Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Schulgeldzahlungen als Sonderausgabe: nicht für ausländische Schulen, Vereinbarkeit von § 10 Abs.1 Nr.9 EStG mit dem Grundgesetz bzw. dem Gemeinschaftsrecht, Schulhoheit und Schulfinanzierung der Bundesländer - Anforderung des Gleichheitsgrundsatzes an den Steuergesetzgeber - keine Vorlagepflicht zum EuGH trotz abweichenden Sachverhalts bei gefestigter EuGH-Rechtsprechung
Leitsatz (amtlich)
Schulgeld für den Besuch einer Schule im Ausland ist nicht als Sonderausgabe (§ 10 Abs.1 Nr.9 EStG) abziehbar.
Orientierungssatz
1. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG verstößt durch die Bevorzugung bestimmter inländischer Privatschulen weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen die Freiheit der Dienstleistungsempfänger nach Art. 59 EWGV bzw. 60 EGV noch gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art.7 EWGV bzw. 6 EGV (Ausführungen mit Rechtsprechungshinweisen zur Schulhoheit und Schulfinanzierung der Bundesländer, zu den Genehmigungsvoraussetzungen für Ergänzungsschulen und Ersatzschulen und zum Entgeltbegriff i.S. des freien Dienstleistungsverkehrs).
2. Die Aufzählung der Schulen in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG, deren Besuch begünstigt wird, ist abschließend. Mithin ist Schulgeld für den Besuch einer inländischen oder einer ausländischen Privatschule, die weder als Ersatzschule genehmigt oder erlaubt ist noch zu den anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschulen zählt, nicht abziehbar.
3. Gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, wird verstoßen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie --bezogen auf die Art des jeweiligen Regelungsgegenstandes-- die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Elemente der zu vergleichenden Lebensverhältnisse er als maßgeblich für eine Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung ansieht. Es ist nicht zu untersuchen, ob er die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat, insbesondere nicht willkürlich verfahren ist. Einen weiten Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber vor allem, wenn er eine Unterscheidung an Merkmale knüpft, welche die Betroffenen durch ihr Verhalten beeinflussen können (vgl. Rechtsprechung des BVerfG und des BFH).
4. Eine verfassungsrechtliche Pflicht, den Besuch von Privatschulen jeder Art in gleicher Weise wie den Besuch der Schulen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu fördern, besteht nicht. Dem Gesetzgeber steht insoweit ein weiter Entscheidungsspielraum zu; denn es liegt im freien Ermessen von Eltern, ob sie ihre Kinder an einer öffentlichen Schule, einer steuerlich begünstigten oder einer sonstigen Privatschule unterrichten lassen.
5. Eine Pflicht zur Herbeiführung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 177 EGV besteht nicht, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn die streitigen Fragen nicht vollkommen mit den vom EuGH bereits entschiedenen Fragen identisch sind (im Streitfall zum Schulgeldabzug nach § 10 Abs.1 Nr.9 EStG: keine Vorlagepflicht bezüglich der Behandlung von Unterricht als Dienstleistung i.S. Art. 59 EWGV bzw. 60 EGV).
6. Im Streitfall: Besuch einer Privatschule in Großbritannien.
Normenkette
EGVtr Art. 177 Abs. 2, Art. 59, 60 Abs. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 9; EWGVtr Art. 177 Abs. 3, Art. 59, 60 Abs. 2, Art. 7; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Sohn der Kläger und Revisionskläger (Kläger) besuchte im Streitjahr 1992 die "W-School" mit Internatsunterbringung in Großbritannien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte das für den Besuch der Privatschule bezahlte Schulgeld in Höhe von insgesamt 8 305 DM (ohne Internatskosten) abweichend von der Einkommensteuererklärung der Kläger nicht als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit der Begründung ab, Schulgeldzahlungen an Schulen im Ausland seien nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 747 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Die Aufzählung der geförderten Schulen in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG sei nur beispielhaft. Für die belasteten Eltern mache es keinen Unterschied, ob das Schulgeld für den Besuch einer inländischen oder ausländischen Schule bezahlt werde; eine unterschiedliche Behandlung sei deshalb nicht gerechtfertigt. Jedenfalls gebiete es das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EG), den Sonderausgabenabzug auch bei Schulgeldzahlungen an Schulen mit Sitz in einem Mitgliedsstaat zu gewähren. Andernfalls verstoße § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gegen die durch Art. 59, 60 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft --EWGV-- (ab 1993: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV--) gewährte Dienstleistungsfreiheit. Der Sohn der Kläger, um dessen Schulbesuch es gehe, besitze neben der deutschen auch die britische Staatsangehörigkeit. Die Nichtberücksichtigung des Schulgeldes verstoße deshalb auch gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV (Art. 6 EGV).
