Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebungsvertrag. Entstehenszeitpunkt des Abfindungsanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zum Urteil vom 26. August 1997 – 9 AZR 227/96 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242, 158
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 26. Februar 1996 – 15 Sa 149/95 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 1995 – 19 Ca 10339/94 – geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Alleinerbin ihres am 16. Juli 1994 verstorbenen Ehemannes die Zahlung einer Abfindung aus einer zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Vereinbarung.
Der am 9. Juli 1938 geborene Erblasser war seit dem 6. Oktober 1958 Mitarbeiter der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin. Er war ordentlich nicht kündbar. Am 21. April 1994 schloß er mit der Beklagten aufgrund eines Frühpensionierungsprogramms eine Vereinbarung über sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Diese lautete auszugsweise:
„1. Ausscheidenstermin
1.1 Das Arbeitsverhältnis zwischen … wird im gegenseitigen Einvernehmen zum 31.10.94 aufgelöst.
Mitarbeiter und Firma gehen davon aus, daß ab 01.08.98 ein Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird.
2. Abfindung
2.1 Der Mitarbeiter erhält als Ausgleich für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung in Höhe von
122.861,00 DM brutto (gerundet).
Die Abfindung ist im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften sozialabgabenfrei. Anfallende Lohnsteuer trägt der Mitarbeiter.
2.2 Grundlage für die Berechnung der Abfindung ist/sind
o der im Durchschnitt der letzten 6 abgerechneten Monate vor dem Ausscheiden bezogene Steuer- und sozialversicherungspflichtige Bruttomonatsverdienst …
…
2.3 Die Abfindungszahlung dient der Einkommenssicherung des Mitarbeiters bis zum frühestmöglichen Bezug einer gesetzlichen Altersrente.
2.7 Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sowie aus dessen Beendigung abgegolten.
…
8. Abschließende Vereinbarung
Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform.”
Der Vereinbarung war eine Anlage zur Berechnung der Abfindung beigefügt. Danach setzt sich die Abfindung aus folgenden Einzelleistungen zusammen:
„
1) |
Sperrfristleistung: |
21.072,00 DM |
|
AG-Anteil zum KV-Beitrag |
367,65 DM |
2) |
Einkommensausgleich (berechnet auf der Grundlage von 80 % des zuletzt von dem Erblasser bezogenen Nettoentgelts) |
65.673,52 DM |
3) |
Beiträge zur Sozialversicherung |
13.545,40 DM |
4) |
Weihnachtsgeld/Sondervergütung |
4.442,00 DM |
5) |
Jubiläumszuwendung |
17.760,00 DM |
6) |
Aufrundungsbetrag |
0,43 DM |
”
Die Klägerin erhält aus der betrieblichen Unterstützungskasse als Witwe eine monatliche Hinterbliebenenrente von 420,00 DM.
Die Klägerin meint, der Anspruch auf Zahlung der Abfindung sei bereits mit dem Abschluß der Vereinbarung entstanden und durch den Tod ihres Ehemannes vor dem vereinbarten Ausscheidenstermin nicht entfallen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 36.000,00 DM netto nebst 4 % Zinsen hieraus seit 1. November 1994 und 86.861,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem hieraus noch zu errechnenden Nettobetrag seit 1. Januar 1995 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der mit ihrem Ehemann vereinbarten Abfindung durch Erbfolge nach § 1922 BGB erworben.
1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Anspruch des Erblassers auf die Abfindung sei mit Abschluß der Vereinbarung unbedingt entstanden, durch seinen Tod unberührt geblieben und als reiner Geldanspruch vererblich.
Dem folgt der Senat nicht.
Die Auslegung eines nicht typischen Vertrages ist Aufgabe der Tatsachengerichte und in der Revisionsinstanz allein daraufhin überprüfbar, ob bei der Auslegung des Vertrages die Rechtsvorschriften über die Auslegung (§§ 133, 157 BGB) richtig angewendet, ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und der Tatsachenstoff vollständig verwertet worden sind (BAG Urteil vom 26. Mai 1992 – 9 AZR 27/91 – AP Nr. 63 zu § 74 HGB). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht stand. Der Tatsachenstoff ist nicht hinreichend berücksichtigt worden.
2. Die Vereinbarung über das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ist ein Aufhebungsvertrag, für den gesetzliche Vorgaben nicht bestehen. Damit sind die Vertragsparteien nicht gebunden, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer für die Aufgabe des Arbeitsplatzes eine Leistung des Arbeitgebers erhält. Welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sein müssen, um den Abfindungsanspruch entstehen zu lassen, richtet sich deshalb nach dem erkärten Parteiwillen.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Abfindungsanspruch des Erblassers nicht bereits mit Abschluß der Vereinbarung entstanden. Vielmehr hat die Vereinbarung der Beklagten mit dem Erblasser zum Inhalt, daß der Anspruch erst dann entstehen sollte, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund der Vereinbarung zu dem darin genannten Zeitpunkt am 31. Oktober 1994 und nicht bereits vorher aus anderen Gründen beendet wird.
3. Schuldrechtliche Ansprüche entstehen zwar regelmäßig mit Abschluß des Rechtsgeschäfts, durch das die Rechtsbeziehungen der Vertragsschließenden geregelt werden (BAG Urteil vom 13. November 1986 – 2 AZR 771/85 – AP Nr. 57 zu § 613 a BGB). Das gilt jedoch dann nicht, wenn der Entstehenszeitpunkt nach der im Vertrag verlautbarten Interessenlage der Parteien auf einen späteren Termin festgelegt wird. So ist es hier.
