Leitsatz (amtlich)
Liegen bei einem Rechtsanwalt und Hochschullehrer Betriebsstätte und Arbeitsstätte in verschiedenen Orten und ist die Teilstrecke von der Wohnung bis zur Anwaltskanzlei auch zurückzulegen, um von hier aus zur Arbeitsstätte zu gelangen, kann der Rechtsanwalt die PKW-Kosten auf der ersten Teilstrecke als Betriebsausgaben und auf der zweiten Teilstrecke als Werbungskosten geltend machen. Trotz der begrenzten Fahrtstrecke von Betriebsstätte zur Arbeitsstätte unterliegen die Werbungskosten der Abzugsbeschränkung nach § 9 Abs.1 Nr.4 EStG.
Normenkette
EStG 1979 § 4 Abs. 4-5, § 9 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 1 S. 3 Nr. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind in A wohnhafte Eheleute, die für die Streitjahre 1980 bis 1982 gemäß § 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt worden sind. Der Kläger ist Rechtsanwalt und übt seine selbständige freiberufliche Tätigkeit in der in B belegenen Kanzlei aus. Daneben ist der Kläger bei der Fachhochschule des Landes X in C als Fachhochschullehrer angestellt und bezieht aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Für die Fahrten zwischen der ehelichen Wohnung in A und der Anwaltskanzlei in B hat der Kläger den zum Betriebsvermögen der Kanzlei gehörenden PKW benutzt. An einigen Tagen der Woche fuhr der Kläger von B weiter nach C, um seinen dortigen Lehrverpflichtungen nachzukommen. Aufgrund einer Außenprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) fest, daß der Kläger die Kosten der Fahrten zwischen Anwaltskanzlei und Fachhochschule in voller Höhe als Betriebsausgaben bei der Ermittlung des Gewinns aus selbständiger Tätigkeit behandelt hatte. Das FA vertrat demgegenüber die Auffassung, die Fahrtkosten auf dieser Strecke könnten nur unter Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden und änderte die bisher unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1980 bis 1982 durch die Änderungsbescheide vom 16.April 1984 gemäß § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977). Die gegen diese Bescheide eingelegten Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.
Mit der Klage beantragen die Kläger sinngemäß die Aufhebung der Änderungsbescheide vom 16.April 1984 und begründen dies mit der Auffassung, daß die Kosten der Fahrten zwischen Anwaltskanzlei und Fachhochschule ohne die sich aus § 4 Abs.5 Nr.6 und § 9 Abs.1 Nr.4 EStG ergebenden Beschränkungen zum Abzug zugelassen werden müßten. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Das FG räume mit seiner Auffassung, die Gesamtstrecke von der Wohnung in A nach C werde zur Wahrnehmung nichtselbständiger Tätigkeit zurückgelegt und lediglich in B unterbrochen, der nichtselbständigen Tätigkeit einen ungerechtfertigten Vorrang ein. Diese Würdigung werde durch die tatsächlichen Feststellungen nicht gestützt. Im Vordergrund stehe vielmehr die selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt. Die Fahrtstrecke von der ehelichen Wohnung bis nach B werde vielmehr aus Gründen der selbständigen Rechtsanwaltstätigkeit zurückgelegt. An diese Fahrtstrecke schließe sich nur an einigen Tagen der Woche die Fahrt nach C an. Hieraus folge, daß Ausgangspunkt der Fahrten nach C nicht die Wohnung, sondern die Rechtsanwalts-Kanzlei sei. Damit könne weder § 4 Abs.5 Nr.6 noch § 9 Abs.1 Nr.4 EStG eingreifen, da beide Vorschriften zur Voraussetzung hätten, daß Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte (bzw. Arbeitsstätte) vorlägen. Anzuwenden wären im Streitfall der Fahrten zwischen Betriebsstätte und Arbeitsstätte vielmehr die Rechtsgrundsätze, die der Bundesfinanzhof (BFH) für die Behandlung der Fahrtkosten zwischen mehreren Betriebsstätten bei Gewerbetreibenden entwickelt habe.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Aufwendungen für Fahrten auf der Teilstrecke von B nach C (und zurück) dem Kläger aus Anlaß seiner nichtselbständigen Tätigkeit als Fachhochschullehrer an der Fachhochschule in C erwachsen sind. Sie sind deshalb als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen (§ 9 Abs.1 Satz 2 EStG). Es handelt sich um Werbungskosten, deren Abziehbarkeit sich nach Maßgabe des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG bestimmt.