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 1993 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1992 dahin zu ändern, daß 30 v.H. der Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben berücksichtigt werden, hilfsweise, die Sache gemäß Art. 177 EGV dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorzulegen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG entschieden, daß Schulgeldzahlungen für den Besuch von Privatschulen im Ausland nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar sind.
1. Nach dieser Vorschrift können 30 v.H. des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält, für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschule entrichtet, als Sonderausgaben abgezogen werden. Ausgenommen ist das Entgelt für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung.
2. Mit den in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG genannten Schulen knüpft der Gesetzgeber erkennbar an schulrechtliche Begriffe an, die durch Art. 7 Abs. 4 GG vorgeprägt und in den Gesetzen der Bundesländer, welche die staatliche Schulaufsicht über Schulen in freier Trägerschaft regeln, konkretisiert sind.
Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 GG sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Schulen, die nach dem mit ihrer Errichtung verfolgten Gesamtzweck als Ersatz für eine in dem jeweiligen Bundesland vorhandene oder grundsätzlich vorgesehene öffentliche Schule dienen sollen (BVerfG-Beschlüsse vom 14. November 1969 1 BvL 24/64, BVerfGE 27, 195; vom 9. März 1994 1 BvR 682, 712/88, BVerfGE 90, 107). Nach Landesrecht erlaubte Ersatzschulen sind Privatschulen, die die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG deswegen nicht erfüllen, weil eine vergleichbare Schule in dem jeweiligen Bundesland weder vorhanden noch vorgesehen ist, die aber nach dem Landesrecht als Ersatzschulen erlaubt sind. Ergänzungsschulen sind inländische Schulen, die keine Ersatzschulen sind (vgl. BVerfG in BVerfGE 27, 195, 201, und Urteil vom 8. April 1987 1 BvL 8, 16/84, BVerfGE 75, 40, 62); sie bedürfen --im Gegensatz zu Ersatzschulen-- keiner Genehmigung und müssen lediglich die Aufnahme des Betriebs anzeigen (vgl. z.B. Heckel/Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl. 1986, 155). Schulgeld für den Besuch einer Ergänzungsschule ist nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG nur abziehbar, wenn die Schule nach Landesschulrecht als allgemeinbildende Ergänzungsschule förmlich anerkannt ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 11. Juni 1997 X R 144/95 (BFHE 183, 445, BStBl II 1997, 621) verwiesen.
3. Schulgeld für den Besuch einer inländischen oder --wie hier-- ausländischen Privatschule, die weder als Ersatzschule genehmigt oder erlaubt ist noch zu den anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschulen zählt, ist nicht abziehbar. Eine die Gerichte zu einer vom Wortlaut abweichenden Auslegung oder Rechtsfortbildung berechtigende Unklarheit oder Gesetzeslücke liegt nicht vor.
a) Die Aufzählung der Schulen, deren Besuch begünstigt wird, ist entgegen der Auffassung der Kläger abschließend. Das ergibt sich schon daraus, daß nur Schulgeld für den Besuch anerkannter allgemeinbildender und nicht aller Ergänzungsschulen berücksichtigt werden darf.
b) Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift rechtfertigen keine andere Beurteilung. Der mit dem Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl I 1990, 2775, BStBl I 1991, 51) eingeführte Sonderausgabenabzug ersetzte den zuvor durch Ländererlasse gestatteten, aber rechtswidrigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH-- vom 25. August 1987 IX R 24/85, BFHE 151, 39, BStBl II 1987, 850) Spendenabzug von Schulgeld für den Besuch gemeinnütziger Privatschulen (vgl. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, 21. Aufl., § 10 EStG Rz. 334 a; Stäuber in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 10b EStG Rz. 3; Thiel/Eversberg, Der Betrieb --DB-- 1991, 118, 127). Die Vorschrift bezweckt die Förderung von Privatschulen und sollte zunächst beschränkt sein auf nach Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigte und nach Landesrecht erlaubte Ersatzschulen (BTDrucks 11/7833, 8). Die Einbeziehung der "nach Landesrecht anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschulen" geht auf eine Empfehlung des Finanzausschusses (BTDrucks 11/8346, 21) zurück. Einer ausdrücklichen Erweiterung des Katalogs der bereits nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung begünstigten Ersatzschulen hätte es nicht bedurft, wenn eine beispielhafte Aufzählung beabsichtigt gewesen wäre.
4. Steuerpflichtige, deren Kinder andere als die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG aufgezählten Schulen im Inland oder --wie hier-- im Ausland besuchen, werden im Vergleich zu Steuerpflichtigen mit Kindern, die eine Ersatzschule oder eine nach Landesrecht anerkannte allgemeinbildende Ergänzungsschule besuchen, nicht gleichheitswidrig benachteiligt.
a) Gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, wird verstoßen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie --bezogen auf die Art des jeweiligen Regelungsgegenstandes-- die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z.B. BVerfG-Beschluß vom 9. November 1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106, 121, BStBl II 1989, 938; BFH-Urteil vom 12. Dezember 1990 I R 43/89, BFHE 163, 162, BStBl II 1991, 427). Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Elemente der zu vergleichenden Lebensverhältnisse er als maßgeblich für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Es ist nicht zu untersuchen, ob er die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat, insbesondere nicht willkürlich verfahren ist (BVerfG-Beschluß vom 29. November 1989 1 BvR 1402, 1528/87, BVerfGE 81, 108, BStBl II 1990, 479, 481; BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 X R 129/92, BFHE 177, 487, BStBl II 1996, 183, Ziff. 2. b der Gründe). Einen weiten Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber vor allem, wenn er eine Unterscheidung an Merkmale knüpft, welche die Betroffenen durch ihr Verhalten beeinflussen können (BVerfG-Beschluß vom 8. Juni 1993 1 BvL 20/85, BStBl II 1994, 59 unter B. I.).
b) § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG beschränkt den Schulgeldabzug auf den Besuch solcher Schulen, die in gewisser Weise in das öffentliche Schulwesen einbezogen sind, bestimmte staatliche Anforderungen erfüllen müssen und deshalb typischerweise besonders förderungsbedürftig sowie förderungswürdig sind.
Nach dem GG haben die Länder die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung des Privatschulwesens (vgl. Art. 30, 70 ff. GG). Ihre Gesetzgebungsbefugnis ist in sachlicher Hinsicht durch Art. 7 Abs. 4 und 5 GG eingeschränkt. Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar das Recht, Privatschulen zu errichten. Das Recht zur Errichtung von Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen (Ersatzschulen) ist jedoch durch den Vorbehalt staatlicher Genehmigung beschränkt (Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG). Ein Anspruch auf Genehmigung besteht verfassungsrechtlich nur bei Vorliegen der in Art. 7 Abs. 4 und 5 GG aufgeführten Voraussetzungen (BVerfG-Beschluß in BVerfGE 27, 195). Abgesehen hiervon haben die Länder einen weiten Gestaltungsspielraum. Unterschiedliche Verhältnisse in den einzelnen Bundesländern sind durch deren Schulhoheit vorgegeben. Die verfassungsrechtlich garantierte Schulhoheit verbietet es dem Bundesgesetzgeber, den Ländern eine Vereinheitlichung ihrer Regelungen vorzuschreiben. Das gilt sowohl hinsichtlich der Ersatzschulen als auch der Anerkennung von Ergänzungsschulen. Da es grundsätzlich Sache der Länder ist, die Schultypen des öffentlichen Schulwesens zu bestimmen, kann es vorkommen, daß ein und derselbe Privatschultyp nicht in allen Ländern eine Ersatzschule ist (Maunz/Dürig/ Herzog, Grundgesetz, Art. 7 Rz. 73, m.w.N.). Auch die Entscheidung darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Land die Anerkennung von Ergänzungsschulen grundsätzlich vorsieht, obliegt allein den Ländern. Es kann deshalb auch nicht unterstellt werden, eine in einem Land lediglich erlaubte Ergänzungsschule werde in einem anderen Bundesland anerkannt.
