Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeldanspruch. Arbeitsentgeltanspruch im Insolvenzgeldzeitraum. tariflicher Lohnverzicht. Kündigung des Restrukturierungstarifvertrages. Neuentstehung und Fälligkeit von Arbeitsentgelt. Erarbeitungsprinzip. Urlaubsgeld. Sittenwidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
Tariflich verzichtete Lohnbestandteile, die im Insolvenzgeld-Zeitraum kraft tariflicher Regelung neu entstehen und fällig werden, sind bei der Berechnung des Insolvenzgelds nur zu berücksichtigen, wenn sie im Insolvenzgeld-Zeitraum erarbeitet worden sind (Anschluss an und Fortführung von BSG vom 24. 11.1983 - 10 RAr 12/82 = SozR 4100 § 141b Nr 29).
Orientierungssatz
1. Zur Berücksichtigungsfähigkeit von Urlaubsgeld bei der Berechnung des Insolvenzgeldes.
2. Tarifliche Sanierungsregelungen, die im Ergebnis sicherstellen sollen, dass der Arbeitnehmer für die rechtlich geschuldete volle Arbeitsleistung auch die volle Vergütung verlangen darf, laufen nicht ohne weiteres als Vereinbarung zu Lasten Dritter dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwider. Unter Sittenwidrigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist daher, wenn für die im Insolvenzgeld-Zeitraum geschuldeten monatlichen Arbeitszeiten der jeweilige arbeitsvertragliche Monatslohn zu zahlen ist.
Normenkette
SGB 3 § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 2001-12-10, S. 3 Fassung: 2001-12-10; BGB § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt höheres Insolvenzgeld (Insg) unter Berücksichtigung von Lohnbestandteilen in Höhe von insgesamt 3.741,36 Euro, auf die zuvor tarifvertraglich verzichtet worden war.
Der Kläger war von August 1996 bis 31. Oktober 2003 bei der K & M K GmbH in K beschäftigt. Auf Grund arbeitsvertraglicher Bezugnahme galten für ihn die Tarifverträge für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland. Am 13. November 2002 schlossen die Arbeitgeberin des Klägers und andere Unternehmen der Firmengruppe K & M mit der IG Metall - Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen - in Nordrhein-Westfalen einen Restrukturierungstarifvertrag. Nach dessen §§ 2 und 3 verzichteten die Arbeitnehmer auf einen Teil ihrer tariflichen Ansprüche auf Urlaubsgeld und ein 13. Monatsgehalt (Weihnachtsgeld). Zudem wurden nach § 4 dieses Tarifvertrages die für das Jahr 2002 vereinbarten tariflichen Lohnerhöhungen bis zum 30. September 2003 ausgesetzt. Der Vertrag enthielt außerdem in § 6 eine Prämienregelung für den Fall, dass das Unternehmen einen Jahresüberschuss von mindestens 200.000 Euro erzielen würde und im Übrigen noch folgenden Passus:
"Werden die vom Unternehmen vorgesehenen Modernisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen nicht oder nur unzureichend durchgeführt oder verweigern Kreditinstitute zugesagte Kredite oder kündigen sie bestehende oder droht eine Insolvenz, hat die IG Metall das Recht, diese Vereinbarung zu kündigen. Damit entstehen die ursprünglichen Ansprüche neu und werden unmittelbar fällig."
Im Verfahren der Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen der Arbeitgeberin bestellte das Amtsgericht Bielefeld (AG) mit Beschluss vom 3. September 2003 einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Am selben Tag kündigte die IG Metall - Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen - den Restrukturierungstarifvertrag mit sofortiger Wirkung und machte für die Beschäftigten die "ursprünglichen" Ansprüche nach §§ 2 bis 4 des Vertrages geltend. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer wurden von der Arbeitgeberin für die Zeit ab 1. August 2003 nicht mehr erfüllt. Mit Beschluss vom 1. November 2003 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers.