Die Einordnung der entsprechenden Aufwendungen des Klägers als solche für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß sich der Rechtsstreit auf Aufwendungen des Klägers beschränkt, die lediglich auf einer Teilstrecke des Gesamtweges von Wohnung zur Arbeitsstätte angefallen sind. Dies ist darauf zurückzuführen, daß aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die erste Teilstrecke von A bis B in jedem Falle durchfahren werden mußte, also auch dann, wenn das Fahrtziel C war. Der Kläger hatte die Fahrtstrecke von der ehelichen Wohnung in A nach B zum einen zur Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt zurückzulegen. Seine Fahrtaufwendungen bei Benutzung des betriebseigenen PKW auf der Fahrt zur Betriebsstätte waren Betriebsausgaben i.S. des § 4 Abs.4 EStG, die jedoch den Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG unterliegen. An denjenigen Tagen der Woche, an denen der Kläger außer seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt seiner Lehrtätigkeit als Fachhochschullehrer in C nachging, befuhr er die Strecke von der ehelichen Wohnung in A nach B nicht nur zur Erreichung seiner Betriebsstätte (der Anwaltskanzlei), sondern zugleich zur Erreichung seiner Arbeitsstätte in C. Nicht beigetreten werden kann deshalb der Auffassung des Klägers, er habe die Fahrtstrecke bis B allein zwecks Ausübung seiner Anwaltstätigkeit zurückgelegt. Zwar kann nach der Relation der Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit mit dem Kläger davon ausgegangen werden, daß für ihn die Tätigkeit als Rechtsanwalt wirtschaftlich im Vordergrund stand. Diese wirtschaftliche Einschätzung des Klägers kann jedoch nicht den Umstand beiseite schieben, daß er zur Wahrnehmung seiner Lehrverpflichtungen die gesamte Fahrtstrecke von der ehelichen Wohnung in A über B nach C auch deswegen zurücklegen mußte, weil dies aufgrund der rechtlichen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis geboten war. Der Kläger hat mithin an denjenigen Tagen, an denen er nicht nur seiner Rechtsanwaltstätigkeit in B, sondern auch seiner Lehrtätigkeit in C nachging, die erste Teilstrecke von der ehelichen Wohnung in A nach B aus doppeltem, steuerrechtlich relevanten Grund durchfahren. Er mußte diese Fahrtstrecke zurücklegen, um als Rechtsanwalt in B tätig zu sein und um in C als Fachhochschullehrer seiner Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen. Seinem Wesen nach war das Befahren der Teilstrecke von der Wohnung bis B damit auch eine Fahrt, die zur Erreichung der Arbeitsstätte diente. Daher kann nicht der Auffassung der Kläger beigetreten werden, die Fahrtstrecke zur Erreichung der Arbeitsstätte habe erst in B begonnen, woraus sie folgerten, die Vorschrift des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG sei schon ihrem Wortlaut nach nicht einschlägig. Es ist mithin davon auszugehen, daß der Kläger die Gesamtstrecke von der Wohnung bis C zurückgelegt hat, um zur Arbeitsstätte zu gelangen. Dem steht nicht entgegen, daß er die Teilstrecke bis B zugleich zurückgelegt hat, um zur Betriebsstätte zu gelangen.
