Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf eine Zulage. präjudizielle Bindungswirkung. Beschlussverfahren
Leitsatz (amtlich)
Ist in einem Beschlussverfahren ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine freiwillige übertarifliche Zulage rechtskräftig verneint worden, kann der Arbeitnehmer den Anspruch auf Zahlung einer ungekürzten Zulage nicht auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung stützen.
Orientierungssatz
1. Eine rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren über eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit kann präjudizielle Bindungswirkung für Individualstreitigkeiten entfalten.
2. Von einer solchen Wirkung ist auszugehen, wenn in einem Beschlussverfahren rechtskräftig entschieden ist, dass der Betriebsrat bei der Anrechnung von Tarifentgelterhöhungen auf eine freiwillige übertarifliche Zulage nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat. In solch einem Fall hat ein Arbeitnehmer keinen auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gestützten Anspruch auf ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; ZPO §§ 322, 325, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. November 2013 – 10 Sa 696/13 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Anrechnung tariflicher Entgelterhöhungen auf eine übertarifliche Zulage.
Der Kläger ist als Projektingenieur in E (Nordrhein-Westfalen) beschäftigt. Nach einer am 14./20. Januar 1988 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen „Anstellungsvereinbarung” setzte sich seine Vergütung aus einem monatlichen Grundgehalt nach dem „Manteltarifvertrag der Hessischen Metallindustrie” und einer „freiwilligen, jederzeit widerruflichen übertariflichen Zulage” iHv. 1.686,00 DM brutto zusammen. Im Übrigen heißt es dort, dass sich „alle weiteren das Arbeitsverhältnis betreffenden Punkte … nach den jeweils gültigen Bestimmungen des Tarifvertrages der Hessischen Metallindustrie …” richten.
Mit Wirkung vom 1. April 2007 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs auf die nicht tarifgebundene Beklagte über. Zu diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger ein Tarifentgelt iHv. 3.802,00 Euro brutto, eine Leistungszulage iHv. 25 % des Tarifentgelts (940,50 Euro brutto) und eine – von beiden Parteien so bezeichnete – „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)” iHv. 325,18 Euro brutto. Die zwischen der Industriegewerkschaft Metall und dem Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen eV vereinbarten Tarifentgelterhöhungen ab 1. Juni 2007 bis einschließlich 1. April 2011 gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter. Nachdem das Bundesarbeitsgericht in einem von einem Kollegen des Klägers angestrengten Rechtsstreit zu einer inhaltsgleichen Verweisungsklausel rechtskräftig festgestellt hatte, dass die Beklagte als Betriebserwerberin verpflichtet ist, die Entgelttarifverträge für die Hessische Metallindustrie in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden (21. Oktober 2009 – 4 AZR 396/08 –), traf diese am 29. Juni 2010 die – auch andere Arbeitnehmer betreffende – Entscheidung, die tariflichen Entgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage anzurechnen.
Der in dem Betrieb E gebildete Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren mit dem Antrag ein, ua. „festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage (FÜZ) durch die Antragsgegnerin zusteht”. Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies den Feststellungsantrag mit Beschluss vom 28. Juli 2011 ab (– 5 BV 62/11 –). Die Beschwerde des Betriebsrats vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (9. Februar 2012 – 5 TaBV 74/11 –) blieb ebenso ohne Erfolg wie seine Nichtzulassungsbeschwerde (BAG 24. Juli 2012 – 1 ABN 42/12 –).
Anlässlich der Anhebung des Tarifentgelts ab dem 1. Mai 2012 erhöhte die Beklagte das Entgelt und die Leistungszulage des Klägers um 4,3 %, kürzte allerdings die freiwillige übertarifliche Zulage um den Steigerungsbetrag.
Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für die Revision noch von Bedeutung – die ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage für die Zeit von Oktober 2008 bis Oktober 2012 iHv. insgesamt 14.242,89 Euro brutto sowie für den Zeitraum vom Mai 2012 bis Oktober 2012 iHv. weiteren 1.226,16 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Tarifentgelterhöhung sei mangels Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (– 5 TaBV 74/11 –) sei für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Einfluss. Er sei an diesem Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen.
