Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachgrundlose Befristung. Vorbeschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Nach Ablauf von 22 Jahren seit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses kann bei der erneuten Einstellung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber in der Regel eine Befristung ohne Sachgrund vereinbart werden. In einem solchen Fall ist es geboten, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift nicht anzuwenden, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die die Anwendung des Verbots dennoch gebieten könnten.
Orientierungssatz
1. Das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG normierte Verbot einer sachgrundlosen Befristung im Falle einer Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber gilt nicht unbeschränkt. Die Vorschrift ist aufgrund der bindenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform auszulegen. Danach ist die Vorschrift nicht anzuwenden auf Fälle, in denen das Verbot für die Parteien unzumutbar wäre (Rn. 18 ff.).
2. Ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber ist unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Hierzu bedarf es einer Würdigung des Einzelfalls (Rn. 23).
3. Die Anwendung des Verbots der sachgrundlosen Befristung ist den Arbeitsvertragsparteien unzumutbar, wenn die Vorbeschäftigung fast 22 Jahre zurückliegt und besondere Umstände, die eine Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG im Einzelfall gebieten, nicht vorliegen (Rn. 24 f.).
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27. Juli 2017 - 4 Sa 221/16 - aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 15. Juni 2016 - 1 Ca 358 b/16 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer sachgrundlosen Befristung.
Rz. 2
Zwischen den Parteien bestand in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 ein Arbeitsverhältnis. Ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 31. Oktober 1991 war die Klägerin als Aushilfsangestellte zur Vertretung beim Arbeitsamt N eingestellt. Ihr war laut Verfügung vom 31. Oktober 1991 eine Tätigkeit als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld zugewiesen. Nach dem im Jahre 1993 ausgestellten Zeugnis gehörten zu den Aufgaben der Klägerin die entscheidungsreife Bearbeitung von Kindergeldanträgen, einfacher Schriftverkehr insbesondere durch die Verwendung von Formblättern sowie die Erteilung von telefonischen Auskünften in Kindergeldangelegenheiten.
Rz. 3
Mit Wirkung zum 15. Oktober 2014 stellte die Beklagte die Klägerin erneut auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 1. Oktober 2014 zunächst befristet bis zum 30. Juni 2015 ein. Durch Änderungsvereinbarung vom 3. Juni 2015 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 30. Juni 2016 verlängert. Die Klägerin übte eine Tätigkeit als Telefonserviceberaterin im Servicecenter aus.
Rz. 4
Mit ihrer am 21. März 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 24. März 2016 zugestellten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristung zum 30. Juni 2016 geltend gemacht und die Auffassung vertreten, die Befristung sei wegen ihrer Vorbeschäftigung nicht nach § 14 Abs. 2 TzBfG gerechtfertigt.
Rz. 5
Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis vom 1. Oktober 2014 / 3. Juni 2015 nicht aufgrund der Befristung mit Ablauf des 30. Juni 2016 geendet hat. |
Rz. 6
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, das frühere Arbeitsverhältnis stehe einer Befristung ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht entgegen, da das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses bei der erneuten Einstellung ca. 22 Jahre zurückgelegen habe. Auch sei die Tätigkeit der Klägerin im Rahmen des ersten Arbeitsverhältnisses sowohl inhaltlich als auch ihrer Art nach anders gewesen als im Rahmen des sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses. Die Anwendung des Verbots der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung sei daher im vorliegenden Fall unzumutbar.
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert und der Klage stattgegeben. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Rz. 9
I. Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag ist bei gebotener Auslegung hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Rz. 10
1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss der Streitgegenstand so konkret umschrieben werden, dass der Umfang der Rechtskraftwirkung für die Parteien nicht zweifelhaft ist (BAG 27. Juli 2016 - 7 ABR 16/14 - Rn. 13 mwN). Bei einer Befristungskontrollklage sollte zwar das Datum der Befristungsabrede neben dem streitbefangenen Beendigungstermin im Klageantrag bezeichnet werden, um die notwendige Bestimmtheit eindeutig zu gewährleisten (vgl. KR/Bader 12. Aufl. § 17 TzBfG Rn. 11; ErfK/Müller-Glöge 19. Aufl. TzBfG § 17 Rn. 15). Es genügt aber, wenn sich der Vertrag, der die angegriffene Befristung enthält, im Wege der Auslegung aus dem weiteren Klagevorbringen ergibt (vgl. BAG 23. Januar 2019 - 7 AZR 733/16 - Rn. 9 mwN).