Am 5. November 2003 beantragte der Kläger Insg. Der beigeladene Insolvenzverwalter bestätigte in der Insg-Bescheinigung vom 18. November 2003 rückständige Entgeltansprüche für die Monate August bis Oktober 2003 in Höhe von 4.889,62 Euro. Nach seinen Angaben wurden dabei die tariflichen Lohnansprüche erst ab 3. September 2003 wieder in voller Höhe berücksichtigt. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Insg für die Monate August bis Oktober 2003 in Höhe des bescheinigten Entgelts abzüglich eines vorfinanzierten Betrags in Höhe von 3.058,05 Euro (Bescheid vom 20. November 2003). Den Widerspruch wies sie unter Hinweis auf das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. März 2004).
Das Sozialgericht (SG) hat die auf höheres Insg nach Maßgabe der tariflichen Ansprüche gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16. März 2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf höheres Insg, weil durch die Kündigung des Restrukturierungstarifvertrages keine weiteren Arbeitsentgeltansprüche für zurückliegende Zeiten entstanden und dem Insg-Zeitraum zurechenbar seien. Nach dem Wortlaut des letzten Satzes von § 6 des Restrukturierungstarifvertrages entstünden mit der Kündigung des Vertrages die ursprünglichen Ansprüche neu. Dieser Wortlaut sei wegen der gleichzeitigen Anknüpfung an die "ursprünglichen" Ansprüche und die Kündigung nicht eindeutig, denn eine Kündigung vermöge - anders als Rücktritt, Widerruf oder auflösende Bedingung - Rechtswirkungen in aller Regel nur für die Zukunft herbeizuführen. Aus den eingeholten Auskünften der Tarifvertragsparteien lasse sich nicht entnehmen, dass diese der Kündigung eine vom aufgezeigten allgemeinen Verständnis abweichende Bedeutung hätten beimessen wollen. Zu berücksichtigen sei insoweit auch, dass durch die Prämienzahlungsregelung in den vorhergehenden Absätzen des § 6 für den Fall des Arbeitsplatzverlustes ein Prämienanspruch in Höhe der gesamten Verzichtsbeträge vorgesehen sei, welcher den Arbeitnehmer vor Nachteilen schütze. Eine rückwirkende Entstehung von Ansprüchen wäre im Übrigen kaum praktikabel, nicht zuletzt wegen der schwierigen sozialversicherungsrechtlichen Einordnung der Nachzahlung. Eine Auslegung entsprechend dem allgemeinen Verständnis einer nur für die Zukunft wirkenden Kündigung vermeide schließlich den Makel einer möglichen sittenwidrigen Regelung zu Lasten der Beklagten.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 183 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) iVm § 6 des Restrukturierungstarifvertrages. Auch bei § 6 handele es sich um revisibles Recht, da seine Arbeitgeberin am 4. März 2003 in gleicher Weise mit der IG Metall Bezirksleitung Küste für ihre Mitarbeiter der in D, Niedersachsen, gelegenen Betriebsstätte einen nahezu identischen Restrukturierungstarifvertrag geschlossen habe. Der Anspruch auf Insg umfasse die vom Verzicht betroffenen Lohnansprüche, die nach der Kündigung gemäß § 6 des Restrukturierungstarifvertrages neu entstanden seien. Diese Ansprüche seien rückwirkend wieder aufgelebt. Denn nur unter dieser Voraussetzung ergebe die gleichzeitige Fälligkeitsvereinbarung einen Sinn. Im Übrigen sei das Sonderkündigungsrecht nicht eingeräumt worden, um den Arbeitnehmern zu Lasten der