Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Höhe von Verspätungszuschlägen bei der ESt
Leitsatz (NV)
1. Bei der Bemessung der Höhe von Verspätungszuschlägen hat die Finanzbehörde im Einzelfall sämtliche in § 152 Abs. 2 S. 2 AO 1977 aufgeführten Ermessenskriterien zu berücksichtigen. Eine vorrangige Orientierung an der Höhe der festgesetzten Steuer bzw. den zu versteuernden Einkünften ist unzulässig.
2. Bei einer Überschreitung der Frist für die Abgabe der ESt-Erklärung um 9 Monate kann die Festsetzung eines Verspätungszuschlags von 300 DM auch dann noch ermessensgerecht sein, wenn die festgesetzte Einkommensteuer nicht besonders hoch und der aus der Verspätung gezogene Vorteil gering ist.
Normenkette
AO 1977 § 152
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) ließen ihre gemeinsame Einkommensteuererklärung 1979 von ihrem Prozeßbevollmächtigten erstellen. Diesem wurde eine Frist zur Abgabe der Steuererklärung bis zum 28. Februar 1981 gewährt; die Erklärung wurde erst am 19. November 1981 eingereicht. Aufgrund der Veranlagung hatten die Kläger eine Abschlußzahlung von 438 DM zu leisten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte zugleich mit dem Einkommensteuerbescheid vom 21. Januar 1982 einen Verspätungszuschlag von 300 DM (3,2 v. H. der Einkommensteuerschuld von 9 170 DM) fest.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde zurückgewiesen. Die Oberfinanzdirektion (OFD) ging davon aus, daß die von den Klägern für die Verspätung vorgetragenen Gründe diese nicht entschuldige. Ein Steuerberater, der zur fristgerechten Erledigung erteilter Aufträge nicht imstande sei, müsse durch Einstellung zusätzlicher Kräfte, Ablehnung oder Rückgabe vorhandener Mandate Abhilfe schaffen. Nur besondere Umstände, wie z. B. plötzliche Erkrankung, könnten eine fortwährende Fristüberschreitung entschuldigen. Einen derartigen Grund hätten die Kläger nicht vorgetragen. Der festgesetzte Zuschlag sei auch der Höhe nach gerechtfertigt. Die Höhe sei nach pflichtgemäßem Ermessen des FA zu bestimmen. Der Zuschlag dürfe 10 v. H. der festgesetzten Steuer nicht überschreiten und höchstens 10 000 DM betragen. Bei der Bemessung seien neben dem Zweck, den Steuerpflichtigen zu einer rechtzeitigen Abgabe seiner Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei ein Verspätungszuschlag von 300 DM unter Berücksichtigung der erheblichen Dauer der Fristüberschreitung ,,absolut gerechtfertigt". Denn zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im November 1981 seien die Veranlagungsarbeiten 1979 nahezu abgeschlossen gewesen.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, es könne gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur prüfen, ob eine fehlerhafte Ermessensausübung vorliege. Diese Prüfung führe zu dem Ergebnis, daß die Verwaltungsbehörden die inneren Schranken des Handelns irrtümlich verkannt hätten (Ermessensfehlgebrauch), so daß die angefochtenen Bescheide aufgehoben werden müßten. Denn es sei nicht ermessensgerecht, den Zuschlag in erster Linie nach der Höhe der festgesetzten Steuer zu bemessen. Der Senat habe eine größere Zahl von Zuschlagsfestsetzungen zu überprüfen gehabt. Dabei habe sich herausgestellt, daß die Festsetzung nach einem bestimmten Prozentsatz der festgesetzten Steuern nicht zu gerechten, sondern zu ganz willkürlichen Ergebnissen führe. Maßgebend für die Ausübung des Ermessens sei § 152 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977); dagegen grenze Satz 1 der Vorschrift die Höhe lediglich ein und bilde damit das Korrektiv für willkürliche Festsetzungen. Bedenke man, daß kein Zuschlag festgesetzt werden könne, wenn die Steuerfestsetzung auf null laute, so müsse man sogar bezweifeln, ob noch daran festgehalten werden könne, daß mit der Festsetzung von Zuschlägen ein zügiges Veranlagungsgeschäft ermöglicht werden solle. Jedenfalls erscheine es vor dem Hintergrund dieser Regelung höchst ungerecht, zwischen Fällen von Steuernachzahlungen und Erstattungen nicht zu differenzieren. Vielmehr sei es sachgerecht, für die Bemessung des Zuschlages in erster Linie auf den aus der Verspätung gezogenen Vorteil abzustellen. Da der Zuschlag auch dem Zweck diene, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Erklärung anzuhalten, erscheine es unbedenklich, einen angemessenen Betrag in Höhe von etwa 50 DM bis 150 DM neben dem errechneten Zinsvorteil festzusetzen. Hiermit müßten sich die Finanzbehörden in Erstattungsfällen und bei erstmaliger Festsetzung eines Zuschlags begnügen. Denn es gebe keinen Erfahungssatz, wonach vermögende Steuerpflichtige der Festsetzung eines maßvollen Zuschlags keine Bedeutung schenkten. Eine Anhebung des Zuschlags aus dem Gesichtspunkt des Erziehungsmittels erscheine erst geboten, wenn sich erweise, daß der Steuerpflichtige trotz Festsetzung eines Zuschlags die Steuererklärung auch im folgenden Jahr nicht rechtzeitig abgebe.
