Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstvertraglich vereinbarte Wohnraumüberlassung an Arbeitnehmer als Vermietung i.S. des § 21 Abs.1 Nr.1 EStG des Arbeitgebers - Mietvertrag als Voraussetzung für die entgeltliche Nutzungsüberlassung einer Wohnung - Einnahmen i.S. des § 8 Abs. 1 EStG - Erweiterung des Klammerzusatzes in § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG durch das EStG 1996
Leitsatz (amtlich)
Überläßt ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund einer im Arbeitsvertrag oder Dienstvertrag getroffenen Vereinbarung neben einem Barlohn eine Wohnung, liegt insoweit eine Vermietung i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor.
Orientierungssatz
1. Die Vermietung einer Wohnung i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt voraus, daß eine Vereinbarung über eine zeitweise entgeltliche Nutzungsüberlassung einer Wohnung i.S. des § 535 BGB getroffen worden ist.
2. Der in § 8 Abs. 1 EStG verwendete Begriff der Güter in Geldeswert ist weit zu verstehen und erfaßt jeden geldwerten Vorteil. Einnahme i.S. des § 8 Abs. 1 EStG kann dementsprechend auch eine Dienstleistung sein.
3. Bei der Erweiterung des Klammerzusatzes in § 8 Abs. 2 S. 1 EStG --um den Begriff der Dienstleistungen-- durch das Jahressteuergesetz 1996 handelt es sich nicht um eine konstitutive Änderung, sondern lediglich um eine Klarstellung.
Normenkette
BGB §§ 535, 565e; EStG § 8 Abs. 2 S. 1 Fassung 1995-10-11; EStG 1986 § 21 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1-2
Tatbestand
Aufgrund der im Jahre 1988 für das Jahr 1986 abgegebenen Einkommensteuererklärung der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ergab sich ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) änderte den unanfechtbaren Einkommensteuerbescheid für 1984 unter Berücksichtigung eines Verlustabzugs nach § 10d Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach mehreren weiteren Änderungen änderte das FA mit Bescheid vom 23. September 1991 den Verlustrücktrag aus 1986 erneut: Es ließ Schuldzinsen in Höhe von 16 342 DM nicht mehr zum Abzug zu, weil sie auf ein Hypothekendarlehen entfielen, das die Klägerin nach dem Verkauf des Grundstücks nicht abgelöst hatte. Es erkannte einen weiteren Betrag in Höhe von 83 194 DM nicht mehr als Werbungskosten des seit dem September 1986 u.a. von der Klägerin bewohnten Objekts an, weil es die Selbst- und Fremdnutzung des Hauses als Liebhaberei ansah.
Die Klägerin hielt die Änderung des Bescheides mit der Begründung für unzulässig, daß § 10d Satz 2 EStG nur die Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheides für 1984, nicht aber des Verlustentstehungsjahres 1986 gestatte. Sie machte geltend, die Schuldzinsen in Höhe von 16 342 DM seien bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abzuziehen, weil das hypothekarisch auf dem veräußerten Grundstück abgesicherte Darlehen zur Refinanzierung von Kapitalvermögen eingesetzt worden sei. Sie wandte sich gegen die Annahme der Liebhaberei und war der Ansicht, daß die Überlassung der Wohnung an die Haushälterin mit der Folge als Vermietung anzusehen sei, daß die Schuldzinsen auch nach Bezug des Objektes abziehbar seien.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage zum Teil statt. Es war der Ansicht, daß es sich bei dem ab dem Jahre 1986 von der Klägerin bewohnten Objekt um ein selbstgenutztes Einfamilienhaus (§ 21a Abs. 1 EStG) handele, bei dem laufende Werbungskosten bis zum Beginn der Selbstnutzung abziehbar seien; eine Liebhaberei liege nicht vor. Für die Zeit danach seien keine Schuldzinsen abziehbar, auch nicht, soweit sie auf die Wohnung der Haushälterin entfielen. Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen seien keine Schuldzinsen als Werbungskosten abzuziehen, weil die von der Klägerin vorgelegten Nachweise keine Feststellungen darüber zuließen, welche Wertpapiere im einzelnen mit dem angeblich umgewidmeten Kredit finanziert worden seien. Die Änderung wegen des Verlustrücktrags sei zulässig gewesen, weil § 10d EStG eine eigenständige Änderungsnorm sei, die nur einen zu berichtigenden Verlustabzug voraussetze; auf die Änderungsmöglichkeit der Festsetzung des Verlustentstehungsjahres komme es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht an.
Die Klägerin rügt mit der Revision unter Hinweis auf die Ausführungen von Herzberg (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1991, 71), das FG habe zu Unrecht die Berichtigung nach § 10d EStG zugelassen. Jedenfalls hätte es bei den Einkünften aus Kapitalvermögen die Schuldzinsen als Werbungskosten anerkennen müssen. Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung liege bewertungsrechtlich ein Mietwohngrundstück vor. Unter Berücksichtigung des BFH-Urteils vom 30. Juli 1986 V R 99/76 (BFHE 147, 284, BStBl II 1986, 877) sei das Dienstmietverhältnis als Mietverhältnis i.S. der §§ 535 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu klassifizieren.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1984 vom 23. September 1991 nebst Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 1991 sowie den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Einkommensteuerbescheid vom 20. Februar 1997 aufzuheben, hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid vom 20. Februar 1997 dahingehend zu ändern, daß beim Verlustabzug aus 1986 Schuldzinsen in Höhe von 16 342 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sowie weitere Aufwendungen in Höhe von 21 843 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Objektes berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zwar ohne Rechtsverstoß entschieden, daß das FA berechtigt war, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1984 gemäß § 10d Satz 2 und 3 EStG zu ändern, und daß im Verlustentstehungsjahr 1986 die Voraussetzungen für den Abzug von Schuldzinsen als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG) bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) nicht vorlagen. Es hat aber bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 1986 zu Unrecht angenommen, daß die Überlassung der Wohnung an die Haushälterin nicht als Vermietung i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu beurteilen sei.