Beklagten einen Insg-Anspruch zu verschaffen. Das Sonderkündigungsrecht sei nämlich in erster Linie für den Fall vereinbart, dass die vorgesehenen Modernisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen nicht oder nur unzureichend durchgeführt oder zugesagte Kredite nicht gewährt oder bestehende gekündigt würden. Nur daneben habe die Möglichkeit der Kündigung bei drohender Insolvenz bestanden, welche auch nur deshalb zur Neuentstehung der ursprünglichen Lohnansprüche im Insolvenzzeitraum geführt habe, weil die IG Metall von der drohenden Insolvenz erst mit der Antragstellung am 3. September 2003 erfahren habe. Die Verzichtssumme betrage in seinem Fall 3.741,36 Euro brutto; der vom LSG in seiner Entscheidung genannte Betrag in Höhe von 3.018,53 Euro sei deshalb unter Berücksichtigung seiner Ausführungen im Berufungsschriftsatz vom 8. Oktober 2007 entsprechend zu korrigieren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 2008 und das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16. März 2006 aufzuheben sowie den Bescheid vom 20. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Monate August bis Oktober 2003 Insolvenzgeld unter Berücksichtigung eines um 3.741, 36 Euro höheren Bruttolohns zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte und der Beigeladene sind der Auffassung, das LSG habe zutreffend entschieden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Nach den derzeitigen Feststellungen kann nicht abschließend entschieden werden, ob der Kläger einen Anspruch auf höheres Insg hat. Der Restrukturierungstarifvertrag konnte zwar mit der Wirkung der Neuentstehung und unmittelbaren Fälligkeit aller verzichteten Lohnbestandteile gekündigt werden (unter 2.a). Ob die im Insg-Zeitraum entstandenen und fällig gewordenen Tariflohnerhöhungen einschließlich Weihnachts- und Urlaubsgeld aber dem Insg-Zeitraum zuzuordnen sind, lässt sich nach den von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen nicht vollständig klären (unter 2.b und c).
1. Streitgegenständlich ist ein Anspruch auf höheres Insg für die Zeit vom 1. August bis zum 31. Oktober 2003 unter Berücksichtigung weiterer Bruttoarbeitsentgeltansprüche, die der Kläger im Berufungsverfahren anfänglich mit 3.018,53 Euro und erst später mit 3.741,36 Euro beziffert hat, nämlich anteiliges Weihnachtsgeld für 2002, Tariflohnerhöhungen von November 2002 bis August 2003 und anteiliges Urlaubsgeld für 2003, welche Gegenstand des tariflichen Lohnverzichts vom 13. November 2002 waren und nach Auffassung der Revision am 3. September 2003 entstanden bzw fällig geworden und wegen der Entstehung bzw Fälligkeit im Insg-Zeitraum sämtlich in die Insg-Berechnung einzustellen seien.
2. Rechtsgrundlage ist § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III idF des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443). Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis (§ 183 Abs 1 Satz 3 SGB III). Entscheidend ist danach, dass der Kläger infolge der Kündigung des Restrukturierungstarifvertrags weitere - bisher bei der Berechnung des Insg noch nicht berücksichtigte - Arbeitsentgeltansprüche erworben hat (unter a) und diese zudem auch dem Insg-Zeitraum vom 1. August bis zum 31. Oktober 2003 zugeordnet werden können (unter b und c).