Im vorliegenden Fall hätten die Kläger infolge der Verspätung allenfalls einen Zinsvorteil von 30 DM auf ihre Abschlußzahlung von 438 DM erlangen können. Unter Berücksichtigung des Ungehorsams hätte der Zuschlag deshalb nicht höher als 150 DM festgesetzt werden dürfen.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 152 AO 1977. Es führt im wesentlichen aus:
Zu Unrecht glaube das FG, daß der Verspätungszuschlag bei einer erstmaligen Festsetzung den Zinsvorteil - unabhängig von der Höhe des Einkommens, des Vermögens und der festgesetzten Steuer - nur um höchstens 150 DM übersteigen dürfe. Denn es müsse berücksichtigt werden, daß die Kläger, denen Fristverlängerung bis zum 28. Februar 1981 eingeräumt worden sei, ihre Erklärung erst am 19. November 1981 abgegeben hätten. Der Zuschlag betrage 3,5 v. H. der Steuerschuld und liege damit im Rahmen des Ermessensspielraums gemäß § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Daß die Steuer durch Vorauszahlungen oder im Abzugswege ganz oder teilweise bereits getilgt gewesen sei, sei unbeachtlich. Zu Unrecht stelle deshalb das FG maßgeblich auf die Höhe der Abschlußzahlung ab. Aus dem Wortlaut des § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 sei vielmehr zu folgern, daß der Verspätungszuschlag in erster Linie in einem angemessenen Verhältnis zu der festgesetzten Steuer als seiner Bemessungsgrundlage stehen müsse. Die in das Gesetz aufgenommenen Ermessenskriterien seien bewußt in den zweiten Satz des § 152 Abs. 2 AO 1977 aufgenommen worden. Zwar sei der durch die verspätete Abgabe erlangte Zinsvorteil ein wichtiges Kriterium für die Bemessung des Verspätungszuschlags; neben ihm seien aber noch der Zweck und die anderen sich aus § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ergebenden Gesichtspunkte in die Abwägung einzubeziehen. Deshalb sei ein in einem ausgewogenen Verhältnis zur Steuerschuld stehender Verspätungszuschlag auch dann gegeben, wenn kein oder nur ein geringer Vorteil erzielt worden sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie hier - sowohl der Prozentsatz als auch der absolute Betrag für die Bemessung des Verspätungszuschlags dem unteren Bereich des gesetzlichen Rahmens entnommen seien.
Auch aus § 152 Abs. 3 AO 1977 ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, daß die Höhe des Verspätungszuschlags von der Steuer (oder dem Steuermeßbetrag) abhängen solle. Aufgrund dieser Vorschrift, nach der der Verspätungszuschlag regelmäßig mit der Steuer festzusetzen sei, erfolge die Festsetzung bei der maschinellen Erstellung des Steuerbescheids in der Weise, daß in den Eingabewertbogen entsprechend den sich aus § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ergebenden Kriterien entweder ein absoluter Betrag oder ein Prozentsatz eingegeben werde. Hänge aber die Höhe des Verspätungszuschlags nicht von der festgesetzten Steuer, sondern von dem erlangten Zinsvorteil, also letztlich von der Abschlußzahlung, ab, so müßte ein zeitaufwendiges ,,Vor-Veranlagungsverfahren" durchgeführt werden. Dieser Umstand aber würde in keinem Verhältnis zu dem Wesen des Verspätungszuschlags als steuerlicher Nebenleistung stehen. In vielen Fällen könnte darüber hinaus überhaupt kein Verspätungszuschlag festgesetzt werden, da eine nachträgliche Festsetzung wegen § 152 Abs. 3 AO 1977 nur ausnahmsweise möglich sei.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Vorentscheidung, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Zu Recht ist das FG stillschweigend davon ausgegangen, daß der Verspätungszuschlag gegen die Kläger in einem einheitlichen Betrag festgesetzt werden konnte (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. April 1987 IV R 192/85, BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540, und vom 4. Dezember 1987 VI R 134/84, BFH/NV 1988, 279, m. w. N.). Das FG hat auch nicht verkannt, daß die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags dem Grunde nach vorlagen, weil die Kläger die Frist für die Abgabe der Einkommensteuererklärung 1979 schuldhaft versäumt haben. Die Frist endete unter Berücksichtigung der gewährten Fristverlängerung am 28. Februar 1981. Die Kläger haben die Frist auch schuldhaft versäumt (§ 152 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Denn sie müssen sich das Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen, da diese insoweit ihre Erfüllungsgehilfen i. S. des § 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 sind (BFH-Urteil vom 30. April 1987 IV R 42/85, BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543).
