Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen. Nachwirkung. Dauer der Anwendbarkeit der Normen. Nachwirkung nach dem Ende der Verordnung. Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist. Inhalt einer Geltendmachung
Leitsatz (amtlich)
Rechtsnormen eines Tarifvertrages, für die durch Rechtsverordnung im Wege des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG aF (idF vom 19. Dezember 1998) bestimmt ist, dass sie auf alle unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallenden und nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden, sind nach dem Ende der Geltungsdauer der Verordnung für die betreffenden Arbeitsverhältnisse nicht mehr maßgebend. § 4 Abs. 5 TVG über die Nachwirkung von Tarifverträgen ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Orientierungssatz
1. Rechtsnormen eines Tarifvertrages, die nach § 1 Abs. 3a AEntG aF (nunmehr § 7 Abs. 1 AEntG) auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, sind unabhängig vom Fortbestand des betreffenden Tarifvertrages maßgebend. Entscheidend ist grundsätzlich allein die Geltungsdauer der betreffenden Verordnung.
2. Nach dem Ende der Geltungsdauer einer Verordnung iSd. § 1 Abs. 3a AEntG aF, aufgrund derer Rechtsnormen eines Tarifvertrages auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, findet eine Nachwirkung der in der Verordnung genannten tariflichen Rechtsnormen nicht statt. § 4 Abs. 5 TVG kann weder unmittelbar noch entsprechend angewendet werden. Endet die Verordnung, sind auch die tariflichen Rechtsnormen nicht mehr geltendes staatliches Recht.
3. Stützt sich ein Arbeitnehmer im Rahmen der schriftlichen Geltendmachung für eine bezifferte Forderung auf die Anwendbarkeit der Rechtsnormen eines bestimmten Tarifvertrages – Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Abbruch- und Abwrackgewerbe vom 30. Juli 2005 –, wahrt dies regelmäßig nicht zugleich die Ausschlussfrist für Ansprüche, für die nachfolgend ein anderer Tarifvertrag – TV Mindestlohn Bau 2005 vom 29. Juli 2005 – als Anspruchsgrundlage herangezogen wird.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 5, § 5 Abs. 1; AEntG § 1 Abs. 3a S. 1 a.F. (idF vom 19. Dezember 1998); Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Abbruchgewerbe vom 27. März 2006 § 1; Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Abbruchgewerbe vom 20. März 2008 § 1; Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Abbruchgewerbe vom 20. März 2008 § 3; Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Abbruch- und Abwrackgewerbe vom 30. August 2007; TV Mindestlohn Bau 2005 vom 29. Juli 2005 § 2 Abs. 5
Verfahrensgang
LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 19.03.2009; Aktenzeichen 18 Sa 2240/08) |
AG Brandenburg (Urteil vom 16.10.2008; Aktenzeichen 2 Ca 340/08) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. März 2009 – 18 Sa 2240/08 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Entgeltansprüche des Klägers und in diesem Zusammenhang über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis, deren Rechtsnormen durch Verordnung auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber für anwendbar erklärt wurden.
Rz. 2
Der Kläger, Mitglied der IG BAU, war vom 1. August bis 31. Dezember 2007 bei der Beklagten als Facharbeiter tätig. Im Arbeitsvertrag war eine monatliche Vergütung von 1.230,00 Euro brutto vereinbart. Die Beschäftigung erfolgte im Rahmen einer Arbeitsförderungsmaßnahme – sog. Vergabe-ABM. Die Beklagte hatte sich für die Arbeitsförderungsmaßnahme “Beräumung Waldflächen vom Bauschutt, Demontage baulicher Anlagen, Flächenrenaturierung beim Forstamt G…” in B… im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung beworben. Die Leistungsbeschreibung umfasste Gebäudeentkernung sowie die Demontage und den Abriss von Gebäuden und baulichen Anlagen jeweils einschließlich der Entsorgung. Nach dem Zuschlag zugunsten der Beklagten wurde ihr der Kläger durch Anerkennungsbescheid des JobCenters vom 19. Juli 2007 zugewiesen.
Rz. 3
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Gewerkschaft IG BAU mit am 31. Januar 2008 zugegangenem Schreiben gegenüber der Beklagten für den Zeitraum der Beschäftigung unter Berufung auf tarifvertragliche Regelungen Differenzentgeltansprüche in Höhe von 4.212,88 Euro geltend.