Mit der Schulhoheit der Länder in den durch Art. 7 GG gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen verknüpft ist die grundsätzlich ebenfalls den Ländern obliegende Schulfinanzierung. Auch insoweit haben diese einen weiten Gestaltungsspielraum.
aa) Die Genehmigung von Ersatzschulen i.S. des Art. 7 Abs. 4 GG setzt u.a. voraus, daß diese in ihren Lehrzielen und Einrichtungen, in der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung ihrer Lehrer den öffentlichen Schulen vergleichbar sind und daß eine "Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern" ausgeschlossen ist. Diese Anforderungen können sie nicht gleichzeitig und auf Dauer erfüllen, denn die Möglichkeit der Selbstfinanzierung durch Schulgelder ist den Ersatzschulen wegen des Verbots der "Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern" praktisch genommen (ausführlich BVerfG in BVerfGE 75, 40, und 90, 107, m.w.N.). Im Beschluß in BVerfGE 90, 107 betont das BVerfG, diesem Verbot sei nicht bereits durch einige wenige Freiplätze oder Stipendien genügt; eine Privatschule müsse vielmehr von allen Eltern und Schülern ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage in Anspruch genommen werden können; Beträge in der Größenordnung von 170 DM bis 190 DM/Monat für den Besuch einer eingeführten und etablierten Privatschule könnten nicht von allen Eltern bezahlt werden. Zum Ausgleich der durch Art. 7 Abs. 4 GG gestellten und durch die Gleichwertigkeitsbedingung sich ständig verschärfenden Anforderungen (vgl. z.B. BVerfG in BVerfGE 75, 40; Beschluß vom 9. März 1994 1 BvR 1369/90, BVerfGE 90, 128) besteht nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG eine staatliche Förderungspflicht für Ersatzschulen. Der Gesetzgeber hat jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum, in welcher Weise er seiner Schutz- und Förderpflicht nachkommt (z.B. BVerfGE 75, 40 unter III.; BVerfGE 90, 107). Tatsächlich gewähren die Bundesländer den Ersatzschulen in der Regel Zuschüsse, die deren Finanzbedarf zu weit über die Hälfte decken (vgl. bereits BVerfG in BVerfGE 75, 40 unter C. II. 2. b). Verfassungsrechtlich zulässig ist es auch, Privatschulen anstatt durch direkte Beihilfen durch die steuerliche Verbilligung des Schulgeldes zu unterstützen.
bb) Vergleichbares gilt für die nach Landesrecht erlaubten Ersatzschulen. Soweit einzelne Bundesländer neben den Ersatzschulen i.S. des Art. 7 Abs. 4 GG die Möglichkeit vorsehen, andere Schulen als Ersatzschulen zu genehmigen, ist stets vorausgesetzt, daß ein besonderes öffentliches oder pädagogisches Interesse hierfür besteht (z.B. § 3 Abs. 2 Baden-Württembergisches Privatschulgesetz). Mithin handelt es sich um Schulen, die zum einen besondere pädagogische Konzepte oder eine angemessene pädagogische Betreuung spezieller Schülergruppen verfolgen, denen das öffentliche Schulwesen keine hinreichenden Angebote macht oder machen kann, und die zum anderen typischerweise nicht erwerbswirtschaftlich betrieben werden können, sondern vergleichbar den Ersatzschulen i.S. des Art. 7 Abs. 4 GG auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind.
cc) Auch bei der Einbeziehung von anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschulen geht § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erkennbar davon aus, daß diese Schulen in vergleichbarer Weise in das öffentliche Schulwesen integriert sind.
