 25.06.1986; Aktenzeichen 1 Ca 514/86) |
Tatbestand
Das klagende Land macht in gesetzlicher Prozeßstandschaft gemäß § 25 Satz 1 HAG Ansprüche der im Klageantrag genannten Heimarbeiterinnen auf Nachzahlung von Minderbeträgen aufgrund einer bindenden Festsetzung geltend. Die Berechnung dieser Ansprüche und das Zahlenwerk sind unstreitig. Die Parteien streiten allein darüber, ob die bindende Festsetzung wirksam zustande gekommen ist.
Der Heimarbeitsausschuß für die Herstellung von Eisen-, Metall- und Elektroartikeln, Uhren, feinmechanischen und optischen Artikeln beschloß in seiner Sitzung vom 19./20. August 1985 eine bindende Festsetzung, durch die mit Wirkung vom 1. September 1985 das Mindeststundenentgelt der Heimarbeiter von 7,18 DM auf 7,60 DM angehoben wurde. Die bindende Festsetzung wurde nach Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung im Bundesanzeiger Nr. 219 vom 26. November 1985 bekanntgemacht. Den Vorsitz in der Sitzung des Heimarbeitsausschusses vom 19./20. August 1985 führte der Ministerialrat I aus dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.
Nach der Sitzung des Heimarbeitsausschusses erhielt Ministerialrat I ein Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 12. August 1985, in dem es heißt:
"...
Mit Schreiben vom 14. Mai 1985 hat das Ministerium
für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
aus organisatorischen Gründen einen
Wechsel im Vorsitz der Heimarbeitsausschüsse ...
vorgeschlagen. Ich habe dem Vorschlag entsprochen und
entbinde Sie mit Wirkung vom heutigen Tage von dem
Amt des Vorsitzenden der vorgenannten Heimarbeitsausschüsse."
Mit Schreiben vom selben Tage teilte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung dem Ministerialrat S im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen mit:
"...
Im Einverständnis mit dem Ministerium für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
berufe ich Sie mit Wirkung vom heutigen Tage
zum Vorsitzenden der Heimarbeitsausschüsse für ..."
Die Beklagte lehnt es ab, ihre 141 Heimarbeiter auf der Grundlage des in der bindenden Festsetzung vom 20. August 1985 neu festgesetzten Mindeststundenentgelts zu vergüten. Sie hält die bindende Festsetzung für unwirksam, da Ministerialrat I an der Beschlußfassung nicht mehr habe mitwirken dürfen.
Das klagende Land hat vorgetragen: Bei der Beschlußfassung am 20. August 1985 sei Ministerialrat I noch Vorsitzender des Heimarbeitsausschusses gewesen. Die Abberufung des Vorsitzenden eines Heimarbeitsausschusses stelle einen Verwaltungsakt dar, der erst mit dem Zugang beim Adressaten wirksam werde. Mithin sei der Ausschuß ordnungsgemäß besetzt gewesen. Zudem habe der Heimarbeitsausschuß in seiner Sitzung vom 29. Oktober 1985 unter dem neuen Vorsitzenden Ministerialrat Sattler über Einwendungen gegen die bindende Festsetzung vom 20. August 1985 beraten, und zwar auch darüber, ob der Ausschuß am 19. und 20. August 1985 vorschriftsgemäß besetzt gewesen sei. Der Ausschuß habe sämtliche Einwendungen zurückgewiesen und die bindende Festsetzung vom 20. August 1985 ausdrücklich bestätigt. Damit sei ein etwaiger Fehler der Besetzung geheilt worden. Schließlich habe der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die bindende Festsetzung genehmigt und veröffentlicht; auch hierdurch seien eventuelle Verfahrensfehler geheilt worden.
Das klagende Land hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die nachstehend
aufgeführten Heimarbeiter für den Zeitraum 01.
09.1985 - 31.01.1986 folgende Beträge nebst 4 %
Zinsen ab Klagezustellung - 20.03.1986 - nachzuzahlen
1. B , G
S-Str.
M 1 DM 87,32
2. D , G
D-Str.
M 1 DM 47,60
3. Dr , W
F-Str.
M DM 117,38
4. E , B
E-Weg
M 1 DM 44,97
5. F , H
D-Str.
B 5 DM 115,66
6. L , R
G-Str.
F DM 117,45
7. M , H
L-Str.
M DM 117,45
8. N , H
B
M DM 117,22
9. R , W
L
M 1 DM 350,47
10. S , M
A-Str.