a) Der Senat vermag nicht der vom LSG vorgenommenen Auslegung der Kündigungsklausel zuzustimmen. Nach der Rechtsmeinung der Vorinstanz können der Insg-Berechnung weitere Arbeitsentgeltansprüche des Klägers schon deshalb nicht zu Grunde gelegt werden, weil die Kündigungsklausel in § 6 des als Haustarif geschlossenen Restrukturierungstarifvertrags (zum Grundsatz der Spezialität in Fällen der Tarifkonkurrenz vgl BAG, Urteil vom 24. Januar 2001 - 4 AZR 655/99 = AP Nr 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = NZA 2001, 788) nicht die Auslegung zulasse, dass mit der Kündigung die in der Zeit von November 2002 bis August 2003 verzichteten tariflichen Lohnbestandteile einschließlich Weihnachts- und Urlaubsgeld insgesamt neu und mit sofortiger Fälligkeit am 3. September 2003 entstanden seien. An diese Auslegung ist der Senat indessen nicht gebunden, weil es sich trotz der auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkten Geltung des Restrukturierungstarifvertrags vom 13. November 2002 angesichts übereinstimmend ausgestalteter Tarifvertragsnormen in Niedersachsen um revisibles Recht (§ 162 SGG) handelt (vgl BSG, Urteil vom 12. Dezember 1984 - 7 RAr 16/84 = SozR 4100 § 117 Nr 14 S 63; BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996 - 11 RAr 41/96 = BSGE 79, 197 = SozR 3-4100 § 69 Nr 3; BSG, Urteil vom 9. Februar 2006 - B 7a/7 AL 48/04 R, RdNr 20), welches einer eigenständigen Auslegung durch das Revisionsgericht nach den für Tarifnormen geltenden Grundsätzen der Gesetzesauslegung zugänglich ist (vgl BAG, Urteil vom 13. Mai1998 - 4 AZR 107/97 = BAGE 89, 6).
In Übereinstimmung mit den arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zum Restrukturierungsvertrag (ArbG Herford, Urteil vom 16. November 2007 - 1 Ca 961/07; LAG Hamm, Urteil vom 21. Mai 2008 - 2 Sa 2243/07) geht der erkennende Senat davon aus, dass der Wortlaut der Kündigungsklausel und ihre systematische Stellung innerhalb der Prämienregelung trotz der prinzipiell zukunftsorientierten Ausrichtung einer Kündigung (vgl MünchKommBGB/Gaier, 5. Aufl 2007, vor § 346 RdNr 16) eine Auslegung nahe legt, die zur Neuentstehung und sofortigen Fälligkeit aller verzichteten Lohnbestandteile führt. Unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beschäftigten kann ebenfalls nicht angenommen werden, dass die Kündigungsklausel des § 6 lediglich eine wiederholende Klarstellung der Regelung des § 9 enthält, wonach der Restrukturierungstarifvertrag nach Ablauf der regulären Laufzeit ohne Nachwirkung endet. Denn das Prämienmodell des § 6 ist in § 9 ausdrücklich ausgenommen.
Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht darauf hin, dass Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Restrukturierungsvertrags durch die Prämienregelung vor einem Verlust ihrer vom Verzicht erfassten Ansprüche geschützt sind, weil sie auch bei Ausscheiden aus dem Unternehmen einen Prämienanspruch in Höhe der gesamten Verzichtsbeträge erwerben können. Grundvoraussetzung ist jedoch auch bei dieser besonderen Prämienregelung für den Fall des Ausscheidens die erfolgreiche Unternehmenssanierung. Damit können insolvenzbedingt freigesetzte Arbeitnehmer nicht in den Genuss der Prämie kommen. Der Sinn der an den Interessen der Arbeitnehmerschaft ausgerichteten, im letzten Absatz des § 6 enthaltenen Kündigungsregelung kann daher im Falle drohender Insolvenz nur darin bestehen, den Arbeitnehmern Ansprüche in Höhe des Gesamtbetrags der vorher verzichteten Lohnbestandteile einzuräumen.
b) Für die Zuordnung zum Insg-Zeitraum kommt es indessen entscheidend darauf an, wann das Arbeitsentgelt erarbeitet worden ist. Hierfür können keine einheitlichen Maßstäbe aufgestellt werden. Vielmehr ist für jede Form der Arbeitsvergütung besonders zu prüfen, wie bzw welchem Zeitraum sie nach ihrer Eigenart zuzuordnen ist.