Soweit Schulgesetze einzelner Bundesländer die Anerkennung allgemeinbildender Ergänzungsschulen grundsätzlich ermöglichen, ist Voraussetzung hierfür ein besonderes pädagogisches oder sonstiges öffentliches Interesse an einer solchen Schule und weiter, daß der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen erteilt wird (vgl. z.B. § 19 der Privatschulgesetze Saarland und Rheinland-Pfalz; § 12 des Sächsischen Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft). Die Anerkennung einer Schule hat zur Folge, daß diese mit "Außenwirkung" den Bildungsgrad ihrer Schüler feststellen bzw. öffentlich-rechtliche Zugangsberechtigungen oder die Befugnis zur Führung einer Berufsbezeichnung erteilen darf, mithin hoheitliche Funktionen ausübt, die ihr allein aus dem privatrechtlichen Status nicht zukommen, sondern von einem Hoheitsträger verliehen werden (vgl. BVerfG in BVerfGE 27, 195, 204; Heckel/Avenarius, a.a.O., 152). Zwar besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht zur finanziellen Unterstützung nur für Ersatzschulen (vgl. BVerfG in BVerfGE 75, 40, und BVerfGE 90, 107). Der Gesetzgeber konnte jedoch davon ausgehen, daß nach Landesrecht anerkannte allgemeinbildende Ergänzungsschulen angesichts der staatlichen Vorgaben in gleicher Weise förderungsbedürftig und förderungswürdig wie Ersatzschulen sind.
c) Der Senat verkennt nicht, daß es für die Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen keinen Unterschied macht, ob ihr Kind eine Ersatzschule bzw. eine nach Landesrecht anerkannte allgemeinbildende Ergänzungsschule oder eine andere inländische oder ausländische Schule besucht, und daß das öffentliche Schulwesen jeweils gleichermaßen entlastet wird. Eine verfassungsrechtliche Pflicht, deswegen den Besuch von Privatschulen jeder Art in gleicher Weise zu fördern, besteht jedoch nicht. Dem Gesetzgeber steht insoweit ein weiter Entscheidungsspielraum zu; denn es liegt im freien Ermessen von Eltern, ob sie ihre Kinder an einer öffentlichen Schule, einer steuerlich begünstigten oder einer sonstigen Privatschule unterrichten lassen.
III. Die Bevorzugung bestimmter inländischer Privatschulen verstößt nicht gegen den EWGV/EGV. Die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG begünstigten Privatschulen erbringen keine Dienstleistungen i.S. der Art. 59, 60 EWGV/EGV.
1. Der in Art. 59 ff. EWGV/EGV garantierte freie Dienstleistungsverkehr schließt die Freiheit der Dienstleistungsempfänger ein, sich in einen anderen Mitgliedsstaat zu begeben, um dort angebotene Dienstleistungen unter gleichen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Der Empfänger einer Dienstleistung darf --auch steuerrechtlich (vgl. EuGH-Urteil vom 27. Juni 1996 Rs. C-107/94, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1996, 329, m.w.N)-- nicht deshalb benachteiligt werden, weil er eine Dienstleistung in einem anderen Mitgliedsstaat in Anspruch nimmt (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 28. Januar 1992 Rs. C-204/90, EuGHE I 1992, 249; vom 11. August 1995 Rs. C-80/94, DB 1995, 2147). Das Recht steht allen Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates der EG zu und schützt gegen Maßnahmen jedes Staates. Auf die Dienstleistungsfreiheit kann sich ein Betroffener auch gegenüber dem Staat berufen, dessen Staatsbürger er ist (EuGH-Urteile vom 31. Januar 1984 Rs. 286/82 und 26/83, EuGHE 1984, 377, und vom 15. März 1994 Rs. C-45/93, EuGHE I 1994, 913).
2. Entgegen der von den Klägern und z.T. im Schrifttum vertretenen Auffassung (Meilicke, DB 1994, 1011; Meilicke/Weyde, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1996, 97; vgl. auch Gonnella, DB 1994, 1395; Herzig/Dautzenberg, DB 1997, 8, Fn. 25) führt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gehören die Organisation des Bildungswesens und die Bildungspolitik als solche nicht zu den Materien, die der Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat; gleichwohl stehen der Zugang zum und die Teilnahme am Unterricht im Bildungswesen und in der Lehrlingsausbildung nicht außerhalb des Gemeinschaftsrechts (z.B. EuGH-Urteil vom 13. Februar 1985 Rs. 293/83, EuGHE 1985, 593, 612; vgl. Lenz, Internationale Wirtschaftsbriefe --IWB--, Beilage 1, 1990, 19).