Nach Nr. 1.1 der Vereinbarung über das Ausscheiden des Erblassers bei der Beklagten wird das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. Oktober 1994 aufgelöst. Nr. 2.1 des Vertragstextes bestimmt, daß der Erblasser die Abfindung „als Ausgleich für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses” erhalten sollte. Die Aufhebung des Vertrags zu diesem Termin und die Verpflichtung zur Zahlung der Abfindung werden damit in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht. Die Abfindung soll danach eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Mitarbeiters in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sein. Darin erschöpft sich ihre Bedeutung jedoch nicht. Vielmehr diente sie nach Nr. 2.3 außerdem der Einkommenssicherung des Mitarbeiters bis zum frühestmöglichen Bezug einer gesetzlichen Altersrente. Dem entspricht die Zusammenstellung der Berechnungsgrundlagen und der jeweiligen Ansätze des ausfallenden Entgelts in der Anlage zum Aufhebungsvertrag. Die sich daraus ergebende Abfindung haben der Erblasser und die Beklagte als die angemessene und ausreichende Übergangsleistung festgelegt, um die Existenz des Erblassers für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zum Rentenbezug zu sichern.
Damit ist eine Auslegung nicht vereinbar, mit der die Abfindung von der tatsächlichen Beendigung durch den Aufhebungsvertrag abgekoppelt wird. Ein solcher nur die Erben begünstigender Inhalt ist der Vereinbarung nicht zu entnehmen. Sie sollte keinen Ausgleich der durch etwaigen Tod des Arbeitnehmers entstehenden Nachteile bewirken, sondern die sich aus der Frühpensionierung für den Arbeitnehmer ergebenden finanziellen Folgen mildern. Von der Ursächlichkeit des Aufhebungsvertrags für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann deshalb weder nach dem Wortlaut des Vertrags noch nach dem mit der Abfindung verfolgten Zweck abgesehen werden.
Eine Bestimmung, nach der die Abfindung ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Beendigungsgrund und Beendigungszeitpunkt sofort entstehen sollte, fehlt im Vertrag.
4.a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die bindende Wirkung des Aufhebungsvertrags kein geeigneter Gesichtspunkt, um den Entstehenszeitpunkt des Abfindungsanspruchs zu bestimmen. Verbindlich ist jeder Vertrag, der nicht ausdrücklich einer oder beiden Vertragsparteien das Recht vorbehält, sich einseitig von ihm zu lösen. Gleiches gilt für die dingliche Wirkung der Ausscheidensvereinbarung. Da ein Aufhebungsvertrag unmittelbar auf das Recht einwirkt, waren die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten mit dem vereinbarten Endtermin ohne weitere Voraussetzungen erloschen. Damit ist jedoch keine Aussage verbunden, daß schuldrechtlich der Anspruch auf die Abfindung auch dann entstehen sollte, wenn das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen bereits vorzeitig sein Ende findet.
b) Erwägungen über das rechtliche Schicksal der Abfindung, wenn der Erblasser nicht vor dem vereinbarten Ausscheidenstermin verstorben wäre, sondern an diesem Tag oder kurz danach, sind für die Entscheidung dieses Rechtsstreits gleichfalls unergiebig. Die Verteilung der mit einem Aufhebungsvertrag verbundenen Risiken beurteilt sich nach den vereinbarten Vertragsbedingungen. Dabei kann die vorzeitige Beendigung in die Risikosphäre des Arbeitgebers fallen, wie das Bundesarbeitsgericht mehrfach entschieden hat (BAG Urteile vom 16. Oktober 1969 – 2 AZR 373/68 – AP Nr. 20 zu § 794 ZPO; vom 25. Juni 1987 – 2 AZR 504/86 – EzA Nr. 23 zu § 9 n.F. KSchG 1969; vom 29. November 1984 – 2 AZR 588/83 – n.v.). Ebenso kann das Risiko dem Arbeitnehmer zufallen, dessen Erben die mit dem Erblasser vereinbarte Abfindung dann nicht erhalten. Auch dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (BAG Urteile vom 25. September 1996 – 10 AZR 311/96 – AP Nr. 105 zu § 112 BetrVG; vom 22. Mai 1996 – 10 AZR 907/95 – AP Nr. 13 zu § 4 TVG Rationalisierungsschutz). Soweit in einer Ausscheidensvereinbarung keine ausdrückliche Regelung getroffen wird, kommt es damit auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an.
c) Mit dem Landesarbeitsgericht ist allerdings auch der Senat der Auffassung, daß die Arbeitsvertragsparteien die Vereinbarung nicht unter der aufschiebenden Bedingung getroffen haben, der Erblasser werde den Beendigungstermin erleben. Denn eine aufschiebende Bedingung im Sinne von § 158 BGB setzt eine auch tatsächlich bestehende subjektive Ungewißheit beider Vertragsparteien über den Eintritt der rechtsgeschäftlich vereinbarten Bedingung voraus. Für entsprechende Zweifel des Erblassers, er werde das Ausscheidungsdatum tatsächlich erleben, fehlt es an tatsächlichen Feststellungen.
Dem steht die Entscheidung des Zweiten Senats vom 21. Januar 1997 (– 2 AZR 292/96 – AP Nr. 131 zu § 626 BGB) nicht entgegen. Sie betrifft einen Vertrag, für den eine stillschweigend vereinbarte aufschiebende Bedingung angenommen wurde, das Arbeitsverhältnis werde tatsächlich bis zum vereinbarten Endtermin fortgesetzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Leinemann, Düwell, Reinecke, Fr. Holze, H. Kranzusch
Fundstellen