Ausschlaggebend sind insoweit nach der stRspr des erkennenden Senats der arbeitsrechtliche Entstehungsgrund und die Zweckbestimmung der Leistung (vgl BSG, Urteil vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 3/01 R = SozR 3-4100 § 141b Nr 23 zum Konkursausfallgeld ≪Kaug≫; zuletzt zum Insg BSG, Urteil vom 23. März 2006 - B 11a AL 65/05 R mwN). Bloße Fälligkeitsvereinbarungen ohne Änderung des Rechtsgrunds vermögen eine Änderung der zeitlichen Zuordnung nicht zu bewirken. Aber selbst umgewandelte Entgeltansprüche müssen entsprechend ihrem Sinn und Zweck am Erarbeitensprinzip gemessen werden (BSG, Urteil vom 23. März 2006, aaO). Rückwirkende Lohn- und Gehaltserhöhungen, die während des Insg-Zeitraums tariflich vereinbart und fällig werden, begründen keinen Anspruch auf Insg, soweit sie für vor diesem Zeitraum liegende Lohnperioden bestimmt sind. Für rückständigen Lohn kommt es deshalb auf den Zeitpunkt an, in dem die Arbeit als Gegenleistung für den Entgeltanspruch erbracht worden ist. Denn auch wenn Ansprüche in den Zeiträumen des "Erarbeitens" noch nicht entstanden sind und erst durch nachträgliche Vereinbarung begründet werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie für den Fälligkeitsmonat bestimmt sind bzw in diesem Monat als einmalige Ausgleichsleistung dafür dienen sollen, dass sich die Arbeitnehmer bisher noch mit alten Tariflöhnen zufrieden geben mussten (vgl BSG, Urteil vom 24. November 1983 - 10 RAr 12/82 = SozR 4100 § 141b Nr 29 S 115 zum Kaug, vgl auch Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 183 RdNr 111).
An diesen Grundsätzen hält der erkennende Senat weiterhin fest und überträgt sie auf die konstruktiv anders gelagerte Fallgestaltung eines Lohnverzichts mit anschließender Neuentstehung und Fälligkeit in späteren Zeiträumen (vgl Hanau ZIP 2002, 2028, 2029; Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 RdNr 101; zur Reduzierung laufenden Arbeitsentgelts grundlegend Gagel BB 2000, 718, 721). Hiervon ausgehend lassen sich zwar die Tariflohnerhöhungen ab August 2003, nicht aber das Weihnachtsgeld 2002 und die vom Verzicht für die Zeit von November 2002 bis Juli 2003 betroffenen Tariflohnerhöhungen dem Insg-Zeitraum zuordnen, weil diese für frühere Zeiträume bestimmt waren. Unklar ist lediglich, welchen Zeiträumen das Urlaubsgeld für 2003 zuzuordnen ist, welches nach Angaben des Beigeladenen im Klageverfahren bereits anteilig - in nicht bezifferter Höhe - bis zum 3. September 2003 auf der Grundlage von 50 % der Maximalbezüge und ab dem 3. September 2003 auf der Basis von 100 % der Bezüge - urlaubsabhängig - in die Berechnung des Insg eingeflossen sein soll.