Rz. 11
2. Dies ist hier der Fall. Zwar begehrt die Klägerin mit dem Klageantrag die Feststellung, „dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis vom 1. Oktober 2014 / 3. Juni 2015 nicht aufgrund der Befristung mit Ablauf des 30. Juni 2016 geendet hat“. Damit ist im Klageantrag sowohl der 1. Oktober 2014 als auch der 3. Juni 2015 als Datum der Befristungsabrede genannt. Die Klägerin hat jedoch bereits in der Klageschrift vom 18. März 2016 unter Beifügung der entsprechenden Vertragsunterlagen dargestellt, dass die Parteien zunächst unter dem 1. Oktober 2014 einen zum 30. Juni 2015 befristeten Arbeitsvertrag geschlossen hatten und diese Befristung mit der Änderungsvereinbarung vom 3. Juni 2015 bis zum 30. Juni 2016 verlängert wurde. Daraus ergibt sich mit der erforderlichen Klarheit, dass die Klägerin die letzte, am 3. Juni 2015 vereinbarte Befristung angreifen will.
Rz. 12
II. Die Klage ist unbegründet. Die Befristung ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wirksam.
Rz. 13
1. Die Befristung zum 30. Juni 2016 gilt allerdings nicht schon nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Die Klägerin hat rechtzeitig iSd. § 17 Satz 1 TzBfG Befristungskontrollklage erhoben. Die Klageschrift wurde der Beklagten am 24. März 2016 zugestellt. Eine Klageerhebung noch vor dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses wahrt die Frist des § 17 Satz 1 TzBfG (st. Rspr. vgl. nur BAG 27. September 2017 - 7 AZR 629/15 - Rn. 11 mwN).
Rz. 14
2. Die Befristung ist jedoch nach § 14 Abs. 2 TzBfG ohne Vorliegen eines Sachgrundes zulässig.
Rz. 15
a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Rz. 16
b) Die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Voraussetzungen wurden mit der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von ca. einem Jahr und neun Monaten sowie der einmaligen Vertragsverlängerung eingehalten. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, die Parteien hätten wegen der Vorbeschäftigung der Klägerin in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG keine sachgrundlose Befristung vereinbaren können. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfasst das Verbot in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht ausnahmslos jede frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber. Der Anwendungsbereich des Verbots ist vielmehr in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift einzuschränken in Fällen, in denen das Verbot für die Parteien unzumutbar wäre. Dies ist hier der Fall. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
Rz. 17
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG entgegen der vom Senat im Jahr 2011 vertretenen Auffassung nicht verfassungskonform dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift der sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsvertrags nicht entgegensteht, wenn ein vorangegangenes Arbeitsverhältnis zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien mehr als drei Jahre zurückliegt (vgl. BAG 21. September 2011 - 7 AZR 375/10 - Rn. 23 ff., BAGE 139, 213; ähnlich BAG 6. April 2011 - 7 AZR 716/09 - Rn. 27, BAGE 137, 275: „verfassungsorientierte Auslegung“). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überschreitet die Annahme, eine sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrags sei nur dann unzulässig, wenn eine Vorbeschäftigung weniger als drei Jahre zurückliegt, die Grenzen vertretbarer Auslegung gesetzlicher Vorgaben durch die Gerichte, weil der Gesetzgeber gerade dieses Regelungsmodell erkennbar nicht wollte (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - BVerfGE 149, 126).
Rz. 18
bb) Allerdings verlangt auch das Bundesverfassungsgericht eine verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 62 f., BVerfGE 149, 126).