2. Der Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG bezüglich nur eines Teils der Fahrtaufwendungen des Klägers, nämlich auf der zweiten Teilstrecke von B nach C, steht nichts entgegen. Wenn der Steuerpflichtige eine bestimmte Fahrtstrecke zurücklegen muß, um zugleich seine Betriebsstätte und seine Arbeitsstätte zu erreichen, treten bezüglich der Aufwendungen für Fahrtkosten die Vorschriften des § 4 Abs.4 i.V.m. § 4 Abs.5 Nr.6 EStG und des § 9 Abs.1 i.V.m. § 9 Abs.1 Nr.4 EStG in tatbestandliche Konkurrenz. Im Hinblick darauf, daß nur ein Aufwand vorliegt, dessen Abzugsfähigkeit allerdings auf zwei Rechtsgründe gestützt werden könnte, verbietet sich ein Abzug nach der Zahl der Rechtsgründe. Aus dem Nettoprinzip ist zu folgern, daß der angefallene Aufwand derjenigen Einkunftsart zuzuordnen ist, die ihn vorrangig veranlaßt hat mit der Rechtsfolge, daß dieser Rechtsgrund den anderen konsumiert. Im Streitfall bedeutet dies, daß die Fahrtkosten auf der Strecke von der Wohnung bis B als Betriebsausgaben im Rahmen der selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt zu berücksichtigen sind, denn nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers stand diese Tätigkeit für ihn wirtschaftlich im Vordergrund. Dies ist bei der Zuordnung des Aufwandes zu beachten.
Die Konsumtion nimmt aber der Fahrtstrecke, die bezüglich ihres Aufwandes der selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt zugewiesen worden ist, nicht ihre wesensmäßige Eigenschaft, zugleich eine Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu sein, woraus sich die Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG rechtfertigt.
3. Der Auffassung der Kläger, der uneingeschränkte Abzug der auf der Teilstrecke von B nach C angefallenen Fahrtkosten rechtfertige sich aus der Rechtsprechung des BFH zur Behandlung der Fahrtaufwendungen Gewerbetreibender mit mehreren Betriebsstätten, kann nicht beigetreten werden. Bereits in der Entscheidung vom 17.Februar 1977 IV R 87/72 (BFHE 122, 55, BStBl II 1977, 543), welche die Fahrtunterbrechungen eines Rechtsanwalts auf dem Wege in seine Kanzlei behandelte, ist als maßgeblich herausgestellt, ob bei den werktäglichen Fahrten von der Wohnung in die Stadt als deren Ziel und Zweck die Erreichung der Betriebsstätte im Vordergrund steht oder nicht. Dementsprechend sind Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte verneint worden, wenn der Gewerbetreibende Fahrten von einer Wohnung, die räumlich mit einer Betriebsstätte verbunden war, zu einer anderen Betriebsstätte angetreten hat. Der uneingeschränkte Abzug der Fahrtkosten als Betriebsausgaben wurde hier mit der Erwägung gerechtfertigt, es lägen Fahrten innerhalb des Unternehmens vor, da sich der Gewerbetreibende ausschließlich im betrieblichen Bereich bewegt habe (BFH-Urteile vom 31.Mai 1978 I R 69/76, BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564, und vom 29.März 1979 IV R 137/77, BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700).
Hieraus ergibt sich, daß die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG nicht mehr greifen soll, wenn der Unternehmer, von seiner Wohnung kommend, den betrieblichen Bereich erreicht hat und sich anschließend innerhalb desselben bewegt. Diese Erwägung liegt auch den neueren Literaturmeinungen zugrunde, die dafür eintreten, die vorbezeichnete Rechtsprechung in Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG auf Arbeitnehmer auszudehnen, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mehrere Arbeitsstätten anfahren (vgl. v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr.B 700 Stichwort "Fahrten zwischen zwei regelmäßigen Arbeitsstätten"; Drenseck in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 6.Aufl., § 9 Anm.8e, beide mit weiteren Nachweisen; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14.Aufl., § 9 Rdnr.256). Diese Rechtsauffassungen sind im Streitfall nicht einschlägig, denn mit der Weiterfahrt von B nach C verläßt der Kläger den betrieblichen Bereich seiner selbständigen Tätigkeit; es fallen nur Aufwendungen an, die in den Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gehören und die --wie in Abschnitt 1 der Gründe dargestellt-- darauf beruhen, daß der Kläger seine Arbeitsstätte erreichen will, von der aus er seiner Tätigkeit aus nichtselbständiger Arbeit nachgeht.
Fundstellen
Haufe-Index 62090 |
BStBl II 1988, 766 |
BFHE 153, 107 |
BFHE 1989, 107 |
BB 1988, 1730-1731 (LT1) |
DB 1988, 1779-1779 (ST) |
HFR 1988, 508 (LT1) |