Leitsatz (amtlich)
Bei Arbeitnehmern, die ständig auf wechselnden auswärtigen Bau- oder Montagestellen tätig sind, sind die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten mit eigenem Kraftfahrzeug zu den jeweiligen Arbeitsstätten als Werbungskosten abzugsfähig. Es können statt dessen in der Regel die Pauschbeträge in Abschn. 21 Abs. 11 LStR 1970 abgezogen werden.
Normenkette
EStG 1971 § 9 Abs. 1 Nr. 4; LStDV 1971 § 20 Abs. 2 Nr. 2; LStR 1970 Abschn. 25 Abs. 2, Abschn. 21 Abs. 6, 11
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1971 Arbeitnehmer bei einer Baufirma. Er wurde von seiner Arbeitgeberin auf ständig wechselnden Baustellen eingesetzt, die von dem Familienwohnsitz des Klägers zwischen 40 und 150 km entfernt lagen. Der Kläger fuhr von seiner Wohnung täglich mit dem eigenen Pkw zu den wechselnden Arbeitsstätten (Baustellen), an denen er jeweils zwischen zwei und 65 Tagen arbeitete, und kehrte von der jeweiligen Baustelle nach der Arbeit auch täglich zur Wohnung zurück.
Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (FA) bei der Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau als Werbungskosten lediglich die Pauschbeträge von je 564 DM anerkannt hatte, berücksichtigte er in der Einspruchsentscheidung u. a. Fahrtkosten für die Fahrten mit eigenem Pkw zu den wechselnden Arbeitsstätten mit 6 628 DM (18 412 Doppelkilometer zu 36 Pfennig).
Mit der Klage wurde hiergegen geltend gemacht, das FA hätte für die Pkw-Fahrten zu den Baustellen 25 Pfennig je Kilometer steuermindernd berücksichtigen müssen.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG sah das Begehren des Klägers, einen Kilometersatz von 25 Pfennig zu berücksichtigen, als begründet an. Die ständig wechselnden Baustellen seien keine regelmäßigen Arbeitsstätten (Urteile des BFH vom 5. November 1971 VI R 207/68, BFHE 103, 472, BStBl II 1972, 137, und vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1971. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1971 seien die gewöhnlichen Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sofern sie mit einem Kfz. vorgenommen würden, nur im Rahmen der aufgeführten Beträge Werbungskosten. Fahrten zwischen Wohnung und ständig wechselnden Einsatzstellen könnten somit, wenn sie keine Dienstreisen seien, nur Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sein, so daß die Begrenzung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu beachten sei. Auch die Überlegung der Vorinstanz, daß diese Arbeitnehmer ihren Wohnsitz nicht entsprechend wählen könnten, um höhere Kosten zu vermeiden, könne in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung sein und rechtfertige eine vom Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung abweichende Auslegung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Durch die Neufassung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG StÄndG 1966 wurde eine doppelte Beschränkung des Abzugs von Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten vorgenommen. Einmal wurde die Abzugsmöglichkeit allgemein nur für Fahrten bis zur Entfernung von 40 km zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zugelassen, und ferner wurde der bei Benutzung eines eigenen Kraftwagens anzusetzende Kilometersatz auf 0,36 DM je Entfernungskilometer herabgesetzt. Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wurden dagegen nicht begrenzt. Die 40-km-Grenze ist durch das StÄndG 1971 vom 23. Dezember 1970 (BGBl I 1970, 1856, BStBl I 1971, 8) mit Wirkung ab dem Kalenderjahr 1971 aufgehoben worden, so daß diese räumliche Begrenzung für den Streitfall keine Bedeutung hat.
Bei der Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Pkw-Kosten in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 ff. handelt es sich um einen Ausnahmefall von dem sonst geltenden Grundsatz der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von Werbungskosten. Als Wille des Gesetzgebers ist es anzusehen, die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift auf die Fälle zu beschränken, von denen er bei ihrer Schaffung ausging, jedenfalls aber Fälle, für die sie nicht paßt, von ihrer Anwendung auszunehmen.