M 2 DM 116,83
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Bestimmung des Vorsitzenden sei ein Organisations- oder Regierungsakt, der zu seinem Wirksamwerden nicht des Zugangs beim Adressaten bedürfe, sondern schon mit der Unterzeichnung in Kraft trete. Mithin sei Ministerialrat I bereits am 12. August 1985 vom Amt des Vorsitzenden abgelöst und Ministerialrat S zum neuen Vorsitzenden berufen worden. Hieraus ergebe sich die Unwirksamkeit der bindenden Festsetzung vom 20. August 1985. Es sei auch keine Heilung eingetreten. Die bloße Zurückweisung von Einwendungen in der Sitzung vom 29. Oktober 1985 könne die eigentliche Entscheidungsfindung und Beschlußfassung nicht ersetzen. Die Genehmigung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sowie die Veröffentlichung der bindenden Festsetzung könnten ebenfalls die unzulässige Mitwirkung des Ministerialrats I und die fehlerhafte Besetzung des Ausschusses am 20. August 1985 nicht beseitigen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten; sie will erreichen, daß die Klage abgewiesen wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Die Gerichte für Arbeitssachen sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG in Verb. mit § 5 Abs. 1 ArbGG sachlich zuständig. Das klagende Land führt den Rechtsstreit gemäß § 25 Satz 1 HAG als gesetzlicher Prozeßstandschafter der Heimarbeiter; es tritt an deren Stelle auf (BAGE 44, 132, 135 f. = AP Nr. 11 zu § 19 HAG, zu II 1 der Gründe; Maus/Schmidt, HAG, 3. Aufl., § 25 Rz 8). Die Zuständigkeit des staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Hagen als Vertreter des klagenden Landes ergibt sich aus der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits-, Immissions- und technischen Gefahrenschutzes vom 6. Februar 1973 (GV NW S. 66) in der Fassung vom 5. Juli 1982 (GV NW S. 343).
II. Der Heimarbeitsausschuß war in seiner Sitzung vom 20. August 1985 nicht fehlerhaft besetzt. Die bindende Festsetzung kann daher nicht aus diesem Grunde unwirksam sein.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, Ministerialrat I sei zur Zeit der Beschlußfassung noch Vorsitzender des Ausschusses gewesen. Die Abberufung stelle einen Verwaltungsakt dar, der erst nach der Sitzung wirksam geworden sei. Die Revision hält demgegenüber daran fest, daß es sich bei der Abberufung um einen schon am 12. August 1985 wirksam gewordenen Regierungs- oder Organisationsakt handele. Die fehlerhaft zustande gekommene bindende Festsetzung sei auch nicht nachträglich geheilt worden. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zu folgen. Die Auffassung der Revision überzeugt nicht.
2. Die Abberufung des Vorsitzenden eines Heimarbeitsausschusses ist ein Verwaltungsakt, der nach § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er ihm bekanntgegeben wird. Gemäß § 35 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder jede andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Abberufung des Ministerialrats I vom Amt des Vorsitzenden des Heimarbeitsausschusses erfüllt diese Merkmale.
a) Mit der Abberufung des Ministerialrats I hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine Entscheidung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts getroffen. Er hat als die nach § 4 Abs. 2 HAG und § 3 Abs. 2 der 1. DVO HAG zuständige Arbeitsbehörde gehandelt. Beide Vorschriften sprechen zwar nur von der "Bestimmung" des Vorsitzenden des Heimarbeitsausschusses; was aber für die Bestimmung des Vorsitzenden gilt, muß auch für den umgekehrten Akt, die gesetzlich nicht geregelte Abberufung gelten.
b) Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat auch eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls getroffen. Es mag zutreffen, wie die Revision vorträgt, daß die Errichtung eines Heimarbeitsausschusses kein Verwaltungsakt ist und deshalb nicht angefochten werden kann. Davon ist aber zu unterscheiden die "Bestimmung" des Vorsitzenden und auch die "Berufung" der Beisitzer des Heimarbeitsausschusses. Es mag einen Regierungs- oder Organisationsakt darstellen, wenn die zuständige Arbeitsbehörde sich entschließt, einen solchen Ausschuß zur Wahrnehmung der in den §§ 1, 10, 11, 18 und 19 HAG genannten Aufgaben einzurichten (§ 4 Abs. 1 Satz 1 HAG). Will die Behörde dann aber den Ausschuß mit der vorgesehenen Anzahl von Mitgliedern besetzen, so muß sie notwendigerweise einzelnen als geeignet angesehenen Bürgern gegenübertreten und deren Mitgliedschaft im Ausschuß anordnen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 HAG: Den Vorsitzenden bestimmen; § 5 Abs. 1 Satz 1 HAG: Die Beisitzer berufen).