b) Dienstleistungen i.S. des Vertrages sind Leistungen, die "in der Regel gegen Entgelt" erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen (Art. 60 Abs. 1 EWGV/EGV). Als Dienstleistungen gelten nach Abs. 2 der Vorschrift insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Ein Verstoß gegen Art. 59, 60 EWGV/EGV liegt vor, wenn die Inanspruchnahme einer vergleichbaren inländischen Dienstleistung begünstigt wird (vgl. z.B. EuGH-Urteil in EuGHE I 1992, 249, 284). Nach der Rechtsprechung des EuGH kann die Bedeutung des Begriffs "Entgelt" --selbst wenn in Art. 59 ff. EWGV/EGV nicht ausdrücklich definiert-- aus Art. 60 Abs. 2 EWGV/EGV erschlossen werden: Wesensmerkmal des "Entgelts" ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH danach, daß es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt, wobei die Gegenleistung in der Regel zwischen Erbringer und Empfänger der Leistung vereinbart wird (z.B. EuGH-Urteil vom 27. September 1988 Rs. 263/86, EuGHE 1988, 5365, 5388; Hakenberg in Lenz, Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, Kommentar, 1. Aufl., Art. 60 Rz. 15, m.w.N.); die Gegenleistung muß einen wirtschaftlich meßbaren Wert haben, der nicht völlig außer Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Dienstleistung steht (vgl. Hailbronner in Handkommentar zum EUV/EGV, Art. 60 Rz. 10, m.w.N).
c) Schulgelder für die Teilnahme am Unterricht eines nationalen, staatlichen Bildungssystems sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kein Entgelt in diesem Sinne. Der EuGH betont dabei, daß "der Staat durch die Errichtung und Erhaltung seines staatlichen Bildungssystems keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen" will, vielmehr seine Aufgaben auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet erfüllt, und weiter, daß das staatliche Schulsystem in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder deren Eltern finanziert wird (vgl. EuGH-Urteile in EuGHE 1988, 5365, 5388, und vom 7. Dezember 1993 Rs. C-109/92, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --EuZW-- 1994, 93; vgl. ferner Anträge der Generalanwälte zu den EuGH-Urteilen in EuGHE 1985, 593, 597 ff.; vom 31. März 1992 Rs. C-19/92, EuGHE 1993, 1663, 1683). An der Natur dieser Tätigkeit ändert sich nach der Rechtsprechung des EuGH nichts dadurch, daß Schüler oder Eltern aus eigenen Mitteln Schulgeld bezahlen müssen, um in gewissem Umfang zu den Kosten beizutragen (EuGH-Urteil in EuGHE 1988, 5365, 5388).
Ohne Bedeutung ist insoweit, daß der Sonderausgabenabzug Schulen in privater Trägerschaft betrifft. Die Entscheidungen des EuGH sind zwar zu staatlichen Schulen ergangen; der EuGH hat aber dort nicht darauf abgestellt, von welchen (natürlichen oder juristischen) Personen Unterricht angeboten wird. Vielmehr entspricht es der ständigen Rechtsprechung des EuGH, Dienstleistungen Privater, die nicht als Teil einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden, nicht am Vertrag zu messen (z.B. EuGH-Urteil vom 12. Dezember 1974 Rs. 36/74, EuGHE 1974, 1405, 1418, und vom 4. Oktober 1991 Rs. C-159/90, EuGHE I 1991, 4685, 4740; Schlußantrag des Generalanwalts in EuGHE 1988, 5365, 5379, und in EuGHE 1985, 593, 609). Nach dem Urteil des EuGH in EuZW 1994, 93 (unter 16) gelten die zum Schulgeld für den Besuch von staatlichen Schulen entwickelten Grundsätze auch für den Unterricht einer Schule, die im wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
Wird eine Schule dagegen im wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert und versucht sie einen Gewinn zu erzielen, ist ihr Unterrichtsangebot als Dienstleistung i.S. des Vertrages anzusehen (vgl. EuGH in EuZW 1994, 93 unter 17).
d) Hiernach handelt es sich bei den von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG begünstigten Privatschulen nicht um Schulen, die nach der Rechtsprechung des EuGH Dienstleistungen gegen Entgelt erbringen. Wie oben ausgeführt sind die durch die Vorschrift geförderten Privatschulen in das nationale öffentliche Bildungssystem integriert --die Ersatzschulen, weil sie öffentliche Schulen ersetzen wollen und deshalb entsprechende Anforderungen erfüllen müssen, die Ergänzungsschulen, weil sie hoheitliche Verwaltungsaufgaben erfüllen--; sie sind mit ihrer Unterrichtstätigkeit in der Regel nicht erwerbswirtschaftlich tätig und werden überwiegend aus dem Staatshaushalt finanziert.
