Leitsatz (amtlich)
a) Ein Zivilrechtsstreit ist nach § 108 Abs. 2 SGB VII von Amts wegen auszusetzen, wenn entscheidungserheblich ist, ob der Geschädigte zu den nach § 2 SGB VII versicherten Personen gehört.
b) Zur Beteiligung am sozialversicherungsrechtlichen Verfahren nach § 12 Abs. 2 SGB X.
Normenkette
BGB § 823; SGB VII §§ 2, 108; SGB X § 12
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG München v. 30.4.2003 aufgehoben.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz für ihren immateriellen und materiellen Schaden aus einem Reitunfall v. 11.6.2001. Sie hatte auf Bitten der Beklagten eines von deren Pferden im Gelände geritten und ist hierbei gestürzt, wobei sie eine Luxationsfraktur des 3. und 4. Halswirbelkörpers erlitt.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist durch das angefochtene Urteil v. 30.4.2003 zurückgewiesen worden, weil eine Haftung der Beklagten nach § 104 SGB VII ausgeschlossen sei. Mit Bescheid v. 23.9.2003 wies auch die Bayerische Landesunfallkasse Ansprüche der Klägerin zurück, weil kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Bayerischen Landesunfallkasse v. 1.12.2003 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin Klage beim SG erhoben.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheidet eine Tierhalterhaftung nach §§ 833, 847 a. F. BGB auf Grund der Haftungsbefreiung nach § 104 SGB VII aus. Die Klägerin sei für die Beklagte wie eine Versicherte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII tätig gewesen, da sie eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ausgeübt habe. Die Handlungstendenz der Klägerin sei in erster Linie dahin gegangen, den Zwecken der Beklagten zu dienen. Bei der von ihr für die Beklagte am Unfalltag übernommenen Tätigkeit handele es sich um eine typische von der Halterin des Pferdes zu erfüllende Aufgabe. Eine solche werde auf dem Arbeitsmarkt auch von Reitbetrieben bzw. durch von Pferdehaltern beschäftigte Pferdepfleger mit entsprechendem Aufgabenbereich und Bereitern im Interesse der Halter der Tiere ausgeübt. Das Ausreiten könne deshalb nach den Umständen am Unfalltag nicht lediglich einer reitsportlichen Betätigung im Rahmen einer gegenseitigen reitsportlichen Gefälligkeit zugeordnet werden. Maßgebend sei das Interesse der Beklagten als Halterin eines Pferdes gewesen, diesem die notwendige Bewegung zu verschaffen.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Vorschrift des § 108 SGB VII nicht beachtet hat. Nach dieser Vorschrift sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche u. a. hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Abs. 1 ergangen ist. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.
Die Vorschrift verfolgt das Ziel, durch eine Bindung von Gerichten außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit an Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und Sozialgerichte divergierende Beurteilungen zu vermeiden und damit eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten (vgl. Lauterbach/Dahm, Unfallversicherung, Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., Stand: Oktober 2003, § 108 Rz. 1; Seewald, SGb 1998, 281). Deshalb steht die Aussetzung nicht im Ermessen des Gerichts.
Bereits zu der früheren Gesetzeslage, die insoweit keine ausdrückliche Anordnung enthielt, hatte der erk. Senat im Hinblick auf den Zweck und die Gesetzesgeschichte der §§ 637 ff. RVO ein gebundenes Ermessen angenommen, das dem Richter die Aussetzung nach § 148 ZPO bis zum Vorliegen einer endgültigen Entscheidung der Sozialbehörden oder -gerichte zur Pflicht machte (vgl. BGH v. 4.4.1995 - VI ZR 327/93, BGHZ 129, 195 [202 f.]). Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Senats bindende Entscheidungen über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Verfahren der gesetzlichen Unfallversicherung oder der Sozialgerichtsbarkeit auch zu berücksichtigen, wenn sie - wie hier - erst nach Einlegung der Revision ergehen. Eine solche Entscheidung bindet die Zivilgerichte, um in dieser Frage den Vorrang jener fremden Verfahrenszuständigkeiten vor der Zivilgerichtsbarkeit sicherzustellen; damit betrifft sie die Grenzen der Sachprüfung auch für das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.1993 - VI ZR 158/93, MDR 1994, 38 = VersR 1993, 1540 [1541]; v. 24.6.1980 - VI ZR 106/79, MDR 1980, 925 = VersR 1980, 822).
Diesen Erfordernissen trägt nunmehr § 108 SGB VII ausdrücklich Rechnung. Wird diese Vorschrift nicht beachtet, kann dies zu Ergebnissen führen, die das Vertrauen in die Rechtsprechung erschüttern, wenn - wie hier - zwischen dem Zivilgericht und den Unfallversicherungsträgern unterschiedliche Auffassungen über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bestehen und der Geschädigte deshalb weder Schadensersatz noch eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zugesprochen erhält. Um dies zu vermeiden, ist in einem solchen Fall eine Aussetzung des Verfahrens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung der Sozialversicherungsträger oder der Sozialgerichte erforderlich. Das Berufungsurteil ist daher schon deswegen aufzuheben, weil das Berufungsgericht die Vorschrift des § 108 SGB VII nicht beachtet hat.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird im weiteren Verfahren auch zu prüfen haben, ob die Beklagte am sozialversicherungsrechtlichen Verfahren beteiligt wurde. Nach § 12 Abs. 2 SGB X ist nämlich ein Dritter auf Antrag als Beteiligter zu diesem Verfahren hinzuzuziehen, wenn dessen Ausgang für ihn rechtsgestaltende Wirkung hat; soweit er der Behörde bekannt ist, hat sie ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen. Wurde die Beklagte an dem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren nicht in der gebotenen Weise beteiligt, wäre dieses mit einem Fehler behaftet, der dazu führen kann, dass die Entscheidungen im sozialversicherungsrechtlichen und sozialgerichtlichen Verfahren ihr gegenüber nicht bindend wären. Gemäß § 108 SGB VII kann daher eine Entscheidung des Berufungsgerichts grundsätzlich erst ergehen, wenn auch gegenüber der Beklagten, die sich auf einen Haftungsausschluss beruft, ein bestandskräftiger Bescheid des Unfallversicherungsträgers vorliegt (vgl. BGH v. 4.4.1995 - VI ZR 327/93, BGHZ 129, 195 [200 ff.]; BSG v. 22.6.1983 - 12 RK 73/82, BSGE 55, 160 [162 f.]; vgl. auch Frahm, VersR 1995, 1002). Das Berufungsgericht wird dies ggf. klären müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 1159878 |
BGHZ 2005, 394 |
NJW 2004, 2901 |
BGHR 2004, 1194 |
NJW-RR 2004, 1093 |
MDR 2004, 1137 |
NZV 2004, 342 |
VRS 2004, 6 |
VersR 2004, 931 |