Rz. 4
Mit der der Beklagten am 31. März 2008 zugestellten Klage verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter. Für das Arbeitsverhältnis seien der Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Abbruch- und Abwrackgewerbe vom 30. Juli 2005 (TV Mindestlohn Abbruch 2005) und der Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Abbruch- und Abwrackgewerbe vom 30. August 2007 (TV Mindestlohn Abbruch 2007) maßgebend, die beide aufgrund Verordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG aF (idF vom 19. Dezember 1998, BGBl. I S. 3843) auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber Anwendung fänden. Für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Dezember 2007 ergebe sich sein Anspruch zumindest aus einer Nachwirkung des TV Mindestlohn Abbruch 2005. Zudem bestehe ein sittenwidriges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, da der Kläger nur wenig mehr als 60 vH des Tarifentgelts erhalten habe.
Rz. 5
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.212,88 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2008 zu zahlen.
Rz. 6
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Beide Tarifverträge seien auf den Kläger nicht anwendbar, weil er im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei ihr tätig gewesen sei. Es fehle auch an der beiderseitigen Tarifgebundenheit. Eine Nachwirkung des TV Mindestlohn Abbruch 2005 sei nicht eingetreten. Jedenfalls sei mit dem Arbeitsvertrag eine andere Abmachung hinsichtlich der Vergütung geschlossen worden.
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der Differenzvergütung für den Monat August 2007 stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter. Er hat in der Revisionsinstanz zusätzlich geltend gemacht, sein Anspruch ergebe sich auch aus dem Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 29. Juli 2005 (TV Mindestlohn Bau 2005).
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich der Monate September bis einschließlich Dezember 2007 zu Recht abgewiesen. Der Kläger, der sein Begehren nach seinem Vorbringen in der Revision allein noch auf die genannten Tarifverträge stützt, kann ein weiteres Entgelt nicht beanspruchen.
Rz. 9
I. Ein Anspruch des Klägers aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG besteht nicht. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die Beklagte Mitglied in dem tarifschließenden Arbeitgeberverband ist. Hierzu wäre er, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast jedoch verpflichtet gewesen.
Rz. 10
II. Der Anspruch des Klägers ergibt sich nicht nach dem TV Mindestlohn Abbruch 2005 oder dem TV Mindestlohn Abbruch 2007.
Rz. 11
1. Der TV Mindestlohn Abbruch 2005 ist auf das Arbeitsverhältnis des Klägers für den in der Revision noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Dezember 2007 nicht anzuwenden.
Rz. 12
a) Nach § 1 Satz 1 der Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Abbruchgewerbe (vom 27. März 2006, BAnz. 2006 Nr. 64 S. 2327, nachfolgend 2. VO) finden die Rechtsnormen des in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten TV Mindestlohn Abbruch 2005 zwar auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, die unter seinen am 1. April 2006 gültigen Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III erbringt. Die am 1. April 2006 in Kraft getretene Verordnung ist jedoch am 31. August 2007 nach ihrem § 3 außer Kraft getreten. Deshalb kann sich der Kläger für Entgeltansprüche ab dem 1. September 2007 nicht auf die Verordnung stützen.
Rz. 13
b) Der TV Mindestlohn Abbruch 2005 wirkt auch für die Zeit ab dem 1. September 2007 nicht entsprechend der Regelung des § 4 Abs. 5 TVG nach.
Rz. 14
aa) Eine unmittelbare Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG scheidet entgegen der Auffassung der Revision vorliegend aus. Der Kläger übersieht, dass der TV Mindestlohn Abbruch 2005 nicht nach § 5 Abs. 1 TVG für allgemeinverbindlich erklärt wurde, sondern dessen Rechtsnormen im Wege einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG aF (s. nunmehr § 7 Abs. 1 AEntG) auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erstreckt wurde. Deshalb sind die Regelungen des Tarifvertragsgesetzes über die unmittelbare und zwingende Geltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 1 TVG) sowie diejenigen über die Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) nach Ende der Allgemeinverbindlicherklärung (dazu BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – zu A I 2 der Gründe, BAGE 69, 119; 25. Oktober 2000 – 4 AZR 212/00 – zu 1 der Gründe, AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 38 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 32) nicht unmittelbar anwendbar.