1. Der Senat hat mit dem Urteil VIII R 4/97 vom heutigen Tage, der zwischen denselben Beteiligten ergangen ist, entschieden, daß ein Verlustrücktrag gemäß § 10d EStG auch dann zulässig ist, wenn die Voraussetzungen der Abgabenordnung (AO 1977) für eine Berichtigung nicht erfüllt sind. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt dieses Gerichtsbescheids Bezug genommen. Danach war das FA berechtigt, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1984 gemäß § 10d Satz 2 und 3 EStG zu ändern und die im Jahr 1986 auf das verkaufte Grundstück entfallenden Schuldzinsen nicht mehr bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zum Abzug zuzulassen. Soweit die Klägerin hilfsweise den Abzug der Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen begehrt, kann dieses Begehren im Streitfall aus denselben Gründen wie im Verfahren VIII R 4/97 keinen Erfolg haben. Auch insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in diesem Gerichtsbescheid Bezug genommen.
2. Entgegen der Ansicht des FG ist bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung für die Zeit ab September 1986 eine Vermietung der Wohnung an die Haushälterin i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzunehmen.
a) Die Vermietung einer Wohnung i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt voraus, daß eine Vereinbarung über eine zeitweise entgeltliche Nutzungsüberlassung einer Wohnung i.S. des § 535 BGB getroffen worden ist. Diese Voraussetzung ist grundsätzlich auch dann erfüllt, wenn ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund einer im Arbeits- oder Dienstvertrag getroffenen Vereinbarung neben einem Barlohn eine Wohnung in der Weise zur Nutzung überläßt, daß die Nutzungsüberlassung Teil der vom Arbeitgeber geschuldeten Entlohnung ist. In einem solchen Fall liegt regelmäßig ein gemischter Vertrag vor, der Elemente eines Dienst- und Mietvertrages enthält. Als "Mietzins" für die Nutzungsüberlassung der Wohnung durch den Arbeitgeber schuldet der Arbeitnehmer nicht eine Geldzahlung, sondern seine Dienste. Es ist im Zivilrecht anerkannt, daß der Mietzins i.S. des § 535 Satz 2 BGB nicht notwendigerweise durch Zahlung von Geld zu entrichten ist, sondern beispielsweise auch durch Dienstleistungen erbracht werden kann (vgl. Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 57. Aufl., § 535 Rn. 29). Wie der V. Senat des BFH in seinem von der Klägerin zitierten und zur Umsatzsteuer (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1967) ergangenen Urteil in BFHE 147, 284, BStBl II 1986, 877 ausgeführt hat, enthält ein auf Überlassung einer sog. Werkdienstwohnung (§ 565e BGB) gerichteter Dienstvertrag hinsichtlich der Wohnungsüberlassung alle Merkmale eines Mietvertrages über Wohnraum. Diese Würdigung der zivilrechtlichen Lage kann für die Vermietung i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht anders ausfallen als für das Umsatzsteuerrecht.
Die Einnahme des Arbeitgebers aus der Vermietung (§§ 8 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 1 EStG) besteht in der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, soweit sie anteilig auf die Wohnungsüberlassung entfällt. Der in § 8 Abs. 1 EStG verwendete Begriff der Güter in Geldeswert ist weit zu verstehen und erfaßt jeden geldwerten Vorteil (vgl. BFH-Beschluß vom 20. August 1986 I R 41/82, BFHE 147, 502, BStBl II 1987, 65, 69, unter III. A. 2. b der Entscheidungsgründe). Einnahme i.S. des § 8 Abs. 1 EStG kann dementsprechend auch eine Dienstleistung sein. Der Wert einer Einnahme, die nicht in Geld, sondern z.B. in einer Dienstleistung besteht, ist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG zu ermitteln (vgl. BFH-Urteil vom 22. Januar 1992 X R 35/89, BFHE 166, 555, BStBl II 1992, 552, 553). Nach dieser Vorschrift in ihrer im Verlustentstehungsjahr 1986 gültigen Fassung des EStG 1986 vom 15. April 1986 (BGBl I 1986, 441, BStBl I 1986, 172) sind Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Wohnung, Kost, Waren und sonstige Sachbezüge), mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen. Der Klammerzusatz ist erst durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) um den Begriff der Dienstleistungen erweitert worden. Es handelt sich dabei nach zutreffender Auffassung aber nicht um eine konstitutive Änderung, sondern lediglich um eine Klarstellung (vgl. Birk in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 8 EStG Rn. 23; Blümich/Glenk, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 8 EStG Rn. 13).
b) Da die Vorentscheidung von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und deshalb an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird zunächst aufzuklären haben, um welche Grundstücksart i.S. des § 75 des Bewertungsgesetzes es sich handelt. Es wird sodann unter Berücksichtigung der Grundstücksart und der vorstehenden Rechtsauffassung des Senats die Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung aus diesem Objekt für die Zeit ab September 1986 zu ermitteln haben.
Fundstellen
Haufe-Index 55611 |
BFH/NV 1999, 543 |
BStBl II 1999, 213 |
BFHE 187, 28 |
BFHE 1999, 28 |
BB 1999, 197 |
BB 1999, 197 (Leitsatz) |
BB 1999, 514 |
DStRE 1999, 63 |
DStRE 1999, 63-64 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1999, 177 |
StE 1999, 36 |