Der Kläger hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – in der Sache – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
- an ihn (weitere) 14.242,89 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen,
- an ihn 1.226,16 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu 1., mit dem der Kläger erstinstanzlich eine Gesamtforderung von 27.236,74 Euro erhoben hat, in Höhe von 12.993,85 Euro stattgegeben; dies betrifft die Differenz zwischen dem für die Zeit Oktober 2008 bis Oktober 2012 beanspruchten tariflichen Entgelt einschließlich einer in ihrer Höhe davon abhängigen Leistungszulage unter Anrechnung der Tariferhöhung auf die freiwillige übertarifliche Zulage zuzüglich der für diesen Zeitraum beanspruchten tariflichen Sonderzahlungen und der Differenzen zwischen tariflichem und gezahltem Weihnachtsgeld sowie Urlaubsgeld, bei denen die Beklagte keine Verrechnung mit der Zulage angebracht hat. Das Landesarbeitsgericht hat die nur von dem Kläger eingelegte Berufung mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage im Übrigen abgewiesen wird. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger die von seinen Anträgen zu 1. und zu 2. umfassten ursprünglichen Zahlungsziele weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Klageantrag zu 1. zu Recht nicht in der geltend gemachten Höhe entsprochen. Bei dem Klageantrag zu 2. ist die Revision bereits deshalb unbegründet, weil es insoweit an einer zulässigen Berufung des Klägers gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung fehlt.
I. Der Kläger kann die mit dem Klageantrag zu 1. verfolgte ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.
1. Er hat im Streitzeitraum keinen vertraglichen Anspruch auf die erstrebte weitere Vergütung.
a) Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien ein Entgelt, das sich aus einem Tarifentgelt und einer Zulage zusammensetzt, und erweist sich später das Tarifentgelt aus Rechtsgründen als zu niedrig angesetzt, besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Leistung der unverminderten Zulage neben dem erhöhten Tarifentgelt nur dann, wenn die Zulage als selbständiger, anrechnungsfester Bestandteil der Gesamtvergütung vereinbart ist (vgl. BAG 3. September 2014 – 5 AZR 109/13 – Rn. 12, BAGE 149, 78).
b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Parteien keinen eigenständigen und damit anrechnungsfesten Vergütungsbestandteil „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)” iHv. 325,18 Euro brutto monatlich vereinbart haben. Dafür fehlt es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts an Anhaltspunkten, zumal die Gesamtvergütung des Klägers – jedenfalls seit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte – auch eine „Leistungszulage” enthielt. Dies hindert die Annahme eines besonderen Leistungszwecks der freiwilligen übertariflichen Zulage, der einer Anrechenbarkeit entgegenstehen könnte. Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Anrechnung individualrechtlich zulässig war. Gegenteiliges macht der Kläger mit seiner Revision auch nicht mehr geltend.
2. Die Beklagte ist auch nicht nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung verpflichtet, dem Kläger die begehrte ungekürzte freiwillige übertarifliche Zulage zu zahlen.
a) Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Das soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen (BAG 22. Oktober 2014 – 5 AZR 731/12 – Rn. 31, BAGE 149, 343). Verletzt der Arbeitgeber bei einer Anrechnung von Tarifsteigerungen auf Zulagen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, hat dies die Unwirksamkeit der Anrechnung zur Folge (vgl. BAG 22. Mai 2012 – 1 AZR 94/11 – Rn. 29 mwN).
b) Die Beklagte hat bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Dies steht aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (9. Februar 2012 – 5 TaBV 74/11 –) in dem vom Betriebsrat angestrengten Beschlussverfahren fest und schließt eine abweichende gerichtliche Beurteilung zu einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnungsentscheidung der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit aus.
aa) Der Betriebsrat hatte bei der Anrechnungsentscheidung der Arbeitgeberin nach rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.
(1) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist (BAG 5. März 2013 – 1 ABR 75/11 – Rn. 12 mwN). Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinn der Streitgegenstandslehre. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird. Dabei sind die Gründe des Beschlusses ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 5. März 2013 – 1 ABR 75/11 – Rn. 13 mwN).