Rz. 15
Die Dauer der Anwendung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages iSd. § 1 Abs. 3a AEntG aF ist abweichend von den Fällen einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 1 TVG unabhängig vom Fortbestand des betreffenden Tarifvertrages (ebenso Koberski/Asshoff/Hold Arbeitnehmer-Entsendegesetz § 1 Rn. 98; Däubler/Lakies TVG 2. Aufl. § 5 Anhang 2 § 1 AEntG Rn. 110; ErfK/Schlachter 8. Aufl. § 1 AEntG Rn. 16; Gussen in BeckOK Arbeitsrecht Stand 1. März 2011 § 1 AEntG 1996 Rn. 18; AnwK-ArbR/Kühn 1. Aufl. § 1 AEntG Rn. 34; ebenso zu § 7 AEntG in Thüsing/Bayreuther AEntG § 7 AEntG Rn. 24; Ulber Arbeitnehmerentsendegesetz § 7 Rn. 52; zum Gebot der “zeitnahen” Aufhebung im Falle der Beendigung des einschlägigen Tarifvertrages etwa Thüsing/Bayreuther aaO). Die Rechtsnormen der 2. VO gelten bis zu ihrer förmlichen Aufhebung durch den Verordnungsgeber oder – wie vorliegend – im Falle einer befristeten Verordnung bis zu deren Ablauf weiter. Davon geht auch der Gesetzgeber aus (BT-Drucks. 14/45 S. 26). Endet die Verordnung, sind auch tarifliche Mindestentgelte nicht mehr staatliches Recht und können nicht mehr auf die tarifungebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angewendet werden.
Rz. 16
Weder § 1 Abs. 3a AEntG aF als Ermächtigungsgrundlage noch die 2. VO enthalten eine Regelung über eine weitere Anwendung oder eine “Nachwirkung” der Rechtsnormen des Tarifvertrages, die im Verordnungswege auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erstreckt wurde. Es fehlt auch – anders als etwa in § 8 Abs. 2 Satz 1 MiArbG für Mindestarbeitsentgelte – eine gesetzliche Vorschrift über die entsprechende Anwendbarkeit von Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes.
Rz. 17
bb) Die Bestimmung des § 4 Abs. 5 TVG kann auch nicht entsprechend oder nach ihrem Rechtsgedanken auf die Rechtsnormen eines Tarifvertrages angewendet werden, die im Wege der Verordnung auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erstreckt wurde, wenn die Verordnung aufgehoben oder deren Geltungsdauer aufgrund Befristung ihr Ende gefunden hat. Weder von den Voraussetzungen noch von der Rechtsfolge des § 4 Abs. 5 TVG her besteht eine mit dem Ablauf der Frist nach § 1 Abs. 3a AEntG aF vergleichbare Situation.
Rz. 18
Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch beim Außerkrafttreten einer Rechtsverordnung ein Bedürfnis besteht, die Rechtsnormen entsprechend der in § 4 Abs. 5 TVG vorgesehenen Möglichkeit weiter anzuwenden (vgl. zu allgemeinverbindlichen Tarifverträgen BAG 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP TVG § 3 Nr. 13 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14; 25. Oktober 2000 – 4 AZR 212/00 – zu 1 der Gründe, AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 38 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 32), steht einer entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 5 TVG – unabhängig von der Frage nach der zusätzlich erforderlichen Regelungslücke – entgegen, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3a AEntG aF ebenso wie im jetzigen § 7 AEntG ein von der Allgemeinverbindlicherklärung des § 5 TVG abweichendes Regelungsinstrument zur Erstreckung von Rechtsnormen auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewählt hat (s. nur Thüsing/Bayreuther § 7 AEntG Rn. 2). Eine Allgemeinverbindlicherklärung, bei der es sich um einen Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung handelt (BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – BverfGE 44, 322; 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74 – u. – 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7; BAG 21. November 2007 – 10 AZR 782/06 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 297 = EzA AEntG § 1 Nr. 11), erstreckt nach § 5 Abs. 4 TVG die Tarifgebundenheit (BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – zu A I 2 der Gründe, BAGE 69, 119; 25. Oktober 2000 – 4 AZR 212/00 – zu 1 der Gründe, AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 38 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 32). Demgegenüber werden durch eine Verordnung iSd. § 1 Abs. 3a AEntG aF die Rechtsnormen eines Tarifvertrages zu unmittelbar staatlich geltendem Recht (s. nur OVG Berlin-Brandenburg 18. Dezember 2008 – OVG 1 B 13.08 – Rn. 45, ZTR 2009, 207 sowie die Nachw. oben unter II 1 b, aa) und sind deshalb anzuwenden.