Wird Urlaubsgeld als akzessorische Arbeitgeberleistung für die Dauer des Urlaubs gewährt (hierzu BAG, Urteil vom 21. Oktober 1997 - 9 AZR 255/96 = AP Nr 5 zu § 1 TVG Tarifverträge Schuhindustrie = NZA 1998, 666), ist es insg-rechtlich nur zu berücksichtigen, soweit es für die Zeit der Urlaubstage in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis vom Arbeitgeber zu zahlen gewesen wäre (BSG, Urteil vom 1. Dezember 1976 - 7 RAr 136/75 = BSGE 43, 49 = SozR 4100 § 141b Nr 2). Wird das Urlaubsgeld dagegen urlaubsunabhängig (BAG, Urteil vom 15. April 2003 - 9 AZR 137/02 = BAGE 106, 22 = AP Nr 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bäcker = NZA 2004, 47) gezahlt, ist es nach der Rspr des erkennenden Senats wie jede andere jährliche Sonderzuwendung (hierzu BSG, Urteil vom 2. November 2000 - B 11 AL 87/99 R = SozR 3-4100 § 141b Nr 21; BSG, Urteil vom 21. Juli 2005 - B 11a/11 AL 53/04 R = SozR 4-4300 § 183 Nr 5) außerhalb des laufenden Arbeitsentgelts nur dann berücksichtigungsfähig, wenn es sich ganz oder anteilig den dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monaten zuordnen lässt (BSG, Urteil vom 23. März 2006 - B 11a AL 65/05 R). In die Richtung einer akzessorischen Arbeitgeberleistung könnten etwa Ziff 90 ff des Manteltarifvertrags für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Januar 1997 weisen, denen zufolge der Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld gleichzeitig mit dem Urlaubsanspruch entsteht und entfällt, wenn dem Arbeitnehmer auf seinen Wunsch an Stelle der Gewährung von Urlaub in Freizeit der Urlaubsanspruch in Geld abgegolten wird. Die Insg-Bescheinigung lässt entgegen den Verlautbarungen des Beigeladenen im Klageverfahren jedoch nicht den eindeutigen Schluss auf eine anteilige Berücksichtigung von Urlaubsgeld im Insg-Zeitraum zu. Die unter "WG" ausgewiesene Sonderzahlung dürfte vielmehr für Weihnachtsgeld stehen, das in Höhe von 394,11 Euro in die Entgeltabrechnung für Oktober 2003 eingestellt ist. Die im Berufungsverfahren vorgelegte Lohnabrechnung für Juli 2003 deutet demgegenüber darauf hin, dass das Urlaubsgeld 2003 - ggf noch in reduzierter Höhe im Juli 2003 weitgehend urlaubsunabhängig - ausgezahlt worden ist.
Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt her zu Recht - keine Feststellungen hierzu getroffen, sodass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob es sich um eine urlaubsabhängige Leistung oder eine urlaubsunabhängige Sonderleistung handelt (hierzu zusammenfassend BSG, Urteil vom 23. März 2006, aaO), ferner ob und welche Teile des Urlaubsgelds für 2003 tatsächlich geflossen sind. Unklar ist zudem, wie sich das der Insg-Berechnung zugrunde gelegte Nettoarbeitsentgelt (4.889,62 Euro) einerseits und der im Berufungsverfahren vom Kläger zunächst spezifizierte (3.018,53 Euro brutto) bzw jetzt eingeforderte Gesamtbetrag (3.741,36 Euro brutto) zueinander verhalten. Dies gilt nicht zuletzt auch mit Blick auf die zur Personalkostensenkung parallel abgeschlossene - vom LSG bisher nicht erörterte - Betriebsvereinbarung vom 5. November 2002, die für alle Arbeitnehmer der K & M K GmbH Geltung beansprucht und im gewerblichen Bereich eine Modifikation des Prämienlohnsystems mit der Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche verbindet (zum Tarifvorbehalt nach § 77 Abs 3 Betriebsverfassungsgesetz ≪BetrVG≫ im Lichte des § 87 BetrVG vgl BAG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 AZR 353/07 = AP Nr 139 zu § 2 KSchG 1969; Kania in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Aufl 2009, 210, § 77 RdNr 44 ff). Im Ergebnis kann die Klageforderung schon dem Grunde nach, aber auch der Höhe nach nicht lückenlos nachvollzogen werden. Insoweit werden vom LSG noch nähere Feststellungen zu treffen sein, auf der Grundlage welchen weiteren Bruttoarbeitsentgelts iS des § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III höheres Insg nach § 185 SGB III in Betracht kommt. Es ist deshalb insgesamt untunlich, über Teile des Rechtsstreits (zB das Weihnachtsgeld 2002) bereits in der Sache abschließend zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