(2) Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Anrechnungen von Tariflohnerhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage entschieden. In dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Betriebsrat des E Betriebs ua. ein Mitbestimmungsrecht bei der „ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage” (FÜZ) durch die Arbeitgeberin reklamiert. Die erstrebte Feststellung bezog sich – zumindest auch – auf die am 29. Juni 2010 getroffene Entscheidung der Beklagten, Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen. Für diese Angelegenheit ist mit der rechtskräftigen Antragsabweisung ein Mitbestimmungsrecht verneint worden.
bb) Der Kläger muss das rechtskräftige Ergebnis über ein fehlendes Beteiligungsrecht des Betriebsrat bei der Anrechnungsentscheidung gegen sich gelten lassen. Dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (– 5 TaBV 74/11 –) kommt insoweit eine präjudizielle Bindungswirkung zu.
(1) Rechtskräftige Beschlüsse im Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten können für spätere Individualstreitigkeiten auch dann präjudizielle Bindungswirkung entfalten, wenn der Arbeitnehmer am Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen ist. So ist etwa bei Entscheidungen über die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Betriebsänderung für nachfolgende Ansprüche auf Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder eine Maßnahme des Arbeitgebers nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine aus der Rechtskraft folgende Präklusionswirkung anzunehmen (vgl. BAG 10. März 1998 – 1 AZR 658/97 –; 31. Januar 1990 – 1 ABR 39/89 – BAGE 65, 28; 10. November 1987 – 1 AZR 360/86 – BAGE 56, 304). Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen ist eine präjudizielle Bindungswirkung oder Präklusionswirkung – auch außerhalb vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und des vom Wortlaut des § 325 ZPO vorgegebenen Rahmens – dann gerechtfertigt, wenn die Rechtslage des Arbeitnehmers primär durch eine kollektivrechtliche Vorfrage geprägt und daher seine individuelle Position in ein übergreifendes Bezugssystem eingebettet ist (vgl. BAG 18. Oktober 2006 – 2 AZR 434/05 – Rn. 44). Insoweit gründet sich die Bindungswirkung von Entscheidungen im Beschlussverfahren für einen nachfolgenden Individualrechtsstreit vor allem in der materiell- und verfahrensrechtlichen Kompetenz der Betriebsparteien. Allein dem Betriebsrat und nicht dem einzelnen Arbeitnehmer ist die Mitbestimmung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zugewiesen. In der Folge können einzelne Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Betriebsrat verlangen, in einem bestimmten Sinn tätig zu werden, also etwa die Zustimmung zu einer mitzubestimmenden Maßnahme zu verweigern. Nur den Betriebsparteien – nicht den jeweiligen Arbeitnehmern – kommt die Befugnis zu, in einem Beschlussverfahren das (Nicht-)Bestehen von Mitbestimmungsrechten klären zu lassen. Entsprechend kann sich der einzelne Arbeitnehmer auch dann, wenn er an dem vorherigen Beschlussverfahren nicht beteiligt war, im nachfolgenden Individualprozess nicht darauf berufen, die Entscheidung über die kollektivrechtliche Streitfrage, die als Vorfrage auch im Individualprozess zu beantworten ist, sei unrichtig entschieden (vgl. BAG 10. März 1998 – 1 AZR 658/97 – zu III 2 a bb der Gründe; 3. Juli 1996 – 2 AZR 813/95 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 83, 267; 23. November 1993 – 1 AZR 441/93 – zu I 1 a der Gründe; 17. Februar 1992 – 10 AZR 448/91 – BAGE 69, 367; 10. November 1987 – 1 AZR 360/86 – zu 2 c der Gründe, BAGE 56, 304).