Der Revision ist einzuräumen, daß es über die Bestimmung des Vorsitzenden, seine Stellung und Funktion nur lückenhafte Vorschriften gibt (§ 4 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 HAG, § 5 Abs. 4 Satz 3 HAG, § 3 der 1. DV0 HAG). Daraus läßt sich jedoch nicht schließen, die Bestimmung und Abberufung des Vorsitzenden seien keine Verwaltungsakte. Der gesamte Regelungszusammenhang ergibt, daß der Vorsitzende des Heimarbeitsausschusses ein "Amt" ausübt, indem er in einem Organ der Selbstverwaltung von Beschäftigten und Auftraggebern mitwirkt, dem von Staats wegen Aufgaben der Verwaltung und Rechtssetzung übertragen sind (BVerfG, Beschluß vom 27. Februar 1973 - 2 BvL 27/69 - AP Nr. 7 zu § 19 HAG; Maus/Schmidt, aa0, § 4 Rz 2). Es ist deshalb folgerichtig, wenn in der verwaltungsrechtlichen Literatur einhellig die Berufung und Abberufung des ehrenamtlich Tätigen als Verwaltungsakt angesehen wird (Kopp, VwVfG, 4. Aufl., § 81 Rz 5 und § 86 Rz 2; Knack, VwVfG, 2. Aufl., § 81 Rz 3 und § 86 Rz 6; Meyer/Borgs, VwVfG, 2. Aufl., § 86 Rz 3, jeweils mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn das Amt des Ausschußvorsitzenden kein "Ehrenamt" sein sollte wie das der Beisitzer (§ 5 Abs. 4 Satz 1 HAG) und obwohl das Heimarbeitsgesetz für den Vorsitzenden weder eine bestimmte Amtszeit noch bestimmte Abberufungsgründe vorsieht (vgl. dazu § 86 VwVfG), kann für ihn nichts anderes gelten. In seinen persönlichen Rechten wird er auf jeden Fall durch die Abberufung berührt. Die Abberufungsverfügung hat daher für ihn eine unmittelbare rechtliche Wirkung. Sie ist somit Verwaltungsakt und wird erst durch die Bekanntgabe an ihn wirksam.
c) Schließlich trifft es nicht zu, daß die Abberufung und die Neuberufung der Ministerialräte I und S lediglich behördeninterne Maßnahme darstellten und keine unmittelbaren Rechtswirkungen nach außen gehabt hätten. Die Entscheidung sowohl über die Abberufung des Ministerialrats I als auch die Bestimmung seines Nachfolgers Ministerialrat S mußte aus dem Bereich der zuständigen Arbeitsbehörde nach außen gerichtet sein, um wirksam werden zu können. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung konnte es sich nicht um eine bloß behördeninterne Neuregelung von Zuständigkeiten handeln, da beide Ausschußvorsitzende nicht dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angehörten. Beide standen als Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als außenstehende Bürger gegenüber (vgl. Kopp, aa0, § 35 Rz 41; Meyer/Borgs, aa0, § 35 Rz 47; Knack, aa0, § 35 Rz 4.5, jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung den Ministerialräten I und S als außenstehenden Dritten gegenübertrat, zeigt sich ferner daran, daß nach der Gesetzeslage auch sonstige, nichtbeamtete Personen zu Vorsitzenden hätten bestellt werden können. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hätte lediglich darauf achten müssen, daß der Vorsitzende nicht Auftraggeber, Zwischenmeister, in Heimarbeit Beschäftigter oder Gleichgestellter war (vgl. § 3 Abs. 1 der 1. DV0 HAG).
3. Der Verwaltungsakt, das Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 12. August 1985, beansprucht auch keine rückwirkende Kraft. Zwar ordnet er die Abberufung des Ministerialrats I und die Bestimmung des Ministerialrats S "mit Wirkung vom heutigen Tage" an. Gemeint ist aber nur eine "sofortige Wirkung".
Es erscheint schon fraglich, bedarf aber keiner Entscheidung, ob es nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen möglich ist, die Entbindung von einem Amt rückwirkend - vor Kenntnisnahme des Adressaten - anzuordnen; dies könnte der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG widersprechen. Im Streitfall ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch die von ihm gewählte Formulierung nur zum Ausdruck bringen wollte, die Umbesetzung im Vorsitz des Heimarbeitsausschusses solle im Zeitpunkt der Kenntnisnahme beider Adressaten, also "mit sofortiger Wirkung" eintreten. Es sind keine Anhaltspunkte für die Annahme vorhanden, Ministerialrat I habe rückwirkend von seinem Amt entbunden werden sollen. Es sind auch keine Urkunden vorgelegt worden, die eine solche Auslegung des Schreibens nahelegen könnten.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Dr. Krems Grimm
Fundstellen
Haufe-Index 438512 |
BAGE 57, 205-211 (LT1) |
BAGE, 205 |
NZA 1988, 463-464 (LT1) |
RdA 1988, 189 |
AP § 4 HAG (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 910 Nr 27 (LT1) |
AR-Blattei, Heimarbeit Entsch 27 (LT1) |