Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsstrafe für das vorzeitige Ausscheiden eines Mediziners aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst
Leitsatz (amtlich)
Die Zahlung einer in einem Ausbildungsverhältnis begründeten Vertragsstrafe kann zu Erwerbsaufwendungen (Werbungskosten oder Betriebsausgaben) führen.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob und in welcher Höhe eine für das vorzeitige Ausscheiden eines Mediziners aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst verwirkte und gezahlte Vertragsstrafe einkommensteuerlich zu berücksichtigen ist.
Der verheiratete Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis 31. Dezember 1995 als Arzt im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Streitjahr 1996 war er als Chirurg selbständig tätig und wurde mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 machte der Kläger 104 567 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Grundlage hierfür war die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 100 000 DM zuzüglich Finanzierungsaufwendungen in Höhe von 4 567 DM an den Freistaat Bayern.
Der Kläger hatte sich gegenüber dem Freistaat Bayern mit Vertrag vom 3. Juli 1979 verpflichtet, sich zum Amtsarzt ausbilden zu lassen und nach Abschluss der Ausbildung mindestens 10 Jahre als vollbeschäftigter Arzt in Einrichtungen und an Orten tätig zu sein, die die zuständige Behörde bestimmt. Bei einem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst vor Ablauf der 10-jährigen Verpflichtungszeit war eine Vertragsstrafe in Höhe von 150 000 DM zu zahlen.
Der Kläger begann das Medizinstudium im Winter 1979 und beendete es mit der Approbation in 1985. Er war seit 1. Januar 1986 im öffentlichen Dienst nichtselbständig als Arzt tätig und absolvierte dort eine Weiterbildung zum Facharzt (Chirurg). Für diese Weiterbildungsmaßnahme wurde der Vertrag vom 3. Juli 1979 durch weitere Vereinbarungen dahin ergänzt, dass der Kläger nach Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme 10 Jahre im öffentlichen Dienst tätig sein solle. Die ursprüngliche Vertragsstrafe wurde um 25 000 DM auf 175 000 DM erhöht. Nachdem der Kläger diese Fortbildungsmaßnahme am 18. September 1992 abgeschlossen hatte, wurde er durch eine weitere Fortbildungsmaßnahme zum Unfallchirurgen ausgebildet. Für diese Weiterbildungsmaßnahme wurde vereinbart, dass die Vertragsstrafen weiterhin anwendbar seien, aber zwei Jahre der Weiterbildungszeit auf die Verpflichtungszeit von 10 Jahren anzurechnen wären. Der Kläger beendete diese Weiterbildungsmaßnahme am 31. Dezember 1995.
Der Kläger schied zum 31. Dezember 1995 aus dem öffentlichen Dienst aus. Die zunächst in Höhe von 175 000 DM fällig gestellte Vertragsstrafe wurde durch Vereinbarung auf 100 000 DM ermäßigt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die als Werbungskosten geltend gemachten Vertragsstrafenzahlung im streitigen Einkommensteuerbescheid für 1996 nicht. Das Einspruchsverfahren hatte nur insoweit Erfolg, als das FA danach Aufwendungen in Höhe von 1 800 DM als Ausbildungskosten i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ansetzte.
Die dagegen erhobene Klage war nur teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) erkannte die geltend gemachten Aufwendungen nur zu einem Anteil von 1/7 als Werbungskosten an und wies im Übrigen die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 446 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und zur antragsgemäßen Entscheidung in der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die geltend gemachten Aufwendungen sind als Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben oder Werbungskosten) einkünftemindernd zu berücksichtigen.
1. a) § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG definiert Werbungskosten als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den Werbungskostenbegriff dem Begriff der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG angeglichen. Werbungskosten wie Betriebsausgaben liegen danach vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden.
b) Danach sind die Zahlungen des Klägers zur Erfüllung der Vertragsstrafe im Streitfall als Betriebsausgaben i.S. des § 4 Abs. 4 EStG oder als Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Zahlungen im Sinne eines wirtschaftlich vorrangigen Veranlassungszusammenhangs einen engeren Bezug zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus selbständiger Arbeit haben. Denn wenn die Zahlungen wirtschaftlich vorrangig nicht durch die vom Kläger angestrebte Tätigkeit als selbständiger Chirurg, sondern vorrangig dadurch veranlasst gewesen sein sollten, dass er seine nichtselbständige Tätigkeit als Arzt im öffentlichen Gesundheitsdienst vertragswidrig nicht fortgeführt hatte, sind diese Zahlungen als nachträgliche Werbungskosten zu berücksichtigen.
c) Die einkünftemindernde Berücksichtigung dieser Zahlungen als nachträgliche Werbungskosten scheitert entgegen der Auffassung des FG insbesondere nicht daran, dass sie in Zusammenhang mit der Ausbildung des Klägers zum Arzt stehen. Denn wenn Aufwendungen einen erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang aufweisen, kommt es nicht mehr darauf an, ob diese Aufwendungen durch einen schon ausgeübten Beruf oder durch einen erstmals angestrebten neuen Beruf veranlasst worden waren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403). Insbesondere entfaltet der Sonderausgabentatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Sperrwirkung dahin gehend, dass der Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 EStG bei einer erstmaligen Berufsausbildung stets ausgeschlossen wird. Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann als beschränkt abziehbare Sonderausgaben zu behandeln, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind" (vgl. im Einzelnen Urteile des Senats in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884; vom 26. Januar 2005 VI R 71/03, BFHE 208, 572, BStBl II 2005, 349, m.w.N.).
2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die Vorentscheidung war daher entsprechend zu ändern. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuer ist im Sinne des Klageantrags unter Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen festzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 1572275 |
BFH/NV 2006, 1965 |
BStBl II 2007, 4 |
BFHE 2007, 247 |
BFHE 214, 247 |
BB 2006, 2121 |
DB 2006, 2100 |
DStRE 2006, 1371 |
DStZ 2006, 680 |
HFR 2006, 1095 |