(2) Von einer präjudiziellen Wirkung ist daher auch auszugehen, wenn – wie im vorliegenden Rechtsstreit – in einem vorangegangenen Beschlussverfahren rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung von Tarifentgelterhöhungen auf freiwillige übertarifliche Zulagen befunden worden ist. Der Arbeitnehmer kann den auf die kollektivrechtliche Unwirksamkeit der Anrechnung gestützten Anspruch auf ungekürzte Zulagenzahlung nicht unabhängig von der für die Betriebsparteien rechtskräftigen betriebsverfassungsrechtlichen Beurteilung des Anrechnungstatbestands geltend machen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bezweckt den Schutz des Mitbestimmungsrechts. Ein hierauf gestützter Anspruch setzt ein mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers voraus. Ist in einem Beschlussverfahren allerdings rechtskräftig geklärt, dass kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht, fehlt es an einem zu schützenden Mitbestimmungsrecht, das durch die Anerkennung der (individualrechtlich wirkenden) Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zu flankieren oder zu sichern wäre.
(3) Die Präjudizialität der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage verletzt den am Beschlussverfahren nicht beteiligten Kläger – entgegen der Auffassung der Revision – nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sind auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gestützte Ansprüche eines Arbeitnehmers auf eine ungeschmälerte Zulagenzahlung allein von der kollektivrechtlichen Beteiligung des Betriebsrats bei der Anrechnung von Tariferhöhungen abhängig, betrifft der Streit der Betriebsparteien über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts und eine gerichtliche Entscheidung hierüber nur die Betriebsparteien. In einem solchen Beschlussverfahren sind die Arbeitnehmer ebenso wenig aus Gründen des rechtlichen Gehörs zu beteiligen, wie sie etwa vom Betriebsrat vor einer Zustimmung zur Anrechnung gehört werden müssten. Die Bindung an die in einem Beschlussverfahren ergangene Entscheidung verkürzt auch keine originäre individuelle Rechtsposition der Arbeitnehmer. Sie bewirkt lediglich, dass im Hinblick auf die abschließend geklärte betriebsverfassungsrechtliche Fragestellung kein Anwendungsfall der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung vorliegt.
(4) Der Präjudizialität einer rechtskräftigen Entscheidung über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung steht die Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1987 (– 6 AZR 589/84 –) nicht entgegen. Zwar hat der Sechste Senat hierin ausgeführt, trotz rechtskräftiger Abweisung eines Antrags des Personalrats auf Feststellung, der Arbeitgeber habe bei der Kürzung eines Essenzuschusses Mitbestimmungsrechte verletzt, seien die Gerichte für Arbeitssachen befugt, im Individualrechtsstreit selbständig zu prüfen, ob solche Mitbestimmungsrechte bestünden oder nicht. Seine Ausführungen zur Ablehnung einer Bindungswirkung waren aber nicht tragend; seine die Klage abweisende Entscheidung beruhte auf anderen Gründen.
II. Die Revision ist in Bezug auf den Klageantrag zu 2. bereits deshalb unbegründet, weil insoweit die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil unzulässig war. Es fehlt damit an einer – vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden – Prozessfortsetzungsvoraussetzung. Unerheblich ist, dass das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers insgesamt als zulässig angesehen hat (BAG 13. Oktober 2015 – 1 AZR 429/14 – Rn. 35 mwN).
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Bezieht sich das Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG 13. Oktober 2015 – 1 AZR 429/14 – Rn. 36).
2. Diesen Grundsätzen genügte die Berufungsbegründung des Klägers bezogen auf den mit dem Antrag zu 2. eigenständig erhobenen Streitgegenstand nicht. Das Arbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, die tatsächliche Entgelterhöhung im Mai 2012 sei nicht anspruchserhöhend zu werten, denn der Kläger habe die jeweiligen Tariferhöhungen bereits bei seiner Berechnung der monatlichen Entgeltdifferenzen ab Mai 2012 berücksichtigt. Damit setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander.
Unterschriften
Schmidt, Treber, K. Schmidt, Sibylle Spoo, Hann
Fundstellen
BAGE 2017, 136 |
BB 2016, 1651 |
DB 2016, 1944 |
DB 2016, 7 |
FA 2016, 325 |
NZA 2016, 906 |
ZTR 2016, 461 |
AP 2016 |
EzA-SD 2016, 14 |
EzA 2016 |
AUR 2016, 381 |
ArbRB 2016, 262 |
ArbR 2016, 318 |