Rz. 19
Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 TVG, die als Rechtsfolge die Weitergeltung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages anordnet, kann nicht dazu herangezogen werden, außer Kraft getretenes staatliches Recht außerhalb des dafür vorgesehenen Verfahrens in der Sache wieder “in Geltung” zu setzen. Dies obliegt allein dem Verordnungsgeber (ebenso Sittard Voraussetzungen und Wirkungen der Tarifnormerstreckung nach § 5 TVG und dem AEntG 2008 S. 399 f.).
Rz. 20
2. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf die Rechtsnormen des TV Mindestlohn Abbruch 2007 stützen.
Rz. 21
a) Nach § 1 Satz 1 der Dritten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Abbruchgewerbe (vom 20. März 2008, BAnz. 2008 Nr. 48) finden die “Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne im Abbruch- und Abwrackgewerbe (TV Mindestlohn Abbruch) einschließlich Anhang (Lohngruppen) … auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, die unter seinen am 1. April 2008 festgelegten Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 175 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringt.”
Rz. 22
b) Die Verordnung trat aber nach ihrem § 3 erst am 1. April 2008 in Kraft und erfasste daher aufgrund ihrer zeitlichen Geltung nicht das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis, welches bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2007 beendet war.
Rz. 23
3. Der Kläger kann den Differenzlohnanspruch auch nicht auf Grundlage des TV Mindestlohn Bau 2005 vom 29. Juli 2005 beanspruchen.
Rz. 24
a) Der Anspruch ist bereits deshalb unbegründet, weil die Fünfte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe (in der bis zum 7. März 2008 geltenden Fassung, BAnz. 2005 Nr. 164 S. 13 199, idF des Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung vom 24. April 2006, BGBl. I S. 926, 933, nachfolgend 5. VO) während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht den Betrieb der Beklagten erfasste.
Rz. 25
aa) Nach § 1 Satz 1 der 5. VO über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe finden zwar die in der Anlage 1 zu dieser Verordnung aufgeführten “Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 29. Juli 2005 (TV Mindestlohn) … auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, die unter seinen am 1. September 2005 gültigen Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 175 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringt.”
Rz. 26
§ 2 Abs. 4 der 5. VO bestimmt aber in der bis 7. März 2008 geltenden Fassung:
“(4) Diese Verordnung erstreckt sich nicht auf Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen von Arbeitgebern mit Sitz im Inland,
…
5. die Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten ausführen, soweit ihre Leistungen nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen in den Betrieben oder in den selbstständigen Betriebsabteilungen in erheblichem Umfang anfallenden baulichen Leistungen stehen.”
Rz. 27
bb) Danach sind die Rechtsnormen des TV Mindestlohn Bau 2005 nicht auf die Parteien anzuwenden, weil der Betrieb der Beklagten von der Anwendungsausnahme nach § 2 Abs. 4 Nr. 5 der 5. VO erfasst wird.
Rz. 28
(1) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass der Betrieb der Beklagten dem betrieblichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 TV Mindestlohn Abbruch 2005 unterfällt. Danach gilt der Tarifvertrag für “Betriebe sowie selbständige Betriebsabteilungen, die ganz oder teilweise Bauwerke, Bauwerksteile oder einzelne Bauelemente aus Mauerwerk, Beton, Stahlbeton, Eisen, Stahl oder sonstigen Baustoffen, technische Anlagen – z. B. Industrieanlagen, Fabrikeinrichtungen – abbrechen, demontieren, sprengen, schneiden, sägen, bohren, pressen und Durchbruchsarbeiten ausführen; Schiffe abwracken; beim Abbrechen und Abwracken anfallende Stoffe recyceln; Altlasten beseitigen und Entkernungs- und Entschuttungsarbeiten ausführen.”
Rz. 29
Da die Beklagte nach dem Vortrag der Parteien solche Arbeiten ausführt, wird sie zugleich von der Anwendungsausnahme nach § 2 Abs. 4 der 5. VO erfasst. Dafür sprechen auch die mit dem Kläger arbeitsvertraglich durchzuführenden Arbeiten “Beräumung Waldflächen vom Bauschutt, Demontage baulicher Anlagen, Flächenrenaturierung im Forstamt G…” und die Leistungsbeschreibung nach den Verdingungsunterlagen. Weiterhin geht der Kläger selbst davon aus, dass die Beklagte Arbeiten im Sinne der Anwendungsausnahme durchführt.