Rz. 19
(1) Die Vorschrift schränkt die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit und die Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein. Diese Beeinträchtigungen wiegen schwer. Sie erweisen sich jedoch in der Abwägung mit dem Schutz der Beschäftigten im Arbeitsverhältnis (Art. 12 Abs. 1 GG) und den im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG verankerten sozial- und beschäftigungspolitischen Zielsetzungen grundsätzlich als zumutbar. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bezweckten Schutzes tatsächlich bedürfen, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten und auch eine Gefahr für die soziale Sicherung durch eine Abkehr vom unbefristeten Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform besteht (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 53, BVerfGE 149, 126). Die mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einhergehenden Beeinträchtigungen der Rechte der Arbeitsplatzsuchenden und der Arbeitgeber, erneut einen Arbeitsvertrag sachgrundlos zu befristen, stehen auch nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zwecken, da die Arbeitsgerichte die Anwendung der Norm in verfassungskonformer Auslegung auf Fälle ausschließen können, in denen dies für die Beteiligten unzumutbar wäre (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 55, aaO).
Rz. 20
(2) Ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber ist danach unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Der mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfolgte Schutzzweck kann in diesen Fällen das Verbot einer sachgrundlos befristeten Wiedereinstellung nicht rechtfertigen, soweit das legitime Interesse der Arbeitssuchenden an einer auch nur befristeten Beschäftigung und das ebenfalls legitime Flexibilisierungsinteresse der Arbeitgeber entgegensteht (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 62, BVerfGE 149, 126). Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 63, aaO). So liegt es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts etwa bei geringfügigen Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden und studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung (vgl. dazu BAG 6. April 2011 - 7 AZR 716/09 - Rn. 2, BAGE 137, 275) oder bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 63 mwN, aaO).
Rz. 21
cc) Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt nach § 31 Abs. 2 iVm. § 13 Nr. 11 BVerfGG Gesetzeskraft zu. Jedenfalls dann, wenn der Tenor - wie hier - ausdrücklich auf die Entscheidungsgründe Bezug nimmt, erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu der verfassungskonformen Auslegung einer einfachgesetzlichen Norm (vgl. BVerfG 30. Juni 1976 - 2 BvR 284/76 - zu B der Gründe, BVerfGE 42, 258; 10. Juni 1975 - 2 BvR 1018/74 - zu B I 3 der Gründe, BVerfGE 40, 88; BAG 23. Januar 2019 - 7 AZR 733/16 - Rn. 22 mwN). Dementsprechend hat der Senat seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2011 zur zeitlichen Einschränkung des Verbots in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG inzwischen aufgegeben (BAG 23. Januar 2019 - 7 AZR 733/16 - Rn. 18; - 7 AZR 13/17 - Rn. 15; - 7 AZR 161/15 - Rn. 14; vgl. auch BAG 20. März 2019 - 7 AZR 409/16 - Rn. 24).
Rz. 22
dd) Danach liegen die Voraussetzungen einer verfassungskonformen Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG im vorliegenden Fall vor. Die Anwendung des Verbots wäre für die Parteien unzumutbar.
Rz. 23
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat nicht näher definiert, wann eine Vorbeschäftigung „sehr lang“ zurückliegt, „ganz anders“ geartet oder „von sehr kurzer“ Dauer war. Dies ist unter Berücksichtigung des Grundes für die verfassungskonforme Auslegung, die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG auf Fälle, in denen das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar wäre, auszuschließen, sowie unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht genannten Beispielsfälle zu beurteilen. Letztlich bedarf es hierzu einer Würdigung des Einzelfalls (BAG 17. April 2019 - 7 AZR 323/17 - Rn. 22 mwN; 23. Januar 2019 - 7 AZR 733/16 - Rn. 24 mwN).
