Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
Leitsatz (NV)
Die schlüssige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Kapitalerträge i. S. von § 20 EStG mit ihren Nennbeträgen zu versteuern oder um einen "Inflationsabschlag" zu mindern sind, erfordert unter anderem, daß sich der Beschwerdeführer mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzt und im einzelnen ausführt, welche gewichtigen und bislang noch nicht bedachten verfassungsrechtlichen Einwände ein Abgehen des Gesetzgebers von der (Zins-)Besteuerung nach dem Nominalwertprinzip erforderten.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.
1. a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Es muß sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Nr. 141ff.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 8, m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist u. a. dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (Herrmann, a. a. O., Rdnr. 145, m. w. N.; Gräber/Ruban, a. a. O., § 115 Rdnr. 9).
Die grundsätzliche Bedeutung muß -- abgesehen von dem seltenen, hier nicht gegebenen Fall ihrer Evidenz -- schlüssig dargelegt werden. Hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die vom Beschwerdeführer für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage schon früher entschieden, so muß der Beschwerdeführer eingehend begründen, warum er gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu der betreffenden Frage im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung für erforderlich hält (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Hierzu muß er substantiiert darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die bereits höchstrichterlich beantwortete Frage umstritten sei, insbesondere welche neuen gewichtigen, vom BFH bislang nicht geprüften Einwände in der Literatur und/oder in der Rechtsprechung der Instanzgerichte gegen die höchstrichterliche Auffassung erhoben werden (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676, m. w. N.; ständige Rechtsprechung).
b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Einkünfte aus Kapitalvermögen werden ebenso wie alle übrigen Einkünfte nach Maßgabe ihrer Nennbeträge (Nominalbeträge) besteuert. Einen Inflationsabschlag vom Nennbetrag der Kapitalzinsen sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr geht der Gesetzgeber auch im Rahmen der (Ertrags-)Besteuerung vom Nominalwertprinzip (Grundsatz Mark = Mark) als tragendem Ordnungsprinzip der geltenden Währungsordnung aus. Dementsprechend hat der BFH in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen in ihrer nominellen Höhe zu versteuern sind und nicht um einen Inflationsabschlag nach Maßgabe der eingetregenen Kapitalentwertung gekürzt werden dürften (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 27. Juli 1967 IV 300/64, BFHE 89, 422, BStBl III 1967, 690; vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72, BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572; vom 20. Juni 1989 VIII R 82/86, BFHE 156, 543, BStBl II 1989, 836, unter A. I. der Gründe). In gleicher Weise hat der BFH auch bei der Vermögensteuer einen Wertabschlag vom Geldvermögen abgelehnt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1967 III 205/65, BFHE 91, 261, BStBl II 1968, 302).
Denselben Rechtsstandpunkt hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingenommen. In seinem grundlegenden Beschluß vom 19. Dezember 1978 1 BvR 335, 427, 811/76 (BStBl II 1979, 308) hat es eingehend und unter sorgfältiger Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegner der Nominalwertbesteuerung begründet, daß die Besteuerung der Kapitaleinnahmen nach ihrem Nennwert für die Jahre 1971 bis 1974 nicht gegen das Grundgesetz -- GG -- (Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG) verstieß. Auch in seiner jüngeren Rechtsprechung hat das BVerfG betont, daß das Nominalwertprinzip ein tragendes Ordnungsprinzip der geltenden Währungsordnung und Wirtschaftspolitik darstelle (vgl. BVerfG-Beschluß vom 15. Dezember 1989 2 BvR 436/88, Kommunale Steuer-Zeitschrift 1990, 70).
Mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hätten sich die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) näher auseinandersetzen und im einzelnen darlegen müssen, welche gewichtigen und bislang noch nicht bedachten verfassungsrechtlichen Einwände ein Abgehen des Gesetzgebers von der (Zins-) Besteuerung nach dem Nominalwertprinzip erforderten. Der Hinweis der Kläger, das Finanzgericht (FG) habe nicht geprüft, inwieweit sich die wirtschaftliche Wirklichkeit und die neuere Rechtsprechung "von den allgemeinen Grundlagen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 1978 entfernt (hätten)", genügt diesen Anforderungen nicht. Welche steuer- und verfassungsrechtlich relevanten Veränderungen in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen dem hier maßgebenden Streitjahr 1992 und den vom BVerfG beurteilten Veranlagungszeiträumen 1971 bis 1974 eingetreten sein sollen, die eine Abkehr der vom BVerfG in BStBl II 1979, 308 vertretenen Rechtsauffassung geböten, lassen die Kläger im Dunkeln. Nach ihren eigenen Angaben im Klageverfahren betrug die Geldentwertungsrate im Streitjahr 1992 4 %, war also niedriger als in den vom BVerfG in BStBl II 1979, 308 zu beurteilenden Jahren 1971 (5,3 %), 1972 (5,5 %), 1973 (6,9 %) und 1974 (7,0 %); vgl. a. a. O., S. 315, unter C. II. 3., Vor a). Auch soweit die Kläger meinen, einen Wandel in der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit dem Ergehen des BVerfG-Beschlusses in BStBl II 1979, 308 feststellen zu können, entbehrt ihr Vortrag der gebotenen Schlüssigkeit. Der Hinweis auf das "Zinsurteil" des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BStBl II 1991, 654) belegt einen solchen Wandel ebensowenig wie ihre Bezugnahme auf den "Vermögensteuerbeschluß" des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655). Im angeführten "Zinsurteil" hat das BVerfG in bezug auf die Geldentwertungsfrage lediglich ausgeführt, daß es "verfassungsrechtlich unbedenklich (sei), die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit der Einkunftsart ,Kapitalvermögen` bei der Besteuerung zu berücksichtigen". Ein verfassungsrechtliches Gebot an den Gesetzgeber zur Minderung der nominellen Kapitaleinkünfte um die Geldentwertungsrate und eine Abkehr des BVerfG von seinen im Beschluß in BStBl II 1979, 308 entwickelten Grundsätzen kann daraus nicht hergeleitet werden.
Ebenso gibt der zur Vermögensteuer ergangene Beschluß des BVerfG in BStBl II 1995, 655 keinen (auch nur andeutungsweisen) Anlaß anzunehmen, das BVerfG habe von seiner früheren Rechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Anwendung des Nominalwertprinzips bei der Besteuerung abrücken wollen. Entsprechendes gilt auch für den zur Erbschaftsteuer ergangenen Beschluß des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 (BStBl II 1995, 671).
Ins Leere geht im übrigen der Vorwurf der Kläger, das FG habe die unterschiedlichen Begehren in ihrem Klageverfahren und in den seinerzeitigen Ausgangsverfahren der den Gegenstand des BVerfG-Beschlusses in BStBl II 1979, 308 bildenden Verfassungsbeschwerden nicht gewürdigt. Die seinerzeitigen Verfassungsbeschwerdeführer zu 1) hatten begehrt, nur mit dem Teil der Zinsen zur Einkommensteuer herangezogen zu werden, der ihnen nach Ausgleich der Geldentwertung verblieben sei (vgl. BVerfG in BStBl II 1979, 308, 309, unter A. II. 1 a). Nichts anderes erstreben die Kläger mit ihrer vorliegenden Klage.
Abschließend weist der Senat darauf hin, daß die nicht näher begründete Aussage der Kläger, die Besteuerung auf der Grundlage des Nominalwertprinzips führe zu einer realen Wertminderung des Kapitalvermögens und damit zu einem konfiskatorischen Eingriff, weil die Erträge nach Steuern nicht hinreichten, um durch Reinvestition den Realwert erhalten zu können, nicht zutrifft. Mindert man die von ihnen im Streitjahr 1992 erzielten Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von ... DM um die darauf entfallende Einkommensteuer zzgl. des Solidaritätszuschlags und berücksichtigt überdies die von ihnen angesetzte Geldentwertung in Höhe von (4 % von ... DM =) ... DM sowie eine Vermögensteuerbelastung von (0,5 % von ... DM =) ... DM, so verbleibt ihnen von den Zinseinanhmen immer noch ein Betrag in Höhe von rund ... DM (= 1,5 % des Kapitalvermögens).
2. Im übrigen wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 421602 |
BFH/NV 1996, 921 |