Rz. 30
Soweit der Kläger sich darauf berufen hat, die Beklagte führe “Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten” iSd. Abschnitt 5 Nr. 29 BRTV-Bau aus, was wiederum für den betrieblichen Geltungsbereich des TV Mindestlohn Bau 2005 maßgebend sei, ist dies nicht ausreichend. Dass die Leistungen der Beklagten, wie es von § 2 Abs. 4 der 5. VO weiter verlangt wird, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen in den Betrieben oder in den selbstständigen Betriebsabteilungen in erheblichem Umfang anfallenden baulichen Leistungen stehen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Rz. 31
(2) Das weitere Vorbringen der Revision, die Beklagte werde von der Anwendungsausnahme nach § 2 Abs. 4 Nr. 2 der 5. VO nicht erfasst, weil sie nicht Mitglied im Deutschen Abbruchverband e. V., im Fachverband Betonbohren und -sägen Deutschland e. V. oder im Abbruchverband Nord e. V. sei, ist vorliegend ohne Bedeutung. Der Kläger übersieht, dass er sich insoweit auf die durch die Erste Verordnung zur Änderung der Fünften Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe (vom 27. Februar 2008, BAnz. 2008 Nr. 38 S. 891) geänderte Fassung der Anwendungsausnahme in § 2 Abs. 4 Nr. 2 der 5. VO bezieht. Diese trat aber erst am 8. März 2008 in Kraft. Für die Dauer des bis Jahresende 2007 bestehenden Arbeitsverhältnisses galt diese geänderte Anwendungsausnahme jedoch nicht.
Rz. 32
b) Darüber hinaus wäre ein etwaiger Anspruch nach dem TV Mindestlohn Bau 2005 nach dessen § 2 Abs. 5 verfallen. Der Kläger hat seine Entgeltansprüche nicht binnen sechs Monaten nach Fälligkeit, die nach § 2 Abs. 4 TV Mindestlohn Bau 2005 am Fünfzehnten des Folgemonats eintritt, für den das Entgelt zu zahlen ist, gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
Rz. 33
aa) Der Zweck tariflicher Ausschlussfristen besteht darin, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen. Dabei soll dem Schuldner der gegen ihn gerichtete Anspruch deutlich gemacht werden. Diese Funktion kann eine Geltendmachung nur erfüllen, wenn der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und dessen Höhe wenigstens ungefähr ersichtlich gemacht wird. Deshalb müssen die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, erkennbar sein (BAG 17. Mai 2001 – 8 AZR 366/00 – zu II 3 b der Gründe mwN, AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 136). Der Schuldner soll anhand der Geltendmachung erkennen können, welche Forderung erhoben wird (vgl. nur BAG 18. März 1999 – 6 AZR 523/97 – zu B II 3 a der Gründe, ZTR 1999, 420), damit er in die Lage versetzt wird, zu prüfen, ob er der Forderung entsprechen will oder welche Einwände ihm dagegen zur Verfügung stehen (BAG 30. Mai 1972 – 1 AZR 427/71 – zu II 1 der Gründe, AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 50).
Rz. 34
bb) Danach liegt eine fristgerechte Geltendmachung der Ansprüche des Klägers nicht vor. Der Kläger hat sich in dem Geltendmachungsschreiben vom 30. Januar 2008 für seine bezifferte Forderung ausschließlich auf den TV Mindestlohn Abbruch 2005 als Anspruchsgrundlage gestützt. Deshalb bestand für die Beklagte kein Anlass, weitergehend zu prüfen, ob der Anspruch möglicherweise auch noch aufgrund einer anderen tariflichen Bestimmung begründet ist, die im Wege der Verordnung auf das zwischen den Parteien bestandene Arbeitsverhältnis anzuwenden ist. Das erstmals in der Revisionsbegründung vom 16. September 2009 auf den TV Mindestlohn Bau 2005 gestützte Verlangen wahrt nicht die sechsmonatige Ausschlussfrist.
Rz. 35
III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Bepler, Creutzfeldt, Treber, Hardebusch, Dierßen
Fundstellen
Haufe-Index 2741268 |
BAGE 2012, 1 |
DB 2011, 2099 |