Unerheblich wäre insoweit, wenn einige Schulen nach den jeweiligen landesrechtlichen Fördervoraussetzungen geringere Zuschüsse erhielten und deswegen ein höheres Schulgeld erheben müßten. Derartige Sonderfälle ändern an der Beurteilung nichts (vgl. EuGHE 1988, 5365, 5379, und EuGHE 1985, 593, 603).
3. Auch das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 7 EWGV/ Art. 6 EGV), das vor Benachteiligungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit schützt, ist nicht berührt. Der Sohn der Kläger besuchte nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) eine allgemeinbildende Schule (Chorgymnasium). Abgesehen davon, daß in den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots grundsätzlich nur Regelungen fallen, die den Zugang zu einer Berufsausbildung betreffen (EuGH-Urteil in EuGHE 1985, 593, 611 ff.; EuGHE 1988, 5365, 5386, und vom 21. Juni 1988 Rs. 39/86, EuGHE 1988, 3161, 3194), ist schon nicht erkennbar, inwieweit eine versteckte Benachteiligung durch die Staatsangehörigkeit vorliegen könnte. Für den Schulgeldabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist nämlich weder von Bedeutung, welche Staatsangehörigkeit der Steuerpflichtige besitzt noch ist allein der Ort der Niederlassung der Schule Anknüpfungspunkt für die Förderung; denn auch beim Besuch inländischer Schulen ist Schulgeld nur dann abziehbar, wenn diese als Ersatzschule genehmigt oder als allgemeinbildende Ergänzungsschule anerkannt sind. Ohne Bedeutung ist deshalb auch der --im übrigen als neuer Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigende (§ 118 Abs. 2 FGO)-- Vortrag der Kläger, ihr Sohn sei auch britischer Staatsangehöriger.
4. Die von den Klägern vertretene Auffassung hätte im übrigen zur Folge, daß nicht nur Schulgeld für den Besuch jeder Schule im Ausland abziehbar wäre (mittelbare Förderung), sondern auch, daß alle Auslandsschulen in gleicher Weise wie die inländischen Schulen unmittelbare Förderung beanspruchen könnten. Dies stünde im Widerspruch dazu, daß die Organisation des Bildungswesens und die Bildungspolitik als solche nicht zu den Materien gehört, die der Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat.
IV. Der Senat ist nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 177 EGV herbeizuführen. Einer Vorabentscheidung bedarf es nicht, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn die streitigen Fragen nicht vollkommen mit den vom EuGH bereits entschiedenen Fragen identisch sind (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn unter welchen Umständen der Unterricht einer Schule als Dienstleistung anzusehen ist, kann aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH beantwortet werden. Soweit Meilicke/Weyde (a.a.O.) und Herzig/ Dautzenberg (a.a.O.) die Vorlagepflicht bejahen, gehen sie möglicherweise davon aus, § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG begünstige Privatschulen, die Unterricht als Teil einer wirtschaftlichen Tätigkeit erteilen.
Die tatsächliche Feststellung, ob die betroffenen Schulen gewinnorientiert oder gemeinnützig betrieben werden oder ob sie im wesentlichen durch Staatszuschüsse finanziert werden, ist dagegen ausschließlich Sache der jeweiligen nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte.
V. Die Sache ist entscheidungsreif, denn Schulgeld für den Besuch einer Schule im Ausland führt nicht zum Sonderausgabenabzug. Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 66337 |
BFH/NV 1997, 418 |
BStBl II 1997, 617 |
BFHE 183, 436 |
BFHE 1998, 436 |
BB 1997, 1990 (Leitsatz) |
DB 1997, 2582 (Leitsatz) |
DStRE 1997, 794-798 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 24 |
StE 1997, 590 (Leitsatz) |