Der BFH hat im Urteil VI R 207/68 entschieden, daß die Fahrten von Außenmonteuren, die am Betriebssitz keinen ständigen Arbeitsplatz besitzen, keine Dienstreisen sind. Sie weisen aber eine gewisse Ähnlichkeit mit Dienstreisen insofern auf, als auch hier der Arbeitnehmer nicht laufend zur gleichen Arbeitsstelle fährt, sondern seine Arbeit an laufend wechselnden Arbeitsstellen verrichtet. Auch bei Dienstreisen sind die außerhalb der regelmäßigen Arbeitsstätte liegenden Tätigkeitesstätten (in den LStR zuweilen als "Einsatzstellen" bezeichnet; vgl. Abschn. 21 Abs. 2 Sätze 7 ff. LStR 1972) letztlich "Arbeitsstätten". Der Senat hat schon im Urteil VI R 207/68 darauf hingewiesen, daß Arbeitnehmer, die keine feste Arbeitsstätte haben, sondern an ständig wechselnden Montagestellen (Baustellen sind ebenso zu beurteilen) eingesetzt werden, nicht die Möglichkeit haben, durch entsprechende Wohnsitznahme selbst die Höhe der Fahrtaufwendungen zu bestimmen. Diese sind vielmehr entscheidend davon abhängig, zu welcher Bau- oder Montagestelle sie ausschließlich im Interesse des Betriebes entsandt werden, wobei die Entfernung der verschiedenen Baustellen vom Wohnort oft stark schwankt. Der Senat hat hieraus den Schluß gezogen, daß auf die Fahrtkosten auch nicht die Grundsätze angewendet werden können, die für Fahrten zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte gelten. Zwar ist die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1967 nicht ausdrücklich auf Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte beschränkt; die Vorschrift kann aber nach Auffassung des Senats auf Fälle, in denen es an einer regelmäßigen Arbeitsstätte fehlt, dann nicht angewandt werden, wenn sie Besonderheiten aufweisen, die zur Folge haben, daß bei Anwendung der Vorschrift kein sinngemäßes Ergebnis eintreten würde.
Diese Überlegungen lassen es dem Senat angezeigt erscheinen, auch die Begrenzung der Kilometerpauschale auf 0,36 DM für die Fälle nicht anzuwenden, in denen ein Arbeitnehmer auf ständig wechselnden Bau- und Montagestellen tätig wird. Vor allem der dienstreiseähnliche Charakter dieser Fahrten und ihre deshalb wünschenswerte Gleichstellung mit echten Dienstreisen spricht für diese Auslegung, ebenso die Überlegung, daß für die Wahl des Wohnorts im Verhältnis zum Arbeitsort hier Überlegungen der privaten Lebensgestaltung regelmäßig ausscheiden.
Es kommt hinzu, daß die Überlegungen, die den Gesetzgeber zur Herabsetzung der Kilometerpauschalen veranlaßt haben, hier nicht zutreffen. Entscheidend für den Gesetzgeber war neben haushaltsmäßigen Überlegungen die Entlastung des Straßenverkehrs in den Ballungsgebieten. Nach dem im Beschluß des BVerfG vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68 (BStBl II 1970, 140) angeführten Bericht der Sachverständigenkommission auf Grund des Gesetzes über eine Untersuchung von Maßnahmen zur Verbesserung für Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Bundestagsdrucksache IV/2661, insbesondere Seite 89), der in der Begründung des Entwurfs des StÄndG 1966 herangezogen wurde, übt die Möglichkeit der Steuerersparnis einen nicht zu unterschätzenden, mit rationalen Gründen allein nicht zu erklärenden Anreiz auf Steuerpflichtige aus, für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einen Pkw zu benutzen. Die Verkehrssachverständigen erhofften sich durch die Kürzung der Kilometerpauschalen eine Milderung der Verkehrsschwierigkeiten in den Ballungsräumen zu den Hauptverkehrszeiten und eine gewisse Verlagerung des Berufsverkehrs von dem Kfz. auf die öffentlichen Verkehrsmittel. Solche Überlegungen scheiden im Streitfall und den vergleichbaren Fällen aber weitgehend aus. Das gleiche gilt für die vom BVerfG hervorgehobenen allgemein der privaten Lebensführung zuzurechnenden Überlegungen für die Benutzung eines Pkw (größere Bequemlichkeit, Unabhängigkeit, Freizügigkeit, Repräsentation, Prestige). Bei einer Tätigkeit auf laufend wechselnden Bau- und Montagestellen scheidet ein Ausweichen auf öffentliche Verkehrsmittel regelmäßig aus. In der Regel ist ein solcher Arbeitnehmer vielmehr auf ein eigenes Kfz. angewiesen, wenn er die vom Arbeitgeber erwartete verkehrsmäßige Beweglichkeit besitzen will. Die Fälle, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gibt, mit einem von ihm gestellten Kfz. zur Baustelle gebracht zu werden, der Arbeitnehmer aber hiervon keinen Gebrauch macht, können als atypische Fälle ebenfalls außer Betracht bleiben.
Zusammenfassend ist hiernach festzustellen, daß bei Arbeitnehmern, die auf ständig wechselnden Bau- oder Montagestellen tätig werden, bei Fahrten zwischen der Wohnung und diesen Arbeitsstätten bei Benutzung eines eigenen Pkw der herabgesetzte Kilometersatz von 0,36 DM nicht gilt. Sie sind mit den tatsächlich nachgewiesenen Aufwendungen zu berücksichtigen. Fehlt es an einem solchen Nachweis, so kann der bei Dienstreisen geltende Kilometersatz von derzeit 25 Pfennig je Kilometer (Abschn. 21 Abs. 6, 11 LStR 1970) angewandt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 70795 |
BStBl II 1974, 258 |