c) Können im Anschluss an die noch zu treffenden Feststellungen weitere Lohnanteile, nämlich neben der Tariflohnerhöhung für August 2003 auch das Urlaubsgeld für 2003 ganz oder anteilig dem Insg-Zeitraum zugeordnet werden, wird die Vorinstanz zu berücksichtigen haben, dass die tarifvertragliche Kündigungsklausel als solche nicht sittenwidrig ist. Anerkannt ist zwar, dass Rechtsgeschäfte, die allein darauf ausgerichtet sind, Vermögensverhältnisse auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, sittenwidrig iS des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch sind (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982 - IVb ZR 333/81 = BGHZ 86, 82). Leistet der Arbeitnehmer allerdings zur Rettung seines Arbeitgebers einen Sanierungsbeitrag durch einen auf die Insolvenz bezogenen auflösend bedingten Lohnverzicht, steht bei diesem einheitlichen Rechtsgeschäft ersichtlich der von der Rechtsordnung anerkannte und sogar gewünschte Sanierungszweck im Vordergrund (BAG, Urteil vom 19. Januar 2006 - 6 AZR 529/04 = BAGE 117, 1 = AP Nr 13 zu § 55 InsO). Fraglich ist deshalb, ob sich in der Wertigkeit Wesentliches dadurch ändert, wenn dasselbe Ergebnis auf dem Wege des Lohnverzichts mit einer nachgeschalteten insolvenznahen Kündigung erreicht werden soll, welche ihrerseits dann - zwangsläufig - nur noch oder wenigstens doch überwiegend der Sicherung des rückständigen Lohns durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) dient.
Der Senat teilt aber jedenfalls die Einschätzung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 19. Januar 2006, aaO) und Literatur (Hanau ZIP 2002, 2028, 2029; krit mit Lösungsansatz über § 184 SGB III Bayreuther ZIP 2008, 573, 580), dass tarifliche Sanierungsregelungen, die im Ergebnis sicherstellen sollen, dass der Arbeitnehmer für die rechtlich geschuldete volle Arbeitsleistung auch die volle Vergütung verlangen darf, nicht ohne weiteres als Vereinbarung zu Lasten Dritter dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwider laufen (zur Sittenwidrigkeit einer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geschlossenen, die Fälligkeit einer Jahressonderzahlung verschiebenden Betriebsvereinbarung BSG, Urteil vom 18. März 2004 - B 11 AL 57/03 R = SozR 4-4300 § 183 Nr 3). Unter Sittenwidrigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist daher, wenn für die im Insg-Zeitraum geschuldeten monatlichen Arbeitszeiten der jeweilige arbeitsvertragliche Monatslohn zu zahlen ist. Dementsprechend geht auch die Beklagte in ihren Durchführungsanweisungen zu § 183 SGB III davon aus, dass der zu Sanierungszwecken vorgenommene Lohnverzicht mit anschließenden Vergütungserhöhungen für den Fall der Insolvenz, zumindest wenn der Sanierungsbeitrag bis zur Insolvenz angedauert hat, weder mit dem Makel der Sittenwidrigkeit behaftet noch anfechtbar iS des § 184 Abs 1 Nr 2 SGB III ist (Ziff 5.1, Stand September 2007 im Anschluss an BAG, Urteil vom 19. Januar 2006, aaO; vgl auch Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 184 RdNr 18). Ob dieses Ergebnis in gleicher Weise wegen der anders ausgestalteten Regelung des § 131 SGB III für den anschließenden Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) zutrifft (vgl zur Auslegung der Vorgängerreglung des § 134 SGB III BSG, Urteil vom 5. Dezember 2006 - B 11a AL 43/05 R = SozR 4-4300 § 134 Nr 1), hat der Senat hier nicht zu entscheiden.
Im Rahmen der Zurückverweisung wird zu beachten sein, dass die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) nicht gegeben sind (vgl Meyer/Ladewig, SGG; 9. Aufl 2008, § 75 RdNr 16c mwN). Denn anders als der Beiladungsbeschluss vom 7. Februar 2005 nahelegt, geht es vorliegend nicht um einen Streit über die Sozialversicherungspflicht.
Das LSG wird zudem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2172885 |
BSGE 2010, 303 |