Rz. 24
(2) Danach ist vorliegend das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht zumutbar. Im Zeitpunkt der erneuten Einstellung der Klägerin lag ihre Vorbeschäftigung fast 22 Jahre zurück. Nach einer solchen Zeitspanne ist es in der Regel geboten, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift nicht anzuwenden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genügt es zwar nicht, dass die Vorbeschäftigung lang zurückliegt, sie muss vielmehr sehr lang zurückliegen. Das ist jedoch bei einem Zeitraum von mehr als 22 Jahren regelmäßig anzunehmen, sofern nicht besondere Umstände dennoch eine Anwendung des Verbots erfordern. Bei einer solchen Zeitspanne besteht keine Gefahr der Kettenbefristung. Auch der vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfolgte Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 49, BVerfGE 149, 126; BAG 23. Januar 2019 - 7 AZR 733/16 - Rn. 26), ist nicht gefährdet.
Rz. 25
Bei der Frage, ob der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einer verfassungskonformen Einschränkung bedarf, ist zu beachten, dass die sachgrundlose Befristung bei der erneuten Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber auf Ausnahmefälle beschränkt ist (BAG 23. Januar 2019 - 7 AZR 733/16 - Rn. 26). Das bleibt gewährleistet, wenn dieselben Arbeitsvertragsparteien nach 22 Jahren erneut einen Arbeitsvertrag mit einer sachgrundlosen Befristung abschließen können. Da ein Erwerbsleben bei typisierender Betrachtung ca. 40 Jahre umfasst (vgl. BAG 18. März 2014 - 3 AZR 69/12 - Rn. 27, BAGE 147, 279), ist bei der erneuten Einstellung des Arbeitnehmers mehr als ein halbes Berufsleben vergangen. Eine nochmalige - dritte - Einstellung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber mit einem sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag nach Ablauf weiterer 22 Jahre kommt typischerweise nicht in Betracht, da der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits die Regelaltersgrenze erreicht hat. Damit bleibt die sachgrundlose Befristung die Ausnahme. Dafür, dass ein Zeitraum von 22 Jahren als sehr lang im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzusehen ist, spricht auch die ebenfalls den Bestandsschutz betreffende Regelung des § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB, nach der die längste Kündigungsfrist nach einer Dauer von 20 Jahren eingreift.
Rz. 26
Besondere Umstände, die im vorliegenden Fall dennoch eine Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG gebieten könnten, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.
Rz. 27
(3) Der Senat kann selbst darüber entscheiden, ob die Vorbeschäftigung der Klägerin bei der Beklagten der streitgegenständlichen sachgrundlosen Befristung entgegensteht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 6. Juni 2018 (- 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - BVerfGE 149, 126) andere Kriterien für die Ausnahme von dem Verbot der erneuten sachgrundlosen Befristung aufgestellt als der Senat in seinen im Jahr 2011 getroffenen Entscheidungen. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien enthalten Wertungsspielräume („sehr lang“ zurückliegend, „ganz anders“ geartet, „von sehr kurzer“ Dauer). Grundsätzlich obliegt diese Bewertung den Tatsacheninstanzen. Sind alle für die Bewertung maßgeblichen Tatsachen festgestellt, kann der Senat diese Bewertung allerdings auch selbst vornehmen. Die Klägerin hat mit ihren Schriftsätzen vom 27. Juli 2018 und vom 19. Dezember 2018 zu den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts Stellung genommen, die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. September 2018. Weiterer Tatsachenvortrag war daher nicht zu erwarten. Insbesondere bedurfte es keiner weiteren Feststellungen in Bezug auf das legitime Interesse der Klägerin an einer auch nur befristeten Beschäftigung und das legitime Flexibilisierungsinteresse der Beklagten. Diese typischerweise bestehenden Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sind nach dem Bundesverfassungsgericht der Anlass für die Prüfung der Unzumutbarkeit des Verbots (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 - Rn. 62, aaO) und müssen nicht im Einzelfall gesondert festgestellt werden (teilw. aA wohl Lembke/Tegel NZA 2019, 1029, 1034). Einer Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung bedurfte es daher nicht.
Rz. 28
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Gräfl |
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M. Rennpferdt |
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Klose |
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Meißner |
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Glatt-Eipert |
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Fundstellen
Haufe-Index 13593805 |
BAGE 2020, 334 |
BB 2020, 179 |
BB 2020, 381 |
BB 2020, 439 |
DB 2019, 16 |
DB 2020, 6 |
DStR 2019, 10 |