Grundsätzlich ist dem FG auch darin zuzustimmen, daß das FA sich bei der Bemessung der Höhe des Zuschlages nicht in erster Linie an der festgesetzten Steuer bzw. den zu versteuernden Einkünften orientieren darf. Vielmehr sind sämtliche in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 aufgeführten Ermessenskriterien im Einzelfall zu berücksichtigen. Die in § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 vorgenommene Begrenzung auf 10 v. H. der festgesetzten Steuer ist nur der äußerste Rahmen möglichen Verwaltungshandelns, gibt aber keine Richtlinie für die konkrete Bemessung des Zuschlags im Einzelfall.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich aber zugleich, daß die Auffassung des FG, die Bemessung des Zuschlags habe in erster Linie die Abschöpfung des Zinsvorteils zu gewährleisten, nicht zutrifft. Insbesondere kann keine Rede davon sein, daß die anderen im Gesetz genannten Ermessenskriterien - bei erstmaliger Fristüberschreitung - nur mit einem pauschalen Zuschlag von höchstens 150 DM berücksichtigt werden dürften. Diese Auffassung, die bereits vom IV. Senat des BFH im Urteil in BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543 abgelehnt worden ist, berücksichtigt die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller vom Gesetz genannten Ermessenskriterien nicht. Sie gestattet insbesondere in Fällen erheblicher Fristüberschreitung, schwerwiegenden Verschuldens und hoher Steuerfestsetzung keine angemessene Sanktion.
Auch im Ergebnis folgt der Senat dem FG nicht. Die Festsetzung eines Zuschlags von 300 DM war im vorliegenden Fall nicht ermessensfehlerhaft. Zwar waren der sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Zahlungsanspruch mit 438 DM und die aus der Verspätung gezogenen Vorteile relativ gering. Auch ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger angesichts der festgesetzten Einkommensteuerschuld von 9 170 DM nicht besonders hoch. Ungewöhnlich groß ist mit fast neun Monaten jedoch die Dauer der Fristüberschreitung. Dies hat auch die OFD in ihrer Beschwerdeentscheidung hervorgehoben und darauf hingewiesen, daß zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung die Veranlagungsarbeiten für 1979 nahezu abgeschlossen gewesen seien.
Die erhebliche Fristüberschreitung rechtfertigte die Festsetzung eines höheren Verspätungszuschlages, als er im Hinblick auf die vorerwähnten Umstände sonst zulässig gewesen wäre. Sinn und Zweck der für die Abgabe von Steuererklärungen angeordneten Fristen ist es nicht nur, dem Staat rechtzeitig die Mittel für die Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung zu stellen, sondern auch, den Finanzbehörden die zügige Durchführung der Veranlagungsarbeiten zu ermöglichen. Im Hinblick hierauf hat der Senat die Festsetzung eines Verspätungszuschlags sogar dann für möglich erachtet, wenn die Steuerfestsetzung zu keiner Nachzahlung, sondern einer Erstattung geführt hat (Urteil vom 31. Juli 1987 VI R 193/85, BFH/NV 1988, 282). Ebenso wie die Fristversäumnis im vorerwähnten Fall die Festsetzung eines (niedrigen) Verspätungszuschlags rechtfertigte, gestattete die erhebliche Überschreitung der Erklärungsfrist im Streitfall eine - angesichts der übrigen für die Ermessensentscheidung maßgeblichen Umstände - nachdrückliche Geldsanktion.
Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 416141 |
BFH/NV 1989, 279 |